Repertoirepolitik der Label - einst und jetzt

  • Liebe Forianer,


    Manchmal meint man, früher sei alles besser gewesen - bessere Interpreten, bessere Repertoirepolitik - mehr Auswahl an Titeln.


    Eie echte Zäsur war seinerzeit die Einführung der CD.
    Da verschwanden Tausende Einspielungen, Titel und hunderte Komponisten und Interpreten auf Nimmerwiedersehen (??) aus den Katalogen.


    Was nachkam war (zumindest anfangs) Konfektionsware - mir erschien es billig, seicht und uninteressant. Langsam - aber sicher etablierten sich neue Label am Markt, als Beispiel möchte ich hier cpo und Naxos nennen, aber auch andere Label - so zb. harmonia mundi france, mdg, hyperion und Chandos rückten plötzlich in den Mittelpunkt.


    So entstanden Jahr für Jahr neue Aufnahmen, die Repertoirelücken schlossen. Ein besonderer Glücksfall war jedoch die "Klassikkrise."
    Sie bestand ja eigentlich darin, daß Klassikkunden und Manager sich nicht einige waren, welche Künstler geeignet waren beim Publikum zu punkten - und sie endete in einer massiven Kaufverweigerung.
    Die Manager der "führenden" Plattenlabel wussten nicht mehr weiter - die wenigsten verstandesn was von Klassik, die für sie lediglich eine Ware war - griffen auf ein einfallsloses - aber wirkungsvolles Rezept zurück: das alte erneut auszugraben -umzuverpacken - und alsneu zu verkaufen. Dieses Rezept aus der Steinzeit funktioniert (fast) immer..
    Und so kamen die Glücklichen Sammler wieder zu Aufnahme, die seit Jahren bereits gestrichen waren......


    Alles in allem scheint das Angebot nun wieder zu passen - ich selbst bin mir bis heute nicht bewusst, ob die Situation heute oder vor 30 Jahren besser war.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Inzwischen sind wir ein halbes Jahr weiter, und können wir die Bilanz aufstellen.
    Hatte Alfred recht? Nur teils.
    Die neue (billig) Labels sind tatsächlich in der Lage um uns mit neuen, unbekannten Werken zu überraschen.
    Aber die alte Labels haben offenbar ihre Ausverkauf fast beendet. Und was passiert dann? Bereits soviele Aufnahmen können nicht mehr (und werden vermutlich nie mehr) geliefert werden.


    Werden die alte Label ihre Politik weitertreiben; neue Labels aufkaufen; "sanieren" und wie ein Moloch allmählich den immer dünner werdenden Kuchen unter sich teilen. Und dafür zahlen Kunden dann selbstverständlich sehr viel Geld.


    Ich fürchte, daß hier gelt "penny wise and pound foolish".


    LG, Paul

  • Meiner Meinung nach ist sie heute deutlich besser, und zwar in zweierlei Hinsicht:


    1. Neben den bereits genannten Labeln gibt es noch zahlreiche andere, die sich um die Wiederveröffentlichung alter LP-und Schellackaufnahmen verdient gemacht haben, zb Preiser, Archiphon (nicht das ital. Label), Hänssler, Pearl, Opal, Testament, Tahra, Music & Arts, Symposium, Marston, Beulah, Romophon, Biddulph, Opus arte, Andante, Arbiter, Appian, Dutton uva.


    Dazu noch moderne Nischenlabel wie Alia Vox, Carus, Imprimerie digitales uva.


    Ich persönlich glaube nicht, daß der Abverkauf der Backkataloge bereits beendet ist. Ein Blick in den Classical Record Collector zeigt, daß jedes Quartal eine Fülle von Aufnahmen erscheint. Selbst wenn nicht alle alten Aufnahmen auf CD veröffentlicht werden sollten, so ist das Repertoire doch groß genug.


    Und es kann noch niemand abschätzen, was in Zukunft über das Internet noch alles möglich sein wird. Ich bin davon überzeugt, daß in nicht allzu ferner Zukunft ein erheblicher Teil der copyrightfreien Musik legal aus dem Netz geladen werden kann, insbesondere historische Aufnahmen.



    2. Verglichen mit der Situation vor 30 Jahren befindet sich der Konsument in einer fabelhaften Lage. Während es früher ein kleines Abenteuer war, aus dem Ausland LPs zu beziehen, ja, sich auch nur vollständig darüber zu informieren, was in welchem Land erhältlich war, liefert das Internet heute nahezu jede beliebige Information. Man kann sich mit wenig Zeitaufwand informieren, welche Aufnahmen zu welchem Preis wo erhältlich sind, und man kann sogar rund um die Uhr in jedem beliebigen Land der Welt CDs kaufen. Ein riesiger Gebrauchtmarkt mit weltweiter Verfügbarkeit ist geschaffen (Ebay, Amazon).


    Von den oft willkürlich festgesetzten Preisen der Plattenindustrie ist man nur noch selten abhängig. Selbst mit Zoll und Porto ist der Bezug von Aufnahmen aus dem Ausland oft preiswerter als der Kauf hier in D oder in A.


    Ich möchte sogar sagen, verglichen mit früher sind es für den Klassikliebhaber goldene Zeiten!

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Ich bin davon überzeugt, daß in nicht allzu ferner Zukunft ein erheblicher Teil der copyrightfreien Musik legal aus dem Netz geladen werden kann, insbesondere historische Aufnahmen.


    Lieber Robert,


    Du sollst besser informiert sein als ich.
    Ich erinnere mich etwas gelesen zu haben über Rechte in der EG, die verlängert wurden bzw werden, um so "weltweit" gleichgeschaltet zu sein (lese USA, wo offenbar die Rechte viel länger gelten).


    Deshalb meine Frage: Wann ist komponierte Musik rechtenfrei und wann ist aufgenommen Musik rechtenfrei?


    LG, Paul

  • Aktuell beträgt (bezogen auf Tonträgeraufnahmen) in fast allen Ländern außer den USA das Copyright 50 Jahre, gerechnet von der erstmaligen Veröffentlichung eines Werkes auf Tonträger. Alle Aufnahmen bis 31.12.1955 sind daher public domain. Die Musikindustrie unternimmt derzeit erhebliche Anstrengungen, diese Frist auf 75 oder 95 Jahre verlängern zu lassen. Dabei geht es natürlich nicht um klassische Aufnahmen, sondern um die Pop- und Rockmusik der 60 Jahre (Beatles, Rollingstones etcpp) mit denen die Industrie erheblich Geschäfte macht.


    In den USA beträgt die Frist idR 95 Jahre. Die Rechtslage ist aber dort sehr kompliziert.

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  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Die Musikindustrie unternimmt derzeit erhebliche Anstrengungen, diese Frist auf 75 oder 95 Jahre verlängern zu lassen.


    Man versucht halt das, was man in den USA bereits erreichte:


    "http://en.wikipedia.org/wiki/Sonny_Bono_Copyright_Term_Extension_Act


    auch in anderen Ländern unter Dach und Fach zu bekommen.



    Sie kriegen den Hals nicht voll... :wacky:

    "Das ist zeitgenössische klassische Musik. Dann unterstelle ich, daß da kein intellektueller Zugang..."
    Miroslaw Lem, Tenor

  • Zitat

    Sie kriegen den Hals nicht voll...


    Möglich. Wahrscheinlicher ist, dass so manche Firma die noch immer sprudelnden Quellen der 60er-Jahre ohne gravierende Einschnitte gar nicht entbehren kann.


    In viel kleinerer Dimension gilt das auch teilweise für die Klassik. Ende der 90er las ich einen Artikel im Gramophone über einige neue Remasterings von alten Callas-Aufnahmen. Dort stand, dass die EMI zu der Zeit mit Maria Callas noch immer unglaublich viel Geld verdiente (ich glaube, an die10% vom Gesamtumsatz entfiel auf Callas!!!). Mit jedem Jahr bröckelt das Callas-Monopol, und die EMI muss sich den Kuchen mit Firmen wie Naxos teilen. Das spüren die ganz gewiss sehr schmerzlich.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Die Callas hätte ich als Beispiel für die Klassik auch genannt. In Japan wird auch mit Furtwängler relativ viel verdient. Trotzdem, nur wegen der Klassikkünstler würden sie nicht solche Anstrengungen machen.


    Ich habe jetzt die genaue Fundstelle nicht im Kopf (eine Google-Recherche würde sicher einiges erbringen), aber in den USA wird massiv gegen Naxos vorgegangen. Die historical-Serie gräbt offenbar einigen Majors das Wasser ab, und statt selbst ihren Backkatalog zu veröffenlchten, gehen sie juristisch gegen Konkurrenten vor. Es ist überhaupt IMHO festzustellen, daß das Urheberrecht immer mehr dem reinen Abzocken und Geschäftmachen dient, unter dem Deckmantel des Künstlerschutzes, aber so war es ursprünglich nicht gedacht.

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Wahrscheinlicher ist, dass so manche Firma die noch immer sprudelnden Quellen der 60er-Jahre ohne gravierende Einschnitte gar nicht entbehren kann.


    Das mag in dem einen oder anderen Fall durchaus zutreffen. Allerdings wäre es dann ein Management-Problem der jeweiligen Firma und rechtfertigt keine Lobby-Mauscheleien in der Politik. Selbst Schuld, wenn die nicht rechtzeitig diversifizieren. ;)

    "Das ist zeitgenössische klassische Musik. Dann unterstelle ich, daß da kein intellektueller Zugang..."
    Miroslaw Lem, Tenor

  • Zitat

    Allerdings wäre es dann ein Management-Problem der jeweiligen Firma und rechtfertigt keine Lobby-Mauscheleien in der Politik.


    Wo kommst du her? :D


    Es ist immer einfacher und bequemer, einen angenehmen Status-Quo aufrechtzuerhalten, als seinen Hintern in Bewegung zu setzen. Wo nur immer möglich, wird das Verfahren angewandt...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Zitat

    Ich habe jetzt die genaue Fundstelle nicht im Kopf (eine Google-Recherche würde sicher einiges erbringen), aber in den USA wird massiv gegen Naxos vorgegangen.


    Das ist interessant, denn die Historical Series wird dort ja gar nicht verkauft. Wogegen will man dann eigentlich vorgehen?

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Wo kommst du her? :D


    Es ist immer einfacher und bequemer, einen angenehmen Status-Quo aufrechtzuerhalten, als seinen Hintern in Bewegung zu setzen. Wo nur immer möglich, wird das Verfahren angewandt...


    Daß meine obige Aussage leider keinesfalls der Realität entspricht, weiß ich auch.


    Inzwischen sind wir ja schon so weit, daß die Lobby-Gruppen Vertreter aus ihren Reihen als Leihbeamte in die Ministerien schicken, um die Zusammenarbeit bei der Formulierung von Gesetzesentwürfen zu verbessern. :rolleyes:

    "Das ist zeitgenössische klassische Musik. Dann unterstelle ich, daß da kein intellektueller Zugang..."
    Miroslaw Lem, Tenor

  • Zum Urheberrecht/Patentschutz:
    [Handelslehrer an] Aus gesamtökonomischer Sicht macht es durchaus Sinn, über einen bestimmten Zeitraum das alleinige Verwertungsrecht zu haben (sonst würde es ja erst gar nicht produziert), obwohl dadurch ein temporäres Monopol geduldet wird. Ein Zeitraum von fast 100 Jahren ( 8o ) ist aber totaler Unsinn und kann wirklich nur der amerikanischen Gesetzgebung entspringen :stumm:
    So ruhen sich Firmen wie EMI auf ihren früheren Leistungen aus, anstatt ihr Hinterteil aus Zwang zu bewegen und sich um neue hochwertige Projekte zu kümmern - Wettbewerb ist dazu da, die Einfallslosen vom Markt zu nehmen und andere für ihre Anstrengungen zum Wohle aller zu honorieren :beatnik: [Handelslehrer aus]


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Theophilus


    Das ist interessant, denn die Historical Series wird dort ja gar nicht verkauft. Wogegen will man dann eigentlich vorgehen?


    Der Verkauf erfolgt in den USA nicht wegen der dort zT ungeklärten Rechtslage. Auf der Seite von Naxos steht dazu einiges.


    Mein Hinweis bezog sich auf ein Gerichtsverfahren, das in den USA angestrengt worden ist und für Naxos in der ersten Instanz negtiv ausging. Ich habe jetzt einfach nicht die Zeit, sorgfältiger zu recherchieren. Anlaß sollen die Verkaufszahlen von Schnabels Beethovensonaten auf Naxos gewesen sein. Evtl. kann ich am Wochenende mal etwas recherchieren.

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