Kritiker im Journalismus der Vergangenheit und Gegenwart

  • Im Tamino-Forum wird viel kritisiert, wie es sich für ein Forum, den Platz zum Austausch von Meinungen, ziemt.


    Gibt es einen Thread zu professionellen Kritikern im Journalismus, die über klassische Musik und Werke auf der Bühne schreiben? Eine Würdigung ihrer Arbeit scheint mir angebracht. Da gibt es durchaus herausragende Persönlichkeiten, deren Leistung und Verdienste gewürdigt werden müssen.
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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Wer die "Stimme der Kritik" nicht kennt, in diesem Hörbeispiel ist der legendäre Theaterkritiker Friedrich Luft (1911-1990) zu vornehmen, der das Berliner Kulturleben in seiner wöchentlichen Sendung besprach.



    Rüdiger Schapers, ein Nachfolger dieses Radiomannes des RIAS in Berlin, hat im Tagesspiegel eine Würdigung zum 25. Todestag verfasst.


    "https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/bayerisches-viertel/25-todestag-von-friedrich-luft-freiheitsglocke-live-und-im-radio/12040134.html"
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    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Wechseln wir nach Österreich. Karl Löbl (1930-2014) war für den ORF als Kulturchef und Kritiker tätig. Die Sendung "Lieben Sie Klassik?" war mir als Teenager ein Begriff und ich hörte seiner Stimme in der Badewanne sonntags zu.
    Wer konnte es sich erlauben während der Schulapplaus im Hintergrund ertönte, eine Kritik der Premiere in die Kamera zu sprechen? Sein Markenzeichen war der Silberblick.


    Er war ein Interviewer mit Humor. In diesem Gespräch mit Eberhard Wächter, dem Staatsoperndirektor in Wien, wird das deutlich.



    Mehr zu seinem Urteil und Person erfährt man in dieser Sendung. (Ab 19:55)



    Einem Kritiker steht es gut, sich und den Kulturbetrieb nicht allzu ernst zu nehmen. In diesem Sketch zur karajanischen Hofreitschule mit Otto Schenk als Stallbursche ist Karl Löbl in der Rolle als Reporter.



    Das letzte Interview des von seiner Krebserkrankung gezeichneten Karl Löbl, ist ein berührendes Zeugnis.



    Zum Tode des bedeutenden Mitarbeiters veröffentlichte der ORF eine Würdigung.


    "https://wien.orf.at/news/stories/2627963/"
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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Lieber moderato
    Als ich letzte Nacht Deinen Beitrag über Friedrich Luft las, da hatte ich sofort vor einen Beitrag über Karl Löbl zu schreiben und ich hatte auch den Beitrag für die Verlinkung schon ausgewählt, nämlich das "Hoppala" mit Eberhard Waechter.
    (Für die, dies nicht wissen: "Hoppala" war eine ORF-Sendung wo geschnittene, mißglückte Szenen mit hohem Humorfaktor, gesammelt, und dann doch in dieser Sendung verwertet wurden- Da gab es zahlreiche Sternstunden drunter)
    Nun hast Du, lieber Moderato den Beitrag indes so perfekt und ausführlich festaltet, daß ich froh bin, daß ich gestern meinen geplanten Beitrag auf heute verschieben wollte, da deiner viel ausführlicher ist als es mein geplanter war.
    Persönlich habe ich eine bestimmte Affinität zu Karl Löbl, die auf seine wöchentliche Radiosendung "Lieben sie Klassik" (1968-1996)zurückzuführen ist.
    Immer Sonntag nachmittags 16 Uhr, "Karl Löbl präsentiert Platten von gestern , heute, morgen"
    Diese Sendung war ein Fistermin und ich richtete meinen sonntäglichen Zeitplan auf ihn ein. Als Kritiker damals (angeblich) gefürchtet, empfand ich ihn im Rahmen dieser Sendung als freundlich und angenehm und - im positiven Sinne - neutral. Ich erinnere mich an keine Spitzen Bemerkungen gegenüber Sängern etc. Löbl spielte immer wieder Klangbeispiel ein, die dann in andere, kontrastierende, überblendet wurden. Meine Auswahl an (damals) Schallplatten ging teilweise auf die Prägung durch Karl Löbl zurück.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Für mich persönlich ist der Wiener Musikkritiker Dr. Wilhelm Sinkovicz DER würdige Nachfolger von Karl Löbl - Ich hoffe, er ist mit dieser Einschätzung einverstanden. Es ist natürlich eine andere Zeit, die Werte haben sich verschoben, etc, aber er wirkt auf mich sehr ausgewogen, was nicht heisst, daß ich immer einer Meinung mit ihm sein muß.


    Photo verlinkt von der PRESSE
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    Hier Auszüge aus dem WIKIPEDIA Beitrag über seine Person;


    Zitat

    Wilhelm Sinkovicz (* 1960 in Wien) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler und Journalist, Musikkritiker im Feuilleton der Wiener Tageszeitung Die Presse.
    Sinkovicz studierte Musikwissenschaft an der Universität Wien und Komposition am Konservatorium der Stadt Wien bei Rüdiger Seitz. Er wurde mit einer Dissertation über Paul Hindemiths Rainer Maria Rilke-Vertonungen Das Marienleben promoviert.
    Seit 1984 ist Sinkovicz Musikkritiker bei der Tageszeitung Die Presse. Von 1989 bis 1992 war er dort außerdem Leiter der Kultur-Redaktion......


    Von den zahlreichen Veröffentlichungen habe ich einige herausgesucht, teilweise allein, teilweise in Zusammenarbeit mit Herwig Knaus. (*1929)
    ebenfalls Musikwissenschaftler und Publizist-


    Anmerkung moderato: Die ursprüngliche Verlinkung zum Urwaldfluss non grata habe ich zugunsten unseres Werbepartners ersetzt, zumal soeben eine Neu-Edition der beiden ursprünglichen Titel, vereingt in einem Buch, erschienen ist. Es wird dir sicherlich recht sein, lieber Alfred Schmidt.



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich erinnere mich an keine Spitzen Bemerkungen gegenüber Sängern etc.


    also ich erinnere mich da schon ... - zwar nicht explizit auf diese Sendung bezogen, aber sonst durchaus. Du schreibst: »Als Kritiker damals (angeblich) gefürchtet«, immerhin gab es da mal einen Prozess um die Sopranistin Gertrude Grob-Prandl. Die Sängerin hatte 1956, einige Wochen nach der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper, die Isolde gesungen. Sie war Löbl schon mehrmals unangenehm aufgefallen und er hatte geschrieben, dass eine Isolde keine »Kredenz auf Radln« sein sollte. Später konnte oder mochte sich Löbl (angeblich) weder an die Verhandlung noch an das Urteil erinnern ...
    »Kredenz« war in Wien - wem sag´ ich das - die Bezeichnung für Geschirrschränke in der Küche.


    Auch den Herrn Kammersänger und Heldentenor Hans Beirer traf es einmal als Löbl über eine Otello-Aufführung an der Wiener Staatsoper schrieb: »Hans Beirer bewegt sich wie ein Dinosaurier entlang der Rampe, sollte aber den Otello spielen.« Beirer klagte, aber Löbl konnte beweisen, dass Kammersänger Beirer in einigen Interviews gesagt hatte: »Man hält mich ja für den letzten Dinosaurier der Opernbühne«.

  • Gottlob Frick schätzte Löbl sehr und gabe viel auf sein Urteil. Aus diesem Grunde freute ihn auch die auf eine Idee von Löbl und Prawy zurückgehende Aufnahme, in der Heinz (Honzo) Holecek Frick und zahlreiche andere große Sänger dieser Zeit unnahmlich stimmlich imitierte.

    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!


  • Karl Löbl hat auch als Mitautor des Hermes-Handlexikons "Opern auf Schallplatten" Spuren hinterlassen. Es ist 1983 zweibändig in erster Auflage erschienen und reflektiert den Stand der Dinge bis zu diesem Jahr. Gern und oft habe ich darauf zurückgegriffen, weil es seinerzeit nach meiner Beobachtung nichts vergleichbares gegeben hat. Es werden kurze Hintergründe zu den einzelnen Aufnahmen, die Besetzungen, die Labels bzw. die Quellen genannt. Es gibt reichlich Fotos. Auch Produktionen aus den damaligen osteuropäischen Ländern werden einbezogen. Wo hätte man sonst erfahren können, was es wo gegeben hat? Das Internet wie wir es kennen gab es noch nicht. Ich schaue heute noch in dieses Lexikon. Allerdings mit kritischem Blick. Eine Stärke des Werkes ist nämlich zugleich eine Schwäche. Löbl und sein Ko-Autor geben kommentierende Bewertungen ab, die nicht immer gerecht und haltbar gewesen sind und oft durch die Zweit als überholt gelten dürfen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zitat

    zwar nicht explizit auf diese Sendung bezogen, aber sonst durchaus.


    Ja - Ich bezog mich auf die Sendung. Daß Löbl als Kritiker unangenehm sein Konnte (wie übrigens die meisten seiner und vor seiner Zeit) ist bekannt, Das war ja gerade das Auffällige und Bewundernswerte, daß das in seiner Sendung nie durchkam.


    Die Nachwelt flich dem Mimen keine Kränze - und dem Kritiker noch viel weniger:
    Wer erinnert sich heute nich an Dr. Franz Endler ? Auf dem Höhepunkt seiner Karriere eine Ikone der Wiener Kulturkritik.
    Wen meine Erinnerung nicht trügt war er eine Karajan Skeptiker der zum Bewunderer ungepolt wurde. Die deutsche Wikopedia hat ihn nicht vergessen, international dürfte er weniger bekannt gewesen sein, obwohl er einige Bücher über Wien verfasst hat, denn es gibt keine einzige Biographie im WIKI in einer anderen Sprache.
    Was ich allerdings nicht wusste, habe ich in WIKIPEDIA vor einigen Minuten bei der Recherche erfahren:

    Zitat


    Endler profilierte sich als Kritiker des Regietheaters und Hauptgegner von Gerard Mortier (1943-2014) während dessen Salzburger Funktionsperiode.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es nahm mich wunder, ob es im Forum einen Thread zum Thema Kritiker gibt, und ich habe mit der Suchfunktion das Wort "Kritiker" eingegeben und bin auf diesen gestossen, den ich hochselbst eröffnet hatte. ... So viel zu meinem Gedächtnis ...


    Auf allzu grosses Interesse ist er nicht gestossen.


    Eine Auseinandersetzung mit dem Thema hat Eduard Mörike im Gedicht "Der Abschied" verfasst. Hugo Wolf hat es vertont, was ich euch nicht vorenthalten möchte. Es werden der abendliche Besuch eines Rezensenten sowie die Reaktion des Rezensierten beschrieben.


    Es singt Jeeyoung Lim. Elenora Pertz begleitet ihn.


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  • Ich möchte ganz kurz an Alfred Kerr (*1867-†1948) erinnern, einen Theaterkritiker der Weimarer Zeit, der durch seine pointierte Sprache viel Freud' und Leid erzeugte. Ich lese ihn recht gerne. Eine mündlich überlieferte Anekdote von der Kritik eines Theaterbesuchs lautet etwa so:


    Der Vorhang hob sich und ich sah ein schönes Bühnenbild; leider stellten sich im Laufe des Abends immer mehr Personen davor. Als ich nach Hause ging, fing es an zu regnen - auch das noch!



    Alfred Kerr war selbstverständlich ein extrem scharfer Spötter, aber auch ein enorm sensibler Mensch.


    Hier spricht er sein Gedicht aus der Hitlerzeit: (Eine Aufnahme von 1947)



    Der ebenfalls nicht unbekannte Kritiker Marcel Reich-Ranicki spricht hier unter anderem einiges über Alfred Kerr



  • Zitat von astewes

    Alfred Kerr war selbstverständlich ein extrem scharfer Spötter, aber auch ein enorm sensibler Mensch.


    Hallo astewes, ja er war ein äußerst interressanter Mensch, er konnte ganz schön austeilen, aber schlecht einstecken!


    Das Buch ist sehr lesenswert und lobenswert, aber nicht auf jeder Seite ;)!

    Wer sich jedoch für den Journalismus jener Zeit interressiert sei es empfohlen!


    LG Fiesco



    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Lieber astewes


    Ich danke dir für den You Tube Beitrag von Marcel Reich-Ranicki. Seine einleitenden Worte zum Davidsbündler Marsch im 3/4 Takt aus dem Carnaval von Robert Schumann, eines meiner Lieblingsstücke, gefallen mir. Man kann beim Anhören der Sendung nur Bedauern, dass es heute niemanden gibt, der Marcel Reich-Ranicki das Wasser reichen könnte.


    Alfred Kerrs Gegenpol war Karl Kraus (1874-1936). Sie führten eine öffentlich geführte publizistische Fehde. Die Hintergründe kann man im ausführlichen Wikipedia Artikel zu Karl Kraus nachlesen. https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Kraus


    Karl Kraus hatte im Österreich vor und nach dem 1. Weltkrieg eine wichtige Stellung als Schriftsteller, Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Förderer junger Autoren, Sprach-, Kultur- und Medienkritiker.


    Er war für seine mit spitzer Feder geschriebenen Artikel gefürchtet, die er von 1899 bis 1936 in der Zeitschrift Die Fackel herausgab. Wenn er jemanden in seinen Artikeln aufs Korn nahm, sprach er von "Erledigungen".


    Zweitausendundeins veröffentlichte den urprünglich im Kösel Verlag in Faksimile erschienen Reprint in 12 Bänden. Die weinroten Bände stehen in meinem Regal, die ich zur Zeit lese, weil ich mich mit der Methode der Zwölftonmusik beschäftige, die in diesen Jahren in Wien entstanden ist, um etwas vom Zeitgefühl zu erfahren. Öffnet man einen Band an beliebiger Stelle, versteht man, mit welcher Wortgewalt und höchster sprachlicher Präzision Karl Kraus die Leser beeindruckte.



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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
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  • Bemerkenswet ist, dass hier fast nur tote Kritker genannt werden. Die Zunft, wie ich sie mir vorstelle, scheint ausgestorben. Wenn ich mal entsprechende aktuelle Texte lese oder höre, finde ich auffällig viele Übereinstimmungen. Niemand traurt sich mehr was, hat offenbar Angst, das Falsche zu äußern. Wie langweilig. Das fällt zum Glück noch auf. Neuerdings ist ja die Kritik an den Medien selbst wieder lauter geworden. Der Journalismus sei zu grün und zu links. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Leser und Hörer sollen erzogen, auf Linie gebracht werden. Nach bestimmten Konzerten bestimmter Dirigenten und Sänger schreiben die meisten dasselbe. Das gilt auch für gewisse Operninszenierungen wie neulich den "Parsifal" im Nawalny-Look.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

    Einmal editiert, zuletzt von Rheingold1876 ()

  • Lieber Rheingold1876


    Durch den hohen Stellenwert der sogenannten sozialen Medien und die damit verbundene Aufregungs-Kultur kann jeder seine Meinung kundtun. In der Kritikergilde ist man bemüht, nicht in einen Shit-Storm zu geraten, den man nicht beeinflussen kann. Es kommt einer öffentlichen Hinrichtung gleich. Das ist eine bedenkliche gesellschaftliche Entwicklung.


    Ich lese zur Zeit die Artikel von Karl Kraus. Die sind von einer sprachlichen Schärfe und Brillianz geschrieben, die man heute vermisst.


    Es fällt auch auf, dass die Kritiker, der Vergangenheit, die im Thread bisher erwähnt wurden, eine breite Bildung erworben hatten, die sie befähigte fundierte Aussagen zu treffen. Sie hatten Zeit, sich zu entwickeln. Etwas, was in unsere heutigen Medienlandschaft wohl in den Redaktionen nicht mehr möglich ist.


    Das Publikum muss auch nachvollziehen können, wovon geschrieben wird. Ich sah letzthin in einem You tube Beitrag den Musikkomiker Victor Borge, der in einem seiner Auftritte den Namen Hans Christian Mozart verwendete. Das Publikum lachte. Wie heute reagiert würde, kann ich nur ahnen.

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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Durch den hohen Stellenwert der sogenannten sozialen Medien und die damit verbundene Aufregungs-Kultur kann jeder seine Meinung kundtun. In der Kritikergilde ist man bemüht, nicht in einen Shit-Storm zu geraten, den man nicht beeinflussen kann. Es kommt einer öffentlichen Hinrichtung gleich. Das ist eine bedenkliche gesellschaftliche Entwicklung.

    Das trifft IMO den Nagel auf den Kopf. Kritiker wie Kerr oder auch Marcel Reich-Ranicki waren streitbar. Man musste nicht einer Meinung sein, aber es gab eine tiefer liegende Übereinstimmung in der Diskurskultur, die jedem etwas gab.


    Wer heute Ecken hat, wird rundgeschliffen auf ein einfach spezifiziertes Maß, was auch massenmedienkolportabel ist. Man konnte das sehr einfach an der "Alles dichtmachen"-Diskussion sehen.

  • Wer heute Ecken hat, wird rundgeschliffen auf ein einfach spezifiziertes Maß, was auch massenmedienkolportabel ist. Man konnte das sehr einfach an der "Alles dichtmachen"-Diskussion sehen.

    Dieses Beispiel scheint mir in diesem Zusammenhang nicht wirklich zu passen, die Schauspieler hätten sich trotz ihres berechtigten Anliegens erst einmal kundig machen können, wer eigentlich dahinter steckt - was inzwischen ja recherchiert wurde. Das war einfach nur blauäugig und dann mit dem m.E. von dir richtig beschriebenen generellen Phänomen m.E. gar nichts zu tun.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Dieses Beispiel scheint mir in diesem Zusammenhang nicht wirklich zu passen, die Schauspieler hätten sich trotz ihres berechtigten Anliegens erst einmal kundig machen können, wer eigentlich dahinter steckt

    Völlig richtig und dasselbe gilt für mich! Es ist ausgesprochen unglücklich, diese etwas missglückte Kampagne mit den Kritikern Kerr und Reich-Ranicki in einen Zusammenhang zu bringen. Sorry dafür.


    Die Erklärung mit den Täter und Opferrollen überzeugt mich allerdings auch nicht wirklich. Das gehört hier aber nicht hin.


    Danke für Deinen Hinweis!

  • Die unsäglich doofe "Alles dicht machen"-Kampagne sehe ich nicht als journalistische Auseinandersetzung. Ich sehe sie eher als Teil dieser Aufregungskultur, die ich kritisiere. Die Reaktionen darauf waren überzogen und wenig reflektiert.

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  • In der Kritikergilde ist man bemüht, nicht in einen Shit-Storm zu geraten, den man nicht beeinflussen kann. Es kommt einer öffentlichen Hinrichtung gleich. Das ist eine bedenkliche gesellschaftliche Entwicklung.

    Ich denke, daß den Kritikern ein "shitstorm" ziemlich gleichgülig wäre.

    Wer erzeugt denn einen sogenammten "Shitstorm" ?

    Die folgerichtige Antwort darauf wär "Shit"

    und das ist eben nicht die Gesellschaft die als Konsument für klassische Musik wichtig ist.


    Die Problematik, wie ich sie sehe ist eher jene, daß jene Plattenfirmen, deren Schützlinge verrissen werden, intervenieren und damit druhen keine Werbungen mehr zu schalten. Da letzteres ohnedies selten geworden ist fällt dieses Druckmittel allmählich weg. Klassikkonzerne sind als Werbekunden allmählich uninteressant geworden.

    Warum dann keine bissige oder vernichtende Werbung mehr ?

    Es ist der Zeitgeist. Alles wird behübsch und geglättet. Man darf keine Witze über Frauen machen, über andere Religionen, andere Rassen, über die geistig Beschränkten, über Politiker oder Staatsoberhäupter, Immigranten, etc etc. Jeder könnte gekränkt oder beleidigt sein.

    Die Menschen waren anders: Ein gutes Beispiel ist Karl Löbl. In seiner Sendung "Lieben sie Klassik?" - "Platten von gestern, heute, morgen" war er ein sachlicher kompetenter, freundlicher und neutraler Berater. Als Kritiker war er gefürchtet.

    Man sehe sich das letzte Interview mit ihm an, wo die alte Geschichte wieder aufgewärmt wurde mit jenem Interview mit Karl Böhm, wonach dieser als Operndirektor zurückgetreten ist. (Löbel war damals 26) Selbst dem todkranken Löbl blitzt noch die Bosheit in den Augen bei dieser Erinnerung...

    Dann dadurch war er mit einem Schlag berühmt - Wenngelich er gar nichts veranlasst hat. Böhm hat ein zynisches Statement von sich gegeben, danach wurde bei der nächsten Aufführung ausgebuht. Böhm meinte, er habe so etwas nicht notwendig und trat als Direktor der Wiener Staatsoper zurück.

    Interessant ist, daß Löbl in einem anderen Interview erzählt, er habe aufgehört Opernkritiken zu schreiben, weil er mit den AUSWÜCHSEN des REGIETGHEATERS nicht zu Rande kam.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich denke, daß den Kritikern ein "shitstorm" ziemlich gleichgülig wäre.

    Wer erzeugt denn einen sogenammten "Shitstorm" ?

    Die folgerichtige Antwort darauf wär "Shit"

    und das ist eben nicht die Gesellschaft die als Konsument für klassische Musik wichtig ist.


    Wikipedia klärt uns auf:


    "Shitstorm [ˈʃɪtstɔɹm] (zusammengesetzt aus englisch shit „Scheiße“ und storm „Sturm“) bezeichnet im Deutschen das lawinenartige Auftreten negativer Kritik bis hin zur Schmähkritik im Rahmen von sozialen Netzwerken, Blogs oder Kommentarfunktionen von Internetseiten."


    Es ist zu einfach: Tippen, ein Tastendruck und weg.


    fake-news-shitstorm-100~_v-gseapremiumxl.jpg


    Dieser "Shitstorm" sind tausende Missfallens-Postings in Form von verbalem Unrat in Form geschriebener Beleidigungen und Schmähungen die auf den Betroffenen wie aus einem Jauchefass (in der Schweiz Güllefass) geschleudert werden.


    Ehrlich gesagt, dass möchte ich nicht erleben. Meine Meinung ist: Bei einer Einzelperson ist ein Shitstorm inakzeptabel.


    LG moderato


    Nota bene


    Die Bildunterschrift zu diesem Cartoon lautet: Zitat "So manchen Betroffenen erwischt ein Shitstorm auf völlig falschem Fuß."


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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Die unsäglich doofe "Alles dicht machen"-Kampagne sehe ich nicht als journalistische Auseinandersetzung. Ich sehe sie eher als Teil dieser Aufregungskultur, die ich kritisiere. Die Reaktionen darauf waren überzogen und wenig reflektiert.

    Darf ich Dich auf ein Buch aufmerksam machen, was in dem Zusammenhang interessant sein könnte