An der Wiege im südschwedischen Västra ("West") Karup ist es Birgit Nilsson (geb. am 17. Mai 1918, gest. Ende Dezember / Anfang Januar 2006) bestimmt nicht gesungen worden, daß sie einmal eine der führenden, wenn nicht gar d i e dominierende Wagner-Sopranistin der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts werden sollte.
Nach ihrer eigenen Einschätzung wurden die Grundlagen für ihre Weltkarriere auf dem elterlichen Bauernhof gelegt: die robuste, unverwüstliche Konstitution habe sie von ihrem Vater geerbt, die musikalische Begabung von ihrer Mutter. Ihr Talent fiel dem örtlichen Dorforganisten auf, der sie in seinen Kirchenchor holte. Mit dem absoluten Gehör begabt (oder geschlagen, je nach Standpunkt), übernahm sie zunehmend solistische Aufgaben. Doch von einer professionellen Gesangskarriere war damals noch keine Rede.
Erst als sie mit 22 aus der Provinz in die Hauptstadt Stockholm ging (sie hatte bei einem Wettbewerb ein Stipendium für ein Studium an der dortigen Musikakademie gewonnen), erhielt sie ihren ersten professionellen Gesangsunterricht. Doch dort hatte sie wenig Glück mit ihrem Lehrer, dem schottischen Tenor Joseph Hislop, der schon den berühmten Jussi Björling unterrichtet hatte. 5 Jahre studierte sie bei Hislop, der sie dazu anhalten wollte, die Spitzentöne unter großem Atemdruck zu bilden, was ihre Stimme - so Nilsson - fast ruiniert hätte.
Auch ihre Anfänge an der Königlichen Oper Stockholm waren nicht gerade von Erfolg gekrönt. Nach einer Agathe im "Freischütz", die sie innerhalb von 3 Tagen zu lernen hatte (mit unbefriedigendem Ausgang), bekam sie ein Jahr lang keine weiteren Engagements. Erst als sie 1947 für eine erkrankte Sängerin als Lady Macbeth einspringen konnte und die Partie souverän absolvierte, mußte GMD Leo Blech seine ursprünglich schlechte Meinung über Nilsson revidieren.
Seitdem ging es mit ihrer Karriere permanent aufwärts. Sie sang sehr erfolgreich in Rollen des lyrischen und jugendlich-dramatischen Fachs wie Leonore, Senta, Marschallin und Tosca (1949 auch eine erste Brünnhilde). Auf Vermittlung von Fritz Busch hin debütierte sie 1951 im englischen Glyndebourne als Elettra in Mozarts "Idomeneo". Ein Engagement in Bayreuth, das ihr von Dirigent Hans Knappertsbusch vermittelt wurde, verzögerte sich allerdings aufgrund einer Lungenerkrankung, so daß sie erst 1953 bei den Wagner-Festspielen auftreten konnte (Sopranpartie in Beethovens 9. Symphonie unter Paul Hindemith). Dort sang sie dann als erste Bühnenrolle 1954 Elsa im "Lohengrin", mit der sie auch im selben Jahr an der Wiener Staatsoper debütierte. 1955 folgte ein erster kompletter Ring bei den Münchner Opernfestspielen, der sie fest als Wagner-Sängerin im hochdramatischen Fach etablierte.
Birgit Nilsson als Elsa (1954)
Obwohl sie bis Ende der sechziger Jahre fast alljährlich auf dem "Grünen Hügel" zu sehen war (vor allem als Sieglinde, Brünnhilde, Isolde, aber auch in kleineren Rollen), vermied sie es, auf das schwere Wagner-Fach festgelegt zu werden und erweiterte ihr Rollen-Repertoire um Turandot, Salome und Elektra sowie die großen Verdi-Rollen. Ende der 50er Jahre kam dann der Weltruhm: Covent Garden, La Scala,Teatro Colón und schließlich 1959 die Metropolitan Opera New York (Antrittsrolle: Isolde), an der sie bis 1975 sang. 1978 unternahm sie eine erste Europa- und Asientournee als Liedersängerin im Herbst ihrer Karriere, die sie sechs Jahre später schließlich beendete. Die gewitzte, selbstironische und oft auch unbequeme Nilsson nahm ihren Alterssitz in ihrer südschwedischen Heimat, gab zahlreiche Meisterklassen (u.a. an der Manhattan School of Music in New York) und schrieb ihre Autobiographie.
Birgit Nilsson als Brünnhilde
Über ihre Stimme ist immer wieder kontrovers diskutiert worden. Während sie vor allem im englischen Sprachraum als unvergleichliche Wagner-Interpretin und einzig legitime Nachfolgerin Kirsten Flagstads umjubelt wurde, mischten sich in andere Beurteilungen mehr oder minder kritische Töne. Zwar wurde ihr metallisch-voluminöser, durchschlagskräftiger Sopran mit der bombensicheren Höhe auch hier gelobt, doch man vermisste die Zwischentöne und die berührende Intensität ihrer vokal weit weniger üppig ausgestatteten Kolleginnen Varnay und Mödl. Jürgen Kesting etwa bemängelte, daß die schiere Brillanz ihres Singens manche Probleme der nicht sehr phonogenen Stimme verdecke, etwa die Bildung der Spitzentöne unter sehr großem Atemdruck, die schneidende Intensität der Stimme ohne Wärme und Farbvaleurs und eine mangelhafte Diktion, etwa in Soltis "Salome"-Aufnahme.
Birgit Nilsson und Wolfgang Windgassen in "Tristan und Isolde" (Bayreuther Festspiele)
Anläßlich des Todes von Birgit Nilsson gehen meine Fragen an die Taminoianer: Wie beurteilt ihr die Stimme Nilssons? Welche Aufnahmen von ihr sollte man unbedingt haben, welche besser nicht? Und wer kann berichten, wie ihre Stimme live im Opernhaus klang und ob sie eine gute oder eher mäßige Darstellerin war?
Grüße
GiselherHH