Otto Klemperer - Ein Gigant

  • Hallo liebe Forianer,


    Sicher nicht leicht im Umgang, immer gut für einen Sager, überzeugt von sich, und das zu recht, das war Otto Klemperer.
    Seine Einspielung der Beethovensinfonien fand er als unterschätzt und nich genügend vermarktet, -- wenn der wüsste......



    Manche seiner Aufnahmen genießt noch heute Kultstatus, manches wird als "verfehlt auf höchsten Niveau" betrachtet.


    Aber da können die Kritiker sagen was sie wollen - ich mag auch seinen Mozart.


    Glücklicherweise werden seine Einspielungen in diversen Serien immer wieder neu aufgelegt, sodaß auch junge Muisikfreunde mitpatizipieren können. Ich errinner mich jedoch, daß ich in meiner Jugend gar nicvht so begeistert von Klemperer war: Zu dick, zu wuchtig, zu kompakt klang mir das,- - - und vor allem - - -..... zu langsam.
    Wie viele junge Leute, dachte ich damals, Spannung müsse durch Geschwindigkeit erzeugt werden, --- Welch ein Irrtum.


    Und so genieße ich seine Aufnahmen eben heute


    Als Walter Legge, der den Aufnahmesitzungen für die
    Gesamtaufnahme der Sinfonien Beethovens teilnahm, skeptisch
    meinte: "Ist das nicht ein bisschen dehr langsam, Her Klemperer ??"
    meinte dieser kühl: "Sie werden sich daran schon noch gewöhnen....


    Offenbar hatte er recht.




    Und so genieße ich seine Aufnahmen eben heute.



    Was sind Eure Lieblingaufnahmen ?



    Gruß aus Wien


    Alfred


    Un so genieße ich seine Aufnahmen eben heute.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt



    Was sind Eure Lieblingaufnahmen ?.


    Oh, Alfred, was für eine Frage... ;)


    Klemperer ist einer meiner absoluten Lieblingsdirigenten, so daß es etliche Lieblingsaufnahmen gibt.


    Seinen Beethoven hast Du schon genannt, es ist ein Beethoven quasi aus Granit gemeißelt. Maßstabsetzend sind seine Mahler-Aufnahmen, ibs. die der 2. und auch der 4., ferner kenne ich niemanden, der Schuberts 8. so sehr vom süßlichen Schönklang befreit hat wie er.


    Nicht vergessen werden sollte Klemperers Bruckner, bei dem er stellenweise übrigens recht "fix" sein konnte. Zum Beispiel im Finale der "Romantischen": Klemperer 19'01'', Wand 21'26'', Solti 20'28''. Nicht nur deswegen gehören Bruckners 4. und 7. ebenfalls zu meinen "Highlights".

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Alfred,


    tja, vieles von dem, was ich dazu zu sagen hätte, hat ja schon Norbert vorweggenommen: allerdings würde ich mich bei Bruckner nicht auf 4. und 7. beschränken, sondern von 4-9 alle aufzählen wollen. Auch bei Mahler ist neben der 2. und 4. die 7. und 9. äußerst gelungen. Beethoven wurde erwähnt, die Zauberflöte im entsprechenden Thread ebenfalls gewürdigt. Aber auch seine Brahms-Aufnahmen (incl. der Alt-Rhapsodie mit Christa Ludwig) sowie sein "Deutsches Requiem" gehören ebenfalls zu den jeweiligen Spitzenleistungen des jeweiligen Repertoires.


    Über die Bedeutung Klemperers auch heute noch muß man wohl keine großen Worte verlieren. Was vielleicht noch erwähnt werden sollt, ist, dass Otto Klemperer eine Menge Schicksalschläge hinnehmen mußte, von denen einer alleine schon gereicht hätte, einen Menschen zerbrechen zu lassen. Doch er hat sich immer wieder berappelt und hochgekämpft mit einer unglaublichen Kraft und Willensstärke.


    Grüße aus Hamburg
    Uwe

  • Ich bin ebenfalls in relativ kurzer Zeit zu einem großen Bewunderer Klemperers herangereift.


    Hab leider im Moment wenig Zeit, sonst würden hier jetzt noch ausführliche Lobeshymnen folgen. So beschränke ich mich auf den Hinweis, das sämtliche Sinfonien Beethovens und die Klavierkonzerte (Barenboim) plus einige Ouvertüren und der Chorfantasie im Pappschuber angeboten werden:



    Man erhält 9 CDs für ca. 35 EUR, wahrhaft ein Schnäppchen, wenn man sich die künstlerische Qualität der Aufnahmen ins Gedächnis ruft. Alles Stereo.


    Gruß
    Anti

  • Hallo,


    So werde ich heute wieder auf einige "Klemperer-Aufnahmen" hinweisen, die IMO aussergewöhnlich sind.


    Da wäre zunächst die 2. Mahler:


    Meine Lieblingsaufnahme hier ist jene mit Elisabeth Schwarzkopf und Hilde Rössl-Majdan als Solisten.



    Es gibt aber auch eine spätere (Live-) Aufnahme mit Janet Baker und Heather Harper. Manche Musikfreunde ziehe diese Liv-Aufnahme der von mir so geliebt Studio-Aufnahme vor....




    Freundliche Grüße


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Uhi, Alfred, Klemperer ... der Dirigent meines Vaters und ich bin praktisch mit ihm aufgewachsen.


    Unvergessen meine Eskapade als kleiner Bub, als ich zweite LP von Beethovens IX. mit einer wahren Begeisterung über den Teppich zog - wäre mein Vater nicht ein so lammfrommer Mensch gewesen, hätte es sicher was gehagelt.


    Nun also meine Favoriten:






    Nicht so sehr zugesagt haben mir seine Einspielungen des Messias und der h-moll-Messe

    Beste Grüße aus Bonn
    Matthias


    Ich tu', was meine Pflicht gebeut, doch hass' ich alle Grausamkeit (ROCCO)

  • Ich wäre an Argumenten zugunsten der hohen Bewertung der Kunst Klemperers sehr interessiert. Ich kenne viele seine Aufnahmen und finde an ihm nicht viel. Mir fehlt die Individualität, das Persönliche. Alles ist bei ihm richtig, kraftvoll, deutlich gepackt. Und doch...
    Sein Mahler ist im Vergleich zu Horenstein oder Mengelberg geradlinig, geradeaus, im Vergleich zu Solti weniger emphatisch. Sein Brahms oder Tschaikowski verlieren genauso beim Vergleich mit Furtwängler/Toscanini oder Fricsay/Celibidache. usw.


    Wer kann Klemperer verteidigen? :-)


    Gruß

  • Ich weiß nicht ob man versuchen sollte den Zugang zu einem Dirigenten zu erabeiten, den man "nicht will". Es ist, als ob man "Liebe" erklären wollte und sie dadurch bekäme. IMO ist die Anderkennung bzw Ablehnung eines Dirigienten (bzw Interpret etc) in der Hauptsache dadurch bedingt, ob zwischen Bewertendem und Bewerteten ein gewisser Gleichklang herrscht. (Sehr gut zu sehen im Falle von Glenn Gould, beispielsweise).
    Warum gerade ich auf diesen Beitrag antworte ?
    Weil ich in meiner Jugend klemperer gar nicht mochte: Ich bemängelte die langsamen Tempi, die Sprödigkeit, Erdenschwere, die ich als fast bleiern empfand.
    Heute höre ich das gleiche, "empfinde " es aber anders: Ich schätze das Majestätische, monolithische, das sich Zeit nimmt Klang auszukosten.


    Erstmals wurden mir Klemperers Vorzüge bei seiner Einspielung von Mendelssohns Musik zum Sommernachtstraum offenbar. Aber auch Mozarts Sinfonien verleiht er Gewicht, er rückt ihn in die Nähe Beethovens, was ja in gewisser Hinsicht auch nicht so falsch ist....


    Heute schätze ich vor allem Seinen Mahler.


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • heißt eine kleine Broschüre von Walter Legge mit Anekdoten von und über Otto Klemperer. Wenn ich sie wiederfinden sollte, werde ich mal daraus zitieren. Manches ist einfach umwerfend.


    Eines seiner letzten Dirigate hatte ich das Glück, mitzuerleben. Es war im Beethovenjahr 1972 beim Bonner Beethovenfest. Ein Bekannter meinte, das Philharmonia Orchestra hätte 'seinen' (wessen??) Beethoven wohl auch ohne ihn über die Rampe gebracht. Klemperer saß - wie in seinen letzten Auftrittsjahren fast ausschließlich - auf einer Art Hocker und dirigierte mit sparsamster Gestik. Ganz aus der Nähe konnte man jedoch sehen, mit welcher Energie diese Gestik geladen war. Die Eroica wurde im faustischen Sinne zum Ereignis. Es kam alles zusammen: die Aura dieses Mannes, ein Orchester, das auf die winzigsten Bewegungen mit Emphase reagierte, der Anlaß, und wahrscheinlich weilte der Genius loci auch noch im Saal. Es war ein sehr warmer Sommerabend, und als Klemperer sich im Finale zu seiner vollen Größe erhob, war das von einer Wirkung, fern jeglichen Showeffekts, die keiner, der dabei war, jemals vergessen wird. Ich habe fremde Menschen gesehen, die sich ihrer Tränen nicht schämten.


    Grüße aus Bonn

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  • Zitat

    Es war ein sehr warmer Sommerabend, und als Klemperer sich im Finale zu seiner vollen Größe erhob, war das von einer Wirkung, fern jeglichen Showeffekts, die keiner, der dabei war, jemals vergessen wird. Ich habe fremde Menschen gesehen, die sich ihrer Tränen nicht schämten.


    Könnte man sagen, dass es das gelegentliche Erleben solcher Momente ist, die uns zu so einer verschworenen kleinen Gemeinschaft macht?



    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • @ Alfred


    Danke für deine Antwort, das leuchtet mir ein.


    Nebenbei gemerkt, es ist bezeichnend, daß für Böhm mehrere Argumente und Erklärungen kamen, für Klemperer nur persönlich gefärbte Glaubensbekundungen.

  • peet schrieb:


    Zitat

    Nebenbei gemerkt, es ist bezeichnend, daß für Böhm mehrere Argumente und Erklärungen kamen, für Klemperer nur persönlich gefärbte Glaubensbekundungen


    DAS ist (IMO) einfach erklärt:


    Beide waren zu Ihrer Zeit hochberühmt


    Nach Böhms Tod wurde er aber von verschiedenen Seiten und aus verschiedenen Motiven angegriffen, schließlich stillschweigend zum
    "Langweilweiler" und "Alten Herrn ohne Biß" degradiert, von Folgegenerationen kritiklos nachgeplappert ohne Böhm je gehört zu haben.


    Dies macht natürlich die Böhm-Fraktion hellhörig und man bemühte sich der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen, bei aller Subjektivität noch objektive Pluspunkte dieses Maestro zu vermitteln, was dann des öftenen im Ausspruch der "Belehrten" gipfelte: BÖhm hab ich mir ganz anders vorgestellt.


    Klemperer wurde nach seinem Tod kaum je attackiert, sodaß sie seine Anhänger kaum je formiert haben - sie hatten es einfach nicht nötig


    Persönlich bin ich froh, daß es BEIDE gab - jeder war auf seine Art unverwechselbar


    Beste GRüße
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das präzisiert mein Unbehagen noch einmal mehr: Ich gehöre zur Böhm-Fraktion nicht, und doch habe seine Vorteile ausführlich aufgezählt, als eine Diskussion im Forum ausbrach.


    Über Klemperer wird kaum gestritten, als wäre seine Kunst ohne Nachteile. Das ist ein sicheres negatives Zeichen in diesem Sinne. Wie viel teilen sich die Geister über Furtwängler, Toscanini etc.! Wie wenig hier...


    Gruß

  • Hallo peet,


    wozu Unbehagen? Es gibt wichtigere Dinge, worüber man sich Sorgen machen soll, als die Frage, warum Klemperer hier so wenig umstritten ist. Wahrscheinlich sind es einfach die Tatsachen, dass er erstens bei jüngeren Hörern wesentlich unbekannter ist als Furtwängler und Toscanini, und zweitens polarisiert er nicht so stark wie die beiden genannten Kollegen.


    Du scheinst auf seinen Stil (noch) nicht anzuspringen, ja und? Es gibt genug andere, mit denen du dich in der Zwischenzeit befassen kannst. Ausserdem bleibt es dir unbenommen, hin und wieder eine Klemperer-Aufnahme zu hören. Vielleicht kommt einmal der Zeitpunkt, wo du etwas an ihm findest. Nur eines solltest du nicht tun: ihm seine Individualität absprechen, das geht bei Klemperer entschieden zu weit!


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Sagitt meint:


    Klemperer war eine ziemlich lange Zeit ganz schön " out". Seine massige Zugehensweise auf die Stücke, die langsamen Tempi, das Mächtige( nicht Pompöse) waren in Zeiten eines Harnoncourt oder Gardiner doch ziemlich verpönt.


    Mit seinen Vokalaufnahmen tue ich mich auf heute zT schwer. Ein ganz wunderbarer Don Giovanni, der völlig zu Unrecht im Schatten von Guilini steht, aber seine Matthäus-Passion ist mir schwer erträglich.


    Wenn er Mendelsohns Italienische spielt, fehlt mir jede federnde Leichtigkeit,bei Brahms fühle ich mich wieder gut aufgehoben( auch und gerade das Requiem mit Schwarzkopf und Dieskau).


    Insgesamt bin ich überrascht, wie positiv Herr Klemperer hier im Forum aufgenommen wird. Ich hätte es nicht gedacht.

  • Zitat

    Original von sagitt


    Insgesamt bin ich überrascht, wie positiv Herr Klemperer hier im Forum aufgenommen wird. Ich hätte es nicht gedacht.


    Ich denke, daß Otto Klemperer zu den zeitlosen Erscheinungen in der Musikrezeption gehört. Sein Interpretationsstil ragt durch die Epochen hindurch.


    Das einzige, was ich nie verstanden habe ist, daß er bei Bruckners Achter im Finalsatz 'made cuts'.


    BTW, bei Brendel begegnet einem dieses Phänomen im 1. Satz von Schuberts B-dur-Sonate.


    Die Begründungen von Klemperer und Brendel klingen ähnlich bzw. laufen auf dasselbe hinaus: hier hätten die Komponisten des Guten zuviel getan. Auch ohne blinden Original-Fetischismus kann ich das in beiden Fällen nicht nachvollziehen.


    Grüße aus Bonn

  • Hi


    Zitat

    Das einzige, was ich nie verstanden habe ist, daß er bei Bruckners Achter im Finalsatz 'made cuts'.


    BTW, bei Brendel begegnet einem dieses Phänomen im 1. Satz von Schuberts B-dur-Sonate.


    Die Begründungen von Klemperer und Brendel klingen ähnlich bzw. laufen auf dasselbe hinaus: hier hätten die Komponisten des Guten zuviel getan. Auch ohne blinden Original-Fetischismus kann ich das in beiden Fällen nicht nachvollziehen.


    Das Problem der Wiederholungen zieht sich doch durch die gesamte Musikliteratur, und es steht auch niergends geschrieben, dass du die Gedankengänge der beiden Herren nachvollziehen können, oder gar damit einverstanden sein musst. Wenn es dir anders besser gefiele, dann musst du einfach in diesen Fällen damit leben lernen, oder andere Aufnahmen vorziehen.
    Ich selbst kann Brendel in Bezug auf die B-dur-Sonate schon irgendwie verstehen. Diese Sonate ist auch in seiner Version schon sehr kopflastig, würde man den 1. Satz voll ausspielen, dann wäre er fast so lange wie die restlichen drei zusammen, was jedem Sinn für Symmetrie widerspräche. Das ist von seiner Seite eine rein praktische Überlegung und es muss nicht jedermann damit einverstanden sein.


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Theophilus


    Das Problem der Wiederholungen zieht sich doch durch die gesamte Musikliteratur, und es steht auch niergends geschrieben, dass du die Gedankengänge der beiden Herren nachvollziehen können, oder gar damit einverstanden sein musst. Wenn es dir anders besser gefiele, dann musst du einfach in diesen Fällen damit leben lernen, oder andere Aufnahmen vorziehen.
    Ich selbst kann Brendel in Bezug auf die B-dur-Sonate schon irgendwie verstehen. Diese Sonate ist auch in seiner Version schon sehr kopflastig, würde man den 1. Satz voll ausspielen, dann wäre er fast so lange wie die restlichen drei zusammen, was jedem Sinn für Symmetrie widerspräche. Das ist von seiner Seite eine rein praktische Überlegung und es muss nicht jedermann damit einverstanden sein.


    Ciao


    Ist schon recht, aber ich fände es interessant, es zu verstehen. Bei D 960 hat Brendel seine Weglassungen für meinen Geschmack etwas arrogant begründet ("Dem Spieler, der zu Hause die Exposition einer Schubert-Sonate zehnmal wiederholt, sei seine Freude herzlich gegönnt." Und weiter: "...daß sie [Anm.: die Wiederholungsbefehle] unweigerlich von Erwägungen der Proportion bestimmt seien, ist ein moderner Köhlerglaube."


    Ich finde dagegen, daß gerade im Klaviersatz eine Wiederholung eben keine Wiederholung ist...

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Ausserdem bleibt es dir unbenommen, hin und wieder eine Klemperer-Aufnahme zu hören. Vielleicht kommt einmal der Zeitpunkt, wo du etwas an ihm findest. Nur eines solltest du nicht tun: ihm seine Individualität absprechen, das geht bei Klemperer entschieden zu weit!


    Hallo Theophilus,


    danke für deine Antwort, sehr wohl habe ich genug zu tun, und wenn ich über mein "Unbehagen" schrieb, dann war es eine Übertreibung.


    Der Hintergrund für meine Einmischung in diesem Thread war es, daß ich bei gewissen Aufgaben mir immer wieder aufzwang, Klemperers Aufnahmen zuzulegen und anzuhören. Mit dem selben Resultat, sie als stiluntreu, notentextfixiert abzutun. Auf diese Weise war es für mich - im Sinne von der Zielausrichtung - eine verlorene Zeit und Muße. Konkret zuletzt - Sechste von Tschaikowski sowie Vierte von Mahler. Ich streiche Klemperer aus meiner Liste der ganz großen Dirigenten, da ich sonst keine Argumente mehr bekomme.


    Erklärungen von Alfred bleiben mir einleuchtend, nur ungenügend. :-) Interessant wäre dementsprechend zu vergleichen, wie anders oder ähnlich die "Energetik" von Klemperer und Solti wirkt...


    Gruß

  • Hallo peet


    Zitat

    Auf diese Weise war es für mich - im Sinne von der Zielausrichtung - eine verlorene Zeit und Muße.


    Solche Erfahrungen gehören auch dazu, wenn man sich mit Musik und ihren ausführenden beschäftigt. Ich empfehle dir im Falle Klemperer jedoch, ihn nicht einfach zu streichen, sondern ihn einfach einmal zurückzustellen. Ich glaube er verdient einen zweiten oder sogar dritten Versuch.
    Bei Otto Klemperer haben wir einen ähnlichen Effekt wie bei Arturo Toscanini. Beide haben Schallplattenaufnahmen förmlich gemieden und konnten erst im hohen Alter zu einer regelmäßigen Aufnahmetätigkeit überredet werden. Wir hören bei den bekannten Aufnahmen also in beiden Fällen Altersansichten, und in beiden Fällen divergieren sie sehr stark von Interpretationen, die eigentlich den Ruf der beiden Herren begründet haben.
    Toscanini wurde immer schneller und strikter im Duktus, Klemperer immer langsamer und monumentaler. Es läge also nahe, dass du einmal zuschlägst, wenn dir eine historische Klemperer-Einspielung unter die Augen kommt. Vielleicht ist dir der "junge" Klemperer näher als der Monolith.


    Aus meiner Sicht ist Klemperer auch heute noch zumindest als Vergleichsbasis interessant. Vor allem bei Beethoven (Symphonien, Ouvertüren und Klavierkonzerte; für viele ältere immer noch die Referenz), Mozart (natürlich völlig unmodern, dennoch hörenswert) und Mahler. Neben dem von Alfred angeführten "Lied von der Erde" ist zumindest die zweite Symphonie immer noch im Referenzstatus. Bei Tschaikowsky würde ich allerdings auch nicht gerade an Klemperer denken (der müsste einigermaßen gegen den Strich gebürstet sein). Und auch einige Opernaufnahmen sind eigentlich unvergänglich.



    Zitat

    stiluntreu


    Es ist richtig, dass Klemperer sehr oft seinen eigenen Stil dirigiert. Nehmen wir als Beispiel Mozart. Er hat als einer der ersten den apollinischen Mozart aus seinem Repertoire gestrichen. Er dirigiert in herber und großartiger, als es zu seiner Zeit üblich war. Man muss sich ein wenig einhören, wird dann aber mit einem sehr viel musikalischeren Mozart belohnt als es bei so manchem modernen Interpreten der Fall ist. Ich glaube, Alfred wird mir beipflichten, dass sowohl sein Mozart als auch sein Beethoven ziemlich unverwechselbar sind - wo soll also da die mangelnde Individualität sein?



    Zitat

    notentextfixiert


    Ich empfinde nicht, dass Klemperer am Notentext klebt, er buchstabiert eine Partitur nicht. Dass er es schafft, trotz individueller (und oft eigenwilliger) Note im Grunde sehr partiturtreu zu dirigieren - du wirst es nicht glauben, aber es gibt Leute, die schätzen das an ihm! ;)
    Klemperer bringt von der Konzeption des Werks her seine eigene Note ins Spiel, ist aber bei der weiteren Realisierung jedem Effekt abhold, er präsentiert das Werk wie es ist - und wie ich schon in einem anderen Zusammenhang erwähnt habe (Heifetz), hat effektloses musizieren heutzutage einen schweren Stand. Wir sind von Leuten, die ständig etwas aus einem Werk "machen" müssen, schon sehr verbildet. So gesehen könnte gelegentliches Klemperer-Hören einen gewissen musikerzieherischen Wert haben.


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    Ja ich finde auch Klemperers Mozart schön.


    Er könnte alle jene ansprechen, die Marriners Mozart als zu unverbindlcih empfinden (ich hab den lange nicht gehört, aber in den späten siebzigern empfand ich den so), die sich an Karl Böhm und Bruno Walter sattgehört haben, bzw übersättigt sind.
    Man darf ja nicht ausser acht lassen, daß das oftmalige Abhören immer wieder der gleichen Aufnahme ein anderes Erlebnis ist, als würde ein Dirigent an drei verschiedenen Abend hintereinander dasselbe dirigieren
    (vieleicht einen Thread wert) Die Interpretation nützt sich ab "wie eine Grammophonplatte". :D


    Auch Krips und Szell hatten einen eher "herben" Zugang zu Mozart, und dirigierten ihn "streng". Auch Klemperer vertritt diese Richtung, und ich muß sagen, daß sie mir nicht schlecht gefällt. Manche waren der Ansicht, es wäre ein "Vergewaltigung" Mozarts, eine Meinung die ich indes nicht teile.
    Seit ich mich zurückerinnere, wurde immer wieder postuliert, Musik müsse "zeitgemäß" interpretiet werden, daran hat sich ja bis heute nichts geändert. Allerdings verstand jede Zeit etwas anderes darunter.
    Klemperers Mozart war ein Versuch, vom "Rokoko-Mozart" wegzukommen. Ähnliche Bemühungen kann man ja auch heute feststellen, lediglich mit dem Unterschied, daß in eine andere Richtung gezielt wird.
    Klemperers Dirigierstile war "erzern", monumental", wie in "Stein gemeisselt"
    Es wurde immer wieder Kritik daran geübt. Daß das heute nicht mehr der Fall ist, mag daran liegen, daß er im Bewusstsein der heutigen Generation von Musikfreunden allenfalls eine Legende ist, eine Legende, die man nicht attackiert, schon deswegen nicht, weil die wenigsten etwas anderes von ihr kennen als den Namen und ein Bild......



    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Liebe Forianer,


    auch nach dem Hören einer hohen Zahl von Alternativaufnahmen haben bei den Mahleraufnahmen für mich das


    Lied von der Erde und die beiden Aufnahmen der


    2. Sinfonie


    Ausnahme- und Referenzcharakter. Diese Aufnahmen sind hier ja auch bereits mehrfach genannt.


    Nicht genannt wurde bis jetzt die Fidelio-Aufnahme Klemperers (EMI 1962 mit Christa Ludwig und Jon Vickers), die möchte ich hier noch besonders hervorheben.



    Andere in Bewertungen und Besprechungen zum Teil besonders hervorgehobene Aufnahmen wie die des Brahms-Requiems und auch das Matthäus-Passion haben jedenfalls für mich nicht einen solchen Ausnahmerang wie die drei genannten Mahleraufnahmen.


    Mit besten Grüssen


    Matthias

    Tobe Welt, und springe,
    Ich steh hier und singe.

  • @ Theophilus & Alfred


    ich glaube, durch unseren Austausch hat sich das Bild schon ein wenig mehrdimensionaler geworden, das wäre mir Recht. :-)


    Klemprerers Mozart werde ich mir bei Gelegenheit vornehmen, ok.


    Mahlers Zweite muß länger auf mich warten. Trotz der Begeisterung aus manchen Quellen aus 30er bleibe ich vorerst mit Klemperers Vierten, wie gesagt, genug bedient.


    Individuell gegen stiluntreu bleibt ein schwieriges Begriffspaar. Die Stilverzerrung haben wir festgestellt, es ist auch bekannt aus der Literatur. Gigant, Titan, Monolith etc. - das sind Beschreibungen, die beides meinen, mal positiv mal negativ. Wenn aber alle Komponisten hinter diesen Gemeinsamkeiten ähnlich werden, was dann? Ich meine, die Unterschiede wären bei Stokowski deutlicher, und das soll schon was heißen. :-)


    Notentextfixiert gegen individuell wäre dann ein anderes Begriffspaar. Die Methode Klemperers ist erkennbar - er mischt sich wenig in die Tempobereiche, dafür sehr viel in die Klangfarbe. Ich frage mich, wo findet da die Probenarbeit statt? Es ist mehr die Wirkung der Persönlichkeit, einer starken, düsteren, in sich verschlossenen Figur. Gibt es in diesem Sinne, von euch angesprochen, Aufnahmen Klemperers aus frühen Jahren, die etwas mehr bringen?


    Gruß


    P.S. Krips würde ich eher mit Böhm vergleichen als mit Klemperer, oder?

  • Hi


    Zitat

    Krips würde ich eher mit Böhm vergleichen als mit Klemperer, oder?


    Ja, ganz gewiss, obwohl sie keinesfalls verwechselbar sind (aber beide auf einem sehr ähnlichen, einsamen Niveau)! In einem ruhigen Moment, wenn Alfred gerade weghört, werde ich dir verraten, dass Josef Krips der wahrscheinlich feinste Mozart-Dirigent des letzten halben Jahrhunderts war! ;)


    Caio

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    ich wollte mir meine Antwort für später aufheben, weil ich vorhatte, ein paar Interpretationen miteinander zu vergleichen, so sag ich es halt aus der Erinnerung ohne Überprüfung


    Böhm liefert einen prächtigen strahlenden siegesbewussten Mozart (und übrigens auch Beethoven) ab, sehr cantabel und tänzerisch, aber keinesfalls zu leicht, niemals unverbindlich, und immer die "Richtige" Tempi "innerhalb" des vorgegebenen Grundtempos, Böhm bezieht seine Spannung nie aus dem Tempo heraus, eher aus dem Anschwellen der Lautstärke.
    Krips ist, soweit mir in Erinnerung, etwas dunkler, herber.Sein Mozart ist etwas "männlicher, wer so will. "militärischer, aber eben noch nicht so starr , wie beispielsweise Klemperer oder Szell.


    Dass Krips einer der ganz großen Mozart Dirigenten war, ist unbestritten, inwieweit er "besser" war als Böhm (ich lehne solche Wertungen wie von einer Sportveranstaltung (igitt) sowieso ab) ist schwer zu eruieren, hat doch Krips unverdienterweise jenes Schicksal erlitten, das ich Böhm ersparen möchte: Jenes des vergessenen Künstlers. (Am Umschlag des Neuen Katalogs der Deutschen Grammophon scheint der Name Karl Böhm gar nicht mehr auf, dafür wurden vier Chinesen als Referenz genannt !!!- eine Schande)


    Krips kann ich hier erwähnen so viel ich will, es gibt kaum mehr CDs von ihm. Ich besitze eine Auswahl später Mozart Sinfonien, die er für Philips gemacht hat. Die Übertragung auf CD (ich besitze hier nur eine) geriet IMO zum Desaster. Von einer saftigen, klaren Aufnahme blieb nur ein domestiziertes Etwas.....Eventuell sollte man seinen Don Giovanni für Decca anhören....


    So- und nun wieder der Bogen zu Klemperer,2 Cds mit späten Mozart-Sinfonien gibt es relativ wohlfeil als Neuauflage, klanglich passables Stereo um 1960


    beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Vollkommen einverstanden. Krips' Mozart steht für mich direkt nach Böhms (weil eben dunkler, männlicher - gut beschrieben!). Ich wollte nur darauf hinweisen, daß Klemperers Mozart woanders ist... Ich vermute, eher Furtwänglers Mozart wäre Klemperers ähnlich - dämonisch, explosiv.

  • Hallo,


    noch eine Ergänzung, wo doch Klemperers (eigentlich Mahlers...) Lied von der Erde schon genannt wurde: Es gibt eine Aufnahme der Alt-Rhapsodie von Brahms & der Wesendonck-Lieder von Wagner mit Christa Ludwig/Klemperer. Unglaublich gut!


    Bei mir steht noch ein bisher ungehörter "Holländer" unter Klemperer, den muss ich mir dringend mal vornehmen...


    Ein schönes Buch mit Klemperer-Annekdoten: S.R. Grubb, "Kann der Partitur lesen?". Dürfte heute vermutlich nur noch antiquarisch zu kriegen sein. Grubb hat viele EMI-Produktionen der sechziger und siebziger Jahre geleitet und plaudert aus dem Nähkästchen. Mit Klemperer hatte er's wohl nicht immer einfach, aber die beiden scheinen sich blendend verstanden zu haben.


    Freundliche Grüße


    Heinz Gelking

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