Manche aleatorische Partituren Cages haben die für dieses Forum angenehme Eigenschaft, dass sie relativ erschöpfend beschrieben werden können, sodass im Grunde alle mitdiskutieren können, auch wenn sie das Stück weder gehört noch "gelesen" haben.
Variations I ist eine der bekanntesten Partituren Cages. Sie besteht aus 6 quadratischen Folien und einem Blatt mit "Spielregeln", die besagen, was man mit diesen sechs Folien machen soll. Der ästhetische Eindruck dieser Konstellation ist meines Erachtens einem Bach-Faksimile vergleichbar (Cage schreibt auch alles mit der Hand).
Eine Folie ist mit Punkten übersät, kleineren und verschieden dicken größeren, welche letztere eher in der Minderzahl sind. Die kleinen stellen Einzelklänge dar, die größeren Akkorde oder "Konstellationen".
Die fünf anderen Folien haben je fünf gerade Linien aufgemalt und dienen der Festlegung der Parameter der durch die Punkte dargestellten musikalischen Ereignisse. Man muss also für jeden kleinen Punkt einmal eine der fünf Folien (wofür es 5 Möglichkeiten gibt) deckungsgleich auf die Punkte-Folie legen (wofür es 4 Möglichkeiten gibt). Dann muss man die Distanz des Punktes zu den 5 Linien messen oder schätzen. Die Linien bedeuten: kürzeste Dauer, frühester Beginn in einem bestimmten Zeitraum, größte Lautstärke, tiefste Tonhöhe, einfachste Obertonstruktur (= reiner Ton, komplizierteste Obertonstruktur = Geräusch). Für die dickeren Punkte muss man je nach Dicke mehrere Töne derart errechnen.
Anzahl und Art der Instrumente ist beliebig.
Zwei Aspekte erscheinen mir hier besonders interessant: Die "Konstellationen" und die "Obertonstruktur". Erstere sind für eine gewisse Komplexität des formalen Ablaufs verantwortlich, zweitere für klanglichen fast unbeschränkten Reichtum.