Antonín Dvorák: Stabat mater op.58 - Grandioser Auftritt in der Albert Hall

  • Hallo Taminoianer,


    Misha fragte heute nach einer Aufnahme des Stabat mater von Dvorák.
    Drei CDs wurden ihm an anderer Stelle schon auf's Tablett gelegt, doch da ich eh irgendwann vorhatte einen Thread zu diesem Werk zu eröffnen, nutze ich die günstige Gelegenheit.


    Sein Stabat mater komponierte Dvorák in den Jahren 1876-77. Zugrunde liegt diesem Vokalwerk ein Text, der eine franziskanisch-mytische Betrachtung von Worten aus dem Johannesevangelium ist. Dieser Text stammt von dem Franziskanermönch Jacopone da Todi, welchen er um 1300 für das Fest der Sieben Schmerzen Maria gedichtet hat.


    Die Uraufführung fand am 23.Dezember 1880 unter Adolf Cech in Prag statt. Leos Janácek dirigierte die zweite Aufführung 1882 in Brünn.


    Im Jahre 1884 wurde das Werk in England unter Sir Joseph Barnby präsentiert, zwar in England erfolgreich, doch sprach sich dies nur spärlich bis nach Prag herum.
    Erst als Dvorák selbst den Taktstock auf der Insel in die Hand nahm, wurde das Heimatland des Tschechen etwas wachgeschüttelt und nahm an Entwicklungen und Geschehnissen ihres Ausreißers teil.
    Wiederum im Jahre 1884 wurde das Stabat mater aufgeführt, nur eben der Komponist am Pult stehend. In England sprach man von einer vollendeten Wiedergabe (Times) und bewunderte Dvoráks ruhige, unauffällige und doch feste Art (Morning Post) zu dirigieren.
    Seinen ersten persönlichen Erfolg auf der Insel feierte Dvorák in der Albert Hall in London und schrieb sich in die Herzen der Angelsachsen.


    Voller Entzücken schreibt er seinen Vater über die Stadt London, welche immense Größe sie doch besitzt.
    Er führt auch einen Vergleich mit der Albert Hall an, um seinem Vater die Dimensionen in diesem Lande zu verdeutlichen:


    Und wenn die gesamte Einwohnerschaft Kladnos den ungeheuren Saal besuchen würde, wo ich mein Stabat mater dirigiert habe, so wäre dort immer noch Platz genug; denn so kolossal groß ist diese Albert Hall!
    [Dvorák an seinen Vater, 1884]


    Aus einem Brief an seinen Freund Karel Brendl erfahren wir auch noch so manches über diese bewegende Aufführung des Stabat mater:


    Stell Dir das Neustädter Theater etwa fünfmalso groß vor, dann begreifst Du, was die Albert Hall ist, wo 10 000 Menschen das Stabat mater hörten und 1050 Musiker und Sänger spielten und sangen und dazu diese kolossale Orgel!
    [Dvorák an Brendl, 1884]



    Wie schon gesagt, einige CDs wurden an anderer Stelle schon erwähnt. Hier können wir aber darauf noch näher eingehen, damit sich Misha und alle anderen eine klasse Aufnahme zulegen können.


    Zu der von Markus erwähnten Aufnahme mit Sinopoli möchte ich sagen, dass ich sie mir auch fast gekauft hätte, aber Kubelik gab es im Angebot und war bei sehr guter Qualität noch 10€ günstiger zu haben.
    Dennoch werde ich mir sicher die Sinopoli Einspielung auch noch holen (die Frage ist halt nur wann...).



    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo, Maik!


    Dieses Stabat Mater von Dvorak ist für mich das überragende Werk geistlicher Musik in der Romantik, die großartigste Vertonung dieses liturgischen Textes überhaupt und mein Lieblingswerk von Dvorak.
    Daher ein dreifaches :jubel::jubel::jubel: !


    Zur DGG-Aufnahme von Kubelik habe ich hier schon etwas geschrieben.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo Pius,


    welch eine Begeisterung! An anderer Stelle hast du diese schon einmal mitgeteilt :D Eigentlich dachte ich, es war bei deinen Unverzichtbaren, aber es muss doch woanders gewesen sein.
    Dein Lieblingswerk von Dvorák - das sind bei mir derzeit seine Streichquartette (die, die ich schon kenne). Aber ich schweife ab...



    Sein Stabat mater. Ich habe keinerlei Vergleich mit anderen Komponisten, deshalb kann ich dazu überhaupt nichts sagen, aber Dvorák gefällt mir :]
    An der Interpretation habe ich nichts auszusetzen. Das Orchester trifft den richtigen Ton, um mich hineinzuziehen und zu binden. Die Sänger sind nicht aufdringlich, sondern IMO dezent und sanft - sehr gefühlvoll.



    Kubelik kann man einfach empfehlen :yes:
    Wenn ich das Werk noch genauer kenne (hab es ja erst fünfmal oder so gehört), gibt es vielleicht noch detailliertere Auskünfte.


    Ich hoffe die anderen Aufnahmen werden auch noch angeführt...besonders Sinopoli ;)
    Ich weiß, die jugendliche Ungeduld...



    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo!


    Die religiöse Tiefe dieses Werks ist für mich jedesmal wieder ein Erlebnis.
    Dvorak hatte innerhalb von zwei Jahren (1875-1877) alle seine drei Kinder verloren. In der Zeit dieser großen persönlichen Tragödien komponierte er das Stabat Mater, dessen tiefes, fast unendliches Leid er quasi selbst ertrug. Das Stabat Mater ist vielleicht die Komposition, in der Dvorak den tiefsten persönlichen Einblick gewährt. Ihm gelang schließlich die Bewältigung des Schicksalsschlags, sicher auch durch diese Komposition.


    Ich weiß allerdings nicht, ob Dvorak selbst gläubiger Christ war, oder ob sich die tiefe Religisität durch sein Unterbewußtsein in der Zeit der Krise eingeschlichen und in seinem Stabat Mater verewigt hat.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • na dann will ich Maiks jugendliche Ungeduld mal nicht länger strapazieren:


    Ja, ich habe die Sinopoli-Aufnahme und halte sie für einigermaßen perfekt - muß allerdings anmerken, daß ich keine weiteren Vergleichsmöglichkeiten habe! Vielleicht würde mich Kubeliks Aufnahme noch viel mehr begeistern!
    War jetzt keine große "Rezension" aber mir gefällt diese Aufnahme einfach sehr gut und sie erzielt jedes mal ihre Wirkung.


  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Hallo Pius!



    Nun, soeben habe ich etwas dazu gelesen und möchte es dir und euch allen nicht vorenthalten.


    Als Dvorák mit den Skizzen zur Vertonung anfing, schrieb er zunächst 'nur' unter dem Eindruck des Todes seiner Tochter Josefa. Die erste Tochter Dvoráks verstarb (ich weiß nicht wie alt, es war 1876, 1873 heiratete er Anna - weiß vielleicht einer, wie alt Josefa war? - sehr alt auf alle Fälle nicht...) und anderthalb Jahre später starb auch Dvoráks zweites Töchterchen, auf tragische Weise: die elfmonatige Ruzena trank eine Phosphorlösung, als sie gerade einmal nicht beobachtet wurde, woran sie verstarb. Das ganze Unheil nimmt seinen Lauf, als er gerade einmal drei Wochen später seinen Erstgeborenen ( er war dreieinhalb) Sohn Otakar verloren hat - die Windpocken diesmal als Todesbringer.
    In gut anderthalb Jahren musste Dvorák den Verlust seiner ersten drei Kinder verkraften...


    Nun beantworte ich dir, Pius, deine Frage: Dvorák war Katholik.
    Deshalb kramte er auch seine Skizzen heraus und suchte Zuflucht in der Religion - in der Musik.
    Schmerz und Glaube verschmolzen in seinem Stabat mater.



    Nachher ergänze ich noch das, was ich jetzt vergessen habe, aber ich gehe jetzt schlafen - zudem ist es bewegend, so etwas nicht nur zu lesen, sondern auch zu schreiben...


    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo, Maik!


    Zitat

    Original von Maik
    Nun beantworte ich dir, Pius, deine Frage: Dvorák war Katholik.


    Das bin ich auch - auf dem Papier.
    Meine Frage ging eher in die Richtung, ob es bekannt ist, daß Dvorak ein (sehr) religiöser Mensch war oder ob er mit Religion eher weniger am Hut hatte (so wie Brahms).


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo Pius,


    darüber habe ich bisher nichts gelesen - wenn ich Genaueres erfahre, teile ich es dir mit, inwiefern er seinen Glauben ausübte und lebte (so, denke ich, meinst du es ja).



    Was ich noch von heute Nacht ergänzen möchte ist nicht viel und auch nur etwas Allgemeines zum Werk.
    Dvoráks Stabat mater war sein persönlich erster großer Höhepunkt im vokalen Schaffen. Er lehnt sich zwar bei dem Werk wohl auch etwas bei Bach, Händel und Beethoven an, bleibt aber seinem Stil immer treu - das Werk trägt eben seine Handschrift. Das bezieht sich auch auf sein anderes sakrales Schaffen - er sucht eine gewisse Anlehnung an die 'großen Meister' ohne sich und seinen Stil zu verlassen, zu verleugnen.
    Zudem ist es das erste große tschechische musica sacra überhaupt...


    Das nur so am Rande.
    Ich weiß, dass hier noch Taminos Aufnahmen kennen - also raus damit!
    Wie schaut es denn mittlerweile bei dir aus, Misha?



    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Zitat

    Original von Pius
    ob er mit Religion eher weniger am Hut hatte (so wie Brahms).


    Immerhin hat Brahms ja angeblich so gut wie kein anderer Musiker seiner Zeit die Bibel gekannt. Oder ist das eine überzeichnete Legende?


    Maik, hast Du nun eigentlich die Sinopoli-Aufnahme? Klassik-heute vergab 10/10 Punkte und rief sie zur neuen Referenzaufnahme aus!

  • Hallo Markus,


    nein, ich habe noch nur die Kubelik Aufnahme. Sinopoli muss sicher noch etwas warten, da ich 1) mit Kubelik zufrieden bin und 2) ja nicht immer gleich eine weitere Interpretation brauche, denn 3) ist Sinopoli auch nicht gerade billig und 4) kann ich mich mit dem Geld auch erst einmal in anderen Bereichen tummeln.


    Aber sie wird sicher kommen, denn bevor ich mir Kubelik zulegte dachte ich auch an Sinopoli, aber der Preis (Kubelik war dort noch heruntergesetzt!) war einfach vorteilhafter...


    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Pius & Maik


    Oh ja, Dvorak war zu tiefst gläubig, darf man den verfügbaren Biographien Glauben schenken. Doch auch seine Briefe belegen seine tiefe Religiosität.
    Seine ungebrochene Bewunderung und tief empfundene Freundschaft für Brahms, die natürlich auf Gegenseitigkeit beruhte, wurde nur durch sein noch tiefer sitzendes Unverständniss getrübt, wie ein Mann, der solch große Musik schreiben kann, Atheist sein kann. Dvorak war über diesen Umstand geradezu schockiert.


    LG
    Wulf.

  • Hallo Wulf,


    schon erstaunlich, denn gerade gestern habe ich mit Pius das 'Problem' klären können.


    Ich zitiere auch dir/euch diesen Ausschnitt einmal:


    […]ein Katholik von völlig integrer Frömmigkeit, der noch als alter Mann schier fassungslos über seinen Freund berichtet: Solch ein Mensch, solch eine Seele – und er glaubt an nichts, er glaubt an nichts!


    [Biografie, Honalka; Kapital Brahms und die <Slawische Periode>; S.50]


    Ich finde gerade aus dem von Dvorák gesagtem kann man auch etwas von seiner persönlichen Einstellung zum Glauben erkennen – jemand der selbst nicht glaubt, würde so etwas wohl kaum aussprechen.


    Der Freund, über welchem er dies sagt, ist Brahms - damit keine Missverständnisse aufkommen.


    Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo werte Dvorak-Freunde und Stabat mater Interessierte,


    mich treibt es jetzt einfach diesen Thread wieder nach oben zu holen, dieses atemberaubende Werk wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken - dem Werk einfach einmal mehr Licht zu spenden, welches es absolut verdient!


    Mittlerweile besitze ich neben Kubelik auch die Sinopoli-Einspielung - und ich bin immer mehr überwältigt!
    Mich hat diese Interpretation in ganz neue und unbekannte Tiefen geführt! Alles begann eigentlich im Sommerurlaub bei Thomas auf der Couch, als ich den Klängen mit geschlossenen Augen lauschte - mehr als nur volle Konzentration auf die Musik. Die Gedanken gingen zu Dvorák selbst - sein Lebenszustand, alles was er durchmachte, als er Note für Note niederschrieb und seiner Trauer und Leiden Luft verschaffte...es schauderte in mir, die Haare kräuselten sich und Tränen standen mir in den Augen. Das dürfte der bewegenste Moment meiner musikalischen Erfahrungen gewesen sein.
    Diese Musik drang so tief in mich hinein - seitdem ist das Stabat mater dolorosa ein sehr entscheidender Teil des Werkes, denn ich werde hier sofort in die richtige Stimmung gesogen - ich kann mich dem eigentlich gar nicht mehr wirklich selbst entziehen, da die Musik mich zieht und zwingt...Sinopoli. Ja - hier ist es so. Seltsamerweise ist es mir bei Kubelik - sowie bei Rilling, der meine Einspielungen auch bereichert hat - nicht so, jedenfalls ist es mir dort nicht bewusst aufgefallen.


    Ich bin im Moment wieder von frischen Eindrücken überflutet, wodurch es mir schwer fällt mich auszudrücken. Ich hoffe aber, ihr seht es mir nach.


    Irgendwie möchte ich jetzt auch erst mal noch beim Stabat mater dolorosa bleiben, weil ich einfach überwältigt bin, welche Auswirkungen dieser erste Teil vollbringt!
    Die wiederholten Steigerungen, endend mit einem 'fürchterlichen' Ausbruch (auf alle Fälle beim Juxta crucem lacrimosa, aber auch bei anderen Textpassagen - nur hab ich's net so mit dem Latein, dass ich euch da so genau Stellen sagen kann - wenn man es hört, merkt man es schon!) erwecken in mir immer wieder das Gefühl eines mehr als nur verzweifelten Hilferufes - eines Rufes in die stille, ruhig dahintreibende Nacht: Warum muss ich das erleben? Warum nur?! - Ein Schrei in den Himmel zu Gott, ob er einen verlassen hat. Einerseits verzweifelt, aber auch mit Sehnsucht, Schmerz und dennoch Hoffnung gefüllt. Innerlich bebt einem der ganze Körper, das Herz schlägt schneller und ich mache eine kraftvoll flehende Handbewegung mit der Musik mit - der ganze Körper ist voller Anspannung erfüllt. Es ist eine Bewegung, die diesen Schrei dann in mir auch zum Ausdruck bringt - es muss raus, diese Gefühle können nicht einfach durch die Musik in mich hinein und dort verweilen - dazu ist es einfach zu intensiv.
    Diesem Schmerz, diesem Leid werden die Fesseln gelöst - eine Befreiung von solchen Qualen...


    Gefühle, die so im ersten Teil des Werkes in mir wach werden und die ich selbst durchlebe...und trotz allem - dieser doch eher trauriggestimmten Gedanken - ist es ein himmlisch schönes Empfinden, dennoch lösen diese Klänge eine musikalische Befriedigung in mir aus, wie eine innere Läuterung des Geistes.


    Schönen Abend, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo Maik,


    da schreibt halt ein echter Dvorak-Fan :yes: - eine sehr schöne, intensiv empfundene Beschreibung dieses großartigen Chorwerks, die Du da verfasst hast!


    Die Einspielung von Sinopoli, die Du erwähnst, hat mir von allen mir bisher bekannten Aufnahmen auch am besten gefallen. Liegt vielleicht auch am neueren Aufnahmedatum - der Klang ist exzellent, gerade auch an den etwas "massiveren" Stellen.


    Wenn man das Werk schon einmal einstudiert und selbst mitgesungen hat (ich bin in der glücklichen Lage, das von mir behaupten zu können), sieht man es vielleicht noch aus einer ganz anderen, irgendwie noch persönlicheren Perspektive - schwer zu beschreiben - man hat immerhin mehr oder weniger intensiv in den Noten "gearbeitet" und ein paar Einblicke in kompositorische Zusammenhänge gewinnen können. Außerdem hat man einen persönlichen Beitrag zum Gelingen einer Aufführung dieses Werk erbracht, das lässt einen nicht unbeeindruckt.


    Der von Dir erwähnte erste Satz mit den zweimaligen gewaltigen Steigerungen, die in diesen Ausbrüchen der absoluten Verzweiflung kulminieren, ist wirklich äußerst beeindruckend, ebenso der mit schmerzvollem "Herumtasten" zu charakterisierende Beginn - bevor sich eine wie gestammelt wirkende erste Phrase des Chors überhaupt entwickeln kann, gibt es da diese mit dissonanten Reibungen versehene Orchestereinleitung, die ebenfalls ein einziges, ungleich leiseres, inneres Aufschreien und Verwzeifeln darstellt.


    Mindestens ebenso beeindruckend finde ich aber auch den Schluss-Satz, der mit dem Aufgreifen dieser Einleitung anhebt und dann im für mich absoluten Höhepunkt gipfelt, wenn der Chor wie eine vollstimmige Orgel im fortissimo ohne Orchesterbegleitung die Worte "Quando corpus morietur,/ Fac, ut animae donetur/ Paradisi gloria." intoniert - diesmal aber im schönsten Dur-Klang, voller Hoffnung und Zuversicht - das ist für mich immer die maximale Gänsehautstelle - nicht nur beim Singen - gewesen! Wahnsinn!!
    Und das Ganze löst sich dann im abbschließenden Jubel der Amen-Fuge, die das Werk dann aber - und das spricht für Dvoraks Genialität - nicht mit wuchtigem Dur-Akkord-Lärm enden lässt, sondern wiederum zu einem leisen, sphärischen Ende führt, eine kleine Himmelfahrt der besungenen Seele quasi.


    Zwischen diesen beiden Sätzen liegen 8 mit ganz unterschiedlichen Stimmungen versehene Sätze, die die Entwicklung von der hoffnungslosen Verzweiflung zu Beginn bis zur Fähigkeit zum abschließenden Hoffen (und Jubeln) sehr eindrucksvoll verdeutlichen.
    Darunter auch so schön böhmisch-volkstümlich klingende Sätze wie die Nr. 5 (Chor "Tui nati vulnerati") oder Nr. 7 (Chor "Virgo virginum praeclara") - die so wunderbar warm und tröstlich klingen.


    Nichts gegen die virtuosen und klangschönen Stabat mater-Vertonungen anderer Komponisten wie Pergolesi, Haydn oder Rossini - aber am überzeugendsten von allen Stabat mater-Kompositionen finde ich definitiv die von Dvorak! :jubel:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Soeben brachte Bayern 4 Klassik live aus dem Herkulessaal der Residenz die Liveübertragung des Werks mit Luba Orgonáová (Sopran), Birgit Remmert (Alt), Piotr Beczala (Tenor) und Franz Hawlata (Bass) sowie Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Robert Braunmüller führte für die Münchner „Abendzeitung“ (25.5.2007) mit Harnoncourt ein Gespräch, aus dem folgende Feststellungen interessant sein mögen: man werde bei ihm (Harnoncourt) wenig Sattheit finden, das Stück sei ganz aus der Stille konzipiert, bei den Proben sei es die Hauptarbeit gewesen, das Werk trotz der Stille klingen zu lassen; er halte sich ziemlich genau an die Metronom-Angaben, sein "Amen" sei schneller als bei tschechischen Dirigenten, „Molto tranquillo" stehe nur in den Stimmen der ersten Geigen. Er habe mit Experten telefoniert. Es gibt - so Harnoncourt - zwei feindliche wissenschaftliche Ausgaben die die gleichen Quellen verwenden, aber verschieden werten. Harnoncourt dirigiert aus der neuen Edition des Münchner Dvoräk-Experten Klaus Doge, die noch einige Druckfehler enthalten soll. Alice Harnoncourt las die konkurrierende Partitur bei den Proben mit.
    Mein Höreindruck (das erste Mal dieses wunderbare Werk gehört):
    Den Schmerz wie die Hoffnung und den Trost musikalisch evident machen – bei Harnoncourt lebt man von der ersten großen Steigerung an mit beim Hören dieser unglaublich innigen Musik. Das ist wie Schubert, nur halt von Dvorak. Eine innige, große Marienklage, auch mit einigen (wenigen) fast opernhaft dramatischen Momenten darin. Es dominiert aber die Zartheit des Geflechts bei Harnoncourt, das „Stück aus der Stille heraus“, wie er es im Gespräch mit Braunmüller betont hat. Ganz großartig die „totale“, euphorische Steigerung und der Ensemble-Jubel gegen Ende zu, das kommt wie eine Befreiung.
    In ein paar Monaten wird die CD mit dieser Besetzung erscheinen.


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Zitat


    Original von Alexander_Kinsky:
    In ein paar Monaten wird die CD mit dieser Besetzung erscheinen.


    Wird besagte CD noch erscheinen? Bei welchem Label?


    Gruß,
    Jonathan

  • Zitat

    Original von Jonathan Feller


    Wird besagte CD noch erscheinen? Bei welchem Label?


    Gruß,
    Jonathan



    Ohne es mit Sicherheit zu wissen: ich vermute mal, der Dvorak-Mitschnitt wird ebenso bei Sony/RCA erscheinen wie die Aufnahme von Schumanns "Das Paradies und die Peri" mit Harnoncourt und dem Chor/Symphonieorchester des BR. Und beim Schumann-Werk sind vom Konzert bis zur Veröffentlichung der Aufnahme zweieinhalb Jahre vergangen - wenn's bei Dvorak ähnlich läuft, kann es noch anderthalb Jahre dauern, bis die CD auf dem Markt ist.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Ohne es mit Sicherheit zu wissen: ich vermute mal, der Dvorak-Mitschnitt wird ebenso bei Sony/RCA erscheinen wie die Aufnahme von Schumanns "Das Paradies und die Peri" mit Harnoncourt und dem Chor/Symphonieorchester des BR.


    Die CD ist dann doch relativ schnell erschienen - gerade im "Was hört Ihr gerade jetzt"-Thread in einem Beitrag von Thomas Bernhard entdeckt:





    Für die Schilderung von Höreindrücken wäre ich dankbar!



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht



    Für die Schilderung von Höreindrücken wäre ich dankbar!


    Zunächst einmal eine (gute!?) Nachricht: es scheint sich nicht um einen Livemitschnitt zu handeln sondern um eine sorgfältig produzierte Aufnahme unter Studiobedingungen (Herkulessaal, 24.-26.6.2007)


    Da ich auf einem gewaltigen Berg ungehörter CDs sitze, kann das noch ein bisschen dauern, bis ich das Stabat Mater vollständig und in Ruhe durchgehört habe. Den ersten Satz hab ich allerdings durchgehört: Harnoncourt hat einmal mehr die Langsamkeit für sich erfunden, ich meine das in einem ganz positiven Sinne, denn er kann die Spannung auch aufrechterhalten. Wie sich die neue Harnoncourt-Aufnahme zu meiner bisher favorisierten Sinopoli- oder der Kubelikaufnahme verhalten wird, kann ich noch gar nicht abschätzen, aber als akustisch perfekt produzierte Aufnahme, die in einer ganz innigen, unaufdringlichen, zurückgenommenen Art interpretiert wurde, ist sie mir sehr willkommen! Aber jetzt muß ich erstmal weitere Höreindrücke sammeln. Das Booklet stammt wieder vom Taminokollegen B-G C.


    :hello:



    Die Satzdauern (NH und zum Vergleich Giuseppe Sinopoli, der ist ja auch meist recht langsam)


    NH: 1: 20:32, 2: 11:29, 3: 7:05, 4: 9:14, 5: 5:11, 6: 6:55, 7: 6:46, 8: 5:25, 9: 6:05, 10: 7:40


    GS: 1: 20:36, 2: 11:27, 3: 7:49, 4: 9:45, 5: 4:50, 6: 6:49, 7: 6:35, 8: 4:42, 9: 6:16, 10: 8:45

  • Zitat

    Original von ThomasBernhard
    Zunächst einmal eine (gute!?) Nachricht: es scheint sich nicht um einen Livemitschnitt zu handeln sondern um eine sorgfältig produzierte Aufnahme unter Studiobedingungen (Herkulessaal, 24.-26.6.2007)


    Und jetzt die schlechte Nachricht:


    Sony hat heute besagte Aufnahme mit Harnoncourt vom Markt genommen. D.h. sie darf nicht mehr verkauft werden. Grund dafür: Ein beteiligter Akteur soll seine Genehmigung zur Veröffentlichung zurückgezogen haben. Wen es interessiert, um wen es sich handelt, kann das vielleicht nachhören, vorausgesetzt, er hat die Aufnahme noch ergattern können.



    LG, Peter.

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von petemonova
    Und jetzt die schlechte Nachricht:


    Sony hat heute besagte Aufnahme mit Harnoncourt vom Markt genommen. D.h. sie darf nicht mehr verkauft werden. Grund dafür: Ein beteiligter Akteur soll seine Genehmigung zur Veröffentlichung zurückgezogen haben. Wen es interessiert, um wen es sich handelt, kann das vielleicht nachhören, vorausgesetzt, er hat die Aufnahme noch ergattern können.


    Das gibt's ja wohl nicht... 8o Holt man als einigermaßen professionell agierende Firma solche Genehmigungen nicht vor der Veröffentlichung ein? Oder kann ein Beteiligter seine Genehmigung einfach mal so widerrufen, wenn ihm was nicht passt?


    Bei jpc haben sie's schon rausgenommen, bei Amazon steht's noch drin.


    Wenn ich einen Tip auf den "beteiligten Akteur" abgeben darf: Hawlata?



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd!


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Das gibt's ja wohl nicht... 8o Holt man als einigermaßen professionell agierende Firma solche Genehmigungen nicht vor der Veröffentlichung ein? Oder kann ein Beteiligter seine Genehmigung einfach mal so widerrufen, wenn ihm was nicht passt?


    Sie werden die Genehmigung sicher vor der Veröffentlichung bekommen haben. Es scheint aber tatsächlich der Fall zu sein, dass man auch ein Recht auf Rücktritt von der Genehmigung hat... :rolleyes:


    Zitat


    Wenn ich einen Tip auf den "beteiligten Akteur" abgeben darf: Hawlata?


    Richtig getippt. Es sollen wohl vernichtende Kritiken über ihn in dieser Aufnahme kursieren, die er sich wohl damit jetzt ersparen wollte.
    Genau weiß ich es aber auch nicht.



    LG, Peter.

  • Hallo Peter,


    danke für die Auskunft!



    Zitat

    Original von petemonova


    Richtig getippt. Es sollen wohl vernichtende Kritiken über ihn in dieser Aufnahme kursieren, die er sich wohl damit jetzt ersparen wollte.
    Genau weiß ich es aber auch nicht.


    Man kennt doch seine Pappenheimer :D. Ich habe Hawlata in letzter Zeit nur als Wagner-Interpret gehört, aber das hat schon gereicht... :rolleyes:


    Merkwürdig ist die Sache mit der widerrufenen Genehmigung aber trotzdem.



    Viele Grüße


    Bernd

  • komisch, komisch... und äusserst bedauerlich, dass so etwas passieren kann... gerade dem mit Teldec gebeutelten NH...


    Ich fand beim ersten Durchhören eher den Tenor stellenweise etwas knödelig (aber im Gesamteindruck letztlich auch klar positiv). Na dann freu ich mich, am Wochenende nochmal meine exklusive CD durchzuhören. Mit auf den Baß zielgerichteten Ohren.