13.10.2018 (Staatsoper Hamburg) Erich Wolfgang Korngold "Die tote Stadt"

  • Marie/Marietta - Allison Oakes
    Brigitta - Marta Swiderska
    Paul - Klaus Florian Vogt
    Frank/Fritz - Alexey Bogdanchikov


    Philharmonisches Staatsorchester Hamburg unter der musikalischen Leitung von Roland Kluttig;
    Inszenierung Karoline Gruber, Bühnenbild Roy Spahn, Kostüme Mechthild Seipel, Licht Hans Toelstede.


    (15.Vorstellung seit der Premiere am 22.März 2015)


    Auch dieser Opernbesuch ist nun schon wieder eine Woche her, aber die Erinnerung daran sollte noch für einen kleinen Bericht ausreichen: Vor allem im Gedächtnis geblieben sind die gesanglichen Leistungen in den beiden Hauptpartien Marietta und Paul. Allison Oakes überzeugte als nicht unbedingt stimmschönener, aber in der Höhe klarer und dramatischer Sopran. Wir werden sie in wenigen Wochen als Gutrune hören und sehen. Ihr zur Seite KFV - von dem einige Forumsmitglieder (z.B. in diesem auch aus anderen Gründen unsäglichen Thread) ja gerne behaupten, er könne eigentlich nicht singen - mit seiner feinen, aber zumindest live auch immer wieder überraschend kraftvollen Stimme. Auffällig für mich an diesem Abend eine hervorragende Legato-Kultur, sowie die Tatsache, dass Vogts Timbre mit der Zeit nachdunkelt, was ihrem Klang außerordentlich zugute kommt und dem Sänger zukünftig vermutlich noch einige Möglichkeiten in der Rollenauswahl bietet. Für meine Ohren deutlich zu leise und auch leicht verwaschen präsentierte sich Alexey Bogdanchikov in der Doppelrolle Frank/Fritz. Am Pult stand mit dem GMD des Coburger Landestheaters Roland Kluttig ein versierter Operndirigent, der den großen Apparat - ein Bekannter meinte, die Oper sei ja schön, aber auch ein wenig hypertroph geraten - gut zusammenzuhalten vermochte.


    Die Inszenierung von Karolin Gruber verwendet im wesentlichen ein Einheitsbühnenbild. Der Bühnenboden weist die Struktur von (blonden) Haaren auf. Als Effekt schiebt sich zu Beginn des zweiten Bildes ein Schiffsbug von hinten in die linke Hälfte der Bühne. Alles wirkt - dem Sujet entsprechend - ein wenig düster und morbide. Der Clou besteht darin, dass Marie/Marietta/Brigitta - die Figuren sind hier in den Traumbildern scheinbar auf eine Person "reduziert" - im dritten Bild offensichtlich schwanger ist.


    Wer sich ein eigenes Bild machen will, sei auf folgenden Trailer verwiesen:



    Nach nunmehr vier jeweils auf eigene Weise gelungen Opernabenden (Così fan tutte, Alcina, Luisa Miller und Die tote Stadt) geht es am Sonntag auch endlich wieder ins Konzert: Niemand geringerer als Sylvain Cambreling wird dann die Nachfolge des leider viel zu früh verstorbenen Sir Jeffrey Tates als neuer Chefdirigent der Hamburger Symphoniker antreten. Und bereits dieses erste Programm macht mit Helmut Lachenmanns "Staub" für Orchester, Schönbergs eindringlichem Melodram A Survivor from Warsaw op.46 und Beethovens Symphonie Nr.9 d-moll op.125 die nicht geringen Ambitionen des neuen "Pultvorsitzenden" deutlich.


    (Alle Links zuletzt aufgerufen am 19.10.2018)

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Dank, daß Du berichtet hast! Ich hätte Dich wahrscheinlich sonst direkt darum gebeten.
    Dein Urteil über KFV teile ich voll und ganz. Ich bin immer wieder davon beeindruckt, wie er mit seiner Stimme große Opernhäuser füllt. Und was er singt, bleibt immer verständlich.
    Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Danke für dein Tote-Stadt-Feedback aus HSV-Town

    Niemand geringerer als Sylvain Cambreling wird dann die Nachfolge des leider viel zu früh verstorbenen Sir Jeffrey Tates als neuer Chefdirigent der Hamburger Symphoniker antreten. Und bereits dieses erste Programm macht mit Helmut Lachenmanns "Staub" für Orchester, Schönbergs eindringlichem Melodram A Survivor from Warsaw op.46 und Beethovens Symphonie Nr.9 d-moll op.125 die nicht geringen Ambitionen des neuen "Pultvorsitzenden" deutlich.

    Cambeling hatte am 17.12.10 in Friedrichshafen mit den SWRlern schon mal Schönbergs Überlebenden mit Beethovens 9. dirigiert und dabei den Überlebenden im 4. Satz von op. 125 hineinmontiert. Wurde auch vom SWR 2 gesendet. Die Idee stammt m.E. als erstes von Michael Gielen. Er praktizierte es in Frankfurt etwa Ende der 70ziger Jahre. Ein FAZ-Kritiker bedauerte damals - vermutlich krokodilstränen-like - dass das Auditorium den Dirigenten lediglich mit kühlem Applaus davonkommen ließ, statt von seinem Recht Gebrauch zu machen, ihn zu köpfen.

  • Dank, daß Du berichtet hast! Ich hätte Dich wahrscheinlich sonst direkt darum gebeten. Dein Urteil über KFV teile ich voll und ganz. Ich bin immer wieder davon beeindruckt, wie er mit seiner Stimme große Opernhäuser füllt. Und was er singt, bleibt immer verständlich.

    Ich habe KFV über die letzten Jahre hier in Hamburg in den verschiedensten Rollen und Werken erlebt (Parsifal, Lohengrin, Meistersinger, Die tote Stadt, Beethoven 9te & Missa solemnis, Schmidt Das Buch mit sieben Siegeln). Das für mich Erstaunliche ist, dass ich vor allem in den Opernaufführungen - ich habe das hier irgendwo schonmal geschrieben - zu Beginn häufig dieses Gefühl des "Schön! Aber das hält der nie im Leben durch ..." habe, um dann am Ende festzustellen, dass KFV mich in absolut überzeugender Weise eines Besseren belehrt hat. Über die Textverständlichkeit haben wir, d.h. meine drei Bekannten und ich uns am vergangenen Samstag in der Pause ebenfalls unterhalten und waren wie Du der einhelligen Meinung, dass Vogt dbzgl. nichts vorzuwerfen ist.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • E.W. Korngold, "Die tote Stadt", Hamburg, 15.12.2019


    Nach Hamburg trieb mich ein gewisses bürokratisches Vollständigkeitsbedürfnis: Nachdem ich die Oper am 6. Dezember in München gesehen hatte, wollte ich mir Hamburg, wo vor 99 Jahren, am 4. Dezember, die Uraufführung stattfand, nicht entgehen lassen.


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    Die Partie des Paul ist notorisch für ihre Anforderungen an den Sänger. In Dresden hatte ich den ökonomisch singenden Burkhard Fritz erlebt, in Berlin, an der Komischen Oper, mehrfach den zähen Aleš Briscein, in München Jonas Kaufmann, nun, in Hamburg, Klaus Florian Vogt. Der, im braunen Cordanzug - "Biologielehrer" war die Assoziation meiner Gesprächspartnerin in der Pause - gibt einen sanften, weichen Paul, dessen Reaktion auf das, was ihm geschieht, hauptsächlich ungläubiges Staunen ist. Fraglos ist er rollendeckend, und fraglos paßt seine Stimme hervorragend zu dieser Auffassung des Paul. Die Aggressivität, die in dem Manne steckt, das leise Knistern der Gefahr, so wie jenes, das man vernimmt, wenn man unter einer Hochspannungsleitung steht, tritt dabei zurück, so daß man fast ein wenig verblüfft ist, wenn er im dritten Akt Marietta erwürgt. Das hatte man ihm nicht zugetraut.

    Gun-Brit Barkmin gab Marietta/Marie am Sonntag. Sie sang unter anderem schon Sieglinde und Elsa, wie auch Ariadne, Salome und Chrysothemis. Ich gestehe, daß ich mit ihr nicht warm geworden bin. Ihre Stimme wurde in den Höhen scharf und gelegentlich sogar schrill. Alexey Bogdanchikov (Frank/Fritz) fehlte gelegentlich die Durchschlagskraft in der Stimme, um sich gegen das nicht übermäßig laute Orchester unter Christoph Gedschold durchzusetzen, von dem ich mir ein bißchen mehr Spannung und Dramatik und etwas weniger kultivierte Erich-Wolfgang-Korngold-Gedenkkonzert-Stimmung gewünscht hätte.

    Die Überraschungsmomente der Inszenierung von Karoline Gruber sind die gewollte Ähnlichkeit von Marietta und Brigitta und beider Schwangerschaften, die im dritten Akt sichtbar werden. Daß blonde Haushälterin und blonde Fremde für Paul stellenweise verschmelzen, dem alle Frauen eine Frau - die geliebte Tote - sind, fand ich einleuchtend. Fr. Gruber begründet ihre Idee im Programmheft auch überzeugend.

    Das zurückhaltende Hamburger Publikum spendete freundlichen Beifall.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*