Die Apostrophierung "Michelangelo der Musik" hat Thomas sehr schön gewählt, weil sie doch gleichzeitig Größe und Stellung dieses genialen Meisters trefflich umreisst, dessen genaue Herkunft (man schwankt zwischen Frankriech, Flandern und Italien) bis heute im Dunkeln liegt.
Das Geburtsjahr wird zwischen um 1440 und 1450 angenommen. Sein Geburtsort lag möglicherweise im Hennegau, wahrscheinlich in der Nähe von Saint-Quentin, überprüfbare Quellen dafür fehlen jedoch, denn Kindheit und Jugend Josquins sind nicht dokumentiert. Über seine Ausbilung sind die Angaben einfach zu vage um dazu eine verwertbare Aussage zu machen. Seine wesentliche Prägung als Sänger und als Komponist jedoch hat er in der Zeit zwischen 1474-1479 als Mitglied der herzoglichen Kapelle der Sforza in Mailand erfahren, denn der Leiter dieser Kapelle war kein Geringerer als der berühmte Gaspar van Weerbecke, einer der vielen Niederländer, die damals in Italien Dienst taten. Ein anderes berühmtes Mitglied dieser Kapelle war Alexander Agricola.
Über seinen milaneser Diestherren Ascanio Sforza, der 1484 als Kardinal nach Rom kam, wurde Josquin in die päpstliche Sängerkapelle berufen. Nach 1501 fliessen die biografischen Quellen spärlicher und es werden Aufenthalte in Frankreich und Flandern (Mechelen) vermutet. Seine letzten Lebensjahre verbrachte der in ganz Europa hoch geachtete und für bestellte Kompositionen geradezu fürstlich entlohnte Meister als Propst an der Kollegiatskirche Notre-Dame in Condé-sur-l' Escaut, eine Stelle, die mit einer reichen Pfründe ausgestattet war. Eine Abschrift der Grabinschrift (die Kollegiatskirche ist 1793 zerstört worden) in einem Manuskript der Bibliothèque Municipale in Lille aus dem 17. Jhdt. enthält als Sterbedatum den 27. August 1521.
Die Anzahl seiner Messen, Motetten und weltlichen Werke lässt sich bis heute nicht bestimmt festlegen, denn schon als er noch lebte, wurde mit Kompositionen, die unter seinem Namen veröffentlicht wurden, ein schwunghafter Handel getrieben. Man kann von etwa 15 Messen, 50 Motetten und einer (noch) nicht näher bestimmbaren Anzahl von weltlichen Werken als gesichertem Bestand ausgehen.
Daß Josquin Schüler Ockeghems gewesen sein soll, ist eher unwahrscheinlich: zu verschieden sind Herangehensweise und Wollen beider Meister.Die eigentliche Bedeutung Josquins liegt darin, die Musik aus ihrer gotischen Verschlüsselung und durch eine Vielzahl spekulativer Elemente hermetisch-starr gewordenen Kunst in eine menschliche Dimension des "Miterlebens und Mitleidens" verwandelt zu haben, die es auch dem mit den Gestaltungsprinzipien des Mittelalters wenig vertrauten Hörer ermöglicht, in den sinnlich flutenden Klang-Kosmos seiner Werke einzutauchen. Das macht ihn zu einem würdigen Zeitgenossen der Maler und Bildhauer der Renaissance wie Raffael und Michelangelo und zum ersten großen Musiker der "Neuzeit".
Vielen Dank an BigBerlinBear für den, wie ich finde, sehr gelungenen Einleitungsbeitrag!!
Thomas