Während seines Aufenthaltes in Dresden – 1789 – begegnet Mozart einem gewissen Herrn Naumann, welchen er brieflich [sich an Constanze wendend] erwähnt:
Dresden, den 13:t april 1789
[…] – heute geht der fürst und ich zum frühstücke hin, dann zu Naumann, dann in die kapelle. […]
Und weiter:
Dresden den 16ten Aprill 1789. Nachts um ½ 12 Uhr
[…]Montags, den 13ten […] gingen wir alle nach Hof in die Kapelle, die Messe war vom Naumann |: welcher sie selbst dirigirte - sehr mittelmäßig; […]
[…] – wir speisten dann beim Russischen Gesandten alwo ich spielte. – Nach tisch wurde ausgemacht auf eine Orgel zu gehen. – um 4 uhr fuhren wir hin – Naumann war auch da; […]
[…] Nun kömmt der glücklichste augenblick für mich; ich finde einen so lange mit heißer Sehnsucht gewunschenen Brief von Dir liebste! beste! – Duscheck und Naumanns waren wie gewöhnlich da […]
[…] Die Naumannschen sind herzliche Leute; […]
Wer war also dieser Naumann, mit welchem Mozart trotz der Missachtung seiner Musik, die er als sehr mittelmäßig bezeichnet, ein so herzliches Verhältnis und offenbar häufigen [gewöhnlichen] Umgang pflegte?
Johann Gottlieb Naumann [17.04.1741-23.10.1801] studierte u.a. bei [damals] berühmten Komponisten wie Tartini, Padre Martini und J. A. Hasse und wurde wegen seiner hervorragenden Reformleistungen diesbezüglich an den Hof König Gustav III. nach Stockholm gerufen. Er schrieb Unmengen an Opern, teils auch in schwedischer Sprache, z.B. Gustaf Wasa [!]. Im November 1786 kehrte Naumann nach Dresden zurück, wo er auf Lebenszeit fest engagiert wurde. Neumann war, wie auch Mozart, ein Verfechter des Deutschen Nationalsingspiels. Es gab weit reichende Erörterungen, ob Friedrich Schiller als Textdichter einer solchen – geplanten – Oper in Frage kommt. Mozart wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um die Opern Cora och Alonzo – aufgeführt 1782 bei der Einweihung des neuen Opernhauses zu Stockholm – und Osiride gewusst haben. Das Singspiel Cora wurde beispielsweise am 12.10.1790 anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten Leopolds II. in Frankfurt von der Schauspieltruppe Böhm gegeben, möglicher Weise – höchstwahrscheinlich sogar -war Mozart anwesend, denn die für diesen Tag geplante Aufführung dessen Entführung aus dem Serail fand entgegen vieler älterer Quellen nicht statt und wurde durch Naumanns Cora ersetzt. Librettist der Osiride war übrigens C. Mazzolá, der später das Libretto der Clemenza di Tito von Mozart bearbeitete. Naumann ist zudem bekennender Freimaurer, hat eine Große Anzahl maurerischer Lieder und Gesänge komponiert und gilt als erster Autor einer Freimaurer-Oper überhaupt, nämlich Osiride [Dresden, 1781]. Das Werk gilt als Plädoyer „für die Königliche Kunst mittels der Symbolik der altägyptischen Geschichte und des Kampfes zwischen Licht und Dunkelheit, der Auseinandersetzung zwischen den Kräften des Guten und des Bösen“ [Paul Nettl, S. 104ff.].
Aus der Stockholmer Oper Cora ist noch ein Bühnenbild erhalten geblieben, welches einen Sonnentempel darstellt.
Naumann komponierte u. a. auch Werke für die Glasharmonika. Richard Engländer schreibt von einer phantasievollen und intensiven Pflege dieses Instrumentes, welches durch Übertreibung zeitweise zu einer nervösen Krise des Komponisten führte.
Geboren wurde Naumann am 17. April 1741 in Blasewitz bei Dresden. Er war der Erstgeborene Sohn von Johann Georg Naumann und Anna Rosina geb. Ebert. Bereits als 16jähriger reiste Naumann als Reisebegleiter des schwedischen Geigers Anders Wesström über Hamburg nach Italien, wo sich Tartini [Padua], Padre Martini [Bologna] und Johann Adolf Hasse [Venedig] künstlerisch um Naumann kümmerten. 1763 debütierte Naumann in Venedig denn auch gleich mit seiner Oper Il tesoro insidiato, eigentlich keine Oper, sondern ein Intermezzo. Auf Empfehlung J. A. Hasses und G. Ferrandinis wurde Naumann nach der Ablieferung einer Probemesse 1764 als 2. Kirchenkompositeur an den Dresdner Hof geholt, wo ihn Kurfürstin [Witwe] Maria Antonia mit einem Gehalt von 240 Reichstalern jährlich ausstattete. Acht Jahre lang behielt er diesen Posten, bis er 1776 zum kurfürstlichen Komponisten erhoben wurde – sein Gehalt steigerte sich dann auf 1.200 Reichstaler pro Jahr. Durch Vermittlung des schwedischen Diplomaten Graf Löwenhjelm wurde Naumann 1777 zwecks der Reform der Hofkapelle und zur Mitarbeit an den schwedischen Opernplänen Gustavs III. an den schwedischen Hof berufen. Hier konnte sich Naumann in den Händen eines Theaterfanatikers sicher fühlen und komponierte einige Opern, die bereits erwähnt wurden. Zur Oper Gustaf Wasa schrieb der Hoflitterat J. H. Kellgren wieder einmal das Libretto, welches auf Plänen des Königs höchstpersönlich aufbaute [vgl. J. M. Kraus: Proserpin]. Die Oper wurde am 19. Januar 1786 in Stockholm uraufgeführt und galt bis in das 19. Jahrhundert hinein als schwedische Nationaloper, kein Wunder.
In den Jahren 1785/86 gastierte der mittlerweile als Reformer bekannte Naumann in Kopenhagen, 1788/89 als Opernkomponist und Gastdirigent in Berlin. Bereits Ende 1786 zeichnet sich ab, dass Naumann einen lebenslangen Vertrag in Dresden eingehen wird, das Gehalt war mit 2.000 Talern angegeben. Hier trifft er dann auch auf Wolfgang Amadeus Mozart [s.o.]. Mit 51 Jahren – für damalige Verhältnisse fast schon scheintot – heiratet Naumann 1792 Catharina Grodtschilling, Tochter eines dänischen Vizeadmirals. Aus der Verbindung gehen Kinder, sogar Enkel hervor: Enkel Emil lebte vom 8. September 1827 bis 23. Juni 1888 und Ernst vom 25. August 1832 bis 15. Dezember 1910 [!].
Naumann ist heute vor allem Wagnerianern bekannt: Für das so genannte Dresdner Amen harmonisierte Naumann eine überlieferte Melodie – bekannt durch Wagners Parsifal.
Naumann starb am 23. Oktober 1801 in Dresden.
Zu seinem Œuvre zählen beinahe unzählige Opern, von denen eine Vielzahl bei einem Brand vernichtet wurden, darunter:
L’Achille in Sciro, 1767
L’Armida, 1773
Tutto per amore, 1785
Erhalten geblieben sind folgende Opern [Auswahl]:
Il tesoro insidiato, 1763
Alessandro nelle Indie, 1768
La clemenza di Tito, 1769
Il villano geloso, 1770
I’isola disabitata, 1773
Le nozze disturbate, 1774
L’ipocondriaco, 1776
Amphion [schwed.], 1778
Elisa, 1781
Osiride, 1781
Cora och Alonzo [schwed.], 1782
Gustaf Wasa [schwed.], 1786
Orpheus og Eurydike [dän.], 1786
La reggia d’Imeneo, 1787
Medea, 1788
Protesilao, 1789
La dama soldato, 1791
Amore giustificato, 1792
Aci e Galathea, 1801
Auch mit Oratorienkompositionen warf Naumann um sich: Genannt seien seine Vertonungen zu Isacco und La Passione di Gesú Cristo, beide nach Libretti von Pietro Metastasio. Zudem komponierte Naumann etliche Messen und kleinere Kirchenwerke wie Psalmen und Kantaten, vor allem während seiner ersten Dienstzeit in Dresden. Natürlich segnete er die musikalische Welt auch mit Kammermusik, Klavierkonzerten und dergleichen.
Sein Klavierkonzert B-Dur [3 Sätze: Allegro – Adagio ma non troppo – Allegro] ist mehr gefällig, als virtuos und entspricht dem Trend der damaligen Verbrauchermarktes. Eingespielt wurde es u.a. von Christine Schornsheim auf einem Hammerflügel aus der Werkstatt Johann Andreas Steins, 1788 – begleitet wird sie von der Berliner Barock-Compagney:
„Meister der Mozartzeit“, Label: Capriccio
Als besonders umwerfend empfand ich die Schwedische Nationaloper Gustaf Wasa:
Abgesehen von einigen lyrischen Elementen im Zentrum des Werkes durchweg glanzvolle Musik, wie es sich für eine Nationaloper gehört: Neben festlichen Jubelchören findet man auch Balletteinlagen, besonders hervorzuheben die beiden Chaconnes – im obligatorischen ¾-Takt stehend und charakteristisch auf Schlag zwei beginnend. Proklamative und virtuose Arieneinlagen…
Johann Gottlieb Naumann [1741-1801]
GUSTAF WASA
Lyrisk tragedi i 3 akter
Anders Andersson, Nicolai Gedda, Tord Wallström
Lena Nordin, Dorrit Kleimert, Eva Pilat, Inger Blom
Staffan Sandlund, Henrik Westberg, Marie Dimpker
Orchestra and Chorus of the Royal Swedish Opera
PHILIP BRUNELLE
Cordialement
Ulli