Ich, William Byrd, zu Stondon Place, in der Pfarrei Stondon der Grafschaft Essex, Gentleman, verfüge im 80. Jahr meines Lebens, doch dank Gottes Güte bei bester Gesundheit und im Vollbesitz meines Geistes, dies als meinen letzten Willen und mein Testament. Ich vertraue meine Seele Gott dem Allmächtigen an, meinem Schöpfer, Retter und Erhalter, und erbitte demütig seine Gnade und Vergebung all meiner Sünden und Verstöße, egal ob vergangen, jetzt oder kommend, dass ich lebe und sterben möge als würdiges Mitglied der heiligen katholischen Kirche, ohne die es, wie ich glaube, keine Erlösung für mich gibt.“
Dieser Tage sah ich bei einem Besuch in Exeters ehrwürdiger Kathedrale ein Epitaph, das ich vorher noch nie bewusst wahrgenommen hatte. Ein Beter im Stil des ausgehenden 16.Jahrhunderts gewandet,
kniete vor einer Orgel. Diese Darstellung ist umso ungewöhnlicher, weil bekannt ist, dass Henry VIII.
im Rahmen seiner halbherzigen Loslösung von der katholischen Kirche die meisten Orgeln des Landes
„schleifen“ lies. Und das genau brachte mich auf die Idee, einen Thread über Englands bedeutendsten Komponisten zu erstellen, dessen hier im Forum bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde
Über William Byrd zu schreiben, gestaltet sich komplizierter als ich anfangs vermutete, weil die zwar umfänglichen Datensammlungen viel Widersprüchliches und auch sich Widersprechendes enthalten.
Hilfreich ist dabei die Gesamtausgabe der Geistlichen Werke Byrds auf Tonträgern, die seit Mitte der 90ger Jahre in unregelmäßigen Intervallen erscheint. Dem "Mentor" des ganzen, der "treibenden Kraft", Dr. David Skinner, sei an dieser Stelle hier (und überhaupt) sehr herzlich gedankt, denn ohne seine profunde Kenntnis auch der entlegensten Details in Byrds Biografie und Werk hätte ich mich in dem "Wust aus Widersprüchen" heillos verheddert. Ich beschränke mich deshalb auf die zum Verständnis von Leben und Werk des Meisters IN SEINER ZEIT unverzichtbaren Daten:
Über Byrd´s Herkunft und seine Kindheit ist so gut wie nichts bekannt. Er war eines von sieben Kindern von Thomas Byrd und seiner Frau Margery. Das ungefähre Datum seiner Geburt läßt sich nur aus einem Dokument vom 2. Oktober 1598 erschließen, in dem Byrd selbst sein Alter als "58 or there about" angibt, was bedeutet, dass er um 1540, vielleicht auch wenige Jahre früher oder später geboren sein könnte.
Die in den meisten Lexika angegebene Geburtsjahr 1543 dürfte definitiv zu spät festgelegt sein. . Byrd wird immer noch als "Schüler" von Thomas Tallis apostrophiert, obwohl die Bezeichnung Protege eher zutrifft, denn eine Schülerschaft bei dem älteren Meister lässt sich nicht belegen.
Am 25. März 1563 erhielt er seine erste eigenständige Stelle, nämlich die eines Organisten und Chorleiters an der Kathedrale von Lincoln. Byrd blieb beinahe zehn Jahre in Lincoln. Dort heiratet er 1568 seine Frau Juliana. In Lincoln werden auch zwei seiner Kinder geboren: Christopher (1569) und Elizabeth (1572). Während seiner Zeit in Lincoln hielt er jedoch engen Kontakt zu Personen in London und zum dortigen Musikgeschehen. 1572 zog er, nun selbst ein Gentleman of the Chapel Royal nach London, wo er zusammen mit Tallis an der königlichen Kapelle das Amt des Organisten versah. - 1575 gewährte Elisabeth I Tallis und Byrd ein gemeinsames Monopol für die Einfuhr, den Druck und die Veröffentlichung von Musik und Noten. Das erste gemeinsame Werk der beiden erschien noch im selben Jahr - eine Sammlung von Cantiones Sacrae, welche der Königin gewidmet waren. Von den 34 Motetten werden 16 Tallis, 18 Byrd zugeschrieben. - Nachdem Byrd Lincoln verlassen hatte, lebte er wohl für einige Zeit in Clerkenwell in Middlesex, das er zumindest in einem Schreiben vom Juni 1573 als Adresse angibt. Spätestens 1577 zog er dann mit seiner Familie nach Harlington in derselben Grafschaft, wo er und seine Familie nun 15 Jahre lebten. 1577 wird dort auch seine Frau als Rekusant aktenkundig, da sie nicht an den offiziellen Gottesdiensten der anglikanischen Kirche teilnahm. Es war die erste von vielen Gelegenheiten bis zum Ende seines Lebens, bei denen man Byrd selbst oder Mitglieder seines Haushaltes wegen dieses Vergehens vorlud. Als frommer Katholik bevorzugte er wohl das privatere Leben außerhalb Londons, wo die Ausübung der katholischen Religion nicht so im Blickfeld der Autoritäten stand. Überhaupt hatte Byrd in dieser Sache Glück. Sein Ruhm als Komponist und seine unzweifelhafte Treue zur Krone führten dazu, dass ihm zumeist die aufgrund der antikatholischen Strafgesetze auferlegten Rekusantengelder erlassen wurden. Trotz seiner engen sozialen Kontakte zu einflussreichen Katholiken, von denen auch einige in verschwörerische Aktivitäten verwickelt waren, wurde Byrds Loyalität gegenüber der Krone in der Tat nie angezweifelt.
Byrd glaubte an das ewige Bestehen der Heiligen Katholischen Kirche. Aber die Herrschaft seiner Schutzherrin Elisabeth neigte sich dem Ende zu. Die Königliche Kapelle nahm 1603 an den Trauerfeierlichkeiten für die Königin teil, und Byrds Name taucht in den Aufzeichnungen über die Kosten der Trauergewänder der Gentlemen auf. Das Verhältnis zur Königin war entscheidend für Byrds Wohlstand und Überleben. Der 63-jährige musste seine Zukunft nun unter einem neuen Monarchen sichern. Er musste die Übereinkunft mit Elisabeth über sein Rekusanten-Dasein erneuern. Er schrieb dem Grafen zu Salisbury, dem ersten Minister von James I.: „Ergebenste Bittschrift des William Byrd, eines der Gentlemen der Königlichen Kapelle, mit derer er einen Brief des Rates an den Herrn Kronanwalt begehret, ihm Wohlwollen als Rekusanten zu gewähren, so wie die verstorbene Königin und ihr Rat es ihm gewähret haben.“
Seine letzten Lebensjahre verbrachte der Meister zurückgezogen, aber bei guter Gesundheit in Stondon Massey, wo er am 6. Juni 1623 verstarb. Seine Beisetzung auf dem dortigen Friedhof musste bei Miternacht erfolgen. Die Gedenktafel in der dortigen Kirche ist die einzige in ganz England in einer protestantischen Kirche für einen Katholiken !
FAZIT:
William Byrds geistliche Musik ist einer der Höhepunkte der ausgehenden Renaissancekultur und enthält bereits deutliche Hinweise auf das Frühbarock, das z.b. bei Orlando Gibbons, dessen Weg und Werdegang Byrd sicher mit Interesse verfolgte, voll ausgeprägt ist. Seine Beherrschung aller gängigen Formen und seine Kunst der individuellen Ausdeutung der vertonten Texte grenzen an das Unfassbare. Im Gegensatz zu den Arbeiten seiner kontinentalen Kollegen Lasso und Palestrina ist die Klangsprache Byrds viel direkter und geprägt von den Leiden, den Kämpfen aber auch vom Sieg über alle Unbilden der Zeit. Byrd ist einer der ersten Komponisten, deren Werk für Instrumente nicht nur mehr einen Nebenschauplatz darstellt sondern ein Kernstück seines Schaffens ausmacht. genau diese waren es, die ihn einem größeren Publikum bekannt machten. Sätze für Tasteninstrumente wie „Walshingham“ oder „Greensleves“machten den Meister populär, wohin gegen seine katholisch intendierte Vokalmusik nur in Insiderkreisen bekannt war. Byrd gehört auch zu den wenigen Komponisten Englands, die über ihr Vaterland hinaus bekannt und wirksam wurden. Es kann kaum Zweifel daran bestehen, dass der junge Heinrich Schütz während seiner Studienzeit in Venedig die Konvoluten der „Gradualia“ (1605 bzw. 1607) erschienen studiert hat. Sowohl im Titel seines „katholischsten“ Werkes „Cantiones sacrae“ bis zu Arbeiten wie dem wundervollen „Christe, fac ut sapiam“ (1657) ist der Einfluss des englischen Meisters unverkennbar.
Von der Vielzahl guter erhältlicher Aufnahmen möchte ich stellvertretend 4 an dieser Stelle vorstellen:
Drei Stunden satt Musik auf höchstem Niveau und einer wunderbaren, hervorragend ausgearbeiteten Dokumentation über Leben und Schaffen des Meisters. Eine wundervolle Scheibe zum "Einstieg" in die Welt des William Bryd, die wirklich jeden Cent wert ist, den sie kostet:
Eine der Aufnahmen aus der Geamtaufnahme der geistlichen Werke Byrds, die wohl als erste das Gesamtwerk eines Renaissancekomponisten
vorlegen wird, eine Ehre, die selbst Palestrina und Orlando noch nicht zuteil wurde. Editorisch UND von der Interpretation auf höchstem Niveau:
Für Freunde des von Consortenseble begleiteten Sologeaangs empfehle ich die unverwechselbare Emma Kirkby mit ihrem schönen Byrd-Recital:
Gustav Leonhardt, der dieser Tage 75 jahre alt wurde, hat mit seiner Byrd-Einspielung gezeigt, WER auf diesem Terrain das Sagen hat, eine weitere Perle im Kranz der Veröffentlichungen des audiophilen Labels "Alpha":