absurde Bewertung bei Musikwettbewerben

  • keine Sorge, ich meine nicht provokant den Großteil aller Bewertungen in klassischen Wettbewerben, sondern eine vielgeübte Praxis:


    darf ich verallgemeinernd so darstellen:


    die Größe und Bedeutung eines Wettbewerbs, die "Anziehungskraft" auf die Musiker, hängt ausschließlich mit der Höhe des Preisgelds zusammen.


    um viele Musiker aus der ganzen Welt als Teilnehmer zu gewinnen, braucht man schon einen ersten Preis von ca 10.000€ - erst eine derartige Summe garantiert höhere Teilnehmerzahlen.


    die raffinierte Taktik, die ich seit Jahren beobachte, besteht darin, den ersten Preis immer häufiger nicht zu vergeben.


    Künstlerische Gründe lassen sich immer irgendwie konstruieren...die Behauptung, der beste der Finalisten sei z.B: eben nicht gut genug für den ersten Bachpreis. - habe eine solche Entscheidung live erlebt bei Ragna Schirmer -1996 zweiter Preis bei Nichtvergabe des ersten Preises
    (dazu muß ich berichten, daß sie während des Spielens der Goldbergvariationen plötzlich vergaß , daß die zweite Wiederholung nicht gespielt werden sollte - als möglicher Grund für Minuspunkte...)


    Was haltet Ihr von der Absurdität, z.B: drei dritte Plätze zu vergeben, oder nur einen zweiten etc. oder auch gar keinen Preis?


    Bei Sportveranstaltungen kann man ja auch nicht sagen: der Gewinner über 100m war immerhin 3 Zehntel über dem Weltrekord - das ist höchstens ein dritter Platz?


    diese Praktiken stellen den Sinn von Wettbewerben immer mehr in ein fragwürdiges Licht...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Zitat

    Original von tastenwolf


    Was haltet Ihr von der Absurdität, z.B: drei dritte Plätze zu vergeben, oder nur einen zweiten etc. oder auch gar keinen Preis?


    Salut,


    grundsätzlich ist das schon [theoretisch] nachvollziehbar, dass es keinen "würdigen ersten Platz" gibt. Allerdings unter dem Hintergrund, das Preisgeld dadurch nicht herausrücken zu wollen und dies letztlich lediglich als Verlockung einzusetzen, finde ich das -gelinde ausgedrückt - äußerst fragwürdig. Da sich diese Praktik aber derzeit wirklich durchsetzt, werden auch die Tage gezählt sein, an denen die Teilnehmer so blöd sind, das Spielchen mit zu machen.


    Der Anzeiz eines Preisgeldes in dieser Höhe ist insofern gut, da er eben auch die entsprechend erforderliche "Qualität des Künstlers" beeinflusst.


    Letztlich ist immer die Frage, wer kann dies eigentlich beurteilen?? In meinen Augen [Ohren] nur jemand, der besser ist... ein Teufelskreis.


    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Vom 12. bis 15. September 2005 fand in Helsinki der alle 5 Jahre ausgetragene Sibelius Dirigenten-Wettbewerb statt, den im Jahre 2000 der Este Olari Elts gewonnen hatte. Diesmal gab es ein überraschendes Ergebnis : Zwar ließ die Jury unter Vorsitz von Esa-Pekka Salonen drei Dirigenten ins Finale kommen, den Griechen Andreas Tselikas, den Japaner Shuntaro Sato und den Finnen Jan Söderblom, doch Salonen gab nach dem Finale bekannt, das Niveau der drei Finalisten sei so enttäuschend gewesen, daß die Jury sich entschlossen habe, weder einen ersten noch einen zweiten noch einen dritten Preis zu vergeben!!!


    Der Vorsitzende der Gesellschaft zur Entwicklung und Unterstützung junger Dirigenten, die hinter diesem Wettbewerb steht, kommentierte diese Entscheidung, die auf allgemeines Unverständnis stieß : Der finnische Leichtathlet und spätere Musiker Tapio Rautavaara habe 1948 bei den Olympischen Spielen in London im Speerwerfen die Goldmedaille geholt, obwohl es eine schwache Konkurrenz gewesen sei.


    Sune

  • Wettbewerbe in Bezug auf klassische Musik halte ich prinzipiell für fragwürdig, weil sie aus meiner Sicht ungeheuren Schaden anrichten.
    Andererseits sind sie - so scheints- unverzichtbar - weil publicitywirksam - also nehmen wir sie ruhig in Kauf.


    Die Nichtvergabe eines Ersten Preises halte ich AUSSCHLIESSLICH unter EINER BEDINGUNG für legitim:


    Die beiden Bestplacierten sind so "gleichwertig" (was immer das heißen mag), daß die Jury sich nicht auf einen Sieger einigen konnte.
    In einem solchen Falle müsst der erste und der zeite Pris zusammengelgt werden und zwischen den beiden Teilnehmern 1:1 aufgeteilt werden.


    Eine Nichtvergabe eines ersten Preises halte ich für fragwürdig.


    Natürlich könnte es sein, daßdie Qualität der Künstler nicht immer gleich hoch ist - aber auch wenn die Callas einst "besser" war has die Sängerin X - so ist X ja doch die "beste" LEBENDE Sängerin ihres Fachs. Damit muß man eben leben.....Glücklicherweise gibt es die Schallplatte - ein unbarmherziges, wenn auch nicht ganz objektives Messinstrument.


    Vielleicht sollte ich noch kurz anreissen was an Wettbewerben aus meiner Sicht so gefährlich ist:


    Die Teilnehmer spielen für die Jury und deren (oft bekannte) Vorlieben - nicht fürs Publikum - und schon gar nicht für sich selbst.
    Dadurch wurden viele "Unarten" ausgemerzt, die früheren Generationen von Pianisten (und auch Geigern Sängertn ets) ihre Unverwechselbarkeit gab....


    LG


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Genau - eigentlich traurig, daß es schon bei Jugendlichen praktiziert wird, die sich mit Ungerechtigkeiten noch schwerer abfinden können.


    Ullis Formulierung ist herrlich: wer ist ein würdiger Sieger?
    - wenn man dann noch frühere Preisträger erwähnt, dann wird eine zusätzliche Vergleichmöglichkeit eröffnet:


    als ob es für die jungen nicht schon schwer genug wäre, gegen die "übermächtige" konkurrenz vergangener Größen zu bestehen...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Hier kommt nun der Mathematiker in mir durch, der immer alles logisch erfassen möchte:


    Es gibt zwei Fälle:


    1. Der Wettbewerb ist so ausgeschrieben, daß der den ersten Preis bekommt, welcher der Beste aller Teilnehmer ist. Dann hätte sogar ich die Chance, einen Preis zu bekommen, wenn ich denn der einzige Teilnehmer wäre. 8)
    In einem solchen Fall keinen ersten Preis zu vergeben wäre - schlicht - Betrug.


    2. Der Wettbewerb ist so ausgeschrieben, daß man, um einen bestimmten Preis zu erlangen, gewisse Anforderungen erfüllen muß. Wenn das dann keiner der Kanidiaten schafft, so ist es nur folgerichtig, keinen ersten, zweiten, ... Preis zu vergeben.


    Ich weiß nicht, wie solche Wettbewerbe ausgeschrieben sind, und welche Richtlinien es für die Juroren gibt. Erst wenn man das weiß, kann man den angesprochenen Sachverhalt beurteilen.


    Schöne Grüße von Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • ich denke, daß mit deiner zweiten Definition das Problem genau beschrieben ist:
    es sind gewisse Anforderungen zu erfüllen - jedoch hat jeder Juror eine eigene Vorstellung davon


    irgendwie ist es IMO verständlich: ein erster Preisträger sollte unumstritten der beste sein.
    Wenn es bei allen Kandidaten Vorbehalte gibt, kann ich die Nichtvergabe des ersten Preises verstehen, nicht aber die des zweiten und dritten!


    der einfachste Kommentar der Jury lautet: er/sie hat nicht völlig überzeugt


    läßt sich das nicht auch bei den Größten immer wieder sagen, daß verschiedene Leistungen nicht überzeugen. - oder ist bei jenen plötzlich eine Art Toleranz vorhanden, da sie sich ihre Lorbeeren schon verdient haben...?


    In das Lamento einzustimmen, daß das Niveau früher höher war, ist sehr leicht, dazu braucht man keine schlüssige Erklärung...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
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  • Nun will die Welt ja offenbar Wettbewerbe haben.


    Die Beobachtung mit der steigenden Zahl zweiter statt Erster Preise kann ich nicht teilen. Gerade der Dauer-Zweite Preise-Verteiler ARD München hat sich da schon sehr gebessert. Mögliches Argument: Wenn bei uns nur Zweite vergeben werden, sind wir vielleicht als Wettbewerb nicht gut genug...


    Spannend finde ich die Wettbewerbe eigentlich am meisten in den ersten Runden. Da kann man am Weiterkommen und Ausfallen der Kandidaten oft schon die komplette Jurybesetzung ablesen.


    Einen harten Konkurrenten für den eigenen Schüler haut man nämlich am besten in der ersten Runde raus. Da sind noch nicht so viele Zuhörer im Saal und es fliegen so viele, dass man nicht mehr alles im einzelnen im Kopf hat.


    Das ist nebenbei auch der Grund dafür, dass viele jüngere Musikerinnen und Musiker eine krude Mischung von Lehrern in Ihrer Ausbildung genossen haben. Das sind dann die Namen derjenigen, die am häufigsten in den Jurys internationaler Wettbewerbe sitzen. Und die schmeißen ja nicht ihre eigenen Schüler raus.



    :angel:


    Michael

  • Hallo Michael,


    du kennst das wohl auch aus eigener Erfahrung...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

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  • Nein, Wolfgang...


    der einzige Wettbewerb, an dem ich teilgenommen habe, war Jugend musiziert vor hunderttausend Jahren und da habe ich so grottenschlecht gespielt, dass ich rausfliegen musste.


    Und die Jurys, in denen ich bis jetzt gesessen habe, waren recht bunt gemischt und daher nur schwer "käuflich"



    LG
    M

  • Das Problem ist nicht die Käuflichkeit, sondern der Kompromiss. Man einigt sich oft nicht auf den subjektiv besten Kandidaten, weil man ihn nicht durchbringt. Allen Menschen recht getan... Große Künstler polarisieren. Da sie niemals der Kompromiss sein können, haben sie weniger Chancen.

    ...

  • Das kann ich nachvollziehen. Vielleicht sollte man einen Wettbebwerb gründen, in dem nur die teilnehmen, die in einem großen Wettbebwerb NICHT ins Finale gelangt sind. Das muss nicht heißen, dass da nur Genies auftreten, aber lustig könnte es sein.


    LG
    M

  • Edwin, wenn du meinst, daß große Künstler niemals bei Wettbewerben gewinnen können, dann stellst du diesem Betrieb ein furchtbares Zeugnis aus!
    Und es würde ja heißen, daß die Preisträger automatisch in der Versenkung verschwinden, weil sie eben nur Kompromißlösungen sind. (das ist natürlich auch zu beobachten...)


    bei aller Abneigung gegen Wettbewerbe glaube ich doch daran, daß die Jurymitglieder genau wissen, wer den Preis verdient und sich dann manchmal aus Taktik dagegen entscheiden. Aber die "richtige" Entscheidung wäre denkbar.


    ich nehme an, Wettbewerbstraditionen wie in Rußland oder Frankreich (diese Studienabschlüsse - weiß nicht, wie das System genau funktioniert) bringen schon auch sehr gute Leute heraus...



    @michael


    wie motivierst du die Leute, dorthin zu kommen?
    es würde ja doch nur als Wettbewerb der Verlierer gelten
    und: was ist an einem Wettbewerb lustig???

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • hallo,


    man sollte wettbewerbe als eine möglichkeit für junge und noch unerfahrene musiker sehen, eine chance zu ergreifen, sich dem größeren publikum zu präsentieren. denn ich meine, dass viele aspiranten an wettbewerben primär nicht wegen des preisgeldes sondern wegen der möglichkeit, im falle eines sieges eine reihe öffentlicher auftritte zu erlangen, teilnehmen.


    beim klavier gibt es da z.b. wettbewerbe, welche mehr auf technik und äußere virtuosität wert legen (z.b. tschaikowsky-wettbewerb moskau, van-cliburn texas), und welche, die mehr die eigenschaften des musikers im sinne von werkgestaltung und repertoireumfang bewerten (leeds, anda-zürich). dann gibt es auch wettbewerbe, welche sich hauptamtlich mit einem komponisten beschäftigen (chopin-warschau, beethoven-wien, bach-leipzig). das jemand in einem dieser wettbewerbe siegt, ist kein garant, hier eine 'jahrhundert-entdeckung' gemacht zu haben. aber viele exzellente und zu recht bekannte pianisten hatten wettbewerbssiege als karrierestart: cliburn, argerich, ashkenazy, pollini, zimerman, ohlsson, pletnev, oppitz, zacharias, sokolov, berezovsky etc..


    interessanterweise gibt es gelegentlich auch mal pianisten, welche berühmt wurden, indem sie nicht gewannen, wie z.b. ivo pogorelich ! im prinzip hat ihm damit gerade ein wettbewerb zu weltruhm geholfen !


    wenige pianisten der heutigen zeit wurden bekannt, ohne an wettbewerben teilgenommen zu haben, wie z.b. a. volodos. ob jemand wirklich dauerhaftes potential besitzt, muss sich dann im laufe der jahre zeigen, und da versinken einige von der bildfläche.


    sicherlich war es früher einfacher, zu zeiten rubinsteins oder horowitz', ohne wettbewerbe bekannt zu werden, nämlich durch hart erkämpfte konzertverpflichtungen und mundpropaganda, einer zeit, da moderne medientechnologie sich noch im entwicklungsstadium befand.


    also ein multifaktorielles geschehen.


    gruß, siamak

    Siamak

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  • Sind nicht Wettbewerbe aus den von Edwin geschilderten - und auch nicht geschilderten - Gründen ein wenig ins Zwielicht geraten ?


    Was vermögen Wettbewerbe HEUTE noch ?


    Sind sie der Garant für einen Tonträgerkarriere ?


    Wer von Euch hat je eine Cd gekauft, weil der Solist irgendeinen Wettbewerb gewonnen hat?


    Welche Wettbewerbe haben überhaupt Aussagekraft ?


    Wie schon eingangs erwähnt, betrachte ich Wettbewerbe insofern mit scheelen Augen - weil sie versuchen eine künstlerische Leistung zu messen - zu beurteilen - zu standardisieren


    Dieser Ansatzpunkt ist aus meiner Sicht, der Tod jeglicher Individualität.


    Man sieht das auch in heutiger Beurteilung vergangener Interpreten: Unverwechselbare Eigenarten, Markenzeichen gewissermaßen werden heute als Makel gesehen.


    LG


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Edwin, wenn du meinst, daß große Künstler niemals bei Wettbewerben gewinnen können...,


    Niemals würde ich nicht sagen. Es gibt Künstler, bei denen "alles klar" ist. Und es gibt Jury-Zusammensetzungen, bei denen es eine Art ästhetischen Grundkonsens gibt, der dann zu einem klaren Ergebnis führt.
    Ich kann nur sagen, dass von den fünf Jurys, in denen ich selbst gesessen bin (keine der ganz großen Wettbewerbe und nicht nur Musik), vier sich auf einen Kompromiss einigten. Nur in einem Fall war das Ergebnis eindeutig - aber auch da gab es zwei dezidierte Stimmenthaltungen.
    Wenn ich mich umhöre, machen die meisten Jury-Mitglieder sehr ähnliche Erfahrungen.



    ad Sune:

    Zitat

    Der finnische Leichtathlet und spätere Musiker Tapio Rautavaara habe 1948 bei den Olympischen Spielen in London im Speerwerfen die Goldmedaille geholt, obwohl es eine schwache Konkurrenz gewesen sei.


    Ich war einmal bei einem Dirigentenwettbewerb (nicht in der Jury). Das Niveau war jämmerlich. Am Schluss waren drei Kandidaten in der Ausscheidung um 1.,2. und 3. Platz. Einer hatte Probleme, den Klang auszubalancieren, einer hatte zum Werk einfach nichts zu sagen, einer wischte mit wohleinstudierten Bewegungen durch die Luft, ohne eine Idee in einer präzisen Gestik umsetzen zu können.
    Dennoch wurde ein Erster Platz vergeben. Mit dem Resultat, das der Ausgezeichnete eine Kurzkarriere machte - die so lange dauerte, bis alle die Hintergründe des Wettbewerb-Sieges zu ahnen begannen. Dass nämlich nicht der beste, sondern der am wenigsten schlechte gewonnen hatte.
    Ich hätte es in diesem Fall durchaus sympathischer gefunden, die Preisvergabe auszusetzen und das Preisgeld des nächsten Jahres damit entsprechend aufzustocken.

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich kann nur sagen, dass von den fünf Jurys, in denen ich selbst gesessen bin (keine der ganz großen Wettbewerbe und nicht nur Musik), vier sich auf einen Kompromiss einigten. Nur in einem Fall war das Ergebnis eindeutig - aber auch da gab es zwei dezidierte Stimmenthaltungen.


    Deshalb sollte eine Jury immer nur aus einem Mitglied bestehen, damit divergierende Urteile vermieden werden. Man darf allerdings keinen Juristen nehmen, denn der hat trotzdem mind. zwei Meinungen :D


    Im übrigen dürfte dem musikalischen Wettbewerbswesen die gleiche stark eingeschränkte künstlerische Bedeutung zukommen wie dem Festivalzirkus beim Film. Man trifft sich mit Gleichgesinnten, kann Filme sehen, die man evtl. sonst nicht zu sehen bekommt, über Juryentscheidungen schimpfen. Beim Film gibt es jedenfalls Filme, die von einem Festival zum anderen ziehen, mal den einen, mal den anderen Preis einheimsen, ohne je einem größeren Publikum bekannt zu werden. Da geht es sicher auch um öffentliche Fördergelder, Pfründe und Eitelkeit bei Veranstaltern und Juroren.

  • ich hab, glaube ich, noch nie bei einem kompositionswettbewerb mitgemacht, weil meine stücke immer zu kurz sind (immer diese blöden vorgaben!)


    wenn ich das hier lese, komm ich zum schluß, dass es vielleicht doch lohnen könnte. ich schreib einfach 15 minuten spieldauer drüber. vielleicht kontrolliert eh keiner, wie lange das stück wirklich ist (z.b. 3 min)?

  • Zitat

    Deshalb sollte eine Jury immer nur aus einem Mitglied bestehen


    Was Du als Scherz meintest, gab es - und es war einer der angesehensten Literaturpreise im Deutschland der Weimarer Republik. Aufgrund von Kleists Subjektivität wurde der Preis von einem Schriftsteller vergeben, den die Kleist-Stiftung zum Vertrauensmann wählte. Der gewählte Vertrauensmann hatte den Preis seinem subjektiven Empfinden nach zu vergeben.
    Und was kommt dabei heraus?
    Nun, Preisträger waren u.a.:
    Reinhard Sorge, Oskar Loerke, Arnold Zweig, Agnes Miegel, Hanns Henny Jahnn, Bertolt Brecht, Robert Musil, Ernst Barlach, Carl Zuckmayer, Alexander Lernet-Holenia, Anna Seghers, Reinhard Goering, Ödön von Horvath und Else Lasker-Schüler.


    Wenn ich mir das so ansehe, frage ich mich wirklich, ob Jury-Entscheidungen so ideal sind. Wenn ich so an die Literatur-Nobelpreise denke...


    O.k., zurück zur Musik, da ist ja alles ganz anders...!

    ...

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  • schade, dass du nicht die literaturnobelpreisträger von damals dazugeschrieben hast, als vergleich! dann wäre es noch deutlicher, wie gut diese auswahl der subjektiven war, auch wenn heute (leider) kaum jemand noch reinhard sorge kennen wird!

  • Kurzstueckmeister, Du hast recht. Also:


    Kleist-Preis:
    1912: Reinhard Sorge
    1913: Oskar Loerke
    1914: Fritz von Unruh
    1915: Arnold Zweig
    1916: Agnes Miegel
    1917: Walter Hasenclever
    1918: Paul Zech
    1919: Kurt Heynicke
    1920: Hanns Henny Jahnn
    1921: Paul Gurk
    1922: Bertolt Brecht
    1923: Robert Musil
    1924: Ernst Barlach
    1925: Carl Zuckmayer
    1926: Alexander Lernet-Holenia
    1927: Hans Meisel
    1928: Anna Seghers
    1929: Alfred Brust
    1930: Reinhard Goering
    1931: Ödön von Horvath
    1932: Else Lasker-Schüler


    Die Literatur-Nobelpreise in der gleichen Zeit
    1912: Gerhart Hauptmann
    1913: Rabindranath Tagore
    1914: (nicht verliehen)
    1915: Romain Rolland
    1916: Verner von Heidenstam
    1917: Karl Gjellerup und Henrik Pontoppidan
    1918: (nicht verliehen)
    1919: Carl Spitteler
    1920: Knut Hamsun
    1921: Anatole France
    1922: Jacinto Benavente
    1923: William Butler Yeats
    1924: Wladislaw Stanislaw Reymont
    1925: George Bernard Shaw
    1926: Grazia Deledda
    1927: Henri Bergson
    1928: Sigrid Undset
    1929: Thomas Mann
    1930: Sinclair Lewis
    1931: Erik Axel Karlfeldt
    1932: John Galsworthy


    Was ist daraus zu erkennen?
    Der von einer kenntnisreichen Person subjektiv vergebene Kleist-Preis würdigt kühne Dichter, vor allem Expressionisten. Insgesamt schwierig zu lesender Stoff, aber zumeist von überzeitlicher Bedeutung. (Und ich finde, dass man Leute wie Sorge, Hasenclever oder Goering unbedingt kennen lernen sollte, vor allem Goering, dessen "Seeschlacht" das Grauen des Krieges auf unnachahmliche Weise wiedergibt. Und dass Jahnn zu den großen Autoren gehört, dürfte jetzt schon allgemein bekannt sein.) Die Entscheidungen sind mutig, unkonventionell, richtungweisend.


    Der durch Jury-Entscheidung vergebene Nobelpreis hingegen trifft im gleichen Zeitraum eine einzige mutige Entscheidung (Mann). Alle anderen sind in meinen Augen typische Kompromisslösungen.
    1912 etwa geht der Nobelpreis an den Naturalisten Hauptmann, der Kleist-Preis aber bereits an Sorge - und damit an einen Expressionisten der ersten Stunde.

    ...

  • Hallo, Edwin!


    In der Gefahr des Off-topic, aber:


    Zitat

    Der durch Jury-Entscheidung vergebene Nobelpreis hingegen trifft im gleichen Zeitraum eine einzige mutige Entscheidung (Mann). Alle anderen sind in meinen Augen typische Kompromisslösungen.


    Sinclair Lewis ist sicher keine "Kompromißlösung", aber insgesamt gesehen hast Du recht. Der Literaturnobelpreis ist an zu vielen "Großen" vorbeigegangen als daß man ihn als Qualitätssiegel allzu ernst nehmen müßte. Die Auswahl zeigt auch vergleichsweise wenig Gespür für langfristig interessante Literatur.
    Die Namen in der Kleist-Preis-Liste erscheinen im Durchschnitt heute vielleicht genauso bedeutsam wie die in der anderen - allerdings ist sie ja beschränkt auf deutschsprachige Literaten! Ich möchte da am meisten Brecht, Musil und von Horvath hervorheben. Daß Brecht, einer der weltweit bedeutendsten Literaten des 20. Jahrhunderts nie den Nobelpreis erhielt, spricht Bände...


    Wenn es einen Nobelpreis für Musik gäbe, wäre es vielleicht ähnlich. By the way: Gibt es etwas vergleichbares?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius


    Wenn es einen Nobelpreis für Musik gäbe, wäre es vielleicht ähnlich. By the way: Gibt es etwas vergleichbares?


    Ich denke, der Grammy ist schon ziemlich bedeutend, aber vergleichbar mit einem Nobelpreis? ?(
    Für Komponisten fällt mir der Rompreis ein. Ob es den aber heute noch gibt, weiß ich nicht genau.



    Gruß, Peter.


    P.S.: Der Rompreis wird seit 1968 nicht mehr vergeben.

  • Zitat


    Wenn es einen Nobelpreis für Musik gäbe, wäre es vielleicht ähnlich. By the way: Gibt es etwas vergleichbares?
    Viele Grüße,
    Pius.


    Hallo Pius,


    es gibt einen von der Ernst von Siemens Musikstiftung in Auftrag gegebenen Musikpreis, namentlich der Ernst von Siemens Musikpreis (wer hätte es gedacht ;)), welcher jährlich in München verliehen wird. Der Hauptpreis, der ein Lebenswerk krönen soll, ist mit schlappen 150.000 EUR dotiert. Nicht übel, gelle? Ausgezeichnet werden allerdings Komponisten ODER Interpreten ODER Musikwissenschaftler.
    Aufgrund seiner angeblich (auch internationalen) Wertschätzung wird er gerne als der Nobelpreis der Musik bezeichnet.
    Bisher ausgezeichnete Komponisten:
    1974 Benjamin Britten
    1975 Oliver Messiaen
    1979 Pierre Boulez
    1981 Elliot Carter
    1983 Witold Lutoslawski
    1986 Karlheins Stockhausen
    1987 Leonard Bernstein (ob als Komp oder Dirig. weiss ich leider nicht)
    1989 Luciano Berio
    1990 Hanz-Werner Henze
    1991 Heinz Holliger
    1993 György Ligeti
    1995 Harrison Birtwistle
    1997 Helmut Lachenmann
    1998 György Kurtag
    2000 Mauricio Kagel
    2003 Wolfgang Rihm
    2005 Henri Duttileux


    Dieses Jahr wurde der Preis bereits an Daniel Barenboim verliehen.


    An dieser stelle noch einen Ausspruch von Hans von Bülow:
    "Je preiser gekrönt, desto durcher gefallen" :D


    Liebe Grüße aus dem wundervollen Berlin,
    Wulf

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  • Der Siemens-Preis scheint auch ca. 30 Jahre hinter den mehr oder weniger epochemachenden Werken nachzuhinken. Kurz gesagt: null Risiko. Aber wenns ums Lebenswerk geht, gehts ja wohl auch nicht anders?

  • Vor allem: Statt zu investieren, wird belohnt. Ich habe nichts gegen Belohnungen, aber ich glaube, dass das mit dem Preis verbundene Geld einige jüngere Komponisten eher brauchen würden als gestandene Schlachtrösser wie Henze, Ligeti oder Birtwistle.
    Boulez bekam den Preis natürlich völlig zurecht - ich hoffe, dass auch sein essayistisches Werk und seine stets treffenden Aphorismen mit Ausschlag für die Zuerkennung gegeben haben. :D

    ...

  • Aus meiner Sicht einige Gedanken zu diesem Thema, allerdings ausdrücklich beschränkt auf Gesangswettbewerbe.


    Meine These :
    Gesangswettbewerbe sind notwendig, aber es gibt davon zu viele.


    Da Gesangswettbewerbe normalerweise von diversen Agenten besucht werden, die - sofern sie etwas von ihrem Fach verstehen - nicht erst zum Finale kommen, erspart die Teilnahme an einem Gesangswettbewerb einem jungen Sänger viele Vorsing-Tourneen. Dafür ein Beispiel einer gerade in Wien bekannten und beliebten Sängerin, nämlich der lettischen Mezzosopranistin Elina Garanca. Als ich sie 1999 beim Mirjam-Helin-Gesangswettbewerb in Helsinki hörte, war eigentlich von der Vorrunde an klar, daß Garanca die spätere Siegerin sein würde; so überlegen war sie. Sie wurde daraufhin von einer (finnischen) Agentur verpflichtet, nach der Teilnahme am Singer of the World-Wettbewerb in Cardiff dann von einer österreichischen, die sie an die Wiener Staatsoper vermittelte. Dort blieb sie auch nur eine kurze Zeit im Festengagement, ist jetzt frei und wird demnächst an der Met debütieren.


    Ich behaupte : Diese Karriere wäre evtl. auch ohne Wettbewerbsteilnahme so verlaufen, aber bestimmt nicht so schnell. Welcher Agent hätte sich nach Meiningen verirrt, wo Elina Garanca noch 1999 engagiert war?


    Da dieser Thread jedoch die Überschrift "Absurde Bewertung" hat, auch dazu ein Beispiel. Vor ca. 15 Jahren hörte ich beim Güterloher Wettbewerb "Neue Stimmen" in der Zwischenrunde eine sensationelle Mezzosopranistin mit der Eboli-Arie, von der ich spontan den Eindruck hatte, ich hätte die spätere Siegerin gehört. Doch diese junge Dame wurde nicht einmal zum Finale zugelassen, weil die in der Jury sehr dominante Elisabeth Schwarzkopf der Meinung war, nur bei Mozart könne man die Leistung eines Sängers beurteilen. Siegerin wurde dann eine junge Bulgarin, die heute in St. Gallen singt, während "meine" Mezzosopranistin auch ohne Finalteilnahme oder Gewinn seither eine Weltkarriere gemacht hat. Wer es war? Damals nannte sie sich Violeta Urmanaviciute, heute bekannt als Violeta Urmana!


    Die Gütersloher Jury war sicher dem Namen nach prominent und auch kompetent (neben Schwarzkopf u.a. Metternich, Everding, Kuhn), doch scheint mir bei vielen Wettbewerben das Suchen nach einer "richtigen" Technik vorzuherrschen, wobei es schon vorkommen kann, daß "interessante" Stimmen mit hohem Wiedererkennungswert weniger gut eingestuft werden.


    Nach über 20 Jahren der Beschäftigung mit Gesangswettbewerben kann ich die Frage nach der "richtigen" Zusammensetzung einer Jury immer noch nicht beantworten, ob nun zwei (wie in Savonlinna mit Raimo Sirkiä und Matti Salminen) oder eine Vielzahl von Juroren (wie in Dresden) am besten sind.


    Aus eigener Erfahrung : Die Jury eines Gesangswettbewerbs, der ich seit 14 Jahren angehöre, ist sehr heterogen zusammengesetzt - Professoren einer Musikhochschule, Sänger, Agenten, Intendanten, und die Teilnehmer hören alle sehr unterschiedlich bzw. legen auf verschiedene Dinge Wert. Da aber im Finalkonzert mit Punkten (von 1 bis 10) bewertet wird, ist das Ergebnis in jedem Fall ein Kompromiß.


    Das schließt nicht aus, daß die Nicht-Sieger später gute Karrieren gemacht haben oder die Sieger die Erwartungen trotzdem nicht erfüllt haben.


    Sune

  • Alfred ließ mir die Ehre zukommen, auf Grund meiner Äußerung "Stimmen von hohem Wiedererkenungswert" einen eigenen Thread zu eröffnen. Daher möchte ich ein wenig präzisieren. Auf einer Pressekonferenz zum Rimsky-Korsakov-Wettbewerb wurde die inzwischen verstorbene bulgarische Sopranistin Ghena Dimitrova gefragt, was sie von diesem Wettbewerb erwarte. Ihre Antwort : "Daß ich zum Zuhören gezwungen werde." Diese Antwort zielt in dieselbe Richtung.


    Bei dem Wettbewerb, bei dem ich eines der Jurymitglieder bin, sind wir aufgerufen, den in Vor- und Zwischenrunde Ausgeschiedenen Rede und Antwort zu stehen. Keine einfache Aufgabe, der sich dann auch einige Juroren gerne entziehen. Am schwierigsten ist es für mich, wenn ich - und das kommt oft vor - sagen muß : "An ihrer Technik ist nichts auszusetzen, aber das Timbre ihrer Stimme bleibt mir nicht im Ohr haften." Diese Antwort ist meistens keine große Hilfe, außer der Sänger versteht, daß seine Stimme mehr Farben haben sollte - aber diese Situation ist die Realität im Berufsalltag eines Sängers. Beim Vorsingen entscheidet sich doch meistens in den ersten Sekunden, ob er das Interesse des Zuhörers fesselt oder nicht.


    Sune

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