Unter einem sehr guten Dirigenten blüht die Partitur förmlich auf.......

  • Liebe Forianer


    "Unter einem sehr guten Dirigenten blüht die Partitur förmlich auf. " genau dieser Satz von Norbert in einem anderen Thread hat mich zu diesem Thema inspiriert:


    Welche Werke sind Eurer Meinúng nach EXTREM interpretationsabhängig ?
    Ich meine jetzt Werke die unter der Hand eines Meisterdirigenten plötzlich zu Leben erwacht - während sie bei einer "routinierten Wiedergabe" eher fade - leblos oder farb- und gesichtslos vor sich hin plätschert.-


    Und bei der Gelegenheit - wer ist der Dirigent dem dies - im spezifischen Fall gelingt - gelungen ist ?



    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Da fällt mir ein Beispiel ein, dass mir vor einigen Wochen bewusst geworden ist.


    Ich glaube, Ravels Klavierkonzert ist sehr interpretationsabhängig.
    Die Einspielung mit ABM unter dem Dirigenten Ettore Gracis hat die Partitur so richtig aufblühen lassen.
    Da kamen Stimmungen heraus, die ich bei anderen Einspielungen bei weitem vermisst habe.
    Ich glaube, das Konzert ist ziemlich schwierig zu treffen - jedenfalls so, dass die hineinkomponierten Stimmungen deutlich werden.



    Gruß, Peter.

  • Hallo Alfred,


    es freut mich, daß ich inspirierend wirke ;) , aber eine sehr schwere Frage stellst Du.


    Neben Rachmaninoffs 2. (zu der ich diese Aussage schrieb), fiele mir Schumann ein, bei dem sich das Vorurteil der schlechten Instrumentierung bis heute hartnäckig hält und der sich vieler Retuschen oder Umorchestrierungen (Szell bzw. Mahler) "erfreuen" durfte.


    Dabei muß man imo Schumann nur "beim Wort" nehmen, um zu erkennen, daß seine Musik auch ohne -gut gemeinte- Eingriffe wirkt.


    Erreicht haben das imo Gardiner und Douglas Bostock, der als erster die Sinfonien nach der Urtest Edition von Breitkopf und Härtel einspielte (beide im Schumann-Thread enstprechend gewürdigt).

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich bin kein Wagner-Kenner und (bisher) auch noch kein Liebhaber. Aber neulich, als ich mich wieder einmal im Bann von 70 cm Bilddiagonale befand und beim Zappen bei der Übertragung des "Wir sind jetzt 1 Jahr Papst"-Konzerts hängen blieb, da hörte ich die Tannhäuser-Ouverture unter dem Thielemann-Dirigat. Bisher war ich nicht gerade ein Thielemann-Anhänger, aber an besagtem Abend mußte ich mir eingestehen, daß ich diese Ouverture noch nie so gehört hatte. Welch Frische tat sich da auf! Fernab von Prunk und pompösen Ballast vermittelte die Musik mir tatsächlich einen Eindruck von etwas, was in Begriff ist, in aller seiner Schönheit zu erblühen und jedermann mit genau dieser zu erfreuen. Ich gestehe bei Herrn Thielemann Abbitte leisten zu müssen.
    Allerdings, wer sein Repertoire auf das deutsche Fach beschränkt, von dem darf ich auch erwarten, daß dabei interessantes bei rauskommt, oder?

  • Hi,


    wie gut die Thilemann-Interpretation auch immer sein mag, so ist die Tannhäuser-Ouvertüre eigentlich kein Stück, das bei den meisten Interpretationen "eher fade - leblos oder farb- und gesichtslos vor sich hin plätschert".

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    wie gut die Thilemann-Interpretation auch immer sein mag, so ist die Tannhäuser-Ouvertüre eigentlich kein Stück, das bei den meisten Interpretationen "eher fade - leblos oder farb- und gesichtslos vor sich hin plätschert".


    Es dürfte in der Tat eine gewisse Leistung sein, eine farblose Tannhäuser-Ouv. hinzukriegen ;)


    Meiner Erfahrung nach gilt grob: je älter die Musik, desto abhängiger vom Interpreten. (Und cum grano salis auch, je weniger hervorragend die Musik, desto wichtiger ist eine außerordentliche Interpretation)
    Ein nicht gar so altes Beispiel ist Händel; die Musik kann sehr schnell langweilig wirken, wenn Dirigenten (und besonders auch Sänger) nicht ihr Drama, ihren Schwung und ihren emotionalen Ausdruck wirklich deutlich machen. (Seltsamerweise scheint die Musik mitunter die farblosesten Interpreten der HIP-Szene anzuziehen...zum Glück gibt es inzwischen auch Anwälte wie Jacobs und Minkowski)
    Bei erstklassiger Musik fällt mir außer dem schon genannten Schumann noch einiges von Haydn ein. Noch immer wird z.B. die Farbigkeit von dessen Sinfonien oft nicht angemessen herausgearbeitet, wenn etwa Holzbläser oder Hornstimmen nur als leichte Einfärbung eines streicherdominierten Tutti-Klanges zu vernehmen sind, ähnliches gilt für die dynamischen u.a. Überraschungen usw.
    Auch all die Contemporaries of Mozart profitieren ungemein von mitreißenden Interpretationen; Boccherini fand ich den langweiligsten Komponisten aller Zeiten bis ich eine CD mit der Akademie f. Alte Musik hörte.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo zusammen,


    dem stimme ich vorbehaltlos zu. Ich habe jedoch auch nicht behauptet, daß ich die Tannhäsuser-Ouverture jemals "fade-leblos" bzw. farb-oder gesichtslos gehört hatte.
    Wie gesagt, bisher ich habe nicht viele Interpretationen gehört, sie waren alle beeindruckend. Doch niemand erreichte diese "Frische" des Ausdrucks wie Thielemann.


    Zitat


    Und cum grano salis auch, je weniger hervorragend die Musik, desto wichtiger ist eine außerordentliche Interpretation


    Aber nur mit einem winzig kleinen Körnchen Salz.
    Denn ohne diesen Zusatz, dürfte ich ja im Umkehrschluss behaupten, daß eine außerordentliche Interpretation bei Schumanns Symphonien , da ja "erstklassige" Musik, weniger bis kaum wichtig ist und die von Dir beklagte fehlende Herausarbeitung von Farbigkeit dürfte dem Ganzen kein Abbruch tun oder andersherum, Interpretationen, die dieses berücksichtigen, dürften keinen großen Zuwachs bringen.


    Ich halte die Aussage für problematisch. Wenn man Melodie, Eingängigkeit der Thematik v.a. Umittelbarkeit der Wirkung als Qualitätsmaßstab gelten lässt, dann ja. Doch es gibt auch viel herrausragende Musik, die nicht von Melodie lebt, die kaum eine eingängige Thematik hat. Und die gerade auf eine außerordentliche Interpretation angewiesen ist.
    IMO ist sie deswegen nicht weniger hervorragend als Musik, die solch außerordentlicher Interpretationen nicht unbedingt bedarf.


    Andersherum kenne ich Interpretationen von "erstklassigen" Werken, von denen man meint, man könne sie gar nicht so interpretieren, daß sie ihre Wirkung bzw. ihre "Erstklassigkeit" verlieren. Aber es geht.


    Übrigens: Boccherini fand ich noch nie langweilig. Ich schätze ihn stellenweise sogar höher ein als Mozart.
    Wie auch immer - ich weiß ja um Deinen Zusatz cum grano salis :) - ich bin der Meinung, daß erstklassige Musik sich nicht unbedingt durch Resistenz gegenüber Interpretationen auszeichnet bzw. umgekehrt, zweit -und drittklassige Musik durch hervorragende Interpretationen an Attraktivität und Wert gewinnt. Er wird dadurch nur offenbarer.
    Wenn dem so wäre, wie müßte ich dann, um bei Deinem Beispiel zu bleiben, urteilen? Boccherini war ein zweitklassiger eher langweiliger Komponíst, aber unter den Händen der Alten Akademie wird seine Musik erstklassig??


    :hello:
    LG
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf


    Aber nur mit einem winzig kleinen Körnchen Salz.
    Denn ohne diesen Zusatz, dürfte ich ja im Umkehrschluss behaupten, daß eine außerordentliche Interpretation bei Schumanns Symphonien , da ja "erstklassige" Musik, weniger bis kaum wichtig ist und die von Dir beklagte fehlende Herausarbeitung von Farbigkeit dürfte dem Ganzen kein Abbruch tun oder andersherum, Interpretationen, die dieses berücksichtigen, dürften keinen großen Zuwachs bringen.


    Du hast uns doch neulich selbst aufgeklärt, wie vorsichtig man bei Umkehrschlüssen sein sollte. :D Zumal wenn eine Aussage wie hier eingeschränkt ist und sehr vorsichtig graduell formuliert.


    Zitat


    Ich halte die Aussage für problematisch. Wenn man Melodie, Eingängigkeit der Thematik v.a. Umittelbarkeit der Wirkung als Qualitätsmaßstab gelten lässt, dann ja. Doch es gibt auch viel herrausragende Musik, die nicht von Melodie lebt, die kaum eine eingängige Thematik hat. Und die gerade auf eine außerordentliche Interpretation angewiesen ist.
    IMO ist sie deswegen nicht weniger hervorragend als Musik, die solch außerordentlicher Interpretationen nicht unbedingt bedarf.


    Ich halte sie auch nicht für unproblematisch, sonst hätte ich nicht cum grano salis geschrieben.
    Ich würde hier gar keinen Zusammenhang mit Eingängigkeit oder Unmittelbarkeit der Wirkung herstellen wollen. Eher im Gegenteil: Musik, wie z.B. Brahms, die gerade nicht auf solche Wirkungen abzielt, scheint mir zu der vergleichsweise robusten zu gehören. Von Brahms bleibt auch noch sehr viel übrig, wenn stur die Noten abgespielt werden. Wenn dagegen die Ouverture zur Fledermaus (m.E. zweifellos ein Meisterwerk) ohne entsprechende Brillanz, Witz und Drive dargeboten wird, kann mans ziemlich vergessen. Aber ich weiß auch nicht, ob man das verallgemeinern kann; Reger kenne ich zu schlecht, aber hier habe ich den Eindruck, dass der ebenfalls etwas Hilfe vom Interpreten benötigt...


    Es kommt also tatsächlich auf gewisse Eigenschaften der Musik an, die vermutlich nicht immer leicht zu benennen sind und natürlich gibt es eine persönlcihe Komponente, unbestritten. Bei Händel oder Vivaldi ist ziemlich klar, dass es nicht unwesentlich auf den Interpreten ankommt, denn die Musik hing schon damals zentral von der Virtuosität und Ausdruckskunst der Solisten ab. Es steht einfach sehr viel nicht da oder nicht explizit


    Zitat


    Wie auch immer - ich weiß ja um Deinen Zusatz cum grano salis :) - ich bin der Meinung, daß erstklassige Musik sich nicht unbedingt durch Resistenz gegenüber Interpretationen auszeichnet bzw. umgekehrt, zweit -und drittklassige Musik durch hervorragende Interpretationen an Attraktivität und Wert gewinnt. Er wird dadurch nur offenbarer.


    Dass es bei erstklassiger Musik beides gibt, habe ich nie bestritten. Und natürlich gibt es Musik, die einfach uninteressant bleibt, egal, was man damit anstellt


    Zitat


    Wenn dem so wäre, wie müßte ich dann, um bei Deinem Beispiel zu bleiben, urteilen? Boccherini war ein zweitklassiger eher langweiliger Komponíst, aber unter den Händen der Alten Akademie wird seine Musik erstklassig??


    Ich habe in meinem posting nun wirklich sehr deutlich formuliert "ich fand". Ich kenne zu wenig von Boccherini (alles mit Gitarre kontaminierte fällt schonmal eh weg), war aber sogar schon kurz davor, diese billige Capriccio-Box zu bestellen, die ist bisher aber dann doch immer durch Raster gefallen. Daher maße ich mir noch kein Urteil an.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Das beste in der Musik steht nicht in den Noten, soll Mahler mal gesagt haben.


    Meiner Meinung nach gilt das für jede Musik. Und jede Partitur bedarf eines gewissen Zupackens seitens des Dirigenten oder Solisten. Deshalb halte ich auch nichts von "Anti-Interpretationen" die mir einfach nur die Partitur vorlesen, denn das kann ich auch selber, dafür muss ich nicht ins Konzert.


    Es gibt jedoch Musik für die dies ganz besonders gilt. Ich denke da vorallem an romantische Klaviermusik oder Hochbarocke Oratorien.

  • Ich denke, dass es Stücke gibt, die eigentlich nur ganz genau gespielt sein wollen, so übersät sind sie mit Vortragszeichen. Über die genaue Entzifferung des Notentextes hinausgehende Interpretation ohne Verletzung des Notentextes (ähm, eine Stilblüte) ist da gar nicht möglich: Schönbergs und Stockhausens Klavierwerk.


    Hier ist aber die Rede vom Dirigenten, der ja auch für die Ballance zuständig ist, die wohl immer ein wenig subjektiv bleibt, somit ist die Blüte bei Orchestermusik wohl stets dirigentenabhängig.

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