Woody Allens MATCH POINT

  • Ich will kein eigenes Kino-Unterforum lostreten, aber ich möchte mich doch hier über diesen Film unterhalten. Zudem er gewisse Dinge mit "unserer" Musik zu tun hat.


    Vorweg: Ich will nicht ausdrücklich dazu auffordern, daß Ihr Euch den Film wegen mir anseht, da ich durchaus erwarte, daß er vielen nicht gefallen wird, zudem muß man Filme mit einer "düsteren Aussage" mögen.


    Es ist nämlich so: Da gibt es diesen gewissen Tennislehrer. Er war ambitioniert genug, um sich im zweistelligen Bereich der Weltrangliste aufzuhalten, aber er hatte keine Lust mehr auf den Tennis-Circus. So wurde er Tennislehrer in einem Club für reiche Engländer. Dort lernte er seinen zukünftigen Schwager kennen. Er konnte sich zutritt zu seiner Familie verschaffen, weil er die Oper liebte, genau wie seine zukünftige Schwieger-Familie. Man amüsierte sich in Covent Garden, er laß Dostojewskis "Schuld und Sühne". Alles gebildete, kunstsinnige, wohlerzogene Leute. Er heiratet in die Familie ein, seine Frau ist sogar durchaus "sexy" und sehr symphatisch, es gäbe keine Probleme. Doch es kommt natürlich, wie es kommen muß, da gibt es noch diese Amerikanerin, die natürlich noch viel mehr sexy ist. Ein Kind wird gezeugt. Er befindet sich in der Zwickmühle. Er fordert von der Freundin (reines sexuelles Freizeitvergnügen?), daß sie abtreiben soll. Sie will nicht. Nun hat er sich zu entscheiden zwischen der armen, beruflich erfolglosen Freundin und dem gemachten Nest.
    Nun, er greift zur Schrotflinte und erschiesst die Freundin. Das "Glück" verhilft ihm dazu, daß er vollkommen ungeschoren aus dieser kriminellen Affaire herauskommt und sich weiterhin ins gemachte Nest setzten kann. Soweit in viel zu groben Zügen die Handlung.


    Da gibt es noch viel Motive und Bilder, die zu erwähnen wären. Doch es ist spät und dazu ein andermal.


    Der springende Punkt ist also, daß hier gegen das ungeschriebene, scheinheilige Gesetz des Hollywoodkinos verstossen wird, nämlich, daß der "Böse" nicht bestraft wird. (wie es mit der "Reue" aussieht, kann man nicht genau sagen...) Ähnlich ging es auch schon in Woody Allens Film "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" zu, nur ist match point noch düsterer. Von der (Film-) Ästhetik her scheint mir dieser Film (match point, aber auch "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" und "Hannah und ihre Schwestern") einer von Allens stärksten leistungen zu sein.


    Daß in match point wie gesagt, SCHEINBAR (!?) gegen eine gewisse (Kino-) Moral verstossen wurde, sorgte für einigen Unmut bei einer Zuschauerin, die sich empörte über diesen (offensichtlich verstörenden ?) Film...


    Das musikalische Leitmotiv des Films ist die Arie "una furtiva lagrima", gesungen von Caruso in einer ur-uralten Aufnahme (auch dafür meinen herzlichen Dank an Woody Allen!), in der Mordszene wird die Entsprechung aus Verdis Otello als Musik verwendet.


    Zu guter letzt noch ein Argument, warum ich diesen Thread hier startete: Ich besuchte den Film mit zwei (bzw. drei, also waren wir insgesamt zu viert) lieben Menschen, die ebenfalls verdiente Tamino-Mitglieder sind.


    Wie steht Ihr zu DIESEM Film ? (bitte vorerst nicht die übliche Woody-Allen-Schelte lostreten, in der das Privatleben des Regisseurs mit seinen Filmen allzu moralisierend in Verbindung gebracht wird)

  • Ja, lieber Markus, wir hatte noch heftige Diskussionen auf dem Heimweg,


    und warum auch nicht? Alleine dass der Film das auslöst, spricht für ihn. Im übrigen hatte ich durchaus den Eindruck, dass bei der Schlusseinstellung, die so bitter und poetisch gleichzeitig ist, beim Black Out und dem ersten Abspann, eine Art Aufstöhnen durch die Publikumsreihen ging, kann sein, dass ich mir das aber auch nur einbilde. Kurzum, hier ist der Film auf zwei ganz gegensätzliche Meinungen gestoßen, und je länger ich darüber nachdenke: Ich glaube inzwischen, dass es nur diese zwei Extreme geben kann. Gleichgültig wird der Film keinen Zuschauer aus dem Kinosaal entlassen.


    Im übrigen ist der - in bester Hitchcock-Manier gedrehten - (Doppel-)Mordsequenz nicht die Mordszene aus Otello unterlegt, sondern das Ende des zweiten Aktes, in dem Jago es schafft, in Otello die Fährte zu legen für die quälenden Gedanken der Eifersucht. Nun ist es im Film insofern anders, als dass den Protagonisten nicht die eigene Eifersucht treibt, sondern die seiner mittellosen Freundin, die ihn vor die Entscheidung zwischen ihr und seiner Frau stellt und ihn immer wieder drängt, seine Frau endlich über die Beziehung und Schwangerschaft aufzuklären. Er entscheidet sich für das öde, gemachte Nest seiner Ehe - aber: Gleich wie in Otello in der unterlegten Szene der Eifersuchtsgedanke wächst, so wächst aus dem fahrigen und zittrigen Protagonisten in der Mordsequenz des Films unerwartet und heftig der brutale und eiskalte Mörder. Vielleicht liegt da der engere Zusammenhang zwischen Musik und Bild, ein Zusammenhang und ein Gegensatz.


    Soweit für den Moment, wir werden sicher noch viel über den Film nachdenken.....


    LG - C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Sagitt meint:


    Ist es nicht bemerkenswert, wie sehr wir durch die üblichen glücklichen Enden geprägt sind, obwohl gerade das Kino ist ?
    Im echten Leben gibt es häufig kein glückliches Ende, Das zeigt uns Allen, und warum stöhnen wir dann auf ?


    Ich habe mich dabei beobachtet, den ganzen Film zu glauben, gleich kommt es raus ? Allen entwickelt einen großartigen suspense. Es gibt so viele Scenen, wo es hätte entdeckt werden können, bis hin zu dem Ring, und man denkt,der wird gefunden und dann seine Fingerabdrücke usw.


    Nein, wie im echten Leben.


    Allen hatte übrigens früher schon einmal einen vergleichbaren Stoff gedreht mit eben demselben Ende.

  • Liebes Forum
    ich fand den Film eigentlich eher schwach, da ich die Story einfach nicht glauben konnte. Da kommt ein Mörder im Zeitalter von Hi-Tech Forensik einfach davon, obwohl die Polizisten einen schweren Verdacht gegen den Täter haben und wissen, dass er Zugang zu Waffen hat. Die Schwangerschaft des Opfers gibt ihnen auch nicht zu denken, na ich weiss nicht .....?
    Tolle Musik - schwache Schauspieler.
    lg
    d.

    Es gibt kaum etwas Schöneres, als dem Schweigen eines Dummkopfes zuzuhören

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  • @ Sagitt:


    "Verbrechen und andere Kleinigkeiten / Crimes and Misdemeanors" (mit Alan Alda in einer Nebenrolle) ist der Film, der eine ähnliche Thematik hat. Dieser Film weist einige interessante Unterschiede auf: Der große Augenarzt und Mordauftraggeber (Martin Landau) hat sehr starke Gewissensbisse vor und natürlich erst recht nach dem Mord, vor allem wurde er streng religiös erzogen und nun fallen die Schatten der Vergangenheit wieder über ihn her und berichten von einem strafenden Gott... Erst im letzten Augenblick des Films scheint er sich dann "mit sich versöhnt" zu haben und es ist ihm gelungen, den ungebüßten Mord einigermassen zu verdrängen. Auch in diesem Film gibt es wieder wunderbare Musik, das "Mordleitmotiv" ist aus einem späten Schubertstreichquartett entnommen (von dem ich leider immer noch keine Aufnahme besitze...) Zudem wird der "tod-"ernste Handlungsstrang durch das Gewusel der Figur des "idealistischen Filmemachers" Cliff Sterns (gespielt von Woody Allen) entlastet, der sich damit auseinandersetzen muß, daß er sich von seinem Schwager (?) (Alan Alda), dem aufgeblasenen, oberflächlichen Fernsehproduzenten korumpieren läßt. Dadurch, daß der idealistische Filmemacher ein Portrait über den kauzigen Philosophen dreht, holt Allen eine ganze Portion Anrühriges, Menschliches, Warmes, "Philosophisches" in den Film rein. Lediglich die Sache um das Unglück seiner Schwester (?) herum, die in Torschlußpanik den falschen Mann sucht, finde ich etwas zu viel...


    (1989, 99 Min.)

  • Hallo!


    Ich bin eines der "verdienten" Tamino-Mitglieder, das mit Markus im Kino den Film gesehen hat.
    Entgegen Claus' (er war der dritte) Meinung stehe ich relativ gleichgültig zum Film. Ich habe da nichts Großartiges oder Aufregendes erkannt.
    Der Vergleich mit Robert Altmans bitteren Satire "The Player" liegt für mich nahe - hier hat der "Held" den Freund der sexy Frau erschossen und kommt damit durch und kriegt obendrein am Schluß die ahnungslose Frau: Schlußbild: Er kommt von der Arbeit, sie erwartet ihn schwanger und mit einem lieblichen Lächeln.
    Dagegen war das Ende bei Allen weniger provokant, wenn aber vielleicht "tiefgründiger".
    Die Schauspieler haben mich in "Match Point" übrigens auch nicht vom Stuhl gerissen...
    Bevor das ein Verriß wird, breche ich lieber ab. Denn insgesamt gut ist der Film schon.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Ich habe den Film nicht gesehen und bin auch kein Woody Allen - Fan (seine Themen lassen mich bisher, trotz mehrerer Versuche, einfach kalt). Aber ein fehlendes Happy End ist nur für Kinogänger etwas besonderes, die bisher nie oder kaum mit anderen Kinokulturen in Berührung gekommen sind. Im japanischen oder Hongkong - Kino sind Filme an der Tagesordnung, in denen am Ende alle Hauptdarsteller tot sind. Spart auch Gage :D !


    Im HK-Kino gibt es mit dem heroic bloodshed sogar eine eigenes Genre, bei dem der Tod aller Sympathieträger Pflicht ist...

  • Hallo Robert


    Ja, auch in vielen Opern ist es ja genauso, die "Symphatieträger2 müssen sterben. Ich persönlich finde das ja auch ganz "normal".


    Woody Allens match point hat aber einige Personen gewissermassen "erzürnt", weil der Handlungsträger zuerst als Symphathieträger installiert wird und er dann aber ganz scheussliche Sachen macht. In diesem Fall erwarten die meisten Kinobesucher dann doch, daß im letzten Moment dann Reue einsetzt und der Täter sich dann der Polizei stellt, Selbstmord begeht oder sonst wie ("Auge um Auge") sühnt.
    Auch im richtigen Leben bin ich ja meistens der Meinung, daß, wer einen Mord begangen hat, sich damit schon die schlimmste Strafe selbst auferlegt hat (sofern er gesund ist), ob ihm die Justiz nun habhaft wird oder nicht.


    Man könnte vielleicht sagen, daß eine "Grundaussage" des Films (und auch des Films "Verbrechen und andere Kleinigkeiten") die ist, daß wir uns alle irgendwie schuldig machen und fühlen und lernen müssen, damit umzugehen, daß wir keine Engel sein können. Man muß sich lediglich entscheiden, ob man ein Idealist bleiben will oder sich von Geld und Trieben korrumpieren lässt. In letzterem Fall braucht man dann eben ggf. ein bisschen Kosmetik für das Gewissen.

  • Hallo zusammen,


    nur ergänzend zu Markus' vorangehendem Posting: Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass man sich über das unerwartet "böse" Ende (und über den Mord) auch deshalb aufregt, weil Allen durch die Installation der Hauptfigur als Sympathieträger den Zuschauer gleichsam in dessen Leben einnistet. Kurzum: In dem Moment, in dem die Hauptfigur unter Druck gerät, gerät dies auch der Zuschauer, denn eigentlich findet man das Leben, das der Protagonist führt, ja nun auch wieder gar nicht so übel. Und dann noch: Ich denke, das Ende ist deshalb unerwartet für den Film, da er anfängt wie eine dieser typischen "Liebesschnulzen", bei denen sich am Ende das richtige Paar nach allerlei Wirrungen doch kriegt. So ist es hier aber nicht. Der Film weckt sehr lange bewusst eine Erwartung, die er am Ende nicht erfüllt.


    Im übrigen sind mir richtig schlechte Schauspielerleistungen in dem Film nicht aufgefallen - vielleicht könnte man das präzisieren?


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

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  • Sagitt meint:


    Pessimisten sind Realisten. Allen ist ein Pessimist. Natürlich gibt es heute großartige Untersuchungsmethoden, aber der Verdacht muss doch erst einmal entstehen. Unsern Täter hat niemand gesehen,keiner wusste von der Verbindung zum Opfer, ausser vielleicht der Nachbarin, die ist aber auch tot.
    Ein Kommissat findet ja Ansätze, aber es ist nur eine Theorie, er hat nichts in der Hand und dann kommt eine geschichte, die nach normalen Verdachtslagen überaus stimmig ist,ohnehin war ja die erste Hypothesenbildung der Polizei so. Jetzt ist die Geschichte ziemlich wasserdicht,auch für das Tagebuch war eine jedem Ermittler einleuchtende Erklärung gefunden worden. Und dann soll er gegen ein Mitglied der upper class weiter ermitteln ? das allerdings ist eher unwahrscheinlich, denn er muss mit Anwaltlicher Kontrolle, ggfs, Druck von oben rechnen, damit, dass in einem Gerichtsverfahren nichts herauskommt, dass seine eigene Karriere im Eimer ist.
    Realistisch ? Durchaus

  • In Köln läuft der Film auch noch und - kaum zu glauben - das Kino war am Karnevalssamstag bis auf den letzten Platz gefüllt.


    Trotz aller Spannung, der schwarz-düsteren Stimmung des Films, der Komik, fand ich die Handlung vorhersehbar. Vielleicht noch bis auf eine der letzten Einstellungen, daß die Hauptperson nicht des Mordes überführt wird. Insgesamt fand ich den Film eher langweilig und das lag vor allem an den Schauspielern. In dem Film soll doch auch die Gegenüberstellung von verschiedenen Gesellschaftsschichten dargestellt werden (oder wofür wurde der Schinken gedreht...), nur kam das überhaupt nicht rüber. Die sahen alle aus, als kämen sie frisch vom roten Teppich irgendeiner Gala.



    Grüße
    Sophia

  • Zitat

    Original von ThomasBernhard


    Woody Allens match point hat aber einige Personen gewissermassen "erzürnt", weil der Handlungsträger zuerst als Symphathieträger installiert wird und er dann aber ganz scheussliche Sachen macht. In diesem Fall erwarten die meisten Kinobesucher dann doch, daß im letzten Moment dann Reue einsetzt und der Täter sich dann der Polizei stellt, Selbstmord begeht oder sonst wie ("Auge um Auge" ) sühnt.
    Auch im richtigen Leben bin ich ja meistens der Meinung, daß, wer einen Mord begangen hat, sich damit schon die schlimmste Strafe selbst auferlegt hat (sofern er gesund ist), ob ihm die Justiz nun habhaft wird oder nicht.


    Die Diskussion um diesen Film ist zwar schon fast so alt wie der Film selbst, aber ich greife sie noch einmal auf, weil ich den Thread eben erst entdeckt habe, als ich ihn in das neue Kinoforum schob.


    Ist eigentlich nie jemandem aufgefallen, dass der Film bis in einzelne Details, aber natürlich mit einem ganz entscheidenden "Twist" die Geschichte von Theodore Dreisers "An American Tragedy" erzählt, der sowohl von Joseph von Sternberg als auch von George Stevens mit einem großartigen Darstellerensemble (Montgomery Clift, Shelley Winters, Elizabeth Taylor) verfilmt wurde? Ich habe keine einzige Kritik gelesen, in der das erwähnt wird. Dabei liegen die Parallelen auf der Hand:


    Ein junger Aufsteiger verliebt sich in ein Mädchen seines Standes, das ein Kind von ihm bekommt. Um seine Ehe mit einer reichen Erbin nicht zu gefährden, bringt er sie um. Im Original kommt er vor Gericht und wird zum Tode verurteilt, obwohl gewisse Zweifel bestehen, dass der Mord auch ein (allerdings höchst willkommener) Unfall hätte sein können. In diesem Twist, den Woody Allen in sehr gut angeeigneter Hitchcockscher Manier erzählt (man beachte das grandios überzogene Timing und die sowohl komische als auch spannende Ambivalenz der Szene, in der der Ring NICHT ins Wasser fällt), liegt das Besondere dieser Fassung des Stoffes.


    Deshalb halte ich den Film auch für Allens mit Abstand besten der letzten Jahre, obwohl er seine offenbare Quelle in allen Angaben ignoriert. Er hat nämlich wirklich eine ganz andere Geschichte daraus gemacht, obwohl er eigentlich genau die gleiche erzählt. Für mich ist MATCH POINT einer jener ganz wenigen Filme, die man eigentlich immer wieder sehen sollte, weil es stets etwas Überraschendes darin zu entdecken gibt. Und das geht weit über die vorzügliche Musikkompilation hinaus, die auch jenseits des darin liegenden Quizcharakters für jeden Klassikliebhaber ein ganz eigener Leckerbissen ist. Die Anschaffung dieser DVD sollte also für jeden Liebhaber intelligenter und vielschichtiger Flme Pflichtaufgabe sein.



    Überraschend finde ich allerdings, dass die FSK den Film bereits ab 6 Jahren freigegeben hat. Achten die nur noch auf die Details der Sex- und Gewaltszenen?


    :hello: Jqacques Rideamus

  • Mir hat er nicht so gut gefallen, das liegt aber wohl daran, daß ich seit "Manhattan" alle seine Filma an Manhattan messe. Es gibt immer mal wieder gute Dinge in seinen neueren Filmen, aber das "Gesamtkuntswerk" Manhattan hat er, so denke ich, nie wieder erreicht. Ob's vielleicht auch an der grandiosen Gerschwin Musik liegt?


    Matthias

  • Hallo Jacques R.,


    danke, dass du auf die Parallele zu Theodore Dreisers "An American Tragedy" hingewiesen hast. Ich habe mich auch bislang immer gewundert, dass diese Parallele zu immerhin einem der wichtigsten Bücher des sozialkritischen amerikanischen Realismus nie in Besprechungen auftauchte. Joseph von Sternbergs "Twist" finde ich auch immer noch sehr sehenswert.


    Woody Allen greifft m.E. ganz bewußt auf diesen Stoff zurück, versetzt ihn ganz bewußt ins neoliberale London und zeigt, was im unbedingten Aufstiegswillen von zunächst nicht einmal ganz unsympathischen Personen alles auf der Strecke bleibt, wie sie buchstäblich über Leichen gehen, wenn die ganze Existenz am individuellen Aufstieg hängt und irgendwelche Handlungsalternativen völlig undenkbar geworden sind. Die SchauspielerInnen setzen dies m.E. ganz ausgezeichnet um. Auch das beinahe stets "geleckte" im Auftreten der Personen, den Ausstattungen, etc. paßt da für mich gut ins Konzept: als Orientierung ganz am Schein, am Design, am völligen Aufgehen in der sozialen Rolle. Wo das der Schwangeren nicht mehr gelingt, muß diese "Störung", dieser Einbruch des Realen und Menschlichen halt weg.


    Woody Allens altersradikaler Film ist für mich eine der besten Neoliberalismuskritiken im Kino - neben Costa Gavras "Die Axt" und Fernando León de Aranoas "Los Lunes al Sol" oder einigen Filmen von Ken Loach.


    :hello: Matthias

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  • Ich habe mir den Film damals im Arthouse-Kino meines Vertrauens auf englisch angesehen und war absolut begeistert.


    Erstens mag ich Filme, die unerwartete/verstörende und meinetewegen auf "unhappy" Enden haben (8 femmes, Sleuth,...).


    Zweitens hat auch mich die Ästhetik des Film sehr beeindruckt. Allen verwendet Kunstgriffe aus herkömmlichen Thrillern aber nicht um primär Spannung zu erzeugen, sondern um beim Zuschauern das Gefühl zu erzeugen er könne nur zusehen wie das Unheil seinen Lauf nimmt aber nicht eingreifen. In der Szene in der er die Schrotflinte aus dem Schrank seines Schwiegervaters entfernt, stieg der Puls bei mir auf 130 und ich dachte die ganze Zeit "er wird doch nicht", aber er hat es getan.


    Weiterer Kunstgriff ist IMO, dass man als Zuschauer ab einem gewissen Punkt Mitleid mit dem Protagonisten hat und dass obwohl er ein zweifacher Mörder ist und ungeschoren davonkommt.


    Die Szene mit dem Ring ist genial weil sie beim Zuseher falsche Erwartungen weckt. Man glaubt, es sei schlecht, dass er nicht ins Wasser fällt (in Anlehnung an die Anfangssequenz) aber dann stellt es sich als Glücksfall heraus. Der Ring allein spricht ihn vom Verdacht frei.


    Am beeindruckensten war für mich die Schlussszene in der viele Dinge zusammenfielen. Das Happy End aus familiärer Sicht (endlich ein Nachkomme), die Erinnerung an den Mord und das Bewusstsein, dass er seine einzig wahre Liebe gemordet hat und er immer an sie denken wird.


    Wir haben uns den Film damals sogar noch ein zweites Mal im Deutschunterricht angesehen um das Thema Schuld und Sühne abzuhandeln (dazu ist es aber nicht gekommen und so haben wir nur den Film gesehen).


    Ich habe weder im Kino noch in meiner Klasse negative Reaktionen erlebt. Sicher, wenn man in den Film gegangen ist in Erwartung einer Allen-Komödie oder eines klassischen Hollywood-Thrillers, wurde man enttäuscht. Das liegt IMO mehr am Bild, das sie von Allen haben als am Film selber. Wer sagt außerdem, dass Filme prinzipiell gut enden müssen.



    Mein Fazit: Definitiv einer meiner Lieblingsfilme und mit unter einer der beeindruckensten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe.

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Zitat

    Original von D.Minor
    ich fand den Film eigentlich eher schwach, da ich die Story einfach nicht glauben konnte. Da kommt ein Mörder im Zeitalter von Hi-Tech Forensik einfach davon, obwohl die Polizisten einen schweren Verdacht gegen den Täter haben und wissen, dass er Zugang zu Waffen hat. Die Schwangerschaft des Opfers gibt ihnen auch nicht zu denken, na ich weiss nicht .....?
    Tolle Musik - schwache Schauspieler.


    Glaubwürdigkeit ist bei einem Film vielleicht nicht das Wichtigste. Ich fand ihn nicht mal so unrealistisch. Es liegen ja schwere Indizien auf dem Tisch, aber eine Mischung aus Vorurteilen über niedere Stände (der verstorbene Landstreicher, bei dem der Ring ja gefunden wurde) und aufstrebende, sympathische Erfolgsmenschen (Ex-Tennisprofi Chris Wilton) und glücklicher Zufall beenden die Ermittlungen.
    Und was hätte die Hi-Tech-Forensik denn noch rauskriegen sollen? Dass Nola Rice von Chris schwanger war, war nach dem Tagebuch-Fund keine große Überraschung mehr. Auf dem Ring, den Chris wohl nie mit bloßer Hand angerührt hat, wären keine Fingerabdrücke von ihm gewesen. Dass man daran irgend Genmaterial von ihm hätte finden können, wage ich zu bezweifeln.
    Wichtiger ist aber die Frage, ob die Bedeutung des gesellschaftlichen Status des Verdächtigen für den Fortgang der Ermittlungen realistisch ist.


    Die Schauspieler fand ich gut, wenngleich ihre Rollen keine Freude machen: Für mich ist Nola Rice die einzige Sympathie-Trägerin, aber als erfolglose Außenseiterin liefert sie kein attraktives Identifikationsmodell.
    Chris Wilton wirkt auf mich nicht besonders einnehmend mit seinen entzündeten Augen und seinem relativ einheitlichen Gesichtsausdruck, der vielleicht für den unbedingten Willen zum sozialen Aufstieg steht. Seine Frau ist nicht allzu sexy, sondern doch eher das hässliche Entlein in der Familie, das um die Anerkennung ihrer Eltern ringt.
    Witzige, gebildete Dialoge, wie man sie von Woody-Allen-Filmen gewohnt ist, finden zwischen diesen Figuren (einschließlich Schwager & Schwiegereltern) nicht statt.
    Sicher, der Tennislehrer liest fleißig seinen Dostojewski nebst Sekundärliteratur. Aber das findet nur Eingang darin, dass der zukünftige Schwiegervater zu seiner herrlich schrecklichen Frau sagt, Chris habe einige interessante Bemerkungen zu Dostojewski gemacht.


    Da scheint mir auch der Schlüssel für die ja hinten und vorn nicht recht passende Verwendung vom Schluss des 2. Akts von Otello zu liegen: All die Hochkultur ist in diesem Film nur als Status-Symbol und mehr als fragwürdige Aufhübschung, ja Berieselung der eigenen langweiligen Upper-Class-Existenz da. Manchmal muss man sich eben mit dem Rache-Duett zudröhnen, wenn es darauf ankommt, jetzt nicht moralisch weich zu werden. Es ist eine billige Apotheose der Rücksichtslosigkeit - ebenso wie das Sophokles-Zitat, das Chris gegenüber dem Gespenst der alten, von ihm ermordeten Frau anführt.


    Die von Chris erkämpfte Normalität, in der die Eltern schon den nächsten Enkel erwarten, ist von der Hölle vielleicht gar nicht so sehr unterschieden.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Mir hat er nicht so gut gefallen, das liegt aber wohl daran, daß ich seit "Manhattan" alle seine Filma an Manhattan messe. Es gibt immer mal wieder gute Dinge in seinen neueren Filmen, aber das "Gesamtkuntswerk" Manhattan hat er, so denke ich, nie wieder erreicht. Ob's vielleicht auch an der grandiosen Gerschwin Musik liegt?


    Matthias


    "Manhattan" war wirklich ein Glanzstück (ich vermeide bewusst Wörter wie "Meilenstein" und "Meisterwerk", weil die gerade heutzutage so inflationär gebraucht werden und nichtsssagend sind), die Musik von Gershwins "Rhapsodie in Blue", besonders am Anfang ("Er liebte diese Stadt ...") und am Ende war sehr schön eingesetzt.


    Ich bin ein Fan von Allen, habe auch viele seiner Filme gesehen, jedoch bin ich der Meinung, dass nur die 70er Jahre Filme die WIRKLICH guten waren. Allen selbst war jung und hat da Filme wie "Love and Death", "Sleeper", "Manhattan", "Annie Hall" etc. gemacht. Ab den 80ern war der Charme dieser Filme dann irgendwie weg. Es sind sicher keine schlechten Filme, aber dennoch geht mir da einfach etwas ab, das Ansehen macht mir nicht so viel Freude. Allerdings kann ich auch mit den Sachen aus den 60ern, wo er mitspielt ("What´s new, Pussycat" oder etwa "Casino Royale") nicht viel anfangen, das ist mir zu überdrehter 60er Jahre Slapstick.


    Was ich z.B. großartig bei seinen 70er Jahre Filmen finde ist der Anfang und das Ende der Filme.


    "Annie Hall" beginnt ganz plötzlich, indem Woody Allen direkt in die Kamera redet, und die Schlussszene, wo er und Annie sich trennen, ist auch genial gefilmt.


    Der Anfang von "Love and Death" gefällt mir auch sehr gut; die Kamera zeigt vorüberziehende Wolken und einen alten Friedhof, dazu wieder ein Monolog von Allen, und die Schlussszene, wo er mit dem Tod zwischen den Bäumen ins Jenseits tanzt, während Prokofievs "Troika" zu hören ist, ist ziemlich berühmt geworden.


    Und natürlich Manhattan. Wieder ein Monolog, der witzig ist und mich sofort in den Film hineinreißt, dazu verschiedene Eindrücke von New York in s/w. Und natürlich das Ende, für mich eines der schönsten Filmenden überhaupt, das gerade dadurch, das es NICHT kitischig sondern eher unspektakulär ist, spektakulär wird. Falls ihn wer noch nicht gesehen hat, will ich nicht zuviel verraten.


    Nein, ich finde, seine beste Zeit hatte er in den 70ern.




    LG,
    Hosenrolle1