Die Nachwelt flicht dem Mimen keine Kränze - und den Interpreten auch nicht (??)

  • Liebe Forianer,


    Natürlich werden heute Caruso und Gigli, Callas und Tebaldi, Furtwängler und Toscanini, Karajan und Böhm, Kempff und Backhaus, Horowitz und Rubinstein gefeiert und noch etliche andere, beispielsweise Heifetz und Menuhin, Milstein und Stern - um nur einige zu nennen.


    Aber wer erinnert sich all der anderen ??
    Ich spreche jetzt nicht von der sogenannten 2. und 3. Garnitur - sondern von Künstlern, die zu Lebzeiten die Konzertsäle füllten - die für ausverkaufte Opernhäuser sorgten - die die Umsätze der Schallplattenkonzerne in gewaltige Höhen schnellen ließen - und die dennoch heute - mehr oder weniger - vergessen sind.


    Genau denen ist dieser Thread gewidnmet - um an ihre Leistung - an ihre Eigenart - ihre Aufnahmen zu erinnern - und vielleicht erwacht für den einen oder den anderen jenes Interesse - das eigentlich alle verdienen würden.....


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Spontan fällt mir zu diesem thread Rudolf Schock ein, Jg. 1915, in den fünfziger Jahren hoch berühmt. Mit eigener Fernsehshow, als Tenor ein wenig in Frage gestellt- ob denn alle wirklich hohen Töne von ihm selbst seien. Heute ziemlich vergessen,in keiner Weise so präsent wie Wunderlich oder auch Peter Anders.
    Ich erinnere mich, dass meine erste Opernplatte mit Rudolf Schock war, als Belmonte, alle anderen habe ich vergessen. Wegen seines Hangs zum Boulevard habe ich ihn als Heranwachsender verachtet. Wenn ich ihn heute in alten Aufnahmen höre,finde ich die Stimme gar nicht so schlecht.
    Wenn ich mich frage, warum ist er so -relativ- vergessen ? fällt mir ein, dass er seine Popularität nicht so sehr aus seinem Können, sondern aus seiner verbindlichen Art bezog. Ein typisches Geschöpf der 50ziger Jahre. Im öffentlichen Auftreten immer heiter- Solche " Helden" haben eine kurze Halbwertzeit. Ich denke paralell an Peter Alexander,dessen Ruhm schon zu seinen Lebzeiten heftig verblasste. Solche "Lieblinge der Götter" werden bedenkenlos durch neue ersetzt und die alten sind vergessen.
    Heute habe ich das Gefühl, Schock ist zuviel vergessen.
    P.S. Ich lese, das gerade ein thread über ihn eröffnet worden ist. Na also...

  • Wenn wir bei Schock sind, kann man ja gleich Anneliese Rothenberger ins Treffen führen - eine ungeheuer begabte Sängerin, die die perfekteste und erotischeste Lulu singt, die ich kenne. Und dann kam das Liebäugeln mit der Operette und dem Schlager, schließlich auch eine TV-Sendung und so allmählich die Versenkung.
    Weiters fällt mir René Kollo ein, der es schaffte, in der gleichen Rolle zwei Extreme zu liefern: Er war der beste Tristan den ich hörte und der schlechteste auch - in Bayreuth war er unglaublich, in Wien jämmerlich. Außerdem neigte Kollo, dessen Nerven nie ganz ok. waren, dazu, sich sehr oft sicherheitshalber als indisponiert ansagen zu lassen - und dann glänzend zu singen.
    Und noch einen weiß ich: Erinnert sich noch jemand an Rainer Goldberg? Das war für ein paar Jahre der Heldentenor. Ich habe live kaum je einen besseren Siegfried oder Tannhäuser gehört. Aber auch bei ihm spielten die Nerven nicht ganz mit. Während der von Lorin Maazel dirigierten "Tannhäuser"-Premiere an der Wiener Staatsoper verließ Goldberg, der bei der generalprobe einfach gigantisch gesungen hatte, ohne einen Mucks die Bühne. Und damit begann sein Marsch in Richtung Vergessenheit.

    ...

  • Sagitt meint:


    Ein sehr interessantes Phänomen. Der nervöse Tenor. Einige Beispiele sind beschrieben worden, wir könnten sofort hinzufügen, Corelli,Shikoff,auch Carreras,jedenfalls in seiner Begegnung mit Berstein bei den Proben zur westside story. Er ganz bleich, Bernstein kurz vor dem Herzinfarkt.
    Hörte man gleiches, in gleichem Umfang von Baritonen oder Bässen ?


    Woran liegt es, wenn es stimmt, das die hohen Stimmen die emotional gefährdeten zu sein scheinen, eine Sopranistin,nicht die Altistin, ein Tenor,nicht ein Bass ?

  • Nun, das ist wohl eine leichte Frage. ;) Die Höhe ist mühsam errungen und nur ganz selten wirklich sattelfest und jederzeit auf Abruf bereit (oft wirklich praktisch täglich neu erarbeitet). Die Tiefe mag zwar erarbeitet sein, aber wenn sie da ist, neigt sie nicht mehr so leicht zum Verschwinden.
    Für die hohe Stimme ist also jeder Auftritt ein Abenteuer, oft ein Sprung ins Ungewisse, das zehrt natürlich an den Nerven. Bei der tiefen Stimme geht es in erster Linie darum, die Abendverfassung möglichst gut umzusetzen, sie kann sich viel mehr auf die Gestaltung konzentrieren. Hauptgefahr ist oft, dass bei zu ambitioniertem Singen gegen Ende die Kraft ausgeht.


    Es gibt aber Gegenbeispiele. Alfredo Kraus schien keine Höhenprobleme gekannt zu haben. Das C war grundsätzlich immer da, sogar das D war bei guter Verfassung ungefährdet, beim Es begannen dann die Schwierigkeiten, und das bei einem über 60jährigen! Er strahlte diese Souveränität auch ganz offen aus. Ebenso scheint Edita Gruberova ein weibliches Gegenstück zu sein. Generell scheinen aber die Herren anfälliger für Höhenfieber zu sein...
    Davor sind aber auch die tiefen Stimmen nicht ganz gefeit. Es gibt so manche Rollen, die für tiefe Stimmen in ungewohnte Höhen gehen. Diese Stellen sind dann ähnlich gefürchtet, oft nicht einmal nur wegen der Erreichbarkeit, sondern mehr noch durch den erforderlichen zusätzlichen Kraftaufwand, der dann gegen Ende der Vorstellung zu argen Konditionsproblemen führen kann (Paradebeispiel Hans Sachs, der allerdings in jeder Hinsicht überdimensional ist).
    Bei Mezzos ist es wieder ein klein wenig anders. Die müssen sehr oft die gleiche Höhe singen wie der Sopran, nur sehr viel seltener, und sie müssen nicht oben verweilen. Dumm sind dann die Ausnahmen, weil sie die Stimmsubstanz gefährden (Adalgisa wird aus Gründen des Kontrasts gerne von Mezzos gesungen - oder besetzt - was zwar gut klingt, aber sehr anstrengend ist. Und wenn Christa Ludwig sich an Rollen wie Leonore oder Marschallin wagt, ist die Leistung bewundernswert, grenzt aber dennoch an Raubbau an der Stimme, die permanent in der Höhe überanstrengt wird.).
    Und die wirklich gefährlichen Rollen sind wieder eine andere Geschichte...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Sagitt meint:


    So leicht nun auch wieder nicht. Ein Osmin darf ebenso wie ein Caronte fürchten, dass die Tiefe ausbleibt. Noch mehr als ein Tenor, denn diese Töne kann man nicht erstemmen, sie sind da oder es wird heisse Luft daraus. Richtig ist sicher, dass a) diese Töne seltener verwendet werden b) man sie notfalls oktavieren könnte,obwohl das für einen Bass schon seltsam wäre, wenn er das tiefe D oktaviert.


    Mich interessiert,ob es die Charaktere sind und was dabei, das diese Nervosität hervorruft ?

  • Hallo Sagittarius


    Zitat

    Ein Osmin darf ebenso wie ein Caronte fürchten, dass die Tiefe ausbleibt


    Du fischst zwei Extrembeispiele heraus, die keineswegs für das Fach repräsentativ sind, während es bei den hohen Partien ein durchgehendes Problem ist. Der Osmin könnte aus seinem "Problem" sogar noch eine witzige Szene machen, und wie oft wird der Caronte schon gesungen? Gelegentliche Problempartien auf der einen Seite, Dauerstress auf der anderen, dazu kommt, dass das Publikum nach den geschmetterten hohen Tönen giert, was den Stress noch weiter erhöht....



    (Wenn dem Trovatore in seiner Stretta der Schlusston abreisst, ist das eine Katastrophe, die gesäuselte tiefste Note des Osmin wird dagegen vergleichsweise locker in Kauf genommen werden, wenn der Rest der Figur überzeugend und witzig gegeben wird. Man müsste einmal Osmin-Sänger fragen: ich denke, die werden sich weniger Sorgen um den tiefsten Ton machen, als über das Problem sinnieren, "wie zum Teufel soll ich die hohen Triller hinkriegen?").

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    Wir kommen ein wernig vom Thema ab - aber seis drum:


    Tenöre sind deshalb so nervös, weil sie einerseits vom Publikum verhätschelt vergen - andrerseit wird ihr Versagen nicht verziehen. Manche Leute gehen ja nur in den Troubadur, um su hören ob der Tenor die Stretta "schmeisst" ....... :P


    Aber zurück zum Thema:


    Bei der Themenerstelleung habe ich vorzugsweise an Künstler gedacht, die vor 30 jahren das Mass aller Dinge waren, bzw. von denen die Schallplattenfirmen. denen sie angehörten, solches zu suggerieren versuchten...
    ---und deren Aufnahmen heute nicht mehr- oder kaum erhältlich sind.


    Einigen der Genannten möchte ich in weiterer Folge Spezialthreads widmen.
    Meine persönlichen Favoriten - die ich dem Vergessenwerden entreissen möchte - werde ich in weiterer Folge des Threads nennen


    Freundliche Grüsse aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Vergessen ist der normale Vorgang. Bis auf wenige Künstler, die ihre Bedeutung behalten, Callas, Wunderlich,Gould usw. sind die allermeisten mehr oder weniger vergessen. Ida Haendel,Holm oder Hopf,Greindl, Casadesus, Keilberth,Köth. Alles Namen, die nur den Spezialisten noch etwas sagen. Wenn ich ein Lexikon der Künstler aufschlage, würden sich die Namen extrem vervielfältigen.
    Ich kam auf Schock als ersten, weil der doch sehr bekannt war,ebenso wie die Rothenberger. Lisa della Casa wäre ein anderer Fall. Sie war hochrenommiert-hat häufig an der MET gesungen und überall, wo Spitzenkräfte tätig sind, aber recht früh( und frustriert) die Bühne verlassen. della Casa gibt keinerlei Interviews,lebt zwar noch, aber ist doch überwiegend vergessen.

  • Hallo,


    ich finde das ganz gut so, weil sonst gar kein Platz wäre für die heutige Künstlergeneration. Die haben´s eh´ schon schwer genug, gegen die allgegenwärtigen Altvorderen anzukommen.



    :hello:
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

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  • Zitat

    Original von salisburgensis
    ich finde das ganz gut so, weil sonst gar kein Platz wäre für die heutige Künstlergeneration. Die haben´s eh´ schon schwer genug, gegen die allgegenwärtigen Altvorderen anzukommen.


    Da ist gewiß etwas dran. Wie Sagitt sagte, Vergessenwerden ist für einen nachschaffenden Künstler die Regel (und nichts anderes drückt ja das Goethe-Zitat aus). Die Tatsache von Funk- und Plattenaufnahmen hat diesem Umstand schon gepuffert. So würde ich in Sagitts Reihe z.B nicht zustimmen, das Casadesus vergessen sei. Vermutlich war ier in Deutschland nie so bekannt wie anderswo, aber z.B. seine Mozart-Konzerte mit Szell, die Beethovensonaten mit Francescatti und die Debussy- und Ravel-Einspielungen dürften wohl auch heute sehr verbreitet genannt werden, wenn es um Aufnahme-Empfehlungen besagter Werk geht.
    Daher bin ich auch gespannt auf Alfreds Liste der Künstler, die noch vor 30 Jahren als "Maß der Dige" galten, heute aber nur mehr Namen oder nicht einmal das sind. Ich glaube, da muß man schon wesentlich weiter zurückgehen, zu Künstlern, von denen kaum Plattenaufnahmen vorliegen. Aus dem Schellack-Zeitalter kennt man wirklich höchstens noch die Superstars wie Caruso, Tauber usw, wenn man kein "Spezialist" ist.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Uns darf man natürlich nicht fragen. Wir kennen alle die Künstler, die ich erwähnt hatte und noch mehr. Nein, irgendeinen Menschen, der eher ein loses Interesse an der Klassik hat. Ja, wahrscheinlich hat er nie Casadesus gekannt und ihn auch deswegen nicht vergessen.
    Für diesen Kreis bleiben nur ganz wenige Namen, die sich nach dem Tode halten.
    Für die nachwachsenden Künstler ist dies ein Vorteil. Dies ist absilut richtig. Ich erlebe es an mir selbst. Kann ich XY vergessen, wenn ich A, B oder C höre ? Ich erlebte es an Joachim Kaiser ( sowohl, was sein Buch angeht als auch sein Bekenntnis, ihn würde die ein oder andere Interpretation langweilen, weil er eben XY und auch Z kenne)



    Sagitt

  • Also ich finde das Vergessenwerden als schrecklich.


    Vor allem dann, wenn ich als Argument verwende, daß dies der heutigen Künstlergeneraton nütze.
    Was bedeutet das im Klartext ?


    "Die heutige Künstlergeneraton ist nicht konkurrenzfähig"


    Das mag sicher im Einzelnen überzogen sein - sehr oft nicht zutreffen - aber dennoch ein Teil der Angst vor dieser Aussage ist ganz klar erkennbar.
    Das ist ja nicht nur eine Frage der Kunst, das ist "Zeitgeist"
    Wenn man sich heute einen HIFI Verstärker kaufen will - in der Qualität wie der alte- vor 25 Jahren gekaufte war, so bekommt man zu hören:
    Sowas in DER Qualität wird heute gar nicht mehr erzeugt.


    Ähnlich ist es bei den Künstlern.
    Sie sind - ich sage es vorab - nicht eigentlich schlecht. Aber es fehlt ihnen das Aussergewöhnliche - das Individuelle - das Erhabene - Dinge die Künstler vergangener Generationen - zusätzlich zu erstklassigem Spiel - jederzeit anzubieten hatten.


    Genau das hat man jetzt auch in der Tonträgerindustrie erkannt - und man versucht bei Künstlern Charisma zu orten - wo gar keines ist.


    Die Künstler der Vergangenheit - nicht alle - aber viele - hatten einen eigenen Stil, und waren charismatisch.


    Zitat

    Daher bin ich auch gespannt auf Alfreds Liste der Künstler, die noch vor 30 Jahren als "Maß der Dinge" galten, heute aber nur mehr Namen oder nicht einmal das sind.


    Sooo hab ich das nicht geschrieben - da war noch der Zusatz dabei:
    von denen die Schallplattenfirmen. denen sie angehörten, solches zu suggerieren versuchten...


    Und indirekt dient dieser Thtread ja ach dazu - darüber nachzudenken - ob, wenn ich eine CD mit einer angeblichen "Größe von heute" kaufe - ob diese "Größe " nicht in 15- 20 Jahren als "Sternschnuppe" oder "Zeiterscheinung" abqualifiziert wird.


    Ich persönlicvh versuche zumindest "Aufnahmen für die Ewigkeit" zu kaufen......


    LG


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Also ich finde das Vergessenwerden als schrecklich.


    Ich finde die Endlichkeit der menschlichen Existenz auch nicht toll. :rolleyes: Aber dagegen kann man wenig machen. Sie zu verdrängen führt eher dazu, die endliche Existenz noch zu verderben. Kunst, die um lebendig zu sein, immer wieder der Interpretation als eines zeitlichen, begrenzten Prozesses bedarf, "bezahlt" ihre m.E. gegenüber statischen Stücken der bildenden Kunst größere Intensität im Erleben eben mit dieser Flüchtigkeit.
    Diesen Aspekt zu verleugnen führt zu einer Art Fetischismus, dem wir Sammler alle leicht zu erliegen drohen, nämlich der Idee einer "Aufnahme für die Ewigkeit". Diese Idee ist offenbar widersinnig, weil sie etwas zu einem "zeitlosen Ding" macht, was im Wesen kein Ding wie eine CD ist und auch nicht zeitlos, sondern etwas prozessartiges, zeitliches, offenes.


    Zur jüngeren Künstlergeneration: Ich sehe das etwas anders. Praktisch alle Musik vor 1800 hat allein durch die "HIP"-Bewegung derart profitiert, dass ich persönlich bei den Wiener Klassikern zwar noch vereinzelte "alte Referenzen" hege, bei Musik bis 1750 aber keiner alten Zeit nachtrauere. Im Opernbereich mag ein gewisser Mangel an bestimmten Sängertypen bestehen. Aber das ist nichts Neues! Wer einmal Melchior gehört hat, wird kaum Windgassen als Referenz akzeptieren. Dafür gibt es für die Oper von Monteverdi bis Mozart (oder Rossini) heute eine Reihe ganz exzellenter Sänger, sicher mehr als vor 50 Jahren.
    Natürlich stirbt ein gewisser Künstlertyp aus. Pianisten in "direktem Kontakt zur Romantik" wie Rubinstein oder Horowitz kann es heute nicht mehr geben. Die Frage ist aber, ob das nicht vielleicht auch eine Chance ist, besonders für die Interpretation der Musik außerhalb des 19. Jhds.
    Was Orchester und Dirigenten betrifft, so scheinen sich die meisten einig zu sein, dass die Professionalität zugenommen hat. Stücke, die 1950 noch als außerordnetlich schwierig oder "Spezialisten" vorbehalten galten wie Strawinskys Le Sacre oder sogar Debussy gehören zum Standard.
    Damit ist indes auch ein Verlust regionaler Individualität einhergegangen. Aber wiederum, das ist einfach der Lauf der Welt der letzten 50-100 Jahre auf allen Gebieten des Lebens, in der Musik natürlich u.a gerade wegen der Möglichkeit der Tonaufzeichnung.


    Schließlich, wenn man den Mythos der "Interpretation für die Ewigkeit" und des lange vergangenen "Goldenen Zeitalters" pflegt, dann hat der heutige Interpret von vorherein keine Chance. Wie soll er gegen diese ihm gegenüber extrem negativen Voreinstellung bestehen?


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Der Goethe wollte auch nicht, dass seine Spuren in Äonen untergehen. Bis jetzt ist es ihm geglückt. Aber 500 Jahre weiter ? oder 5000 oder 50000 ? Die Erda soll um die vier Milliarden auf dem Buckel haben.
    Und ist doch nur ein kleiner Stern.
    Was ist in den vier Milliarden Jahren alles passiert und wir grämen uns wegen 60,70,80 Jahren ?
    Nein, es ist unvermeidlich, im Mahlstrom der Zeit zu verschwinden.


    eine unangenehme Nachtruhe macht mir dieser Gedanke gar nicht.


    Für Künstler ist der Abschied natürlich schwerer. Der Beifall hat einen genährt und nun ist man vergessen,vielleicht bereits zu Lebzeiten.


    Würde man genauer darüber nachdenken ( Montaigne), könnte sich viel Verkrampfung entspannen !


    Sagitt

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  • Auch wenn, der Thread schon alt ist, möchte ich mich noch einmischen.


    Ich glaube die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Natürlich gibt es neue Entwicklungen, die der Interpretation der Klassik sehr gut getan haben, wenn ich auch bei HIP nicht immer gleich begeistert bin. Allein, dass ein Stück auf den für seine Zeit authentischen Instrumenten gespielt wird, macht die Aufnahme nicht zwingend hörenswert.


    Aber ich muss auch dem großen Vorsitzenden Recht geben: Heute werden insbesondere Sänger und Sängerinnen immer stromlinienförmiger. Irgendjemand sprach kürzlich von der Ära der Laufstegdiven. Das trifft es wohl zeimlich genau. Äußerlich eine Übererfüllung des Schönheitsidealsl, solider Gesang, aber eben meist kein großartiger. Würde eine Jessye Norman heute noch ein großer Star werden? Ich bezweifle es - und nicht nicht nur in ihrem Fall.


    Und dieses musikalische Mittelmaß tritt dann bei Galaabenden auf, die klassische Hausmannskost bieten. Das mag alles sehr gut zu vermarkten sein, erinnerungswürdig hingegen finde ich es nicht.


    Das war Ende der Vierzieger und in den Füfzigern noch anders. Damals war für viele Menschen 'Hochkultur' das Letzte, was ihnen nach dem Krieg geblieben war. Es ist also kein Zufall, dass damals in Deutschland die Theaterbesuchszahlen enorm anschwollen, und es zu einem Qualitätshöhenflug im Bereich Klassik kam.


    Ich greife daher bei vielen Opernaufnahmen sehr gern zu 'ollen Kamellen', die Interpretationen von Bestand und Gültigkeit für mich sind. Hier wurde nicht produziert, um ein hübsches Gesichtchen meistbietend unter die Massen zu bringen.


    Eine Rita Streich oder Irmgard Seefried z. B. halte ich heute für bedauerlich unbekannt bei Menschen, die nicht vor allem Oper oder Klassik hören. Natürlich gibt es auch heute erstklassige Sänger und Sängerinnen (wie eine Schäfer z. B.). Leider werden die nicht zur Legende, weil die Label und Opernhäuser glattere Stars pushen. Genug des Gejammers.


    Marschallin

    Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding...

  • Liebe Marschallin
    Das war ja auch Alfreds Intention, hier im Forum, an jene Künstler zu erinnern,die einst Säle füllten und schnell in Vergessenheit geraten sind.Er möchte sie dem "Vergessensein" entreißen. Wenn du einen Künstler kennst ,der hier erwähnt werden sollte, dann stelle deinen Beitrag ein.
    Es grüßt
    Padre
    " Das Herz adelt den Menschen"

  • Liebe Marschallin, du sprcihst mir aus der Seele!!!! :yes:
    Bin leider zu mûde, um mehr zu schreiben und zwitschere nun ab in mein Nest. Bonne nuit :angel:

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  • Lieber Alfred,


    Zu den - sogar von vielen Spezialisten - vergessenen Größen gehört der Tenor Karl Terkal (1919-1996), der vor einem halben Jahrhundert nicht nur den Wienern ein Begriff war - sowohl in der Oper wie in der Operette. Heute kennt ihn fast niemand, obwohl ein Park und eine Rosensorte nach ihm benannt sind. Er war ein typischer Vertreter der Ensemble-Ära, sang sowohl große Partien wie auch kleine (etwa einen Geharnischten in der "Zauberflöte") und war ein ebenso intelligenter wie guter und vielseitiger Künstler - vom dramatischen Fach bis zum Wienerlied. Er hatte die vielzitierte persönliche Ausstrahlung. Sozusagen wieder ein B-Tenor, der eigentlich in die A-Klasse gehörte...


    LG


    Waldi

  • Ich denke auch an die vielen großen Dirigenten des letzten Jahrhunderts, die heute kaum noch erwähnt werden: z.B. Hermann Scherchen, der immer bestrebt war, zeitgenössische Musik zu fördern und auch die eher unpopuläre Spätromantik zu verbreiten. Er trat sehr für die Verbreitung der Schallplatte ein und hinterließ uns einige grandiose Einspielungen.


    Ich möchte dabei noch auf die tolle CPO-Box mit Musik von Max Reger hinweisen:



    Weitere faszinierende Porträts von teilweise heute fast vergessenen Dirigenten gibt es auf der grandiosen DVD "The Art of Conducting":


    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

  • Dann darf ich einmal sagen "Im Spotlight die Hollandische Aafje Heijnis".
    Eine richtige Altistin, die so bescheiden war, daß sie sich schämte nur eine "beschränkte" Schulbildung bekommen zu haben. Darum war sie nur wenig im Ausland zu hören. Daß man ihr dort trotzdem kennen gelernt hat, verdankt sie zwei Umstände.



    Während eines Besuches an Salzburg hörte Heijnis den Dirigent Hans Gillesberger als Chordirigent-Organist im Domkirche. Sie war davon so beeindrückt, daß sie am Ende des Konzertes Mut faßte und das Treppchen hinaufstieg um ihn zu danken. Als er hörte, sie war Sängerin, fragte er ihr etwas vorzusingen. Eine Reihe Schallplattenaufnahmen waren die Folge dieser Begegnung.
    Sie hatte vier EPchen (45 Upm) mit darauf Englische Volkslieder aufgenommen. Gerade für diese EPchen wurde sie 1961 unterschieden mit dem Harriet Cohen International Music Award 'for outstanding artistry'.


    19 Dezember 1983 trat sie zum letzten Male auf. Schon 1976 hatte sie gesagt "Ich beende meine Laufbahn als ich noch auf dem Gipfel des Berges bin. Und bei dem Abstieg wird kein Publikum Zeuge sein".
    Und jenen 19. Dezember war es so weit. Sie hatte gerade ein Weihnachtskonzert gegeben, verläßt die Kirche und sagt ihrem überraschten Gatten "Dies war das letzte Konzert. Es reicht. Sag alles ab".



    LG, Paul

  • Lieber Paul,


    ich habe leider nur eine Kassette mit Aufnahmen von Aafje Heijnis, die ich aber immer wieder gern höre. Heijnis hatte eine wunderbare Altstimme, die sich vor der Kathleen Ferriers nicht zu verstecken brauchte.
    Leider ist sie nie so bekannt geworden wie ihre englische Kollegin.
    Die englischen Volkslieder würden mich interessieren, gibt es die auf CD?


    LG, Petra

  • "Eri tu" - Renato schwankt zwischen Wut auf den Rivalen und Erinnerungen an die erste Zeit mit Amelia. Eine Aufnahme dieser Arie hat sich bei mir festgehakt und lässt sich auch durch so großartige Interpretationen wie die von Leonard Warren nicht verdrängen.
    Ausladend in der Wut, anrührend innig-klagend in der Erinnerung -
    Sänger des Renato auf dieser Live-Aufnahme von 1950 aus New Orleans ist Marko Rothmüller.
    Marko WHO? Ich hatte diesen Namen vorher noch nie gehört.
    Dem Booklet entnehme ich, dass er Jugoslawe war, in Zagreb und Wien studiert hat, 1932 an der Hamburger Oper debütierte, und "for several years the leading baritone of the famous Vienna State Opera" war.
    Mein Verzeichnis der Operneinspielungen ergibt gerade mal zwei Einträge- die Verkaufte Braut von 1939 aus dem Covent Garden und eine Salome von 1947 aus der Wiener Staatsoper.
    Im Winterreise-thread wird seine Aufnahme von heldenbariton besonders hervorgehoben.
    Ansonsten weiß ich nix, gar nix über ihn. Kann mir jemand weiterhelfen?
    Ich habe irgendwo einmal gelesen, dass es ein Buch über jüdische Sänger, verfasst von einem Aaron Marko Rothmüller, gibt . Da der Name so häufig im Musikleben wohl nicht ist, nehme ich mal an, es ist von dem Sänger verfasst worden?
    Gibt es in der Edition WIENER STAATSOPER LIVE Aufnahmen mit ihm?
    Ich habe leider nur Nr. 4, und da ist er nicht mit drauf.


    Es grüßt euch
    eine ratlose Petra

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  • Lieber Paul,


    mein Computer hatte eben einige Tücken. Falls meine Antwort auf Deine mail nicht bei Dir angekommen ist, hier nochmals ein herzliches Danke für die Links und die ausführliche Beschreibung!


    :hello:
    LG, Petra

  • Eigentlich brauche ich nur meine LP-Sammlung durchzugehen um mich zu fragen, wer kennt heute noch...


    ZUm Glück sind sie nicht alle tot. Vorerst noch ohne nähere Begründung ein paar Namen, die früher einmal völlig zu Recht für sich sprachen, einfach in der Reihenfolge, in der sie mir ein- und auffallen:


    Agnes Giebel (sang jemals jemand schöner Bach, wie unhistorisch auch immer?


    Licia Albanese (Toscaninis Traviata!)


    Janet Baker gehört hoffentlich zu den Bleibenden, aber Aufnahmen mit ihr gibt es kaum noch


    Anton Dermota (es gab nicht nur Wunderlich im Sektor Schöngesang


    Leopold Simoneau wäre in dem Zusammenhang ebenfalls zu nennen.


    Hilde Güden (allein ihr Strauss und ihre Operetten)


    Wie viele Aufnahmen kursieren noch mit Francisco Araiza? Wieviele Bessere gab es seither?


    Sylvia Geszty (kennt überhaupt noch jemand diese tolle Sporanistin?)


    Die Josefs Traxel und Metternich, Wilma Lipp, Elfriede Trötschel, EDith Mathis, Sena Jurinac!!!


    .......


    Ich höre lieber erst mal auf, denn das macht so spät am Abend traurig.


    Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Sylvia Geszty (kennt überhaupt noch jemand diese tolle Sporanistin?)


    Und gerade in meinem Schnipselthread, wo Du auch geschrieben hast, hatte ich etwas höher geschrieben, daß Adolphe Adams "Ah vous dirais-je, Maman" auf eine LP von mir durch Geszty gesungen wird, und daß jene LP gekratzt ist. :rolleyes:


    LG, Paul


  • Hallo Rideamus,
    Araiza (war über 20 Jahre lang mein Lieblingssänger) ist Jahrgang 1950, passt also nicht ganz in deine Liste, leider hat er seine Karrere vorzeitig in den Sand gesetzt, denn er könnte heute locker noch singen. Bis auf seine allererste Arienplatte gibt es meines Wissens noch alles von ihm, vieles sogar inzwischen auf DVD: Cenerentola (hab ich mir erst heute gekauft, weil meine Videokassette allmählich den Geist aufgibt), Manon, Faust, Cosi fan tutte, Zauberflöte (zweimal), Entführung, Falstaff - wahrscheinlich habe ich noch etwas vergessen.
    Die Lücke, die er zumindest für mich hinterlassen hat, konnte erst Florez wieder füllen, wobei ich gerne zugebe, dass der besser ist als Araiza (zumindest höhensicherer, über Timbre kann man ja immer streiten. Ich liebe beide Stimmen sehr!)
    Es freut mich jedenfalls, dass er nicht nur mir abgeht und noch jemand an ihn denkt! :]
    lg Severina :hello:

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