Debussy: Streichquartett g-moll

  • Debussys Streichquartett war eines der ersten Streichquartette, die ich kennengelernt habe. Es ist bis heute eins meiner Liebsten. Ich besitze diese grossartige Aufnahme noch in der Ausgabe ohne Stravinsky:




    "Debussys Streichquartett entstand im Jahre 1893. Es ist noch kein Werk seiner Reifezeit, zeichnet sich aber schon durch höchst persönlichen Charakter und eine originelle Konzeption aus. Ein einziges Thema beherrscht in wechselnden Verkleidungen alle vier Sätze.


    Zu Beginn des einleitenden „Anime et tres decide“ wird es vorgestellt, über einer ruhelosen Triolenbegleitung weiter entwickelt und durchgehend einem lyrischeren, flexibleren Thema gegenübergestellt.


    Im zweiten Satz („Assez vif et bien rhythme“) behauptet sich eine neue, zigeunerhaft rhythmisierte Version desselben Themas innerhalb eines Irrgartens ständig wechselnder Pizzicato-Rhythmen, taucht im Mittelteil in wiederum anderer Gestalt auf und stellt das Material für die Coda im Fünfertakt ( 15/8 ).


    Im „Andantino, doucement expressif“ gemahnt die consordino gespielte Des-dur-Fassung des Themas eindeutig an Borodin, doch der bewegtere Mittelteil zeigt auch, daß Debussy bereits an „Pelleas et Melisande“ arbeitete, als er das Quartett schrieb.


    Das Finale beginnt mit einer Rückschau auf die vorangegangenen Metamorphosen des Themas, bevor der eigentliche Hauptteil des Satzes beginnt („Tres mouvemente et avec passion“). Dieses Finale ist der konventionellste der vier Sätze. Mit seinen Oktavierungen, Tremolos und langen Baß-Ostinati ist es weniger idiomatisch als der Rest des Werkes, sorgt jedoch für einen effektvollen Abschluß eines der originellsten Werke der Quartettliteratur."


    Aus dem Textheft von Martin Cooper

    Grüsse aus Rhosgobel


    Radagast

  • Hallo!


    Ich möchte Debussys Streichquartett auch gerne mal kennenlernen.
    Kann jemand etwas zu dieser Aufnahme sagen?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    Ich möchte Debussys Streichquartett auch gerne mal kennenlernen.
    Kann jemand etwas zu dieser Aufnahme sagen?


    Hallo Pius,


    ja, ich kann. Mit dem Dvorák hat mir das Talich-Quartett richtig gut gefallen, die Debussy-Ravel-Scheibe trifft nicht meinen Geschmack. Beide Interpretationen sind mir zu lieblos runtergespielt, die Schönheit der Musik kommt kaum zur Geltung. Der Klang ist auch nicht berauschend, wirkt irgendwie „schrammelig“. Obgleich die CD ja günstig im Preis ist, würde ich sie mir nicht wieder kaufen.


    Gruß, Cosima

  • Hier muss ich eine Lanze für das Quartetto Italiano brechen: Bei Debussy/Ravel solltest man unbedingt die Streichquartett-Aufnahme (+ Milhaud) von 1954/1960 anhören, die nun bei EMI erhältlich ist.


    Ich halte sie für die absolute Referenzaufnahme dieser beiden Werke und wesentlich besser als die sonst so hoch gelobte des Quartetto Italiano, die sie in den 70ern bei Philips eingespielt haben.


    Wie Gieseking am Klavier gelingt es den Musikern, die verschiedenen Lichtblitze „objektiv“ und durchsichtig ganz aus dem Moment heraus aufleuchten zu lassen. Da wird keine willkürliche Linie gezogen und kein subjektiver Ausdruck untergejubelt. Impressionismus im eigentlichen Wortsinn. Ein Interpretationswunder, und eine Klangperle mit diesem großartigen Klangkonzept der 50er Jahre!


    Das ist eine dieser Aufnahmen, die ich unter meine Top Ten der EMI einreihen möchte. (– schon allein deshalb, weil kein anderes Quartett, soviel ich bislang hören konnte, auch nur annähernd einen solches einzigartiges Konzept verfolgt hat. Leider haben sie bislang noch keine Nachahmer gefunden.)


    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Die von a.b. vorgestellte Einspielung kenne ich zwar nicht, aber die Kopplung mit Ravel und Milhaud hört sich sehr interessant an. Und ein Vergleich mit Gieseking lässt Gutes erahnen.
    Ich glaube, die Scheibe lege ich mir mal selbst zu.... :]


    LG
    Wulf.

  • Sehr ans Herz legen möchte ich die recht neue Einspielung durch das Leipziger Streichquartett:



    Diese Einspielung ist meines Erachtens aus vielerlei Hinsicht so empfehlenswert.


    Einerseits die Klangkultur und das ausgerefite und transparente Zusammenspiel des Quartetts. Die Kritik der Zeitschrift Stereo spricht von "reife und ausgefeilte Ensemblekultur" des Quartetts - eine Kritik, der ich mich vorbehaltlos anschließen kann.
    Daß die Leipziger das Streichquartett meinem Höreindruck nach eher in die Fauré-Nachfolge stellen und nicht wie das Alban Berg Q. oder das Q. Italiano als Bote der Moderne ausloten, gereicht überhaupt nicht zum Nachteil, wird IMO durch die kluge Kombination mit dem Streichquartett von Fauré noch unterstrichen.


    Allein die Zusammenstellung in einer solchen sensiblen Interpretation wäre eine Kaufempfehlung allemal wert.
    Doch es geht noch besser. Anstatt der in der Vergangenheit so üblichen Nebeneinaderstellung des Debussyschen und Ravelschen Q. zu folgen, gesellt sich zum Debussy und zum Fauré ein Streichquartett (oder ist es doch ein Konzert!?) der besonderen Art: der Conte fantastique des hierzulande sträflich vernachlässigten, in jünnster Zeit langsam wiederentdeckten Caplet - ein Komponist (und ein Werk) auf welches ich nicht müde werde hinzuweisen, z.B.
    hier
    oder auch hier.


    Irgendwo habe ich mal daurf hingewisen, daß der Conte fantastique für solche, die Freude an Musik mit Harfe unerlässlich ist. Vor Caplet wurde vermutlich kein solches virtuoses und originelles Stück für Harfe geschrieben. :yes:


    :hello:
    Wulf

  • Bei mir ist gerade Debussy-Wochenende, so hörte ich heute u. a. meine drei Aufnahmen des Streichquartetts:




    Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Das Alban Berg Quartett (Aufnahme von 1984) und das Quartetto Italiano (1965) liegen gleichauf vorn. Das Kodaly Quartett (1988 ) ist deutlich abgeschlagen.


    Das Alban Berg Quartett hat im Vergleich zum Quartetto Italiano die deutlich modernere Spielanlage. Entsprechend der Entwicklung in der symphonischen Musik ist ihr Spiel transparenter, wird mehr Wert auf die Einzelstimmen gelegt als auf den Zusammenklang. Das Spiel des Quartetto Italiano ist dafür wärmer und fließender. Zum Beispiel legt das Alban Berg Quartett zum Beispiel in der Wellenbewegung zu Beginn des ersten Satzes (von ca. 0:30 bis ca. 1:00 min, ich hab´s jetzt nicht genau gestoppt) das Augenmerk vor allem auf die hohen Streicher unter deutlicherer Betonung der einzelnen Noten, so dass die an- und abschwellenden Töne wie einzelne, auf einer Perlenschnur aneinander gereihte Noten klingen, während sich beim Quartetto Italiano, das die hohen Streicher im Vergleich zu den tiefen zurücknimmt und die einzelnen Noten nicht so sehr betont, sondern die Musik mehr fließen lässt, der nach meinem Empfinden weitaus stärkere Eindruck von immer aufs neue heranrollenden Wogen entsteht. Insbesondere der zweite Satz gelingt dem Alban Berg Quartett dann superb, während ich im dritten wieder das Quartetto Italiano vorn sehe. Hier, im langsamen Satz, führt die beschriebene Spielanlage dazu, dass das Alban Berg Quartett, obgleich es durchaus warm spielt, nicht die Ausdrucksintensität des Quartettos Italiano erreicht – dieses befindet sich hier aber auch auf einsamen Höhen, spielt auch deutlich langsamer (QI: 8:40, ABQ: 6:31, KQ: 7:55). Das Kodaly Quartett, ich erwähnte es oben, spielt nicht in derselben Liga. Der dritte Satz allerdings gelingt ihm wundervoll.


    Unabhängig von der Bewertung der Einspielungen begann ich im Laufe der Zeit über den Stellenwert des Debussy-Quartetts nachzudenken. Anlass hierfür war die Feststellung, dass das Quartett für mich beim wiederholten Hören – drei Mal hintereinander – nicht interessanter, sondern langweiliger wurde. Warum ist das so, fragte ich mich. Zudem stellte ich mir die Frage, ob dieses Erleben ein Anzeichen für einen Qualitätsmangel darstellt, ob es somit zulässig ist, zu sagen, dass das Streichquartett von Debussy zwar ganz schön ist, jedoch, weil es schnell langweilt, nicht in die allererste Reihe gehört.


    Es lag nahe, zu überlegen, wie das Werk auf mich wirkt. Also denn: Der Anfang begeistert mich immer aufs Neue. Das prägnante Hauptthema, das oben beschriebene An- und Abschwellen der Musik, herrlich! Dann aber, stelle ich fest, gibt es keine wirkliche Entwicklung mehr, keine nennenswerte thematische Arbeit. Vielmehr kehrt das Hauptthema regelmäßig nahezu unverändert wieder, wird das immer gleiche Material bloß umspielt. Beim ersten Hören begeistert mich das noch, aber beim zweiten, jedenfalls beim dritten Hören stellt sich allmählich eine gewisse Interesselosigkeit ein. Auch der zweite Satz beeindruckt mich weniger durch seinen Inhalt als durch seine ausgeprägte, durch das viele Pizzicato hervorgehobene Rhythmik. Soweit gekommen, bemerkte ich, dass ich unzutreffend den Rhythmus eines Werks seinem Inhalt getrennt, nicht dazugerechnet hatte. Welch Frevel! Gerade Debussy hat doch der Musik durch die Entwicklung seiner Farbigkeit, durch die Abkehr von dem von mir hier Vermissten einen neuen Weg gewiesen. Das Beharren auf der Vorherrschaft des Themas, auf seiner Entwicklung kann Debussy nicht zum Vorwurf gemacht werden, sondern offenbart im Gegenteil das antiquierte Musikverständnis des solche Kritik Äußernden. Ja, stimmt, aber dieser neue Weg äußert sich vor allem in den späteren Meisterwerken von Debussy, in dem das großartige Spiel mit den Klangfarben, die Klangfarbenmagie zum fesselnden Ereignis wird. Das Streichquartett weist eine solche Farbigkeit noch nicht auf. Es, das im Jahre 1893, also noch recht früh, komponiert wurde, ist noch ein Vorbote. Weder Fisch noch Fleisch also. Nein, das ist mir als Ergebnis nun auch wieder zu schlecht. Ich werde das Werk in Zukunft einfach nicht mehr drei Mal hintereinander hören – und uneingeschränkt genießen.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    Unabhängig von der Bewertung der Einspielungen begann ich im Laufe der Zeit über den Stellenwert des Debussy-Quartetts nachzudenken. Anlass hierfür war die Feststellung, dass das Quartett für mich beim wiederholten Hören – drei Mal hintereinander – nicht interessanter, sondern langweiliger wurde. Warum ist das so, fragte ich mich.


    Ob das wohl nicht doch an den gehörten Interpretationen liegt !?


    (gerade farblich sind die genannten Interpretationen nicht gerade das Gelbe vom Ei)


    :hello:

    Gruß ab


    ---
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    J. Locke

  • Hallo a.b.,


    theoretisch möglich ist es, dass der vor mir geschilderte Eindruck an den Einspielungen liegt. Doch habe ich daran meine Zweifel, werden die Aufnahmen des Alban Berg Quartetts und des Quartetto Italiano doch regelmäßig gelobt. Wulf allerdings hat sich in ähnliche Richtung wie du geäußert, als er darauf hinwies, dass die Leipziger das Streichquartett seinem Höreindruck nach eher in die Fauré-Nachfolge stellen und nicht wie das Alban Berg Q. oder das Q. Italiano als Bote der Moderne ausloten. Vielleicht sollte ich mir zu gegebener Zeit mal die von Wulf empfohlene Einspielung anhören.


    Oder kannst du außer der nur noch gebraucht und teuer erhältlichen EMI-Aufnahme des Quartetto Italiano noch andere Aufnahmen empfehlen, farbenreiche?


    Die Melos Quartett-Aufnahme wird auch noch oft als besonders gelungen hervorgehoben. Kennt die jemand und mag dazu etwas schreiben?


    Gruß, Thomas

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  • Melos fand ich persönlich schrecklich. ABQ und das Quartetto Italiano eher in der romantischen denn modernen Tradition.


    Ich finde relativ empfehlenswert das Hagen Quartett. Sehr würde mich die Einspielung der Kuijkens empfehlen.


    Sehr hörenswert ist jedenfalls das Quatuour Calvet aus den 30ern. (etwa in dieser Box, die ich gar nicht hoch genug loben kann)

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Ich habe mir seinerzeit auf die Empfehlung von a.b. hin die Box mit historischen Aufnahmen zugelegt. Eine tolle Box! Die Klangqualität ist natürlich gewöhnungsbedürtig, machte mir aber nichts aus, denn als Vergleichseinspielung hatte ich nur die noch ältere Aufnahme des Quatuor Capet aus 1927-28 8)

    Authentischer (wie das immer so schön heißt) wird man Debussy kaum einspielen können...


  • Kennt jemand diese Brilliant-Einspielung mit dem Carmina-Quartett?


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Carmina kenne ich von Konzert und Denon-Aufnahme: solide und klangfärbig. Eine romantische Interpretation: wohl kein Fehlkauf, insbesondere, wenn es sich beim Trios auf der anderen CD um die Erato-Aufnahme handeln sollte!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Zitat

    Original von a.b.
    Carmina kenne ich von Konzert und Denon-Aufnahme: solide und klangfärbig. Eine romantische Interpretation: wohl kein Fehlkauf, insbesondere, wenn es sich beim Trios auf der anderen CD um die Erato-Aufnahme handeln sollte!


    Danke für Deine Meinung! Ich habe die CD kürzlich (günstig) gekauft, die Quartette noch gar nicht gehört. Die Einspielung der Trios spricht mich an - auch das weniger bekannte, aber erwartungsgemäß leidenschaftlich empfundene von Fauré; der Name des Geigers (J.-J. Kantorow) ist mir auch ein Begriff; allerdings kann ich anhand der wie immer bei Brilliant spärlichen Nachweise die Originalaufnahme nicht eruieren.


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo zusammen,


    zunächst mal aus der Erinnerung so viel: ich habe die Aufnahmen mit dem Tokyo String Quartet (Sony) und die oben gezeigte mit den Kuijkens (Arcana). Die Kuijkens liefern womöglich die transparenteste Aufnahme von Debussys Quartett ab, wobei die Prägnanz des musikalischen Flusses vielleicht nicht so ausgeprägt ist. Das TSQ klingt dagegen auch nicht gerade verhallt, spielt aber mit mehr dramatischem Drive.


    Nebenbei muss ich sagen, dass das anscheinend "leichtere" Ravel-Streichquartett (habe ich bislang nur auf erwähnter TSQ-Ausgabe) bislang einen bleibenderen Eindruck hinterlassen hat als das von Debussy.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von WolfgangZ


    Danke für Deine Meinung! Ich habe die CD kürzlich (günstig) gekauft, die Quartette noch gar nicht gehört. Die Einspielung der Trios spricht mich an - auch das weniger bekannte, aber erwartungsgemäß leidenschaftlich empfundene von Fauré; der Name des Geigers (J.-J. Kantorow) ist mir auch ein Begriff; allerdings kann ich anhand der wie immer bei Brilliant spärlichen Nachweise die Originalaufnahme nicht eruieren.


    Die zwei CDs des Brilliant-Sets sind Denon-Aufnahmen!
    1. Carmina Q mit Debussy+Ravel:
    analytisch, schweizer Tüftelarbeit, dabei bleibt der musikalische Zusammenhalt auf der Strecke. Hohes Niveau, aber nicht mein Geschmack, klanglich ebenfalls unbefriedigend.
    2. Trio Kantorow/Muller/Rouvier mit Debussy+Ravel+Fauré:
    Meisterleistung in jeder Beziehung, eine der klangschönsten Kammermusikaufnahmen die es gibt (ziemlich hallig aber trotzdem klar); Ravel Trio habe ich noch nicht besser gehört.


    Nur meine persönliche Meinung,
    Khampan

  • Zitat

    Original von KontrapunktNebenbei muss ich sagen, dass das anscheinend "leichtere" Ravel-Streichquartett (habe ich bislang nur auf erwähnter TSQ-Ausgabe) bislang einen bleibenderen Eindruck hinterlassen hat als das von Debussy.


    Hallo Kontrapunkt,


    dieses nebenbei Gesagte interessiert mich. Oben habe ich ja versucht, mich mit der Qualität des Streichquartetts auseinanderzusetzen und einige Näherungen dahingehend, dass das Debussy-Streichquartett nicht in die allererste Reihe gehören könnte, vorgetragen. Nun äußerst du dich in ähnliche Richtung.


    Magst du dich dazu äußern, weshalb das Debussy-Quartett einen nicht so sehr bleibenden Eindruck bei dir hinterlassen hat, was dir fehlt?


    Überdies sind selbstredend auch alle anderen eingeladen, sich zu dem Werk selbst zu äußern und nicht nur zu den Einspielungen.


    Freundliche Grüße
    Thomas

  • Hallo Thomas,


    diese Frage finde ich auch spannend. Daher werde ich mir gleich mal meine beiden Debussy-Quartette anhören.
    Es ist wohl eine vergleichsweise schwer zu beantwortende Frage; schwerer jedenfalls als aufzuzählen, was einem an einem Werk gefällt. Denn man muss ja auf etwas achten, was die Aufmerksamkeit anscheinend nicht sonderlich fesselt.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Kuijkens (Arcana).


    Die Kuijkens liefern womöglich die transparenteste Aufnahme von Debussys Quartett ab, wobei die Prägnanz des musikalischen Flusses vielleicht nicht so ausgeprägt ist.


    Genau das dürfte womöglich gerade im Sinne eines debussysichen Impressionismusverständisses stehen! Er selbst habe es als "religiös" bezeichnet, wenn die Klänge, so wie sie entstehen, von der Hörerin sozusagen "natürlich" - also ohne künstlerisch gestalteten Fluss - aufgenommen werden.


    (Wer weiß dazu mehr?)

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

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  • Zitat

    Original von a.b.
    Genau das dürfte womöglich gerade im Sinne eines debussysichen Impressionismusverständisses stehen! Er selbst habe es als "religiös" bezeichnet, wenn die Klänge, so wie sie entstehen, von der Hörerin sozusagen "natürlich" - also ohne künstlerisch gestalteten Fluss - aufgenommen werden.


    (Wer weiß dazu mehr?)


    Im threat über die Cellosonate gefunden:


    Zitat

    "Ich denke,weil sie versuchen, sich der Musik aufzudrängen. Es ist aber notwendig, sich selbst völlig aufzugeben und die Musik mit einem machen zu lassen, was sie will, als sei man ein Gefäß, durch das sie hindurchgeht."
    (Zitat aus Udo Zilkens, Debussy spielt Debussy, S. 12, Tonger Verlag

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Debussy vollendete sein Streichquartett im Februar 1893. Die Uraufführung geschah am 29. Dezember desselben Jahres durch das Ysaye-Quartett, dem es auch gewidmet ist. Offenbar plante Debussy noch weitere Quartette, denn veröffentlicht wurde es im Jahr 1894 als Streichquartett Nr. 1 und erhielt dabei als einziges Werk Debussys eine Opusnummer, kurioserweise die 10.


    Der Komponist bekannte, während der Entstehung des Werkes in besonderer Weise unter dem Einfluss von Chausson gestanden zu haben. Formal hat Debussy auf den erstes Blick ein ganz klassisch angelegtes Werk geschaffen: ein Kopfsatz in Sonatenhauptsatzform, ein Scherzo mit Trio, ein langsamer Satz und ein Finale wiederum in Sonatenhauptsatzform. Die vier Sätze sind überschrieben:


    - I. Animé et très décidé (g-moll, 4/4)
    - II. Assez vif et bien rytmé (G-Dur, 6/8')
    - III. Andantino, doucement expressif (Des-Dur, 6/8')
    - IV. Très moderé (Einleitung Des-Dur 4/4 – Hauptteil g-moll 2/2)


    Debussy verwendet ein Motto-Thema, das in dreien der vier Sätze auftritt und somit das Werk zyklisch verzahnt. Dieses Verfahren ist außer bei Berlioz und Liszt auch in Kammermusikwerken César Francks nachzuweisen, etwa in dessen Klavierquintett in f-moll. – Für die Pizzicato-Abschnitte des Scherzos wurde vermutet, dass der entsprechende Satz in Tschaikowskys 4. Sinfonie Pate gestanden haben könnte. Debussy war in jungen Jahren in Russland als Hauslehrer bei Frau von Meck beschäftigt, der Widmungsträgerin dieser Sinfonie.


    Das Quartett wird manchmal als erstes Meisterwerk Debussy bezeichnet. Das mag sein – ich kenne sein Oeuvre zu wenig, um dazu etwas sagen zu wollen. Bezüglich der Harmonik, der Streicherbehandlung und des Einsatzes von Klangflächen erinnert mich einiges im Quartett bereits an „La mer“, doch insgesamt ist das Werk eher noch konventionell. Jedenfalls weist das zeitgleich entstandene „Prélude à l’après-midi d’un faune“ eine deutlich progressivere Tonsprache auf. Es mag also sein, dass das Quartett die Reihe der frühen Werke Debussys würdig abschließt und das „Prélude“ in die neue Richtung weist. – Zur formalen Meisterschaft wird weiter unten mehr zu sagen sein.


    Auf CD ist das Werk sehr beliebt – viele Ensembles der ersten Reihe haben es eingespielt, meist gekoppelt mit dem Gattungsbeitrag von Maurice Ravel. – In Zeiten der CD darf man natürlich fragen, welche Zugaben beigegeben werden – mit Debussy und Ravel alleine landen gerade mal ca. 55 Minuten Musik auf einem Silberling.

  • Die folgenden Zeitangaben beziehen sich auf die Aufnahmen mit dem Quartetto Italiano (bei Philips), dem Alban-Berg-Quartett und dem Belcea-Quartett, und zwar in dieser Reihenfolge.






    Irgendwo habe ich gelesen, dass man dieses Quartett als Variation über die Töne g, f, d hören könne. Nun, dies sind immerhin die ersten drei Töne des Motto-Themas, welches gleich zu Anfang des Kopfsatzes zu hören ist (0:00/0:00/0:00), es hat dort die Rolle des ersten Themas. – Bei 0:28/0:24/0:28 ein neues Motiv in der 1. Violine über trillerartigen Ketten in den tieferen Streichern, dann auch im Cello, welches allerdings nur die Brücke zu einem neuen Auftreten des Motto-Themas bildet (0:53/0:48/0:53). Bei 1:22/1:14/1:20 dann die Überleitung, die man schon für das 2. Thema halten könnte. Doch erst bei 2:10/1:59/2:10, nach einer Oktave mit Fermate (2:02/1:52/2:01), setzt dieses ein, wobei auch hier nochmal eine chromatisierte Form des Motto-Themas im Cello vorausgeht (2:05/1:54/2:05). Debussy scheint seine Hörer irreführen zu wollen!


    Nur kurz verweilen wir beim zweiten Thema, um bei 2:44/2:28/2:42 die Durchführung zu erreichen, die mit dem Mottothema beginnt.


    Bei 4:45/4:27/4:41 beginnt dann die (verkürzte) Reprise pflichtschuldigst mit dem ersten Thema. Bei 5:29/5:08/5:23 dann die Reprise des zweiten Themas, welches nach und nach in seine Bestandteile zerfällt, um diese als Material einer Stretta bereitzustellen. Vollgriffiger Schluss.


    Es gäbe noch viel Hörenswertes zu erwähnen, zum Beispiel die mal aufsteigenden, mal absteigenden chromatischen Linien – im 3. Takt des Mottothemas zu Anfang des Satzes, im 2. Takt des zweiten Themas, in der Durchführung …


    Der zweite Satz beginnt mit spanischem Kolorit: Pizzicati, dann das (leicht veränderte) Motto-Thema in der Bratsche, dasselbe nochmal, dann ein komplexes Miteinander der Bratsche (arco) und den anderen Streichern (pizzicato), viele 2:3-Rhythmen. Schließlich wandert das Thema in die 1. Violine (0:41/0:39/0:40), von dort aus ins Cello (0:51/0:49/0:50), wo es sich entfernt (wörtlich in der Partitur: „en s’éloignant“).


    Ab 0:59/0:57/0:58 dann das Trio (Es-Dur). Von trillerartigen Figuren und Pizzicati im Cello begleitet ist ein neues, weit ausschwingendes Thema – eine weitere Variation des Mottos - in der ersten Violine zu hören. Ab 1:36/1:31/1:35 dann auch wieder das Hauptthema des Scherzos, versteckt in der Bratsche. – Eine Passage, die ausschließlich von Tritonus-Sprüngen Gebrauch macht (2:38/2:27/2:36), leitet über zur Rekapitulation des Scherzo-Teils.


    Dieser steht nun im 15/8-Takt, wobei jedoch je drei Achtel eine „große“ Zählzeit ergeben und de facto ein 5er-Takt (stets 3+2) zu hören ist. Exotisch genug, und schwierig genug zu erkennen, weil Debussy in den ersten beiden Takten auf der „5“ (also auf der „13“, in Achteln gezählt) ein Sforzato vorschreibt … Das Stück bleibt im 15/8-Takt, bis kurz vor Schluss noch einmal eine Reminiszenz an das Trio zu hören ist (3:41/3:30/3:43).


    Auch der langsame dritte Satz ist dreiteilig. Der erste Teil ist mit Dämpfern zu spielen. Der Kopf des Themas erscheint zunächst alleine in der 2. Violine in G-Dur (!!, der Satz steht in Des-Dur), endend auf as, dann ein die Tonart Fes-Dur etablierendes Pizzicato im Cello, dann nochmal der Themenkopf in G (Bratsche), dann erst erscheint das Thema in Des-Dur im vierstimmigen Satz. Absolut regelmäßiger 4+4+4+…-Periodenbau.


    Bei 3:05/2:18/2:39 beginnt der B-Teil (cis-moll, 3/8'). Die Bratsche hebt mit einem rhapsodischen Monolog an, die anderen Streichern kommen nur an Ruhepunkten mit Quintklängen dazu. Eine kleine Imitation zwischen den beiden Violinen (ab 3:46/2:48/3:15), dann stellen Viola und Cello nacheinander das eigentliche Thema des B-Teils vor (ab 4:02/3:03/3:29). Große Intensivierung der Bewegung und der Lautstärke, bis die erste Violine auf dem Höhepunkt das Thema übernimmt (4:52/3:51/4:19). – Es folgt wieder Monologisches (5:28/4:20/4:52), dieses Mal allerdings in Oktaven, bis der A-Teil wieder einsetzt (bei 6:08/4:57/5:29). – Satzschluss in ätherischen Hohen.


    Der vierte Satz steht in einer interessant modifizierten Sonatenhauptform mit langsamer Einleitung. Letztere eröffnet mit einer Folge von Reminiszenzen. Das beginnende Cello erinnert an das Scherzo-Thema, sehr gedehnt, dann erscheint eine andere Variation des Mottothemas in der 1. Violine. Es folgt zweimal eine kurze chromatische Passage aller Streicher, die in einem sehr weiten achtstimmigen Akkord im Pianissimo endet. – Nun setzt die erste Violine alleine fort, so wie das Cello begann. Wieder die doppelte chromatische Passage aller Streicher, wieder ein sehr weiter achtstimmiger Akkord.


    In einem nach und nach schnelleren zweiten Abschnitt der Einleitung (en animant peu à peu) beginnt das Cello mit einem Thema, das wiederum an das Scherzo erinnert (1:28/1:08/1:19). Erst folgt die Bratsche, dann die beiden Violinen. Beschleunigung der Bewegung, zunehmende Lautstärke, Triller, dramatischer Absturz (1:49/1:30/1:43), endend im Cello alleine, Ende der Einleitung.


    Erst jetzt beginnt der eigentliche Satz (2:01/1:41/1:54), das Thema zunächst in der Bratsche, dann gemeinsam mit der 1. Violine in Oktaven. Bei 2:27/2:08/2:21 spielt die Bratsche ein, in der Partitur eigens mit „Solo“ bezeichnet, an das Mottothema erinnernd. – Bei 3:32/3:11/3:26 dann eine neue Variation des Mottothemas in der 1. Violine, welche hier die Rolle des zweiten Themas einnimmt. Kurz danach erscheint in voller Klangpracht (4:35/4:06/4:23, „avec passion at très soutenu“).


    Die Durchführung ist ab 5:19/4:39/4:58 anzusetzen. Sie ist kurz – und der Übergang in die Reprise ist mehr als interessant! Ich würde diesen bei 5:55/5:11/5:29 verorten – mit dem Eintritt des Hauptthemas der Kopfsatzes in variierter Form, dem unmittelbar das erste Thema des Schlusssatzes in einer Dur-Variante (G-Dur) folgt! Bei 6:24/5:39/5:57 dann das zweite Thema, das Mottothema. Kurz danach dominieren die drei Töne g – f – d, die Kopfnoten des Mottothemas, in immer wieder in neuer Tonart, bis bei 7:09/6:20/6:42 die Coda erreicht wird. Ein letztes Kreisen auf den drei Tönen d – c – a (transponiert g – f – d, 7:28/6:38/6:59), virtuose Tonleiter der 1. Violine über zwei Oktaven, Schlussakkord.


    Fazit:


    Formal ist dieses Stück ein Meisterwerk. Zunächst wegen der Beschränkung des Materials: Debussy gewinnt aus einem einzigen Motto das meiste, was er für das Quartett an thematischen Material braucht. Zum anderen wegen der Sicherheit im Formalen: Er verwendet die Sonatenhauptsatzform, aber er unterwirft sich ihr nicht, sondern herrscht über sie. Im ersten Satz verwirrt er den Hörer geradezu (um eigentlich erst in der Reprise klar zu machen, was denn nun das zweite Thema war), im Finale schafft er eine originelle Variante der Form, die sehr schlüssig ist.


    Interessant ist noch die Umsetzung der Tempovorschrift des Komponisten zum 3. Satz, dem Andantino. Ich betrachte den Beginn des ersten Themas. Debussy schreibt Achtel = 80 vor. Dem kommt das Alban-Berg-Quartett mit Achtel = 72 – 76 noch am nächsten. Das Quartetto Italiano spielt in seiner älteren Aufnahme Achtel = 44, also das halbe vorgeschriebene Tempo (!), in der jüngeren Aufnahme Achtel = 48 – 50. Das Kodaly-Quartett beginnt mit Achtel = 54 und gibt noch nach im Tempo. Die Melos-Mannen sind ungefähr bei Achtel = 66, das Belcea-Quartett etwas langsamer mit Achtel = 63.

  • Mindestens zwei Einspielungen des Quartetto Italiano sind auf dem CD-Markt greifbar: Diejenige, die am 23. Januar 1954 für die EMI in Mailand aufgenommen wurde – attraktiv gekoppelt mit dem Quartett von Ravel und dem 12. Quartett von Darius Milhaud – sowie die vermutlich berühmtere Aufnahme, die im August 1965 für Philips in Vevey am Genfer See entstand und der nur der Gattungsbeitrag von Ravel beigegeben ist.


    Die spätere Einspielung wurde vor kurzem von der Decca neu herausgebracht:




    Die Spielzeiten unterscheiden sich nur geringfügig. Die Booklets verzeichnen für die vier Sätze folgende Längen:
    1954: 6:39/3:53/8:43/7:33
    1965: 6:31/3:57/8:40/7:38


    Das Quartetto Italiano spielte 1954 mit breitem Strich und entsprechendem Klang, eher genüsslich-schwelgend als strukturerhellend. Es ist durchaus mal ein Portamento zu hören, manchmal klingt es süffig und satt, dann wieder zurückhaltend-verträumt. Man lässt sich Zeit, man kostet aus und genießt. Dennoch scheinen mir die Charaktere des ersten, zweiten und letzten Satzes insgesamt sehr gut getroffen. Technisch geraten die Italiener an schnellen Stellen mit identischen Rhythmen in allen vier Instrumenten an ihre Grenzen (vor allem im Vergleich mit dem Alban-Berg-Quartett), aber das finde ich verschmerzbar. Gravierend finde ich hingegen die Tempowahl im zweiten Satz – sie spielen ungefähr halb so schnell wie von Debussy vorgeschrieben, das ergibt ein anderes Stück. Das künstlerische Ergebnis überzeugt mich zwar, aber die Tempoentscheidung ist diskutierbar.


    Insgesamt eine hörenswerte Aufnahme. Klangtechnisch gibt es sehr gutes Mono. – Die Kopplung mit dem Milhaud-Quartett Nr. 12 der EMI-CD ist ungewöhnlich. Kein sonderlich tiefschürfendes Werk, das will es sicher auch nicht sein, eher unterhaltsame Musik mit Serenadencharakter, und doch verrät es viel über die hohe kreative Intelligenz seines Schöpfers. Ein interessanter Einblick in die Gattung abseits der Meisterwerke.


    In der jüngeren Aufnahme von 1965 präsentieren sich die Italiener etwas zupackender, wobei der interpretatorische Ansatz im Grundsatz derselbe geblieben ist. Man gibt nicht ganz soviel im Tempo nach, wenn man nachgibt. Auch spieltechnisch scheinen mir die Musiker hier souveräner aufzuspielen als 1954. Doch dies mag täuschen - denn die ist Klangtechnik deutlich besser – sehr gut, nicht nur für ihr Alter, es sind viel mehr Details hörbar.


    Vielleicht ist die jüngere Aufnahme insgesamt neutraler, aber runder, mehr aus einem Guss und daher besser geeignet zum Kennenlernen des Werkes. Die ältere Aufnahme hingegen ist profilierter, eigenwilliger.



  • Die Aufnahme des Melos Quartetts ist derzeit offenbar vergriffen. Sie enthält lediglich die Quartette von Debussy und Ravel. Dasselbe galt für die Erstausgabe der Aufnahme des Alban-Berg-Quartetts, die allerdings mehrfach neu aufgelegt wurde, zuletzt in der rechts abgebildeten CD, und dabei mit interessanten Zugaben von Stravinsky ausgestattet war.


    Die Aufnahme mit dem Melos-Quartett entstand im Februar 1979 in der Liederhalle Stuttgart, die Aufnahme mit dem Alban-Berg-Quartett im April 1984. Die Spielzeiten sind:


    Melos-Quartett: 6:23/3:56/7:15/7:04
    Alban-Berg-Quartett: 6:03/3:44/6:30/6:50


    Das Melos-Quartett spielt nicht so süffig wie das Quartetto Italiano, der Klang ist transparenter und leichter, ohne die sportive Virtuosität des Alban-Berg-Quartetts aufzuweisen. Eine Einspielung der interpretatorischen Mitte, der nur ein wenig Begeisterungsqualität fehlt, um bei den Besten mitzuspielen.


    Die sportive Virtuosität des Alban-Berg-Quartetts macht Staunen. Eine technisch geradezu vollkommene Wiedergabe, klanglich noch schlanker als das Melos-Quartett, dabei optimal ausbalanciert. Wer auf dieser rasanten Eleganz steht, wird hier bestens bedient. Zudem sind die Wiener die (in diesem Vergleich) einzigen, die im dritten Satz die Tempovorgaben des Komponisten fast erreichen – alle anderen sind deutlich langsamer.


    Für meinen Geschmack schnurrt manches zu flott und perfekt ab, doch ich ziehe den Hut vor diesem unglaublichen Ensemblespiel. – Alleine wegen des dritten Satzes ist diese Aufnahme bereits empfehlenswert!


  • Beide CDs können mit ausgezeichnet gewählten Zugaben punkten: Neben den Quartetten von Debussy und Ravel enthält die Kodály-CD „Introduction et Allegro“ für Harfe, Flöte, Klarinette und Streichquartett von Ravel, der Belcea-CD ist das Streichquartett „Ainsi la nuit“ von Dutilleux beigegeben.


    Die Spielzeiten für das Debussy-Quartett sind:


    Kodály: 6:12/3:47/7:55/6:59
    Belcea: 6:21/4:00/7:23/7:16


    Die Kodálys gehen richtig gut ab im ersten und zweiten Satz. Mir klingt es nur etwas zu glatt, um diese Aufnahme zu den Besten zu zählen. Auch ist die Intonation nicht immer lupenrein. Die rhapsodischen Monologe im langsamen Satz werden ziemlich lieblos runtergefidelt. Die Farbpalette ist recht eng. Mit dem Alban-Berg-Quartett und dem Belcea-Quartett im Ohr wird ein Klassenunterschied hörbar. Trotzdem ist die Einspielung akzeptabel – obendrein ist sie wie gesagt gut gekoppelt und die Preisgünstigste. Aber der Abstand von Naxos-Preisen zu denen der Stars der Szene wie dem Alban-Berg-Quartett ist halt geschrumpft.


    Die Belceas haben Debussy, Ravel und Dutilleux für ihre Debut-CD gewählt. Intensiv und elastisch-gespannt, so klingt bei ihnen der Beginn des Kopfsatzes. Das ist eine Darstellung, die sich deutlich von den vorher gehörten abhebt, ohne dabei eigenwillig oder aufgesetzt zu wirken. Sehr detailliertes, engagiertes, aber nie verkrampftes Spiel ist zu hören. Ein herrliches Beispiel für ein perfekt verschmolzenes Ensemble. – Auffällig ist auch das Bestreben, jede Linie, jedes Motiv klar zu strukturieren, durch Artikulation, durch Dynamik, durch Agogik, durch Bogentechnik. Man höre alleine das erste Thema des dritten Satzes – die Belceas haben wirklich alles neu durchdacht. Diese Aufnahme macht beim Hören einfach Spaß. Eine grandiose Debut-CD.



    Und nun?


    Die Preiswerte: Kodály-Quartett
    Die Genießerische: Quartetto Italiano (1965)
    Die Virtuos-Glänzende: Alban-Berg-Quartett
    Die Detailliert-Lustvolle: Belcea Quartett


    Wer nur eine Aufnahme will, um das Werk kennen zu lernen, ist mit jeder dieser vier CDs gut bedient. Bei zwei Aufnahmen würde ich die ältere Aufnahme des Quartetto Italiano (1954) und dazu die Aufnahme des Alban-Berg-Quartetts oder des Belcea-Quartetts empfehlen, dann erhält man zwei deutlich verschiedene Sichtweisen.

  • Hallo Wolfram,


    ich möchte auf diesem Wege Dir noch die Einspielung des Arcanto Quartetts empfehlen :



    Ebenfalls auf der CD befinden sich, wie beim Belcea Quartet, die Quartette von Ravel und Dutilleux.


    :hello:


    Gruss
    Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

  • Lieber Holger,


    vielen Dank für Deinen Tipp! Für den Dutilleux hätte ich in der Tat gerne noch eine dritte Meinung (neben Belcea und dem Quatuor sine nomine).


    Welche Eigenschaften der Aufnahme des Debussy-Quartetts wären denn für Dich die besten Argumente, ihr näher zu treten?


    :hello:
    Viele Grüße
    Wolfram

  • Quatuor Ebène



    Das Quatuor Ebène geht den ersten Satz - wie auch den Rest - mit eher schlankem Klang an, ohne die Spannung des Belcea-Quartetts mitzubringen. Bei ihnen klingt die Musik zwar intensiv, aber nicht so energiegeladen wie dort. Erst mit dem Beginn der Durchführung wird das Spiel zupackender. Einige Hervorhebungen und Dehnungen einzelner Töne nehme ich als bemüht wahr. Der Einstieg in die Reprise ist geradezu leidenschaftlich. - Der zweite Satz wirkt insgesamt einheitlicher, technisch brillant und sehr gewählt in den Klangfarben. – Auch im dritten Satz evozieren die Franzosen eine Vielfalt von Stimmungen und wissen eher durch Zurückhaltung zu überzeugen: sie biedern sich nicht an, versuchen nicht, die Musik besser oder interessanter zu machen, als sie ist. Eine CD zum zweimal hinhören. – Zögerlich ist der Beginn des letzten Satzes, aber bei der Temposteigerung geht es dann ab, wobei es auch später wieder tastende, suchende Momente gibt. –


    Insgesamt eine sehr spannende Wiedergabe – wenn man auf Details hört! – Eine eigenwillige Sichtweise, darin der des Belcea-Quartetts vergleichbar, aber nicht so einheitlich wie jene. – Auffällig ist auch der Verzicht auf fettes Vibrato, das meiste ist sehr drahtig und sehnig im Klang. - Wer die Musik mit dem Ensemble entdecken will und in jedem Takt die Überraschung sucht, der bekommt hier reichlich Hörfutter. Wer eine eher klassische, runde, einheitliche Wiedergabe sucht, wird nicht fündig. Dies ist eine „etwas andere“ Wiedergabe, darum empfehle ich, vor dem Kauf nach Möglichkeit hineinzuhören.


    Die Kopplung des Standard-Paars Debussy/Ravel mit dem selten zu hörenden Quartett von Fauré gefällt mir sehr gut und bringt die CD auf rekordverdächtige 80:27.


    Spielzeiten 6:25/4:01/8:18/7:26

  • Mir scheint das Quartett für den durchschnittlichen "Einsteiger in die Kammermusik" ziemlich geeignet zu sein. Thomas sagt natürlich zu Recht, dass es hinsichtlich der Farbe nicht mit den Orchesterwerken des Komponisten mithalten kann, aber für die Besetzung von lediglich 4 Streichinstrumenten klingt es für mich jedoch ziemlich farbig und lebendig. Debussy schreibt das Stück so, dass ich beim Hören eine ähnliche Empfindung habe wie beim Anschauen vieler Bilder von Ronoir oder Monet. Ob das Quartett impressionistische Musik ist, wie einige Kammermusikführer dies erklären, weiß ich nicht. Die beim Hören auftretenden Emotionen von Licht, Schatten, Farbe, Bewegung und Lebendigkeit kann ich jedoch nicht verhindern, empfinde sie eher als ziemlich stark.


    Angesprochen wurde weiter oben die Frage, warum dieses Quartett wohl weit nach oben, aber nicht unbedingt in die allererste Reihe empfunden wird. Mir geht es auch so. Es ist ein tolles Werk, bei dem mir nichts Nachteiliges auffällt, aber in einem Atemzug mit den Quartetten von Beethoven, Bartok oder Schönberg möchte auch ich es nicht nennen. Ich denke, dass dies daran liegen könnte, dass es eher naturbeschreibenden und -empfindenen Charakter trägt, nicht ganz so in die Tiefe geht und eher fröhlich-locker wirkt, alles jedoch im besten Sinn. Ich finde, dass es vom Ausdruck her ein sehr homogenes Werk ist und trotz der Leichtigkeit in sich geschlossen wirkt.


    Ähnlich wie Thomas kann auch ich dieses Quartett somit nicht unbedingt dreimal nacheinander anhören, was in der Folge des Gesagten daran liegt, dass es nicht so sehr in sich ruht. Vielmehr lockert es mich beim Hören auf, was mir zur zwischenzeitlichen Entspannung nach drei oder vier Quartetten der gerade genannten Komponistenkollegen ganz gut tut. In meiner Jugend habe ich sehr häufig gehört und bin beim Höhepunkt des langsamen Satzes regelmäßig dahingeschmolzen. Wenn ich ehrlich bin, ist das auch heute noch der Fall.



    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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