Hallo, liebe Musikfreunde,
seit längerem mache ich mir zu diesem Thema Gedanken, aber den letzten Anstoß gab Siamaks Beitrag, wie heute in Teheran die westliche Musik verboten wird und der Kampf der Kulturen auch auf dem Gebiet der Musik eine neue Runde erlebt. Was hat das mit Wagner zu tun: Seine Schrift „Das Judentum in der Musik“ war ein früher Beitrag in dieser Richtung. Wobei es sicher völlig verfehlt wäre, den „Fall Wagner“ auf dies Thema zu beschränken.
Vorweg muss ich gestehen, dass ich erst vor kurzem zum ersten Mal eine Oper von Wagner gesehen habe, „Tristan und Isolde“, ansonsten die üblichen Auszüge im Fernsehen zu Festspieleröffnungen in Bayreuth und so. Den Walküren-Ritt lernte ich durch Coppolas „Apocalypse Now“ kennen, als gefilmt wurde, wie amerikanische Hubschrauber den kambodschanischen Dschungel und alles Leben dort zerfurchten. Das bestätigte nur das lange gepflegte Vorurteil, Wagner könnte reduziert werden auf Musik, die gut zum Faschismus passt.
Das war nicht nur ein Vorurteil gegen Wagner, sondern überhaupt fällt mir der Zugang zu Opern schwer. Wie überraschend, dann bei Wagner eine Kritik der Oper seit der italienischen Oper zu lesen, die genau das trifft, was mich stört: ein Rückschritt hinter das, was in der Vokalmusik gerade auch in Italien schon längst erreicht war, belanglose Arien, auf den Tag und für den jeweiligen Sänger geschrieben, lange nichtssagende Zwischenperioden zwischen den großen Melodien, offenbar nur zum Zweck, als Tafelmusik zu dienen, damit das Publikum sich besser unterhalten und zuprosten kann.
Und wie überrascht war ich, in den Texten von Wagner so vieles zu finden, was ich bis dahin für Ideen von Nietzsche oder Ernst Bloch gehalten hatte.
Wagner scheint keine religiöse Bindung gekannt zu haben. Wie Schumann war Wagner, 1813 in Leipzig geboren, ein Kind der Kriegszeit (im gleichen Jahr fand in Leipzig die Völkerschlacht gegen Napoleon statt). Sein Vater starb kurz nach seiner Geburt, auch sein Stiefvater lebte nicht lange, und so war er als Kind hin und her geworfen ohne feste Heimat.
Deutsche Überlieferungen von Märchen, Sagen, Erzählungen hat er sich regelrecht per Lektüre erarbeiten müssen. Wie unterscheidet ihn das von den Romantikern in Dresden, Freiberg, Jena, die in jungen Jahren den letzten Gestalten der mittelalterlichen deutschen Mystik begegnet waren. Die Erzählungen von Novalis, E.T.A. Hoffmann und auch noch Heinrich Heine zeigen, auf welchen Schatz an mündlich überlieferten Geschichten sie zurückgreifen konnten.
Bei Wagner scheint das einfach zu fehlen, und das machte ihn so empfindsam gegenüber allen kulturellen Erscheinungen, die er als oberflächlich und bloßen Zeitvertreib kritisierte. Es machte ihn zugleich buchstäblich krank. Und erzeugte eine innere Leere, aus der ein nie zu stillender Hunger nach Luxus und grenzenloser Verehrung entstand.
Diese Bemerkungen sollen als erste Annäherung genügen. Der „Fall Wagner“ ist nicht nur ein Fall Wagners, sondern auch derjenigen – zu denen ich mich durchaus zählen muss – die sich lange weiterten, sich überhaupt mit ihm näher zu beschäftigen. Als erster Schritt sollen gleich nachfolgend ein paar Ideen zum „Judentum in der Musik“ folgen, um mittendrin dort anzusetzen, worauf sich die Vorurteile leicht abstützen lassen. Weitere Einzelbeiträge sollen jedoch folgen, etwa zu den Reaktionen in Frankreich (Mallarmé und Debussy), die Wirkung auf Bruckner, vielleicht auch zu „Tristan und Isolde“, spannend sicher auch das Verhältnis von Wagner zu den Frauen.
Viele Grüße und alles Gute zum Neuen Jahr,
Walter