Was macht für Euch einen guten Dirigenten aus?

  • Was macht eurer Meinung nach einen guten Dirigenten aus?


    Was muss er haben? Was muss er können?


    Anbei bitte ich euch,eine Top 5 Liste (wenns geht,mit kurzer Begründung) zu erstellen.

  • Hallo Daniel und Rest der Welt,


    Die Frage lässt sich eigentlich nur subjektiv beantworten, d.h. also, in Wirklichkeit: Gar nicht.
    Trotzem werde ich es versuchen.
    Ein guter Dirigent muß (IMO) eine "eigene Handschrift" aufweisen, die jedoch niemals (oder nur in Ausnahmefällen) mit jener des Komponisten in Kollision geraten darf, d.h. er sollte in der Lage sein, "Werktreue" und
    "Interpretation" unter einen Hut zu bringen, ein Spagat, den nur die wenigsten schaffen. Schafft er das nun aber tatsächlich nicht, sagen wir mal in der Richtung, daß seine Eigenprägung die Tonsprache des Komponisten "übertönt" (hier wird gern Karajan zitiert, aber das ist ungerecht, das machten früher fast alle Dirigenten), so muß er das Orchester und das Publikum von seiner Auffassung überzeugen können,
    idealerweise auch noch die Kritik und seinen Schallplattenproduzenten.


    Nachdem wir hier gerade gesehen habe (zumindest hab ich es Euch suggeriert :D, daß der Idealfal kaum bis schwer erreichbar sein wird, zu den Kompromissen.


    Hier nehme ich gerne wieder Karajan als Beispiel (Dessen Thread bis heute schlummert):
    War Karajan ein guter Dirigent ?
    Die Antwort besteht aus einem Wort: JA.
    Er war mehr als das: die ideale Verkörperung eines Dirigenten, seiner Zeit -- und hier ist die Einschränkung -- seiner Zeit.
    Gerne werden heute Dirigenten mit heutigen Maßstäben gemessen, die gar nicht hätten existieren könne, hätten sie versucht zu "Ihrer" Zeit
    so zu dirigieren, wie das heute als "anstrebenswert" gilt.


    Weitere Unterfrage: Ist Popularität ein Maßstab für Qualität ?
    (Ich gehe davon aus daß das mal eine eigener Thread für alle Bereiche der Klassikinterpretation wird, daher beantworte ich die Frage hier mal gar nicht, obwohl ich sie selbst gestellt habe :P
    Na ja ein klein wenig kann man dazu schon sagen: Qualität, die nicht gesehen wird, die nicht erkannt wird, ist eigentlich nutzlos, zumindest in der Kunst.


    Nun zu meinen "guten" Dirigenten:


    Karl Böhm:


    Mozart-Dirigent mit unheimlichem Gefühl für richtige Tempi.
    Oder anders ausgedrückt, egal ob Böhm mal schneller oder langsamer dirigiert, man hat immer das Gefühl, es wäre "richtig"
    Sein Beethoven, obwohl im Schatten des damals als "moderneren"
    gesehenen Karajan stehend ist ebenfall exeptionell, das Gleiche kannüber seine Richard Strauß-Aufnahmen gesagt werden. Abgesegnet und vom Komponisten begeistert kommentiert, sind sie sozusagen eine "autorisierte Lesart" Die Opernaufnahmen sind bis heute unangefochten im Katalog der Deutschen Grammophon-Gesellschaft.
    Dazu kommt Böhms Schubert und Richard Wagner.
    Wer hiezu statements abgeben will möge dies bitte im Karl-Böhm Thread "Maßstab für 50 Jahre" tun. :)



    Rene Jacobs:


    Hiier habe ich bewusst einen heutigen Dirigenten gewählt:
    Abgesehen von seinen Spitzenaufnahmen auf dem Gebiet der "Alten Musik" macht er nun mit Aufnahmen von Mozart (Hochzeit des Figaro , Cosi fan Tutte) und Haydn (Die Jahreszeiten) auf sich aufmerksam, die sich, bei aller Individualität, hinter jenen von Böhm nicht zu verstecken brauchen. Besonders bei den beiden Do Ponte-Opern merkt man auch musikalisch die Bosheit, die hinter diesen Sujets steckt, eine Dimension, die bei Böhm völlig fehlt. Die Kunst von Jacobs besteht IMO darin, einen "anderen" Mozart zu zeigen, ohne jedoch alte Lesarten vom Podest zu stoßen oder in Frage zu stellen. Man hat einerseit das Gefühl ein anderes Werk zu hören, aber das (IMO) verstörende grelle Element eines Harnoncourt (Auch dort nicht immer !!) fehlt gänzlich. Die Musik klingt stellenweise regelrecht "giftig und boshaft" :P



    Herbert von Karajan:


    Zwar dem Schönlklang verpflichtet, jedoch nicht so, wie er uns heute auf Platte (CD) überliefert ist, da hat schon die Tontechnik auch ihren Anteil daran.Wie schon gesagt, muß man auch Karajans Aufnahmen im Kontext der Zeit sehen. Ich höre immer wieder, daß es schon damals Dirigenten gab, die "ehrlicher" interpretierten, d.h. die Brüche in den Partituren nicht kaschierten, --- mag sein --aber die waren damals halt weniger berühmt. Zudem sollte man Karajan, ehe man ihn beurteilt, möglichst selber hören und nich das nachplappern, was Feinde jeder elitären Attitüde, so gern über ihn sagen.



    Otto Klemperer


    Wie aus Stein gehauen steht sein Beethoven da, monumental und eher getragen sein Ansatz, jedoch niemals langweilig. Selbst wenn er aufhöchstem Niveau am Werk vorbeiinterpretiert ist das Ergebnis stets beeindruckend, und ich glaube auch das ist das Kennzeichen eines guten Dirigenten.



    nun der fünfte:
    Nehme ich Szell, Krips oder, Celibidache ?


    Ich nehme Szell.


    Szell wird von Sir Rudolf Bing (Generalmanager der Met für viele Jahre)
    in seinen Memoiren als äusserst unangenehmer Mensch beschrieben.
    Aber was dieser Mann aus dem Cleveland Orchestra herausholt hat weder vor, noch nach ihm jemand geschafft. Alles klingt straff, gut durchorganisiert, manch mal streng, manchmal sogar unerbittlich -- jedoch immer überzeugend, man ist fasziniert. und allein das zählt.



    Ich habe also 5 Dirigenten mit unterschiedlichem Charakter ausgewählt und Ihre Vorzüge beschrieben (bzw einige davon)
    Das heißt nicht, daß ich nicht andere 20-30 Dirigenten ebenso
    schätze. "Gut" ist ja ein dehnbarer Begriff. War zu Karajan,Bernsteins und Soltis Zeit "Universaldirigenten" en vogue, so setzt man heutzutage bei vielen Labels eher auf Spezialisten...



    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    zu dieser Frage gibt es verschiedene Ebenen der Beantwortung:


    a) der Umgang des Dirigenten mit dem Orchester. Haben Diktatoren wie Toscanini heute noch eine Chance ? Ich würde mit Radio Eriwan antworten. Im Prinzip ja. Es gibt eine große Folgebereitschaft von Musikern,obwohl sie sich als Befehlsempfänger natürlich nicht wohl führen. Celibidache bekam dies zu spüren, als er 1954 der Nachfolger Furtwänglers werden wollte


    b) die Vermittlung dessen, was man will, an das Orchester.Ich schaue mir gerne die Musiker an. Sitzen sie mehr oder weniger routiniert herum oder auf der Stuhlkante,angespannt und aufmerksam.


    c) der Eindruck auf das Publikum.Das Publikum ist natürlich nicht homogen. Die einen finden Bernstein einen entsetzlichen Herumhampler, ander goutieren, wie sehr er die Musiker förmlich anspringt.


    Mit ist ziemlich egal,ob einer herumhampelt. Aber mich interessiert,ob der Dirigent ein Orchester zu einer Spitzenleistung animieren kann ?
    Bei Norrington z.B. konnte ich das immer -auch persönlich im Konzert wahrgenommen- feststellen, bei Kleiber sehe ich die Aufzeichnungen. Ich habe aber auch Gardiner erlebt, wie er-live- quasi mit den kleinen Finger die schwierige Bach-Motette "Singet" leitet. Außerdem hat er mit ein besonderes live-Erlebnis von der h-moll Messe verschafft.
    Ich mag Dirigenten, die ein Orchester zu großer Transparenz animieren und frage mich zugleich,ob es Oase hierarchischen Tuns dauerhaft geben kann, wenn sich der Werte-Trend gänzlich zur Selbstständigkeit hin entwickelt.

  • Hallo


    Zitat

    Haben Diktatoren wie Toscanini heute noch eine Chance ?


    Nein, das ist vollkommen undenkbar. Die Pultdiktatoren (Toscanini, Reiner, Szell, ...) sind Schnee von Gestern. Musiker lassen sich das heute nicht mehr gefallen.


    Der Grund liegt zum Einen in der Emanzipation der Orchester, die heutzutage zumeist eigene Körperschaften sind, die sich weitgehend selbst verwalten, und zum Anderen in der deutlichen Aufwertung der Orchestermusiker (Gewerkschaften). Auch ein Chefdirigent ist ja meist nur ein paar Monate im Jahr vor Ort. Er wird zwar in die Entscheidungen des Orchesters eingebunden, hat aber keinesfalls das alleinige Sagen, wie es z.B. bei Reiner noch der Fall war. Auch die Hintertürvariante, dass ein Dirigent einem Orchester über viele Jahre die Treue hält, und damit zur unbestrittenen Autorität wird, kommt faktisch nicht mehr vor, oder sind Auslaufmodelle (Ansermet war fast 30 Jahre Chef des Orchestre de la Suisse Romande! Michel Plasson ist schon eine kleine Ewigkeit Chef in Toulouse...).
    Ein Dirigent muss heute von sich aus versuchen, mit dem jeweiligen Orchester gut auszukommen, ansonsten hat er keine Chance, wieder eingeladen zu werden. Es gibt so viele reisende Dirigenten, dass die Orchester ausreichend Auswahl haben.


    Ein nettes Beispiel sind die heute schon legendären Aufnahmen Fritz Reiners mit den Wiener Philharmonikern in den 50ern. Die Ergebnisse waren spektakulär, aber es reichte gerade für 2LPs, da es angeblich nahezu zum Aufstand des Orchesters kam.


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Salut,


    ohne Wertung in der Reihenfolge:


    1. sein Charakter
    2. er sollte das jeweilige Musikstück verinnerlicht haben
    3. er sollte Bezug zu dem Komponisten und seinem Werk haben
    4. er sollte das Werk mit dem Orchester erarbeiten
    5. er sollte das Werk so aufführen (lassen), dass es ihm gefällt


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo,


    Zwar habe ich die Frage schon partiell beantwortet, aber auf viele Fragen gibt es ja verschiedene (richtige) Antworten:


    Diesmal beantworte ich die Frage, eingegen meinen Gepflogenheiten ganz kurz:


    "Das Ergebnis"


    Lediglich das Ergebnis gibt Auskunft ob es sich um einen guten oder weniger guten Dirigenten handelt, das musikalische Endergebnis, fernab aller theoretisch erforderlichen Eigenschaften. Es ist hiebei völlig gleichgültig ob der Maestro beim Orchester beliebt ist (Celibidache war es nicht, Karajan des öfteren nicht, auch Böhm war nicht unumstritten)
    oder nicht, egal ob er ein Genauigkeitsfanatiker ist oder nicht, egal ob Probenfanatiker oder "al fresco"-Verfechter. Allein ein mehrheitlich überzeigendes Ergebnis zählt. Viele Wege führen zum Ziel


    Freundliche Grüße
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Ulli
    Salut,


    ohne Wertung in der Reihenfolge:


    1. sein Charakter


    Wie ist das zu verstehen? Warum sollten persönliche, nicht mit der Musik in Zusammenhang stehende Eigenschaften die Qualität eines Dirigenten beeinflussen?

    Gruß,
    Gerrit



  • Das alles traf m.E. auf den ungemein gebildeten Sergiu Celibidache zu. Ich habe kürzlich wieder einmal die Dokumentation "Celibidaches Garten" (DVD) gesehen und war sehr beeindruckt von der Probenarbeit C's. Absolut hingebungsvolles und um die kleinsten Werte ringendes Arbeiten mit dem Orchster.

  • Ein guter Dirigent ist in der Lage ein ganzes Orchester so auf sich zu focussieren, daß es ohne seine musikalischen Vorstellungen, die er im Kopf hat, in ein klingendes Ergebnis umwandelt. Das können leider nicht alle. Dirigieren ist entweder sehr leicht, da die heutigen Orchester so gut ausgebildet sind, daß sie auch notfalls ohne Dirigenten auskommen könnten, oder fast unmöglich (s.o.). Für mich gibt es da in erster Linie Furtwängler und Carlos Kleiber, die ihre Vorstellungen so auf die Musiker übertragen konnten. Karajan sicherlich auch, aber den mag ich einfach nicht, zuwenig Ecken und Kanten, für mich langweilig.

  • Hallo zusammen!


    Ein guter Dirigent ist für mich einer, wenn ich im Konzert bei dessen Schlagtechnik ich die Einsätze der einzelnen Instrumente und das Tempo eines Werkteiles unmittelbar vor dessen Ausführung erkennen kann und dessen Interpretation eines Werkes sich mit meinen Vorstellungen deckt. Ich mag Dirigenten nicht sonderlich, die zwar möglicherweise in der Probenarbeit das Werk hervorragend erarbeiten, aber bei der Aufführung "Show-Dirigate" machen, bei denen ich Einsätze und Tempo eben nicht erkennen kann, die Interpretation mag da noch so gut sein und sich auch mit meiner Vorstellung decken, aber in diesem Fall fehlt mir eine entscheidende Komponente zu meinem vollen Glück. Bei Cds greife ich dann eher auch zu Aufnahmen, deren Dirigenten mich eben im Konzert überzeugt haben, aber da steht natürlich die Interpretation im Vordergrund, die sich mit meinen Intentionen deckt.

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  • Mir ist unlängst ein Buch des langjährigen Solopaukers der Berliner Philharmoniker, Werner Thärichen, über den Weg gelaufen
    "Paukenschläge - Furtwängler oder Karajan?" Thärichen (*1921) hat 1948 unter Furtwängler angefangen und war bis in die 80er Jahre aktiv. Er schildert u.a. die Krise zwischen dem alten Karajan und dem Orchester sowie alle möglichen anderen Dinge. Nicht uninteressant, teils eine ziemliche Abrechnung mit Karajan bzw. dem Typus des modernen Jet-set-Dirigenten, den er verkörperte, und seinem Führungsstil.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat


    Das alles traf m.E. auf den ungemein gebildeten Sergiu Celibidache zu. Ich habe kürzlich wieder einmal die Dokumentation "Celibidaches Garten" (DVD) gesehen und war sehr beeindruckt von der Probenarbeit C's. Absolut hingebungsvolles und um die kleinsten Werte ringendes Arbeiten mit dem Orchster.


    Dann solltest Du lieber nicht hören, was seine Musiker (und andere, wo er gastiert hat) wirklich von ihm dachten ... :D


    Ein guter Dirigent? Man sollte sich mal die DVD-Doku "Great Conductors" anschauen, zumindest den ersten Teil (in dem Celi nicht vorkommt). in dem es um die "Klassiker" geht. Wenn man die Dirigenten bei den Konzerten bzw. Proben beobachtet, scheinen diese Leute nicht denselben Beruf gehabt zu haben. Schlagtechnik machts wohl nicht (bei Koussevitsky hätte das z.B. nicht geholfen - in der Probenaufnahme auf der DVD dirigiert er *unter* dem Pult).


    Die Kraft der Persönlichkeit scheint bei vielen Dirigenten mit ausgesucht schlechter Schlagtechnik (Furtwängler, Klemperer) wichtiger gewesen zu sein. Oder, wie es der Violinist Hugh Bean über Klemperers Jahre mit der New Philharmonia sagte: "Wir [im Orchester] haben in dieser Zeit gelernt, genau aufeinander zu hören ..." ;)


    Meine persönliche Ansicht über gutes Dirigat ist mit den Worten von Thomas Beecham zusammengefasst: "[inthe beginning] I play the whole thing through, the whole blessed thing. Naturally, the orchestra make a few mistakes. I play it through a second time. The orchestra make no mistakes. I play it through a third time, emphasizing a few points. I'm ready to perform." (Gedächtniszitat).


    Gruß, Thomas

  • Zitat

    Original von Woriviol
    Ein guter Dirigent ist in der Lage ein ganzes Orchester so auf sich zu focussieren, daß es ohne seine musikalischen Vorstellungen, die er im Kopf hat, in ein klingendes Ergebnis umwandelt.


    Ich formuliere es ein wenig um: Ein guter Dirigent ist in der Lage, ein Orchester dahin zu bringen, dass es in einer Aufführung ziemlich genau das Ergebnis zustande bringen will, das ihm vorschwebt.


    Das grundlegende Problem ist, dass man fast 100 gestandene Musiker, von denen natürlich jeder seine eigene Vorstellung von einer "richtigen" Realisierung hat, so zu motivieren, dass sie an einem Strang ziehen und zumindest überwiegend der Ansicht sind, dass das, was sie gerade zum Besten geben, eine brauchbare Variante ist. Ein erfolgreicher Dirigent ist also immer ein Experte in Gruppendynamik.


    Dein Argument gegen Karajan ist wenig überzeugend. Wir leben in einer Zeit, wo das Arbeiten von Dirigenten und Orchestern durch zeitliche und ökonomische Zwänge von höchster Effizienz geprägt ist. Kein Dirigent kann sich gegenüber irgendeinem Orchester Ecken und Kanten erlauben, dass sind bestenfalls Werbetricks, um ein Image nach Außen hin aufzubauen. Dirigenten mit Ecken und Kanten sind entweder Schnee von Gestern oder eine Chimäre.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus!


    Ich dachte bei meinen Ausführungen eigentlich eher an Daniel Harding, bei desses Festwochenaufführung von Brittens "The turn of the srew" ich ein wenig ob der fehlenden sichtbaren Schlagtechnik verzweifelt war, wohl auch weil ich damals das Werk noch nicht so gut kannte, erst später kaufte ich mir die CD und befasste mich intensiver damit.


    Zu Thielemann kann ich nur sagen, dass ich von ihm einen ausgezeichnet interpretierten "Parsifal" in der Oper hörte, aber damals nicht zum Dirigentenpult sah, und daher seine Schlagtechnik nicht beurteilen kann.


    Es kommt natürlich bei der Interpretation durch einen Dirigenten nicht nur auf die Schlagtechnik an, so habe ich es nicht gemeint, aber mir als musikalischen Laien hilft ein sichtbarer Einsatz und eine sichtbare Tempovorgabe speziell bei einem mir nicht so bekannten Werk auch zum besseren Verständnis.

  • "Das grundlegende Problem ist, dass man fast 100 gestandene Musiker, von denen natürlich jeder seine eigene Vorstellung von einer "richtigen" Realisierung hat, so zu motivieren, dass sie an einem Strang ziehen und zumindest überwiegend der Ansicht sind, dass das, was sie gerade zum Besten geben, eine brauchbare Variante ist."


    In Bezug auf ein Symphonieorchester ist diese Ansicht nicht zutreffend. Orchestermusiker spielen von sich aus im Team, und nicht jeder, beinahe keiner, will sich "eine eigene Vorstellung von einer richtigen Realisierung" machen, oder hat dazu überhaupt die Zeit. Das wird Dir jeder Profi sagen, der ein vernünftiges Verhältnis zu seiner Arbeit hat.


    Aus Disneys Peter Pan: "We're following the leader, wherever he may go." Ob es ihnen passt oder nicht. Die Stücke konnten sich die Musiker schließlich auch nicht selbst aussuchen. Sie spielen, was ihnen vorgesetzt wird. Keine Zeit für Egos, oder falsche "künstlerische Ambitionen" des Einzelnen. Sie müssen nur dazu gebracht werden, koordiniert zusammen zu spielen. Das ist schon das Wichtigste.


    Zur Befriedigung des Egos gibt es Kammerkonzerte. :)


    Gruß, Thomas

  • Hallo Erni


    Interessant. Gerade "Turn of the Screw" verlangt bei einer guten Realisierung von Dirigent und Orchester enorm viel ab, sie sind ja fast die Hauptdarsteller in diesem Stück.


    Hast du nicht die Aufzeichnung der Festvorstellung der WSO gesehen? Alfred hat (nicht ganz zu Unrecht) schon bemerkt, dass zwischen Thielemanns Optik und dem Spiel der Philharmoniker gewisse Unterschiede zu bemerken waren. Das kann nur funktionieren, wenn er sich bei den Proben mit dem Orchester gut verständigen kann, so dass sie bei der Aufführung genau wissen, was sie von seinen etwas fahrigen Bewegungen zu halten haben.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus!


    Nein, die Staatsopern-Gala habe ich verweigert. Erstens weil ich ein Galakonzert mit einzelnen Akten verschiedener Opern nicht besonders mag, so wenig wie ich Opernquerschnitte auf Cd mag, und zweitens weil ich die meisten auftretenden Sänger so in Erinnerung behalten will, wie sie in ihrer Glanzzeit waren, und nicht so, wie sie sich teilweise jetzt präsentieren, daher kann ich Thielemann eben nicht wirklich beurteilen.

  • ist die Schlagtechnik nicht dann nebensächlich, wenn das Orchester gut koordiniert spielt?


    Berichte, daß die Musiker z.B: bei Furtwängler nicht genau wußten, wann sie einsetzen sollten, sind ja weit verbreitet und legendär ("wanns uns z'bled wird...") Aber Furtwängler wird die falschen EInsätze ja trotzdem gehört haben.


    IMo gibt es zwei Typen von Dirigenten:
    - besonders begabt mit Klangvorstellung und Gehör - genaue Probenarbeit


    - charismatische, extrovertierte Persönlichkeit, - kann seine "Wünsche" gut darstellen und umsetzen



    Orchestermusiker sehen es am liebsten, wenn der Schlag möglichst klar ist, wirklich wichtig ist eigentlich nur die "eins" eines Taktes.
    Deutlichkeit ist nur ein Ziel.
    (Dirigenten, die zuviele Unterteilungen machen (im Extremfall bei Verdi Kadenzen) , rechne ich zu den Neurotikern, die alles unter Kontrolle haben wollen...)


    Bei den Orchestern gibt es verschiedene Reaktionszeiten, der Dirigent muß damit rechnen, daß er immer vorausdirigiert...
    das hängt mit Gewohnheiten der Streicher zusammen, um wirklich gemeinsam einzusetzen...
    (ein internes Wiener Geheimnis ist: nur die vorderen Pulte spielen die verlangte Lautstärke, die hinteren müssen leiser spielen... das ergäbe den typischen Streicherklang....
    normal ist, bei forte spielen alle laut..)
    Außerdem neigen die Wr.Philharmoniker dazu, ihre eigenen Interpretationen auch gegen einen Dirigenten durchzusetzen.


    was für mich einen guten Dirigenten ausmacht - aufgrund meines Berufes muß ich nehmen, was kommt; gut ist für mich einer, der nicht stur seine Meinung vertritt und sich etwas sagen läßt.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Zitat


    Außerdem neigen die Wr.Philharmoniker dazu, ihre eigenen Interpretationen auch gegen einen Dirigenten durchzusetzen.


    Keine sehr professionelle Herangehensweise. Kein Wunder, dass viele dort nicht dirigieren wollen ... ;)


    Gruß, Thomas

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  • ich nehme an mit der Ansicht bin ich nicht alleine...(Alfred? ;) )



    etwas präziser:


    Außerdem neigen die Wr.Philharmoniker dazu, ihre eigenen guten Interpretationen auch gegen einen schlechten Dirigenten durchzusetzen.


    leider nicht immer: z.B. habe ich einen katastrophalen Rosankavalier im Mai gehört; philippe Jordan - unter jeder Kritik. da haben sie schon gemacht, was er verlangt hat....

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • tastenwolf


    ist es nicht so, daß sich die Wiener Philharmoniker ihre Dirigenten selbst aussuchen? Und wenn ja - müßten sie da nicht seinen Interpretationsvorstellungen folgen?


    LG
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Zitat

    etwas präziser:


    Außerdem neigen die Wr.Philharmoniker dazu, ihre eigenen guten Interpretationen auch gegen einen schlechten Dirigenten durchzusetzen.


    Wer entscheidet das. Die Musiker im Diskurs und in Abstimmung? Wohl kaum. Es geht auch in der Praxis gar nicht: ein Orchester kann schon technisch die Tempi des Dirigenten nicht einfach in den Wind schreiben ...


    Wahrscheinlich also kein Auflehnen, sondern bloß Nachlässigkeit. ;)


    Zitat

    eider nicht immer: z.B. habe ich einen katastrophalen Rosankavalier im Mai gehört; philippe Jordan - unter jeder Kritik. da haben sie schon gemacht, was er verlangt hat....


    Da haben sie dann ja ausnahmsweise ihren Job gemacht. Nase rümpfen hinterher darf man immer, aber im Konzert gibts nur einen "Chef".


    Gruß, Thomas

  • sound67


    Zitat

    Keine sehr professionelle Herangehensweise. Kein Wunder, dass viele dort nicht dirigieren wollen ...


    Im Gegenteil! Man könnte sogar argumentieren, dass dies gegebenenfalls sogar nötig ist. Man darf nicht vergessen, dass die Wiener jeden Abend in der WSO unter wechselnden Dirigenten spielen müssen. Da kam es zumindest in der Vergangenheit schon das ein oder andere Mal vor, dass man einen Totalausfall am Pult hatte (einfach generell zu schlecht, oder an diesem Abend völlig indisponiert, oder mit dem betreffenden Stück überfordert). Die Wiener haben schon mehr als einen Abend nach Hause gespielt, ohne dass allzuviele Leute im Publikum die Miesere im Orchestergraben überhaupt bemerkt haben.


    Wenn man so gut ist, dass man notfalls ohnehin alles alleine spielen könnte, entwickelt sich naturgemäß ein entsprechendes Selbstbewusstsein, so dass man glaubt, nicht jedem Unsinn folgen zu müssen. Das mag in gewissen Fällen diskussionswürdig sein, auf der anderen Seite bewahren die Wiener ihr Publikum - dass ja sehr viel für die Konzerte zahlt und eine gewisse Erwartungshaltung besitzt - vor allzu gewagten Experimenten.



    tastenwolf


    Das ist natürlich sehr schade, gerade Rosenkavalier-Vorstellungen sollten an der WSO immer etwas Besonderes sein - aber man sieht, es geht eben doch nicht immer. Außerdem ist es ja kein Geheimnis, dass so zu spielen, wie dirigiert wird, bei den Wienern eine gefährliche Drohung sein kann...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat


    Im Gegenteil! Man könnte sogar argumentieren, dass dies gegebenenfalls sogar nötig ist. Man darf nicht vergessen, dass die Wiener jeden Abend in der WSO unter wechselnden Dirigenten spielen müssen. Da kam es zumindest in der Vergangenheit schon das ein oder andere Mal vor, dass man einen Totalausfall am Pult hatte (einfach generell zu schlecht, oder an diesem Abend völlig indisponiert, oder mit dem betreffenden Stück überfordert). Die Wiener haben schon mehr als einen Abend nach Hause gespielt


    Musiker spielen dann nicht ein Stück "alleine nach Hause", sondern sie halten sich an die Vorgaben, die ihnen ein Dirigent in den Proben gemacht hat. Sonst würde alles innerhalb weniger Minuten zusammenbrechen ...


    Zitat

    Wenn man so gut ist, dass man notfalls ohnehin alles alleine spielen könnte, entwickelt sich naturgemäß ein entsprechendes Selbstbewusstsein,


    ... Arroganz ...


    Zitat

    so dass man glaubt, nicht jedem Unsinn folgen zu müssen. Das mag in gewissen Fällen diskussionswürdig sein, auf der anderen Seite bewahren die Wiener ihr Publikum - dass ja sehr viel für die Konzerte zahlt und eine gewisse Erwartungshaltung besitzt - vor allzu gewagten Experimenten.


    Bloß keine Experimente. Das ist Dein Glaubensbekenntnis, das elfte Gebot.


    Gruß, Thomas

  • sound67


    würde mich interessieren - was hast Du an den Wr. Philharmonikern auszusetzen? Immerhin sind sie das weltbeste Orchester.


    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Zitat

    Musiker spielen dann nicht ein Stück "alleine nach Hause", sondern sie halten sich an die Vorgaben, die ihnen ein Dirigent in den Proben gemacht hat. Sonst würde alles innerhalb weniger Minuten zusammenbrechen ...


    Es gibt für Vorstellungen an der WSO in der Regel keine Orchesterproben! Die gibt es nur für Premieren und Wiederaufnahmen nach längerer Pause. Ein Dirigent hat für eine Abendvorstellung bestenfalls eine Verständigungsprobe.




    Zitat

    ... Arroganz ...


    Nenn es, wie du willst. Diese Haltung stammt vor allem aus einer Zeit, wo es wirklich Dirigenten gab, die sich als Herrscher über das Orchester gebärdeten. Das ist heutzutage ohnehin längst vorbei. Und deine frühere Bemerkung, es gäbe angeblich so viele Dirigenten, die nicht mit den Wienern arbeiten wollen, wird sich sicherlich in erster Linie auf jene beziehen, die aus verschiedenen Gründen ohnehin keine weitere Chance mehr bekommen würden.




    Zitat

    Bloß keine Experimente. Das ist Dein Glaubensbekenntnis, das elfte Gebot.


    Es ist nicht meines, sondern das der Philharmoniker.



    Im Übrigen sind deine Kommentare so was von substantiell....

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Im Gegesantz zu manchem :stumm: verbreite ich immerhin keine verkitschten Sentimentalitäten über den Alltag des Orchestermusikers, die rein gar nichts mit der Realität zu tun haben.


    Da regiert nämlich der Pragmatismus.


    Gruß, Thomas

  • Während du natürlich sehr gut über den Spielbetrieb an der WSO Bescheid weißt und nur zur Tarnung diesen Unsinn verbreitest...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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