Talent, Technik und Kommerz

  • Nochmals hallo, werte Gemeinde,


    einige Gedanken über die Zukunft und die Gegenwart des "Star-Rummels" und der künstlerischen Wirklichkeit sind es, die mich zu diesem Thema antreiben, nicht zuletzt auch der Thread "Sex sells".


    Seit dem ich die Klassik-Szene beoachte, fällt mir eine zunehmen Kommerzialisierung des Betriebes auf, die, ausgehend von den großen Klassik-Labels, auf Medien und Opernhäuser "durchschlägt". "A star is born" - wie oft haben wir das in den letzten Jahren hören müssen - und schon war der "Star" wieder in der Versenkung verschwunden. Schnell wurden sogenannte Talente von den Schallplatten-Firmen hochgepuscht und verglühten teilweise wieder ebenso schnell, wie ein Komet. Ausnutzung von wirklichen Talenten des schnellen Kommerzes wegen?


    Man hat den Eindruck einer technisch einwandfreien Darbietung - was mich stört, ist die teilweise seelenlose Interpretation auch der schwersten Stücke. Warum muss man einem 16jährigen Mädle schon das brahmssche Violinkonzert darbieten lassen, mit dem es schon aufgrund seiner Erfahrung garnicht fertig werden kann. Muss man hier nicht auch die Musikhochschulen in die Pflicht nehmen? Ist es auch diese Unerfahrenheit und damit vielleicht eine gewisse Naivität junger Talente, die ausgenutzt werden?


    Werden hier junge Künstler mit Potential "verheizt", ehe sie sich richtig entwickeln können?


    Wie seht Ihr dass und welchen Weg kann es aus dieser "Misere" geben?

    Beste Grüße aus Bonn
    Matthias


    Ich tu', was meine Pflicht gebeut, doch hass' ich alle Grausamkeit (ROCCO)

  • Ich glaube, das Problem sitzt tiefer - nämlich in unserer Einstellung. Alles ist schnelllebiger geworden. Was zählt, ist Jugend. Oder irgend ein Apercu, das mit dem Können nichts zu tun hat. Sprich: Ein besonders gut aussehender Künstler ist für die Vermarktung ebenso geeignet wie beispielsweise ein behinderter Künstler.
    Notwendig für die Vermarktung sind also Jugend, Apercu, Talent - ungefähr in dieser Reihenfolge.


    Wenn dann etwas davon nicht mehr zutrifft, werden die Leutchen fallen gelassen wie die heiße Kartoffel. Der "Markt" giert nach immer neuen Talenten. Denn da kann man suggerieren (ich fantasiere jetzt), dass die 15-jährige Pianistin xy, die übrigens kleinwüchsig ist (Mitleidseffekt sells), endlich das "Wohltemperierte Clavier" aufgenommen hat. Was brauchen wir da noch den ollen Richter dafür. Womit man wieder das "Wohltemperierte Clavier" verkaufen kann. Denn Neue Musik geht nicht, und von der gut verkäuflichen Klassik ist längst alles doppelt, dreifach, vierfach, vielfach aufgenommen. (Nur eben nicht von einer kleinwüchsigen 15-Jährigen.)


    Aber solange sich die 143. Aufnahme der Neunten Beethoven besser verkauft als die Ersteinspielung der der Orchestermusik von Nicolas Obuchov, stagniert der Markt zwangsläufig, was das Angebot an Werken betrifft.
    Bleibt also nur, das relativ kleine verkäufliche Repertoire wieder und wieder - und damit abermals zwangsläufig mit immer neuen Künstlern aufzunehmen.

    ...

  • Salut Rocco,


    Du hast schon selbst das Wort "Komet" verwendet - ich wollte "Sternschnuppe" wählen [die blitzen kürzer].


    Ein [zumindest mir bekannter] Mensch sagte einst: "Wenn Du die Leiter des Erfolgs erklimmst, beobachte gut, wer Dir alles entgegenkommt..." [mag sein, dass er den Spruch adaptiert hat].


    Cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Die Kommerzialisierung des Klassikmarkts - es hat sie immer schon gegeben - ebenso wie Starrummel, Moden und Intrigen.


    Es gab sdchon vor Jahrhunderten Kinderstars, die vorgeführt vwurden wie Zirkus arrtraktionen - ein gutes Beispiel hiefür war Mozart.


    Exaltierte Leute wie Liszt und Paganini, Veracini und Tartini beherrschten geradezu die Klassikszene vergangener Jahrhundert - von Kastraten und Primadonnen ganz zu schweigen.


    Wie immer jedoch die Leute dem Publikum "verkauft" wurden - alle genannten waren unumstrittene Meister ihres Fachs, der eine wurde mit mehr, der andere mit weniger Brimborium vermarktet.


    Heute - Edwin deutete es ja bereits an - ist die Leistung generell nicht mehr so extrem wichtig. Wichtig ist vielmehr, daß die Äusseren Umstände stimmen:
    Der Interpret muß "cool" sein, sollte ein ausgefallenes Hobby haben, möglichst gut aussehen, und sollte "gut ankommen"
    Daß er sein Instrument beherrscht, das wird vorausgessetzt -Genialität, Originalität oder besonderer Ausdruck des Spiels - das alles ist nicht besonders gefragt.
    Das Zielpublikum (und das ist betenfalls eine RANDGRUPPE der Klassik)
    sind unkritische junge Leute, trendy aber nicht allzu gut informiert.
    Das können sie ja in vielen Fällen gar nicht sein, denn die Tonträgerkonzerne haben ja bereits viele Aufnahmen seit Jahren gestrichen


    Ausweg aus der Krise ? Bewusst hören - bewusst kaufen



    LG



    ALFRED

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Wie immer jedoch die Leute dem Publikum "verkauft" wurden - alle genannten waren unumstrittene Meister ihres Fachs, der eine wurde mit mehr, der andere mit weniger Brimborium vermarktet.


    und genau da bin ich mir nicht so sicher. Vielleicht sind die anderen einfach nur dem Vergessen anheim gefallen?

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Aber solange sich die 143. Aufnahme der Neunten Beethoven besser verkauft als die Ersteinspielung der der Orchestermusik von Nicolas Obuchov, stagniert der Markt zwangsläufig, was das Angebot an Werken betrifft.
    Bleibt also nur, das relativ kleine verkäufliche Repertoire wieder und wieder - und damit abermals zwangsläufig mit immer neuen Künstlern aufzunehmen.


    Eine sehr pessimistische Sicht. Ich habe ja eher den Eindruck, dass vieles in den letzten 10, 20 Jahren aufgenommen wurde, was zuvor noch nicht aufgenommen wurde, aber oft leider recht bald wieder verschwindet.


    Obuchow suche ich seit Jahren vergeblich, jetzt interessiert er mich aber nicht mehr so.


    Aber es geht hier doch um die Stars, die es natürlich bei den Komponisten auch gibt. Auch hier ein reges Kommen und Gehen, hat nicht schon vor einigen Jahrzehnten ein Amerikaner (Cage oder Warhol) gesagt: "Jeder für einen Tag ein Star", oder so?


    Ist George Benjamin noch ein Star oder schon eingemottet? Oder Kyburz? Oder Hosokawa?