Kurt Schwitters (1887 - 1948) - Ursonate (1922/32)

  • Als Einleitung ein kleiner Abriss der Vorgeschichte dieses Hauptwerks des Dadaismus:


    Paul Scheerbart (1863 - 1915) veröffentlichte bereits in den 1890er Jahren Romane, in denen Gedichte in erfundenen exotischen Sprachen eingestreut waren (z.B. Kikakoku Ekoralaps). Akzente finden sich, aber unsystematisch, somit ist fraglich, ob sie wirklich Aussagen über Betonungen zulassen. Allerdings ist es klar, dass ein stummes Lesen dieser Lautgedichte weniger zufriedenstellend ist, als ein richtiger Vortrag.


    Hugo Ball (1886 - 1927) glaubte 1916 mit seinem Gedicht "Karawane" eine ganz neuartige Dichtkunst erfunden zu haben (neben Scheerbart waren George, Lasker-Schüler und Morgenstern im deutschsprachigen Bereich vor ihm). Schon der Beginn (Jolifanto bambla) zeigt aber ein Spiel mit verbogenen "richtigen" Wörtern, das mir bei den älteren nicht aufgefallen wäre. Dadurch erreicht er in Verbindung mit Lautmalerischem eine große Suggestionskraft.


    Raoul Hausmann (1886 - 1970) führt uns schon direkt zu Schwitters, als er (von ihm oder Schwitters überliefert) für das Hauptthema des ersten Satzes der Ursonate verantwortlich ist: Auf einem gemeinsamen Spaziergang war er von der geheimnisvollen Poesie der Buchstabenkombinationen auf Güterwaggons so ergriffen, dass er in der ihm eigenen Aussprache ein paar davon zum Vortrag brachte (aus "FMS" wurde "fümms" oder "fümmes", etc.) Schwitters war begeistert und spann das in endlosen Variationen aus, nicht nur den Rest des Spaziergangs, sondern ca. 2 Jahre lang (Überarbeitungen mitgezählt sogar 10 Jahre ...) Hausmann selbst verfertigte ein Plakatgedicht (mit aufgeklebten Buchstaben) aus diesem Material (fms etc.)


    Rudolf Blümner (1873 - 1945), ebenfalls ein Freund von Schwitters (und von Nebel), bekannt als Vortragskünstler, veröffentlichte 1921 "Ango laina", in diesem Lautgedicht perfektionierte er den musikalischen Aspekt der Lautdichtung durch konsequente Setzung von Akzenten.


    Über die Ursonate selbst gibt es freilich viel zu sagen. CD-Empfehlungen, Buchempfehlungen (auch für ihre Vorläufer) sollen noch folgen. Hat jemand von Euch eine Aufführung erlebt?

  • Von den fünf Einspielungen, die ich im Web gefunden habe, kenne ich nur das Original (Schwitters hat die Ursonate 1932 aufgenommen), veröffentlicht von WERGO:



    Interessanterweise ist die Kadenz tatsächlich eine andere als in der schriftlich veröffentlichten Version (Schwitters empfiehlt, glaube ich, man solle eine improvisieren).


    Zu Vorträgen seiner Ursonate von anderen Personen meinte er, ihm sei lieber, wenn man seine eigene, persönliche Version fände, als wenn man Schwitters' Tonfall nachahme. Also ich würde mir das nicht zutrauen, dazu habe ich außerdem Kurtl selbst viel zu gut im Ohr!

  • Zitat


    Original von kurzstueckmeister
    Schwitters: Ursonate (Lautgedicht in Sonatenform)
    meiner Ansicht nach Musik ebenso wie Lyrik, auch wenn es nur gesprochen wird und der Rhythmus nur andeutungsweise fixiert ist. Eine großartige Einspielung mit Schwitters selbst gibt es bei wergo.


    Geradezu lahm ist die Schwitters-Aufnahme im Vergleich zu der bei Hat Art erschienenen Version von Eberhard Blum. Ich habe gehört, Blums Version sei von den Schwitters-Erben verboten worden, anscheinend gibt es da einen Urheberrechtsstreit (oder? weiß da jemand etwas genaueres?). Der Grund aber, warum überhaupt geklagt wurde, muss an der Konkurrenzangst liegen. Blum steckt Schwitters locker dreimal in die Tasche.


    Tharon.