Domingo und Netrebko in Macbeth auf Arte am 21.06.18

  • Ich habe die Übertragung nicht ganz gesehen, aber den Ballakt, die Arie des Macduff und den Schluss ab der Wahnsinnsarie der Lady. Domingo war schon überzeugend, bei ihm stimmt immer noch der sängerische Ausdruck, alles was er singt, wird von innen her empfunden und beseelt nach außen getragen. Das vermisste ich bei Frau Netrebko, sie hat wirklich eine schöne Stimme, singt aber wie eine Desdemona bei ihrem Schlussgebet und nicht wie eine irre werdende Mörderin. Das fiel mir bei ihr bisher immer auf, wenn ich sie im Fernsehen (häufiger) oder live (einmal) gehört habe. Es gelingt ihr nicht im notwendigen Maße, die dramatischen Rollen zu beseelen, sie klingt wie ein Automat, wie von E.T.A. Hoffmann geschaffen, und das Publkum setzt sich die rosarote Brille auf (man hat ja schließlich genug gezahlt). Auch der Arie des Macduff (Fabio Sartori) mangelte es in meinen Ohren bei allem Schöngesang der Empfindung, wie sie zuletzt Dovlet Nugeldiyev an der Hamburgischen Staatsoper tränenrührend zum Ausdruck brachte. Nochmals zu Domingo, es ist schon enorm, was dieser am 21.1.1934 (!) (Reclams Lexikon der Opernwelt 1998, Bd 2, S. 153) geborene Tenor noch auf die Beine stellt, dafür ist die Stimme wirklich noch fabelhaft. Er ist und bleibt aber ein Tenor und singt nur noch im unteren Bereich seines Fachs, das ist objektiv für einen Macbeth, den Verdi für Bariton geschrieben hat, zu wenig. Der Stimme geht das Hintergründige, Böse ab, Domingo wirkt als mordender Schottenkönig eher bemitleidenswert, vor allem im zentralen Ballakt, wenn der Wahn ihn überkommt. Dafür reicht die Stimme nicht, während er in der Schlussarie, die wohl auch von einem Tenor gesungen werden könnte, dank seiner unveränderten Gestaltungskraft als Sänger Domingo durchaus zu überzeugen weiß, weniger jedoch als Macbeth. Ein Vergleich mit Franz Grundheber oder Dimitri Platanias verbietet sich vor der Lebensleistung dieses einstmals großen Tenors.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • In das Lob über Domingo kann ich nicht einstimmen. Ich fand ihn grau, fad und ausgesungen. Oft ist das Argument zu hören, dass er für sein hohes Alter doch noch sehr beudeutsam sei. Das reicht mir nicht. Alter ist kein Bonus auf der Opernbühne. Auch mit dem Hinweis auf die Lebensleistung lassen sich die Verschleißerscheinungen nicht mehr schönreden. Mir ist auch nicht aufgefallen, dass da irgendwas gestaltet gewesen ist. Allerdings verstehe ich gut, wenn seine Fans diesen Sänger, den ich als aufstrebenden Tenor auch hinreißend fand, immer noch feiern. Wir hatten das Thema ja schon an anderer Stelle. Gestern bei der TV-Sendung nahm ich ihn stimmlich wieder tenorhafter wahr als sonst. Es ist wohl auch ein Tagesform. Da "Macbeth" eines meiner liebsten Stücke ist von Verdi, habe ich durchgehalten, was mir sehr schwer fiel. Anna Netrebko habe ich als Lady nie gemocht. Sie ist nur Stimme und entwickelt in der Tiefe eine merkwürdig hölzernes Geräusch. Eine Wort noch zur Inszenierung von Kupfer in den nun sattsam bekannten Bühnenbildern von Schavernoch. Offenbar wurde die Handlung nach Russland verlegt. Das ist billig und ging inhaltlich nicht auf. Kupfer ist ausgebrannt. Immer dieselbe Ästhetik. Immer dieselben Bewegungen. Man weiß schon vorher, was als nächstes kommt. Die Aufzüge der Choristen wie im "Fidelio" vor fünfzig Jahren. :no: Aus dem Orchestergraben hörte ich von Barenboim alles andere als fetzigen frühen Verdi. Gegen die rasante Vorgängerinszenierung von Peter Mussbach mit Gielen am Pult, war das in meinem Augen und Ohren kalter Kaffee.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Gegen die rasante Vorgängerinszenierung von Peter Mussbach mit Gielen am Pult, war das in meinem Augen und Ohren kalter Kaffee.


    Kalter Kaffee in die Ohren und auf die Augen - ein kosmetischer Geheimtipp!


    :thumbup:

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Lieber Rheingold,
    die Inszenierung spielt laut genauso belanglosem Pausengespräch in einer südamerikanischen Militärdiktatur und soll zeitlos sein. In Bezug auf die Sänger schließe ich mich der Meinung von Ralf an. Beim Dirigat von Barenboim kam leider such keine Spannung auf.

  • Kalter Kaffee in die Ohren und auf die Augen - ein kosmetischer Geheimtipp!


    Ja, lieber Caruso, ein altes Hausmittel meiner Großmutter, um sich gegen mittelmäßige Stimmen zu schützen. :D

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • südamerikanischen Militärdiktatur


    Lieber rodolfo, und ich wähnte mich in Russland, weil ich mir nie die Pausengespräche antue. :( Die haben dort auch solche Mützen und Uniformen. In der Flagge auf dem Sarg von Macbeth gab es für mich auch entsprechehende Assoziationen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ja, lieber Caruso, ein altes Hausmittel meiner Großmutter, um sich gegen mittelmäßige Stimmen zu schützen. :D


    Hatte ich mir doch gedacht!
    Meines ist auch einfach: Ich mache den Fernseher für solche Übertragungen nicht an!


    Liebe Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Meine Vorstimmung war gespalten, vorsicjtshalber habe ich die Festplatte programmiert und ab 20.00 Uhr Fußball geguckt. Trotz der Klasse dieses Spieles konnte ich nicht umhin, mal reinzugucken, Den Schluß ab 21.50 Uhr sowie während der Halbzeitpause habe ich komplett gesehen.
    Ich will mich gar nicht so negativ zu den Stimmen äußern. Netrebko ist stimmlich in guter Form, sie wäre als Elsa oder Desdemona sicher eine gute Wahl, aber als Lady Macbeth? Ich fand ihre Stimme zu weich, keine Härte, keine Ausbrüche. Sie ist zu brav, zu hausbacken für diese Rolle. Oder liegt das an der Regie? Netrebko kann doch sonst spielerisch überzeugen! Warum nicht hier?
    Domingo ist ob seiner Stimme dennoch zu bewundern, aber ich gebe Rheingold recht. Zu beurteilen ist nicht sein Alter, sondern die Leute gehen in die Oper, um einen möglichst rollendeckenden Macbeth zu erleben. Ich denke da an Metternich, Gobbi u.a., die für mich maßstabsetzend sind. Und da fehlen Domingo Welten, Welten, die er auch nie hatte. Er ist kein Bariton, schon als Rigoletto habe ich nicht verstanden, daß er sich und dem Publikum das antut. Und sein statisches Spiel hat mich auch verwundert. Wieder die Frage, ob das die Regie so wollte?
    Der Tenor hat mir stimmlich gefallen, Die Chöre waren großartig. Aber was sollten die drei Krankenschwestern in ihren hübschen High Heels im (eigentlichen) Schottland? Die Handlung mit dem Bühnengeschehen zu verbinden war schwer. Nur den Orchesterklang möchte ich nicht so hart angreifen, die Akustik im neuen Haus scheint gut zu sein.
    Ergebnis: Festplatte wieder gelöscht. Ich habe besseres gespeichert.
    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Meines ist auch einfach: Ich mache den Fernseher für solche Übertragungen nicht an!


    Äh, wo ist bei dieser Aussage jetzt der große intellektuelle Unterschied zu denen, die anhand von Vorankündigungen und aussagekräftigen Farbfotos entscheiden, sich eine Vorstellung erst gar nicht erst anzusehen? ?(


    Ich habe gestern nur den 4. Akt gesehen und werde mich deshalb nicht über das Erlebte äußern, weil ich nur eine Gesamtaufführung beurteilen möchte. Aber ich werde das Ganze Anfang Juli live erleben - und das durchaus mit Vorfreude!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Auch ich fand den Fußball spannender als diese Aufführung!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Kann mir jemand sagen, warum uns ARTE das Finale der Oper unterschlagen hat?
    Ansonsten kann ich nichts dazu noch sagen, besonders Rheingold hat es auf den Punkt gebracht.

  • Kann mir jemand sagen, warum uns ARTE das Finale der Oper unterschlagen hat?


    Hat arte nicht, arte hat die komplette Aufführung übertragen. Ich habe ja den "Partisanenchor" am Ende auch vermisst, aber offenbar gab's den in der Pariser Fassung nicht mehr.


    Hier steht mehr zur Fassung: https://onlinemerker.com/berlin-staatsoper-macbeth/


    Was der Rezensent zu Domingo schreibt, bringt es nach meinen Eindrücken (eben nur vom 4. Akt der Übertragung) "auf den Punkt".


    (Der schreibt allerdings über die von ihm live erlebte gestrige zweite Vorstellung, nicht über die gestern gesendete Premiere.)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Es hat mich die kürzere (im Programm stand Ende 23.15) Übertragungszeit irritiert. Deshalb habe ich nicht auf die Fassung geachtet und dachte, man hätte das Finale nicht übertragen.