Christus von Franz Liszt

  • Franz Liszt wurde am 22.10.1811 in Raiding bei Ödenburg (Burgenland/Österreich geboren. Sein Vater Vater Adam wr zunächst Schreiber, später Amtmann beim Fürsten Esterhazy. Franz erhielt ersten Klavieruntericht vom Vater, mit 8 (acht) Jahren erste Kompositionen. Er galt als Wunderkind. Stipendium durch ungarische Adlige, um ein ordentliches Musikstudium zu ermöglichen. Ab 1822 in Wien, spielt Beethoven vor, der ihn lobt, wurde von Czerny (Klavier) und Salieri (Komposition) unterrichtet. Bereits ein Jahr später ging er mit seinem Vater nach Paris, wo er am Konservatorium keine Aufnahme fand. Dafür Reicha und Paer als neue Lehrer. Unterricht wie schon in Wien eher nebenbei, Hauptsache waren die Konzertreisen, die der Vater arrangierte, solange Franz noch als Wunderkind verkauft werden konnte. Adam L. starb jedoch 1827, als Franz erst 16 Jahre alt war. Er musste da für sich und seine Mutter aufkommen. Zahlreiche Konzertreisen, erarbeitete sich den Ruf als Virtuosen. Daneben erwarb er sich als Autodidakt Allgeinbildung, was er in seiner Jugend vernachlässigen musste.
    In der Literaur fand er Anregungen für seine Kompositionen, die jedoch entsprechend dem damaligen Zeitgeschmack eher virtuos waren als geistige Tiefe aufwiesen. Erst beim späteren Überarbeiten gewannen sie an musikalischer Substanz.
    Etwa 1834 Verhältnis mit der verheirateten Gräfin Marie d'Agoult, was damals einen ungeheueren Skandal verursachte. Das Paar floh nach Genf. Die Jahre bis zur endgültigen Trennung 1844 verbrachten sie an wechselnden Orten. Der Verbindung entstammten 3 Kinder: Blandine 1835, Cosima 1837 und Daniel 1839. Spätestens um Diese Zeit zerbrach die Beziehung zu Marie d'Agoult. Höhepunkt seiner Virtuosenlaufbahn.
    1839 Rückkehr in die Heimat, die damals zu Ungarn gehörte. Man feierte ihn als ungarischen Musiker, obwohl er kein Wort Ungarisch verstand oder sprach. 1842 Ernennung zum "Hofkapellmeister in außerordenlichen Diensten" in Weimar. 1849 gab er seine Virtuosenlaufbahn auf und nahm festen Wohnsitz in Weimar, wo er bis 1861 blieb. Durch die Kapellmeistertätigkeit entstanden zunehmend Kompositionen für Orchester. 1847 lernt er in Kiew die russische Fürstin Caroline zu Sayn-Wittgenstein kennen, die ihm bald darauf nach Weimar folgte. 1860 ging die Fürstin nach Rom, um vom Papst die Scheidung zu bewirken. Liszt folgte ihr ein Jahr später.. Das Scheidungsbegehren hatte keinen Erfolg. U. a. deshalb verstärke Hinwendung zur kath. Kirche, die aber auch seinen persönlichen Wünschen entsprach und sich wohl auch schon früher abzeichnete. 1865 empfing L. die niederen Weihen (Abbé, später auch Kanonikus). Fast gleichzeitig neue Schaffensphase: Kompositionen religiösen Inhalts. Es entstanden hauptsächlich seine großen Messen, die "Legende der Heiligen Elisabeth" und der "Christus". Ab etwa 1861 keinen festen Wohnsitz mehr, hauptsächlich jedoch Rom, Weimar und Bayreuth. Er starb am 31. Juli 1886 in Bayreuth und wurde ebenda begraben.

  • hallo, eine interessierte frage: fehlt hier der eigentliche textteil zum christus? oder soll das so sein? ?(


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Leider kann und will ich nicht stundenlang an einem Stück hier arbeiten. Ich habe eine Familie und andere Hobbies und ich sage ehrlich: ich habe die Möglichkeit des Bearbeitens hier unterschätzt.. 600Min. sind für mich zu wenig. Wenn Alfred kann und mag, kann er am Ende (Finis Operis) meinen Fortsetzungsaufsatz zusammenfügen. Dank im voraus, ggf. auch für das Verständnis - und wer's nicht hat, lässt's halt bleiben. :baeh01:


    Nach der biographischen Einleitung gestatte ich mir ein - allgemeines Zwischenspiel.


    Franz Liszt hatte besonders in Weimar einen großen Schülerkreis um sich versammelt. Die bekanntesten waren Eugen d'Albert und Ferruccio Busoni. Franz Liszt war seinen Schülern der beste Freund und Förderer. Er galt aber auch darüber hinaus als äußerst hilfsbereit und freigebig.


    Im allgemeinen möchte ich, aus meiner persönlichen Sicht, noch sagen, dass nach meinem Eindruck, Franz Liszt vor allem als Komponist von Klaviermusik betrachtet wird, dann auch als Komponist von Orchestermusik, als Komponist von religiöser Musik wird er nahezu ausgeklammert. Vielleicht ist es seinem äußeren Wesen und Leben zu sehr entgegengesetzt. Aber Franz Liszt war auch ein sehr religiöser Mensch. Das möchte ich nicht weiter kommentieren, das steht mir nicht an. Es wird erst seit wenigen Jahren versucht, diese Seite seines Wesens zu erfassen.


    Seine frühe Schaffensperiode war durch sein Virtuosentum gekennzeichnet. Er hat aber schon bald auch versucht Seelenstimmungen zu beschreiben, Ausdrucksmöglichkeiten auszuprobieren, zu erweitern. Er war Wegbereiter für Debussy, Richard Strauß und Arnold Schönberg. Als Kirchenmusikkomponist scheint er wohl ein Nachfolger Haydns, Mozart und besonders Beethovens zu sein.
    M.E. steht Liszt entgegen der seinerzeitigen Kirchenmusik und damit dem Cäcilianismus. Er versuchte symphonische Form und symphonischen Ausdruck auf die Kirchenmusik zu übertragen.


    (Das war es für Heute. Ich gehe jetzt Singen. Wann es die Fortsetzung gibt, weiß ich nicht. aber es gibt eine: großes Indianerehrenwort [Das gehört mit zum Besten, was ich zu geben vermag.]).

  • aha, das war mir nicht bewußt, daß das ein fortsetzungsroman wird ;)


    ich hatte mich eben gewundert, daß zum christus noch gar nichts stand ...


    aber, wenn du es so ausführlich machst, könntest du es ja auch zu einem allgemeinen liszt-thread 'aufwerten'. da wäre dir resonanz bestimmt größer und verdient hätte er's ... :jubel:


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Danke Klingsor, für die Resonanz. Ich weiß nicht, ob mein Aufsatz den Liszt-Thread aufwerten würde, das mögen Andere entscheiden. Wenn's wirklich gut wird, bin ich nicht nur damit einverstanden, dass die einzelnen Teile dieses Beitrages vereint werden, meinetwegen mag er dann auch woanders hin transportiert werden. Wenn ich anfange, in diesem Forum technische Experimente zu wagen, gibt es wahrscheinlich einen großen Knall und die Splitter dieses Forums finden sich im WorldWideWeb. Das möchte ich hier niemanden und am allerwenigsten Alfred antun (Das war ein Späßchen auf meine Kosten: Ich bin wirklich ein technisches Embrio und wunder mich mitunter, dass und wie ich das überhaupt schaffe mit einem Computer und dem Internet umzugehen. Herzlichen Dank an dieser Stelle an einen geduldigen Kollegen, einem sehr netten Nachbarn und nicht zuletzt meinem Großkousin, ohne deren Hilfe das nicht möglich wäre.


    Die Entstehung des "Christus" erfolgte in den Jahren 1853 bis zum 02.10.1866, als er dem Chefredakteur der 'Neuen Zeitschrift für Musik' die Fertigstellung seines Christus-Oratoriums brieflich mitteilte.
    Wann genau er jetzt anfing, sich mit dem Oratorium zu beschäftigen weiß ich nicht. Ich kann lediglich sagen, dass er im Jahr 1853 ein Textbuch in Auftrag geben wollte. 1857 dirigierte er in Aachen *L'enfance du Christ" von Berlioz. In diesem Zusammenhang wohl bat er die Fürstin Wittgenstein, ein Konzept für das Textbuch zu fertigen. 1862 setzte sich Liszt endlich ernsthaft mit seinem Plan auseinander und stellte sich den Text selbst aus Texten der Bibel und der katholischen Liturgie zusammen.
    Der Satz "Die Seligkeiten" wurde jedoch bereits 1855 mit deutschem Text vertont, das Pater noster spätestens 1866. Beide Teile konnten sich ohne stilistischen Bruch in den musikalischen Stoff des "Christus" einfügen, für den sie wenigsten ursprünglich nicht geschaffen worden sind.


    Am 06. Juli 1867 wurde der erste Teil des Oratoriums in Rom aufgeführt, am 31.Dezember 1871 in Wien (Anton Bruckner spielte die Orgel). Erst am 29. Mai 1873 kam es zu der ersten vollständigen Aufführung in der Herder-Kirche zu Weimar unter der Leitung des Komponisten.


    Fortsetzung folgt.

  • Ich habe die Sache ein paar Tage in meinem Herzen bewegt, weil ich mir klar war, dass ich so langsam zum Kern meines Aufsatzes vordringen muss. Ich tue dies einem Werk gegenüber, vor dem ich persönlich mit größter musikalischer als auch religiöser Bewunderung stehe. Ich möchte wenigstens versuchen, letzteres aus dem Aufsatz herauszuhalten. Ich will damit ausdrücklich sagen, dass ich mich meiner Verantwortung sehr bewusst bin.
    Da ich nicht weiß, ob und wieviel Freunde im Tamino-Forum dieses Werk überhaupt kennen, möchte ich ein eigenes Kapitel dem Aufbau des Werkes widmen.


    Ich persönlich werde das Werk weiter als Oratorium bezeichnen, obwohl ich das Werk nicht gern als solches bezeichne. Die Diskussion ist sicher nicht neu, trotzdem möchte ich auch meine persönliche Meinung schreiben. Ein Oratorium setzt wohl immer eine gewisse - - - dramatische Handlung voraus. Die hat dieses Werk nicht. Es hat auch keine handelnden Personen, zumindestens nicht in dem Sinne, wie das andere Oratorien haben. Es hat eher eine innere, ja seelische Handlung. Ich persönlich würde dieses Werk eher als Meditation bezeichnen, obwohl das Werk auch dramatische Ausbrüche kennt. Da Franz Liszt das Werk als Oratorium bezeichnet hat, werde ich das allein schon aus Respekt vor ihm tun. In letzter Konsequenz entzieht es sich jedem Gattungsbegriff.
    Das Oratorium selbst ist dreiteilig:

    1. Weihnachtsoratorium


    2. Nach Epiphania


    3. Passion und Auferstehung


    Außerdem besteht es aus vierzehn Sätzen, die ich in dem eigentlichen Versuch einer Werkseinführung bezeichnen werde.


    Für heute Danke für Eure Geduld.


    Liebe Grüße
    Bernd Hemmersbach (hemmi)

  • I. Tei Weihnachtsoratorium
    Nr. 1 Einleitung
    Die Einleitung ist ein reines Orchestervorspiel. Das Thema, welches gleich zum Anfang erklingt, ist das Motto, das Leitmotiv des gesammten Werkes. Liszt hat es einem gregorianischem Choral entnommen, dem 'Rorate coeli'. Dieser Gesang war urprünglich der Introitus zur Messe am 4. Adventssonntage. Der Text lautet in der mir bekannten deutschen Fassung: "Tauet, ihr Himmel, aus den Höhen und die Wolken mögen regnen den Gerechten. Es öffne sich die Erde und sprosse hervor den Heiland! Ps. Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes und die Werke seiner Hände verkündet das Firmament. Ehre sei dem Vater etc.
    Liszt zitiert die erste Zeile wörtlich. Er zitiert nicht nur den gregorianischen Melodieschatz, sondern beruft sich auch auf die Harmonik kirchlicher Tonarten. Die Melodie bleibt eine Weile bei diesem Choral, lediglich die Instrumentation der Melodie und der Begleitung ändert sich.
    Ein sehr kurzes Zwischenspiel - dann wie ein weiterer Choral sehr leise und feierlich in den Posaunen. Auch dieser Abschnitt wie beschrieben variiert. Dann auf einmal ein Wechsel in eine echte Pastorale, ja ein Hirtentanz. Er erscheint mir als klanglich so ursprünglich, dass ich zumindestens annehme, dass dies einem Stück echter Volksmusik entnommen ist. Dieser Abschnitt mit der Verarbeitung dieses Themas ist recht lang. Der dritte, sehr kurze Teil, wirkt wie ein kurzes Wiegenlied. Es benutzt eine Variation des 'Rorate coeli'-Themas in weltlicher Tonart. Dieser Teil macht in den Violinen eine Aufwärtsbewegung, bleibt dort für einen Augenblick stehen und leitet nahezu ohne Unterbrechung über in das einleitende Sopransolo ohne Begleitung der
    Nr. 2
    Auch hier benutzt Liszt eine Melodie aus den gregorianischen Chorälen:
    Angelus ad pastores aid d.h.: Der Engel sprach zu den Hirten; s. Evgl. nach Lukas, Kap. 2 V. 10-14.
    Aus dem Solo entfaltet sich ein freudiger Chorgesang.
    Der Schlussteil rein instrumental, 2 Flöten, 2 Klarinetten, 2 Soloviolinen.

  • 3- Stabat mater speciosa
    Nein, das ist kein Dreckfuhler, das gibt es wirklich!
    Wahrscheinlich ist das 'Stabat mater dolorosa' die ältere Dichtung. Aber es soll schon wenig später das Bedürfnis empfunden worden sein, neben der Passionsbetrachtung der 'Schmerzhaften Mutter', eine Betrachtung der 'Wunderschönen Mutter' zu stellen. Das jüngere Werk benutzt die identische Versform und spiegelt die Gefühle der sich ihres Kindes erfreuenden Mutter wieder.
    Liszt vertont das Gedicht der 'wunderschönen Mutter' für vierstimmigen gemischten Chor ohne Orchesterbegleitung. Nur Orgelakkorde begleiten diesen Gesang, mglw. nur zur Stütze der Intonation. Charakteristich sind die stehenden Melodien in kleinen Melodieschritten. Eine wunderschöne, reine Musik ohne romantisches Pathos.

  • 4. Hirtenspiel an der Krippe
    Hier greift Liszt auf Musik des 1. Satzes, den Volksmusikteil, zurück. Auch hier Tanzmelodien, später Märsche, Klangimitationen von Volksmusikinstrumenten. Die Hirten auf dem Felde - der Marsch zum Stall von Bethlehem. Klänge von Ferne und Nähe, eher Anklänge als Raumklang wie bei Mahler. Lichte, fröhliche Musik in der Kirchentonart Lydisch-mixolydisch, die in späterer Zeit von Bela Bartok ebenfalls verwendet wurde.


    5. Die heiligen drei Könige (Marsch)
    Der erste Marsch ist mit dem "Rorate coeli"-Thema verwandt. Später ungarische Melodie-Anklänge.

  • II. Teil: Nach Epiphania
    Ich möchte diesen zweiten Teil Lehrer und Taten Jesu Christi umschreiben. Selbstverständlich konnte Liszt nicht alle überlieferten Texte vertonen, sondern nahm nur einige exemplarische Teile heraus.
    Wie der erste Teil ist auch der zweite Teil fünfteilig.


    6. Die Seligpreisungen
    Liszt vertont diesen Text nach dem Evangelisten Matthäus, Kap 5, V. 3-10. Diese Komposition als auch die Vertonung des 'Vater unser' sind die beiden ältesten des Oratoriums.
    Zunächst einmal lässt sich sagen, das Liszt die alte Gebetsform des Responsoriums benutzt, d.h. ein Einzelner spricht die Gebetsworte vor, wonach die Gemeinde die Worte zur Vertiefung des Gehörten nachspricht bzw. nachbetet.
    Vielleicht als einen Verweis auf J.S. Bachs Passions-Vertonungen wird der "Vorbeter", wenn ich ihn mal so nennen darf, von einem Bariton gesungen. Man könnte die Seligpreisungen, rein formal, als eine - Variationsreihe bezeichnen. Die Musik Liszt ist hier keine Variationsform im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie geht wieder von dem 'Rorate coeli'-Thema aus. Die Intervalle des Themas werden dem (Inhalt des) Text(es) entsprechend erweitert, erheben sich oder sinken im Klangbereich, verklingen oder werden wiederholt. Dieser Satz wird ebenfalls, wenn überhaubt, nur von der Orgelbegleitet.

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  • Soweit ich es überblicke, gehört der "Christus" ja nicht gerade zu den häufiger aufgenommenen Werken, da wäre aber diese:





    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Endlich geht es wieder weiter, danke noch einmal für Euer Verständnis, Vertrauen und Eure Geduld.


    7. Vater unser
    Mt. 6, 9-13
    Für 7 (i.W. sieben)-stimmigen Chor und Orgel. Liszt greift auch hier auf einen gregorianischen Choral zurück. M.E. wird der vollständige Choral in der ursprünglichen Form, ebenfalls mit dem Lateinischen Text, immer noch in der katholischen Kirche gesungen (Gotteslob: Nr. 378 ). Liszt benutzt neben der Kirchentonart auch "normale" Dur-Moll-Tonarten, vermischt die Klangwelten.


    8. Gründung der Kirche: Tu es Petrus
    Mt. 16, 18; Joh. 21, 16-17
    Chor, Orchester und Orgel
    Dieser Satz ist dreiteilig. Harte Akkorde, eher Rezitativische Tonsprünge, Unisono des Männerchores. Musikalische Symbole für Petrus, den Felsen. Im Mittelteil eine sehr schöne Musik für den gemischten Chor.
    Die bewegte Melodie verbreitert sich im dritten Teilund erreicht ihren Höhepunkt.


    9. Das Wunder
    Bariton, Chor und Orchester
    Mt. 8, 26
    Am ehesten als symphonische Dichtung mit Choreinwürfen zu beschreiben. Es beginnt leise eine Sturmmusik, die sich steigert, Wellenmotive, tonartlich kein Ruhepunkt. Am Höhepunkt des Sturmes rufen die Jünger mit einem Motiv aus drei Noten, das mehrmals höhersteigend wiederholt wird: Herr! Rette! Wir gehen zugrunde!
    Nach einer Generalpause singt der Bariton die Jesusworte zum Rorate-coeli-Thema: Was seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen! ----
    Und zu einer nicht zu beschreibenden schönen Musik: Und es ward große Stille.


    10. Der Einzug in Jerusalem
    Evangelisti unite
    Es ist der auch aus der Messe bekannte Text: Hosanna, gesegnet sei der, der da kommt im Namen des Herrn!
    Ein Triumpfmarsch für Sopran-, Alt-, Tenor und Basssolo; Chror und Orchester. Nach dem ersten Marschabschnitt beruhigt sich die Musik im Mittelteil, worauf noch einmal ein Marschabschnitt folgt. Der Schlussteil bringt noch einmal den ruhigen Abschnitt, diesmal zuerst von den Solisten gesungen. Dann übernimmt noch einmal der Chor zu einer großen Steigerung.

  • III. Teil: Passion und Auferstehung
    4-teilig


    11. Tristis est anima mea
    Mt. 26, 38-39
    Bariton-Solo und Orchester
    Eine düstere, stockende, qualvolle Musik zur Gethsemane-Szene.
    Grundlage scheint ein ungarisches Tonsystem zu sein: mit zwei übermäßigen Sekunden versehene Moll-Tonleiter.
    Eine lange Orchestereinleitung, schwer zu beschreibende Musik, s.o., ich meine zwischendurch auch fahle Klangfarben zu hören, das Ganze etwa wie ein Rezitativ. Der Gesangstext verwendet das Musikmaterial aus dem Orchestervorspiel. Ein fließenderes Orchesterzwischenspiel und entsprechend das Bariton-Solo, die Musik bleibt insgesamt ernst. Die Musik kehrt in ihrem dritten Teil zu einer variierten Grundhaltung des ersten Abschnittes zurück.

  • Nr. 12 Stabat mater dolorosa
    Solisten, Chor, Orchester, Harmonium und Orgel
    Das Stabat mater dolorosa ist das umfangreichste Stück innerhalb des 'Christus', vielleicht sogar ein Oratorium im Oratorium. Als Verfasser des Textes wurde immer Jacopone da Todi genannt, in neuerer Zeit wird auch Johannes Bonaventura diskutiert. Wer mehr über die mittelalterliche Dichtung, aber auch über seine Vertonungen wissen möchte sei auf eine englischsprachige Seite im worldwideweb. verwiesen: stabat mater.dds.nl/index1.html
    Die Vertonung von Franz Liszt innerhalb des 'Christus' ist für mich der Höhepunkt des Werkes. Franz Liszt greift hier die variierende Rondo-Form auf, er entfaltet in dieser Vertonung eine unglaubliche Klangpracht. Auf die Schönheit der Abschnitte Eja mater, fons amoris; Fac, ut ardeat cor meum möchte ich hinweisen. Der erste Höhepunkt wird im anschließenden Abschnitt Sancta mater, istud agas erreicht. Im Tui nati vulnerati senkt sich die Kurve wieder ab, um im Fac, ut tecum pie flere und im Juxta crucem tecum stare eine emotionale Anticlimax zu erreichen. Das soll ausdrücklich nicht heißen, dass ich diese Abschnitte als kompositorischen Tiefpunkt empfinde oder als nicht erschütternd. Eher im Gegenteil - sehr wohl wissend das Vergleiche hinken, möchte ich doch auf den Choral 'Wenn ich einmal sollt scheiden' in der Matthäus-Passion von J. S. Bach verweisen. Es sind eben Abschnitte der stillen Trauer.
    Ein wunderschöner Abschnitt ist das Virgo virginum.
    Die Flammen des Inflammatus und den Verweis auf das Gericht setzt Liszt natürlich auch kompositorisch um.
    In der letzten Strophe Quandus corpus morietur wird dann der Höhepunkt des Werkes erreicht.


    13. Alleluja! O filii et filiae! (Osterhymnus)
    Kinderchor, Harmonium
    Nach den gewaltigen Tonmengen des 'Stabat mater dolorosa' ergreift der Osterhymnus durch die Einfachheit des gregorianischen Chorals. Möglicherweise greift Liszt auch hier auf ein älteres Werk zurück, habe darüber aber nichts finden können.
    Zuerst erklingt der Choral unisono, später auch Dreistimmig.
    Liszt weist an, das der hier singende Chor nicht sichtbar sein soll. Ich halte deshalb hier auch den Einsatz eines Kinder-Chores für passend. Sollte jemand eine Aufnahme mit Frauenchor besitzen oder eine Aufführung mit Frauenchor gehört haben, möchte ich dennoch empfehlen, sich auch einmal auf diesen "alternativen" Klang einzulassen.
    Ansonsten sage ich nur: "Welch unaussprechlich Glück..."


    14. Resurexit tertia die
    Solisten, Chor, Orchester, Orgel
    Der Satz wird von dem Rorate-coeli-Thema eröffnet und abgeschossen.
    Ist aber hier kein Gregorianischer Choral mehr, sondern "reiner" Liszt. Zentrum dieses letzten Satzes ist eine Fuge. Das Thema ist auf drei Quinten-Motiven aufgebaut, die sich in immer höheren Regionen wiederholen.


    Zum Schluss noch eine Warnung an alle, die glauben, Franz Liszt sei ein minderwertiger Komponist: Es könnte sein das man nach dem Hören des 'Christus' zu einem anderen Ergebnis kommt.


    FINIS OPERIS

  • Hallo Hemmi


    Vielen Dank für Deine sehr appetitanregende und erschöpfende Beschreibung des Liszt´schen Christus. Das Werk muß ja nun unbedingt auf den Wunschzettel.

  • Hallo Hemmi,


    das ist die außergewöhnlichste und umfassenste Werkbeschreibung, die wir bisher im Forum lesen durften! Das ist ganz große Klasse! Und du hast bei mir das gleiche wie bei ThomasBernhard erreicht: die Neugier auf das Werk geweckt. Danke!



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Auch von mir vielen Dank für die ausführliche Beschreibung. Ich habe mich anlässlich einer Aufführung des Werkes hier in Weimar im September 2006 erstmals mit dem werk beschäftigt und war ganz angetan.


    Auf die neu erschienene Aufnahme des "Christus" möchte ich auch mal hinweisen:





    Nun bin ich mal gespannt auf die Aufführung im Juli 2007 der "Legende von der heiligen Elisabeth" aus Anlass des Elisabeth-Jahres in Thüringen.