Hallo liebe TaminoanerInnen
Peteris Vasks ist am Ostersonntag am 16. April sechzig Jahre alt geworden. Geboren im kurländischen Aizpute (Hasenput) in Lettland als Pastorensohn.
Als Beweggrund seines Schaffens empfindet Peteris Vask „das Mitleiden mit den Schmerzen der Welt“. Er hat bis zu seinem fünfundvierzigsten Lebensjahr, als seine russisch unterdrückte heimat nach dem Zerfall der Sowjetmacht endlich unabhängig wurde, hautnah erlebt. Seine Musik verstand Vasks als die Stimme verzweifelter Unterdrückter, aber auch als Stimme des Widerstands – Trauer und Optimismus in einem Atemzug, in verschlüsselter Klangbotschaft wider die Parteidoktrin und ihr Kulturdiktat.
Nicht zufällig hat Vasks seine Streicherymphonie, die er zur Jahreswende 1990/91 in der schwierigsten Phase im Befreiungskampf der drei baltischen Staaten schrieb, „Stimmen“ genannt. Die instrumentalen Vogellaute im zweiten Teil des Triptychons sind ihm ein Symbol von Leben, Schönheit und Freiheit der leichthin Grenzen überfliegenden Tiere, während die Menschen sich hinmorden. Den dritten Teil sieht der Komponist im Selbstkommentar als eine „Vision der Vernichtung“ – als Appell wider politische und ökologische Katastrophen. Auch nach der politischen Wende blieb Vasks’ Musik aller Zuversicht zum Trotz trauerumflort: Ein schweres Erwachen hinterliess Trümmer im Land und in den Seelen, die den politischen Käfig trotz offener Türen nicht verlassen wollen.
Vasks ist ein Prediger in Tönen, der sich gegen „dieses moderne Esperanto verwahrt, das nur Spezialisten verständlich ist“. Er möchte statt dessen möglichst viele Menschen ansprechen mit seinen Botschaften, nicht nur das Konzertsaalpublikum. Doch biedern sich seine tönenden Erzählungen nicht platt an; sie sind vielmehr hintergründige, vieldeutige Konzentrate aus Konstruktion und Emotion. So kopierte Vasks in seiner „Musica dolorosa“ von 1983 persönliches und nationales Leid distanziert ineinander, um den Tod der Schwester und die Unterdrückung seines Volkes musikalisch zu bewältigen. In Liegeklängen brodelt es, Linien verdichten und überschneiden sich zu Klangknoten mit Herzschlägen tief innen und das Orchester seziert und verallgemeinert die Passion, statt sie lamentierend auszustellen. Allgemeingültigkeit beansprucht auch das David Geringas gewidmete Cellokonzert, trotz seines wiederum autobiographischen Erfahrungskerns in der tönenden Auflehnung einer Persönlichkeit (des Solocellos) „gegen eine stumpfe, brutale Macht“ im Orchesterpart, wie Vasks aus Anlass der Berliner Uraufführung am 26. November 1994 erklärte. Das Zitat des lettischen Volkslieds „Weh, Winchen“ symbolisiert den geistigen Protest gegen Gewalt wie „die Beständigkeit meines Volkes“. Lettische Volklore durchtränkt auch das für Gidon Kremer geschriebene Violinkonzert von 1997, das wie das titelgebende „Ferne Licht“ von der Gefährdung zu Hoffnung führt.
In diesen Werken sehr gegenständlichen Schreckensnachvollzugs ist zudem der Einfluß der polnischen Avantgarde am evidentesten: Vor allem Lutoslawski hat in Vasks' tonsetzerischem Bewußtsein und künstlerischen Gewissen verbindliche Spuren hinterlassen. Auf der anderen Seite findet sich auch eine monotonale Dimension, die offenkundig auf Arvo Pärt verweist, ohne je dessen emotionale Distanz zu teilen. Im Gegenteil: Vasks will so unmittelbar wie möglich seelische Pein und Freude an der Existenz ausdrücken, wobei die Gedanken, die klanglichen Resultate von großer Einfachheit und suggestivem Gefühlsüberschwang bestimmt sind.
Obwohl seine Musik wie mit Zungen redet, hat Vasks Vokalwerke lange Zeit fast ausgespart. Mitunter liess er in Kammermusik – etwa in „Buch“ für Cello solo ( 1978 ) oder „Landschaft mit Vögeln“ für Soloflöte ( 1980 ) – die Interpreten wortlos mitsummen, um Zweistimmigkeit zu simulieren. Diese Enthaltsamkeit begründet er mit einer politischen List: „Ich schrieb hauptsächlich instrumentale Musik, die nicht unter die Kontrolle der KGB fiel. Er konnte die Literatur und das Kino kontrollieren, konnte aber instrumentale Musik nicht verstehen.“
Vasks hat archaisch-folkloristische Elemente der lettischen Musik in seine Kompositionen eingebracht. Seine Werke tragen meist programmatische Titel, die sich auf naturhafte Vorgänge beziehen, doch geht es Vasks nicht um eine poetische Lobpreisung der Natur oder eine Landschaftsschilderung als ästhetisches Ideal. Die wechselseitige Beziehung zwischen der Natur und dem Menschen, die Schönheit des Lebens und die drohende ökologische und moralische Zerstörung dieser Werte sind vielmehr die Themen, die Vasks vornehmlich in seinen jüngsten Werken aufgreift und musikalisch gestaltet.
Vasks, besuchte die Musikakademie in Riga und die Litauische Musikakademie in Vilnius, wo er bis 1970 ein Kontrabassstudium bei Vitautas Sereika absolvierte. Von 1973 bis 1978 studierte er Komposition bei Valentin Utkin an der Lettischen Musikhochschule in Riga; von 1963 bis 1974 war Vasks Mitglied verschiedener Symphonie- und Kammerorchester, so unter anderem beim Philharmonischen Orchester von Litauen (1966 bis 1969), beim Philharmonischen Kammerorchester von Lettland (1969 bis 1970) und beim Lettischen Rundfunk- und Fernsehorchester (1971 bis 1974).
Vasks versteht sich als "Gewissen seines Volkes". Tatsächlich spielte er eine wichtige Rolle beim Entstehen einer neuen lettischen Kulturidentität. Darüber hinaus hat seine Musik internationales Ansehen gewonnen als eine eigenständige, eigewillige Stimme.
Herzliche Grüsse
romeo&julia