Poulencs Meisterwerk über den Märtyrertod der Karmelitinnen von Compiègne gehört zu meinen allerliebsten Opern. Und so war es keine Frage, dass ich die Gelegenheit nutzen würde, eine Neuproduktion dieses Werks quasi vor der Haustür zu besuchen. Wenn auch nicht ohne Bedenken, denn ich habe diese Oper in den letzten Monaten oft gehört und im Dezember eine maßstäbliche Aufführung in Brüssel mit einem französischen Starensemble besucht. Wie würde sich eine Darbietung in der deutschen Theaterprovinz im Vergleich dazu machen? Um es vorwegzunehmen: An die Aufführung in Brüssel hat die in Gelsenkirchen nicht herangereicht, aber sie war durchaus annehmbar.
In der Rolle der Blanche bot die bayerische Sopranistin Bele Kumberger eine ordentliche Leistung, und auch Dongmin Lee als Sœr Constance, Petra Schmidt als Madame Lidoine und Almuth Herbst als Mère Marie haben mir gut gefallen. Abstriche habe ich bei Noriko Ogawa-Yatake zu machen, die mit der Partie der Madame de Croissy an ihre Grenzen kam, was besonders in der erschütternden Sterbeszene auffiel, wo ihr die stimmlichen Mittel fehlten, um die Agonie des Todeskampfes überzeugend zu gestalten. Dies wurde auch nicht durch eine übertriebene Gestik und Mimik wettgemacht, die manchmal schon wie eine Karikatur wirkte. Auch bei Bele Kumberger fiel mir einige Male ein Overacting unangenehm auf (zum Beispiel im ersten Dialog mit Constance), was wahrscheinlich dem Regisseur zu Lasten zu legen ist. Während die kleinere Rollen des Marquis de la Force (Piotr Prochera) und seines Sohnes (Ibrahim Yesilay) ebenso ordentlich gesungen wurden wie die Schwestern des Karmel von Mitgliedern des Chors, war der Beichtvater (Edward Lee) mit seiner quäkigen Stimme ein Totalausfall. Nicht restlos glücklich war ich mit der Leistung von Rasmus Baumann am Pult, der einige orchestrale Höhepunkte nicht mit der nötigen Wucht hat ausspielen lassen. Und die Schläge beim Herabfallen der Guillotine am Ende klangen zu weich, so dass dieser großartige Effekt etwas verschenkt wurde.
Die Inszenierung von Ben Baur könnte man als historistisch bezeichnen, denn Kostüme und Kulissen orientieren sich an der Zeit der Handlung. Wenig einfallsreich fand ich anfangs das ein Zimmer zeigende Bühnenbild, welches zunächst den Salon im Schloss des Marquis de la Force darstellte, dann aber auch das Innere des Karmelitinnenklosters, was nun gar nicht passte. Meine Befürchtung, dass sich daran bis zum Ende nichts ändern würde, bewahrheitete sich zum Glück nicht, denn das Zimmer wurde im 2. Akt beim Auftreten des Bruders von Blanche auseinandergeschoben, und es öffnete sich der Blick auf die revolutionären Massen, die um das Kloster herumschlichen – eine schöne Idee, wie ich fand, um den Einbruch der Revolution in die abgeschlossene Welt des Klosters zu verdeutlichen. In Folge wurden dann die Wände weiter eifrig verschoben, um sich im 3. Akt wieder zum Inneren des Schlosses zu fügen, in das Blanche zeitweise zurückkehrt. Dass der Regisseur einen Hang zur Theatralik hat, wurde anhand des Henkers deutlich, der einen blutüberströmten nackten Oberkörper herumtragen musste - ein völlig überflüssiger, billiger Effekt.
Die große Frage ist ja immer, wie die bewegende Schlussszene gestaltet wird, in der die Schwestern nacheinander der Guillotine zum Opfer fallen. Zum Glück hat hier der Regisseur alles richtig gemacht und auf jede unnötige Theatralik verzichtet. Vor einer grauen Wand mit den Schriftzug „Paris 17 Juillet 1794“ stehen die das Salve regina singenden Karmelitinnen mit einer brennenden Kerze in der Hand, und bei jedem Schlag des Fallbeils wird eine dieser Kerzen ausgeblasen und die hingerichtete Schwester geht langsam nach hinten ab. Ich kann diese auch musikalisch tief bewegende Schlussszene nicht sehen, ohne dass mir die Tränen kommen, und ich ertrage dann manchmal kaum den Applaus.
Einen großen Kritikpunkt habe ich noch: Es wurden etliche Szenen gestrichen, darunter einige, die ich als Schlüsselszenen betrachte wie z.B. den Disput über das Martyrium zwischen der neuen Priorin Madame Lidoine und der allzu sehr darauf erpichten Mère Marie. Und auch die schöne Szene, in der das Jesuskind herumgetragen wird und Blanche schließlich aus der Hand fällt und zerbricht, fehlte. Warum diese und andere Stellen gestrichen wurden, bleibt mir völlig unverständlich. Diese Oper hat nun wahrlich keine Überlänge, und ich möchte darin auf keine Note verzichten. Natürlich werden diese Striche im Programmheft mit keinem Wort erwähnt.
Ingesamt also eine mittelprächtige Aufführung, die man sich durchaus mit Genuss und Gewinn anschauen kann, aber auch nicht unbedingt anschauen muss.
Diejenigen, die gerne die „Werkgerechtigkeit“ einer Produktion anhand von Szenenfotos überprüfen, finde hier einige Bilder: https://musiktheater-im-revier…dialogues-des-carmelites/
Das Haus war am Sonntagnachmittag zu ca. 90% besetzt, der Applaus war frenetisch, wobei Bele Kumberger am stärksten bejubelt wurde.