ZILLIG, Winfried: TROILUS UND CRESSIDA

  • Winfried Zillig (1905-1963):


    TROILUS UND CRESSIDA
    Oper in sechs Szenen - Libretto vom Komponisten nach William Shakespeare


    Uraufführung am 3. Februar 1951 im Opernhaus Düsseldorf



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Troilus, trojanischer Prinz (Bariton)
    Kassandra, seine Schwester, Seherin (Alt)
    Cressida, Tochter des trojanischen Priesters Kalchas (Sopran)
    Pandarus, ihr Onkel (Tenor)
    Helena, nach Troja entführte Frau von Menelaos (Sopran)
    Ein trojanischer Herold (Bass)
    Tersites, griechischer Krieger und Demagoge (Bass-Bariton)
    Aeneas, Paris, Hektor (stumme Rollen)
    Fünfstimmiger gemischter Chor


    Ort und Zeit des Geschehens: Troja während des Trojanischen Krieges.



    INHALTSANGABE


    Chor I: Vom Menschen.
    Der Chor, in feierlichem Gewand, aber mit ernsten Masken, zieht auf hohen Kothurnen ein.


    Nach einer Grave-Einleitung fragt der Chor (‚piano‘ und damit Ratlosigkeit andeutend), ob die Götter ‚gezürnt‘ haben, als sie den Menschen erschufen und ob sie rückschauend ihre Schöpfung tatsächlich als Krönung betrachten. Die Antwort geben sich die Maskierten selber: Hirten sind sie, verlassen aber, von den Göttern gereizt, die Scholle, um durch das Meer an fremde Gestade zu pflügen, wo sie die Frauen dieser Länder rauben. Doch sie bauen auch festgefügte und bewehrte Städte, in denen sie nicht nur Schutz suchen, sondern das Geraubte auch zu verbergen trachten. Sicher aber können sie nie sein, denn andere Menschen versuchen, den Raub durch Raub zu korrigieren. Haben die Götter also versagt?


    Erste Szene.
    Brachfeld vor Trojas skäischem Tor mit zyklopischen Stadtmauern. Pandarus und Cressida warten in der Abenddämmerung auf die Heimkunft der Krieger.


    Cressida ist vom ‚Plätscherquell der Worte‘ ihres Onkels Pandarus genervt. Der liegt ihr seit langem in den Ohren, dass sie sich Troilus zuwenden möge, denn der trojanische Prinz sei der wahre Held, bei dem sich ‚Ebenmaß und Geist mit Kraft und Schönheit‘ paart. Was ist, so fragt er sie, dagegen der dumme Schwächling Paris oder dessen Bruder Hektor? Letzterer doch nur eine ganz gewöhnliche Rammmaschine. Pandarus führt sogar noch Helena als Argument für die Verbindung mit Troilus an: Sie hat kürzlich gesagt, dass sie Troilus ihrem Paris vorziehen würde, wenn er nur nicht so‘ dunkel‘ wäre. Weil Cressida bei ihrer Ablehnung bleibt, bringt Pandarus nun ihren von Achilles entführten Vater Kalchas ins Spiel: Der hatte schon lange eine Verbindung zwischen seiner Tochter und Troilus geplant, und dem hätte sie sich bestimmt nicht zu widersetzen gewagt! Auch sollte sie stolz sein, meint der Onkel, dass ein trojanischer Prinz die Tochter eines Priesters (wahrlich nicht standesgemäß) zur Frau nehmen will.


    In diesem Moment kommen Krieger auf die Szene und säubern sich an einer Quelle vom Staub des Kampfes. Pandarus erkennt Aeneas und Hektor unter ihnen und hebt zwar deren Qualitäten hervor, findet sie aber, mit Troilus verglichen, nur zweitrangig und meint, dass man in wenigen Jahren nicht mehr über sie reden werde, denn Troilus gehöre die Zukunft! Cressida geht nicht darauf ein, sondern zeigt seit der Erwähnung der Entführung ihres Vaters Niedergeschlagenheit. Pandarus hält es für nötig, seine Nichte mit den öffentlich gewordenen Verhandlungen, dass die Griechen für die Freilassung von Kalchas Lösegeld bekommen sollen, zu beruhigen.


    Dieses Gespräch ist abrupt zu Ende, als Pandarus Troilus in der Menge der Krieger an der Quelle sieht und sofort wieder in Lobeshymnen über ihn ausbricht, Paris und Hektor jedoch erneut als Versager hinstellt. Als er dann zu Troilus geht und ihn freudestrahlend begrüßt, reagiert der Prinz verbittert und mit Vorwürfen, weil Pandarus es noch immer nicht geschafft hat, ein Treffen mit der geliebten Cressida zu arrangieren, und geht dann ohne einen weiteren Gruß davon.


    Chor II: Von der Frau.


    Das Leben der Männer könnte so schön sein, stellt der Chor überzeugt fest, hätten die Götter nicht ‚im Zorn‘ die Frau geschaffen! Denn die sorgen dafür, dass die Männer in einen ‚Tanz in tausend Gestalten stets um das gleiche Geschick‘ verfallen, und sich dabei immer im Kreise drehen. Was haben sich die Unendlichen nur dabei gedacht?


    Zweite Szene.
    Helena ruht auf einem üppigen Lager im Palast, ein sanfter Tanz von Sklavinnen begleitet ihren Gesang.


    Helena quält Ungewissheit über dieses und jenes und ist gerade, durch Pandarus veranlasst, auf Troilus‘ Besuch gespannt. Interessiert nimmt sie den neuen Heeresklatsch auf, wonach Paris durch einen Pfeil ihres Ex Menelaos am Knöchel verletzt wurde, was ihm jedoch, wie Pandarus meint, keinen Orden einbringen werde, denn nach kurzer Bettruhe würde er wieder durch Troja tanzen können. Helenas Antwort auf diese Nachricht macht erkaltete Liebe zu Paris deutlich, ihre innere Unruhe resultiert nur auf die Frage nach Troilus‘ Verbleib. Pandarus beruhigt sie zwar, fügt aber vorsichtshalber hinzu, dass er nur mit der Notlüge, Cressida warte hier auf ihn, zu locken war.


    Als der Ersehnte endlich voller Scheu und nur stumm grüßend auftritt, weil er statt Cressida seine Schwägerin sieht, reagiert Helena mit ihren Verführungskünsten, unterstützt vom sanft-erotischen Tanz der Sklavinnen, kann aber in Troilus keine Leidenschaft entzünden. Auch den zu wilder Ekstase sich steigernde Tanz lässt er reaktionslos über sich ergehen. Als Helena ihn dann aber umarmen will, reißt er sich los und stürmt davon. Zugleich erscheint - mit wildem Aussehen - seine Schwester Kassandra und kündigt den Untergang Trojas an. Sie wendet sich Helena zu und bezichtigt sie, das Verderben über Troja gebracht zu haben. Daher sollte sie verbannt werden, was aber das schreckliche Ende der Stadt nicht aufhalten werde.


    Chor III: Von der Liebe.


    Zunächst loben die Chor-Tenöre und -Bässe die gütigen Götter, weil sie den Menschen das Korn, den Wein, das ‚Glück der Herde‘ und die Liebe geschenkt haben. Dann aber stellt der volle Chor die Frage nach der Sinnhaftigkeit: Das Geschenk der Liebe haben die Ewigen nicht als Dauerzustand eingerichtet, sondern unterwarfen sie einer ständigen Veränderung - warum nur?


    Dritte Szene.
    Garten am Haus des Pandarus; Nacht.


    Pandarus und Troilus kommen und von Cressidas Onkel muss sich der Prinz vorhalten lassen, dass er sich Helena gegenüber ungebührlich benommen habe: Einfach ohne Gruß davonzustürmen gehöre sich nicht! Noch wichtiger ist Pandarus allerdings, dem Prinzen Cressidas Wunsch nach einem Treffen zu übermitteln. Er wird sie sofort holen. Alleine auf der Szene schwärmt Troilus aufgeregt-verliebt über die Priester-Tochter, und dass sich jetzt das kaum noch erhoffte Glück erfüllen soll. Der zurückkehrende Pandarus empfiehlt dem Prinzen, bei Cressida nicht viel Worte zu machen, sondern Taten zu zeigen. Er selber wird nicht bleiben, sondern zur Burg gehen, wo eine wichtige Versammlung ebenso wichtige Beschlüsse fassen will - welche das sind, weiß er nicht, er will sich überraschen lassen.


    Troilus und Cressida verhalten sich zunächst schüchtern, doch nachdem sie die Schüchternheit abgelegt haben, kommt es schnell zu beiderseitigen Liebesgeständnissen und Treueschwüren, mit innigen Küssen besiegelt. Kurz aufkommende Zweifel und Misstrauen über die Standfestigkeit des jeweils anderen sind schnell überwunden: ‚Höchste Nacht der hohen Nächte, die uns höchstes Leben brächte, erste Nacht, o sei die letzte!‘


    Sie begeben sich in enger Umarmung in den mondbeschienenen Schatten des Hauses und ein Intermezzo zeichnet instrumental die Liebe zwischen Troilus und Cressida.
    Plötzlich tritt in höchster Erregung und Entsetzen zeigend Pandarus auf: Was muten ihm die Götter zu? Warum vereiteln sie alle seine Bemühungen? Als es lautstark am Tor klopft, zuckt er zusammen: ‚Da sind sie schon‘ murmelt er, und auch die beiden Liebenden kommen, aufgeschreckt vom Lärm, auf die Szene. Ein Herold verkündet, dass der ‚Hohe Rat der Alten, von den Göttern weisheitsvoll geleitet‘, beschlossen hat, Achilles‘ Verlangen nachzugeben, für die Freilassung von Kalchas dessen Tochter Cressida herauszugeben. Sofortige Proteste von Pandarus und den Liebenden weist der Herold streng mit dem Hinweis auf das ‚Wohl des Staates‘ zurück, und verlangt, dass sich Cressida bereitmacht, während er vor dem Haus warten will. Natürlich suchen die drei Verbitterten nach einem Ausweg, geben aber schnell wegen der Aussichtslosigkeit auf. Cressida folgt dem Herold in das Griechen-Lager.


    Chor IV: Von der Treue.


    Ewig sind die Sterne, die Ströme, die Gebirge, die Meere. Dem Menschengeschlecht aber ist Zeitlichkeit bestimmt, eingeschlossen die Wandelbarkeit vom Kind zum Erwachsenen und siechen Greis, aber auch die Wandlung vom Guten zum Bösen - und umgekehrt natürlich - sowie die Möglichkeit der Läuterung. Gilt das auch für Liebe und Treue? Oder erlischt die Flamme der Liebe, wenn Treue die Liebe verrät?


    Vierte Szene.
    Zeltlager der Griechen.


    Tersites umschleicht Achilles‘ Zelt und fragt den heraustretenden Helden mit verletzendem Schmäh, warum er die ‚trojanische Metze‘ alleine lässt? Achilles nennt ihn ‚Giftpilz‘ und äußert so nebenbei, zur Ratssitzung gehen zu wollen. Tersites frotzelt, dahin solle er besser sein Pferd schicken, weil es eine bessere Rede halten könnte als er. Für diese Aussage langt Achilles mit der Faust hin, und Tersites taumelt, die Kraft des Helden neidlos anerkennend. Doch reizt der Sprücheklopfer Achilles weiter: Er bescheinigt ihm verbal, wenig Gehirn, dafür jedoch zu viel Ohrenschmalz zu haben! Und diese Aussage ist der berühmte Tropfen, der das Fass überlaufen lässt: Tersites bekommt einen harten Hieb ab, der ihn auf den Boden und dann und in Morpheus Arme sinken lässt. Bevor Achilles abgeht, gibt er Tersites noch einen Fußtritt mit. Als der wieder zu sich kommt, verwünscht er mit deftigen Worten den Krieg, der ‚um eine Hure und einen Hahn willen geführt‘ wird.


    Plötzlich nimmt er einen neugierig herumschleichenden Mann wahr, den er sofort als Troer erkennt; er beschließt, sich zu verstecken, um herauszufinden, was der im Schilde führt. Schließlich treibt ihn aber die Neugier und er spricht den Troer an; der erzählt ihm, dass er Hirte sei und der Spur eines entlaufenen Schafes folge, was Tersites ihm aber nicht glaubt - so sieht kein trojanischer Hirte aus! Er vermutet und spricht es auch aus, dass er wohl eher einen ‚Gegenstand mit hohem Seltenheitswert‘ sucht, der in dem Zelt dort, Achilles‘ Zelt, verborgen ist. Tersites wird drastisch-deutlich und nennt den Gegenstand nun plötzlich ‚eine trojanische Dame‘, die bei Achilles gut aufgehoben sei, weil der ein ‚Instrument‘ besitze, mit dem er ‚vortrefflich auf Weibern‘ spielen könne. Der Hirte (es ist natürlich Troilus) verwahrt sich gegen die Diffamierung seiner Geliebten und gibt damit Tersites‘ Vermutung ungewollt recht. Dann hält es der Spötter Tersites für angezeigt, Troilus vor Achill zu warnen, der wenig Witz, aber eine große Schlagkraft habe!


    In diesem Augenblick ist Bewegung im Zelt zu vernehmen, Tersites zieht Troilus schnell ins Dunkel zurück und Cressida tritt, über ihre Lage sinnierend, ins Freie. Als sich Troilus ihr nähern will, hält ihn Tersites zurück und warnt ihn vor Achilles. Diese Warnung kam nicht eine Sekunde zu früh, denn der Grieche tritt zu Cressida und nach einer kurzen Begrüßung mit Anspielungen auf kommende Liebes-freuden wirft sie sich ihm in die Arme. Troilus reagiert entsetzt, will eingreifen, doch Tersites hält ihn erneut warnend fest, während Achilles Cressida in sein Zelt führt.


    Chor V: Vom Kampfe.


    Der Chor malt mit lebensnahen Beispielen ein Bild menschlicher Schicksale: Da sind jene Menschen, die ihre Felder bestellen und hernach die Ernte einfahren. Dann gibt es die anderen, die lieber um des Ruhmes Willen Kriege führen. Manche sind sogar noch Jünglinge, wenn sie mit dem Schwert raubend und plündernd die Welt durchziehen. Wen aber begünstigen die Götter? Oder sind alle vor ihnen gleich?


    Fünfte Szene.
    Brachfeld vor Troja mit riesigen Felssteinen; im Hintergrund Stadt und Burg Troja.


    Nachdem sich der Vorhang gehoben hat, wird die Schlacht zwischen Griechen und Troern sichtbar; die begleitende Musik drückt jedoch nicht wilden Schlachtenlärm aus, sondern malt mit dissonanzenreichen Strukturen eher die bedrückend-seelische Last der Kämpfenden.


    Tersites beobachtet aus einer sicheren Position das Geschehen und wünscht sich, dass der ‚trojanische Grünschnabel‘ dem ‚großmäuligen Drescher Achilles die Seele aus dem Leib‘ prügelt. So nimmt er mit Staunen wahr, dass sich Troilus dem Griechen durchaus gewachsen zeigt, und sogar noch seinen Kampfesgeist steigern kann, als Achilles ihn mit höhnischen und verächtlichen Worten zu schlagen versucht: Er wird ihm Cressida zurückschicken, denn ‚die schönste Frucht, einmal gekostet, wird überständig rasch, und so werfe ich sie fort‘. Dass der Zweikampf unentschieden endet, ist lediglich der untergehenden Sonne zu verdanken. Aber Achilles kündigt Troilus einen gnadenlosen Kampf und den Tod an. Irgendwie scheint er jedoch seiner eigenen Kraft nicht zu trauen, denn er ruft die Myrmidonen zur Hilfe herbei, die ihn unter Troilus‘ Hohnlachen schützend umringen, um dann gemeinsam den Rückzug anzutreten.


    Tersites in seinem Versteck ist über den Ausgang enttäuscht - er hat dem Troer den Sieg über Achilles gegönnt. Troilus legt Rüstung und Waffen ab und überdenkt das Geschehen: Achilles hat die Gesetze des Kampfes feige gebrochen, aber er wird ihm nicht den geringsten Triumph gönnen, er wird Rache an ihm nehmen. Der Glaube an seinen Sieg lässt Troilus zur Ruhe kommen und langsam dahindämmern. So bemerkt er nicht, dass Achilles mit den Myrmidonen zurückgekommen ist und zunächst seine Waffen beiseite räumen lässt, um ihn dann unsanft aus Morpheus‘ Armen in die Realität zurückholen. Troilus, der sofort begreift, dass er in der Falle sitzt und wie ein Vieh abgeschlachtet werden soll, erinnert Achilles an die Normen eines Zweikampfes, die er verletzt sieht, weil er waffenlos ist, doch der Grieche durchbohrt ihn ohne Vorwarnung mit der Lanze und verhöhnt ihn dabei: Nicht Regeln entscheiden den Kampf, sondern nur der Sieg!


    Tersites kommt nach Achilles‘ und der Myrmidonen Abgang aus seinem Versteck und bedauert Troilus‘ Tod, stellt aber gleichzeitig ironisch fest, dass dem Troer auf diese Weise erspart blieb, die ‚Metze‘ zu verprügeln.


    Chor VI: Vom Tode.


    Ein Dolce-Intermezzo führt zu einem Chorsatz, der feststellt, dass der gewaltige Tod jedes menschliche Schicksal dem Vergessen anheimgibt, gleichzeitig aber auch den Toten endgültigen Frieden bringt.


    Sechste Szene.
    Ein flaches Feld vor der trojanischen Stadtmauer. Es herrscht noch Dunkelheit.


    Troilus‘ Leiche liegt auf einem Holzstoß, zu beiden Seiten stehen trojanische Krieger stehen als Wache. Ein Herold tritt bei beginnender Dämmerung auf und verkündet, dass der Verstorbene in den Flammen Vergöttlichung erlangen wird. Ohne Beachtung zu finden ist auch Pandarus trauernd hinzugekommen und beklagt den Tod des von ihm so verehrten Prinzen. Er bedauert aber auch Cressida, die von Achilles wie ein nutzloser Gegenstand zurückgeschickt wurde, und nun dahindämmert, ausgebrannt und leer. Der Herold hat Pandarus wahrgenommen und fordert ihn auf, die heiligen Gebräuche nicht länger zu stören, worauf der sich still zur Seite stellt.


    Wie in Trance erscheint Cressida und beklagt den Tod ihres Geliebten, den er durch ihre Schuld erlitten hat. Während sie zu Fuß des Holzstoßes niedersinkt, äußert sie ihren unabänderlichen Willen, für immer mit ihm vereint zu sein. Der Tod, der gnadenlose Gleichmacher, tut ihr den Gefallen - Cressida stirbt zu Troilus‘ Füßen. Es ist erneut der Herold, der sich zu Wort meldet: Er verlangt, dass man ‚das Weib dort‘ entferne, weil es sich nicht geziemt, dem Helden im Flammentod beizuwohnen. In diesem Augenblick erscheint Kassandra auf der Stadtmauer und widerspricht dem Herold energisch: Die Liebenden sollen sich gemeinsam zu den Gestirnen erheben; auch werden die Stadt und die Burg im Feuer untergehen! Kassandra sieht im Feuer auch das Fanal für Erneuerung, denn aus den Flammen wird die neue Welt geboren.


    Schlusschor.


    Der Chorsatz resümiert, dass zwar der Einzelne vergeht, dass seine Asche dem Pflug verfalle, und es so auch Troilus und Cressida ergehen werde, dass jedoch aus jedem Tod eine neue Zukunft, eine neue Jugend neuer Völker emporwachse.



    INFORMATIONEN ZUM WERK VON WINFRIED ZILLIG


    Der Komponist hat in einem ganzseitigen Vorwort, das dem Klavierauszug aus dem Bruckner-Verlag (zur Bärenreiter-Verlagsgruppe gehörend) vorangestellt ist, zu seiner Oper nähere Hinweise gegeben:


    So stellt Zillig klar, dass sein Opernlibretto ‚nicht Shakespeares hintergründige, aus der Unendlichkeit des Wortes schöpfende politisch-philosophische Satire übernehmen‘ will, sondern ein Operntext vorliegt, der ‚ein Maß für Musik und musikalische Formen liefern soll‘, wie es in der Operngeschichte üblich war und ist.


    Des Weiteren gibt Zillig auch aufführungspraktische Hinweise: Er habe die szenischen Angaben so knapp wie möglich gehalten, weil sie ‚keine verpflichtenden Vorschriften‘ darstellen sollen. Damit sei eine ‚barocke Dekoration, erfüllt von wogenden Statistenheeren‘ ebenso denkbar wie eine auf ‚szenische Rudimente reduzierte Leerbühne, auf der jede Aktion nur angedeutet wird‘. So könnten auch ‚Projektion und Film das Gewand geben, wie die Nüchternheit eines surrealistischen Bühnenaufbaus in kaltem, weißen Licht. Entscheidend ist nur, auf diese oder jene Weise den Gehalt klarzustellen, die Pantomime auch ohne das Wort deutlich zu machen. Vor allem muss die Synthese aus musikdramatischen und oratorischen Elementen verständlich gemacht werden‘.


    Erstaunlich ist Zilligs Hinweis auf örtliche Gegebenheiten: Wenn Bühnen mit Chorschwierigkeiten zu kämpfen haben, können sie sich auf Eingangs- und Schlusschor beschränken oder auch die Chorstellen völlig eliminieren. In der Opernaufführung mit Chor ist es freigestellt, ihn ‚jeweils aufziehen und abtreten‘ zu lassen, wie er aber ebenso ‚als Betrachter auf der Bühne bleiben‘ kann. ‚Auf jeden Fall muss seine statische Rolle klarwerden, der die geschlossenen musikalischen Großformen entsprechen.‘ Zillig kann sich vorstellen, die Chöre separat im Konzertsaal als ‚Chor-Sinfonie‘ aufzuführen.


    Der ‚Synthese aus statischen und dynamischen Prinzipien […] entspricht in der Musik die Synthese aus kontrapunktischen und homophonen Elementen, zu deren Bindung mehrmals eine zwölftönige Technik eingesetzt ist. Als Mittel zur Erreichung einer inneren Geschlossenheit so verschiedenartiger Techniken, wie sie Fugenthema, Reihe, Leitmotiv, Variationen u.s.w. verlangen, dient ein Intervallsprung, der jedem melodischen und harmonischen Geschehen der Oper als Keimzelle innewohnt, so dass eigentlich bei jeder Note die Bezogenheit auf diesen fixe Uridee nachgewiesen werden könnte‘.



    © Manfred Rückert für den Opernführer im Tamino-Klassikforum 2018
    unter Hinzuziehung des Klavierauszugs aus dem Bruckner-Verlag Wiesbaden, 1949

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