Kastraten bei Mozart

  • Hallo!!


    Hab mich in letzter Zeit viel mit den Kastraten beschäftigt. Nun täte mich interessieren ob außer Manzuoli im Ascanio und einem mir zur Zeit nicht einfallen wollenden Idamantes noch weitere Kastraten in Uraufführungen von Mozarts Opera serie auftraten??


    Danke im Voraus!!


    LG Joschi


    PS: Das is was für Ulli!!

  • Aber ja!


    Der Kastrat, der den Idamante zuerst sang, war ein junger Herr namens "Vincenzo Dal Prato", was Mozart, der mit der Sangesleistung dieses Herrn mehr als unzufrieden war, zu der herrlich ironischen Bezeichnung "Il mio molto amato castrato Dal Prato" in einem seiner Briefe an Papa Leopold veranlasste :D


    In den Opern, die er für Italien komponierte, waren sämtliche "hohen" Herrenrollen noch für "waschechte" Kastraten komponiert, also z. B. für Sifare und Farnace in "Mitridate" oder Cecilio und Cinna in "Lucio Silla".


    Meines Wissens hat er für den Darsteller des Cecilio (?), den Kastraten Guadagni (??), auch noch gleich die berühmte Solo-Kantate "Exsultate, jubilate" komponiert, die heute ja gerne von (Mezzo-) Sopranistinnen dargeboten wird. Die war aber eigentlich für einen Kastraten gedacht ;)


    Auch in den anderen italienischen "ernsten" Opern, wie "Il rè pastore", "Il sogno di Scipione" oder auch den "Titus" sind die hohen Herrenrollen (z. B. Aminta, Sesto, Annio) eigentlich für Kastraten gedacht gewesen, zumindest beim "Titus" hat es aber mangels Verfügbarkeit nicht ganz hingehauen und die Figur des "Annio" ist schon bei der Uraufführung von einer Dame als Hosenrolle gegeben worden. Der "Sesto" war glaub ich aber ein Kastrat....


    Aber uns' Ulli wird da bei Gelegenheit sicher noch ein paar Fakten mehr parat haben :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Salut,


    die Motette Exsultate, Jubilate wurde für den Kastraten Venanzio Rauzzini [1746-1810] komponiert und am 17. Januar 1773 in der Kirche "bei den Theatinern" in Mailand aufgeführt.


    Rauzzini war es auch, der die Sopranpartie des Cecilio aus der Opera Seria Lucio Silla bei der Uraufführung sang.


    Den Sifare aus der Seria Mitridate sang bei der Uraufführung der Kastrat Pietro Benedetti, die Contr'alto-Partie des Farnace meisterte Giuseppe Cicognani und Arbate [Sopran] Pietro Muschietti.


    Den Ascanio sang als Mezzosopranpartie Giovanni Manzuoli.


    Idomeneo - bereits genannt - hier sang Vincenzo del Prato Idamantes.


    Cherubino hingegen war schon immer eine Hosenrolle und wurde bei der UA von Dorothea Bussani-Sardi *1763 Wien, † nach 1810 gesungen.


    Annio [Tito] wurde von Domenico Bendini geträllert und Sesto war mit Sgra. Carolina Perini weiblich [also HoRo] besetzt.


    Gruß
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ok - oder so rum. Ich hatte gedacht, dass im "Titus" der Sesto als wichtigere Herrenpartie (Primo uomo) mit dem Kastraten und die etwas unwichtigere Rolle des Annio ersatzweise mit einer Dame besetzt worden war. :)


    Bleibt noch nachzutragen, dass im "Rè pastore" 1775 in Salzburg der Kastrat Tommaso Consoli die Partie des Aminta sang und der erwähnte Ascanio Giovanni Manzuoli (ca. 1720-82) war auch noch Empfänger der mozartschen Szene "Fra cento affani e cento", KV 88 (73 c), die Mozart für ihn im Februar 1770 in Mailand komponierte.


    Jedenfalls war Mozart -als Opernschaffender- durchaus häufig von Kastraten umgeben, die damals ja auch noch ganz selbstverständlich zum italienischen Opernbetrieb gehörten.


    Selbst Rossini hat ja in seinen frühen Werken in den 1810er Jahren noch für Kastraten komponiert, so komisch das auch anmuten mag.
    Die Titelrolle seiner Oper "Tancredi" ist beispielsweise für einen solchen Sänger komponiert worden.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Salut,


    noch zu Mozart: Der traf beim Kaffeekränzchen bei Padre Martini in Bologna auch auf Carlo Broschi. Das ist niemand aneres, als der sagenumwobene Farinelli.


    Noch zu Rossini: Er schrieb auch für die UA er petite messe solennelle die Verwendung von Kastraten vor. Die Messe wurde 1863 komponiert und '64 in Paris uraufgeführt:


    [...] 12 Sänger von drei Geschlechtern - Männer, Frauen und Kastraten werden genug sein für ihre Aufführung, d.h. acht für den Chor, vier für die Soli, insgesamt also 12 Cherubine. Lieber, Gott, verzeih mir die folgende Gedankenverbindung: 12 an der Zahl sind auch die Apostel in der berühmten Freßszene, gemalt im Fresko von Leonardo da Vinci , welches man Das letzte Abendmahl nennt; wer würde es glauben! Es gibt unter Deinen Jüngern solche, die falsche Töne anschlagen!! Lieber Gott beruhige Dich, ich behaupte, daß kein Judas bei meinem Mahle sein wird, und daß die Meinen richtig und mit Liebe Dein Lob singen werden.


    :D


    Cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • MarcCologne


    Adelaide Malanotte Montresor war die Uraufführungssängerin des Tancredi. Die Rolle ist also nicht für einen Kastraten geschrieben. Das war übrigens die erste Oper Rossinis für das Fenice, weswegen er den Zores mit dem Impresario des Teatro Mosé hatte (bei Il signor Bruschino).


    Aus einem Bericht im 19. Jahrhundert:
    "I was in Venice," he said, "when this opera was composed, in 1813. 'Mon
    Dieu'! how time flies! Rossini wrote it for one of the loveliest women
    God ever made, Adelaide Montresor. I knew her very well. She was the
    wife of a French gentleman, a friend of mine, M. Montresor, at one time
    very prosperous in fortune. Adelaide was a Veronese, of good family, and
    had studied music only 'en amateur'. Her maiden name was Malanotte. Oh,
    yes, of course, you have heard of her. She was famous, poor child, in
    her day, which was a short one."



    Ulli


    Ich weiß nicht, ob es eine Art Wunschdenken oder einfach ein Rossinischer Witz ist. Tatsächlich gab es 1863 kaum mehr Kastraten, ich kenne keinen Beleg, dass die Messe jemals mit Kastraten aufgeführt worden ist, ganz sicher hat aber Rossini nicht ernsthaft erwartet, dass diese Vorschrift auch eingelöst wird. Das Werk wurde zu seinen Lebzeiten nur zweimal aufgeführt und von ihm unter Verschluss gehalten. Erst nach seinem Tod konnte es veröffentlicht werden, und da gab es dann noch weniger Kastraten (vermutlich nur mehr im Vatikan).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Salut Ulli,


    ja, das passt sehr gut. Rossini wusste natürlich, dass die Zeit der Kastraten vorbei war, nur die damalige Verbotslage ist ein brauchbarer Grund für diese Form der Besetzung.


    (ich hatte dein Posting leider schon vergessen - beginnender Senilismus...)


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • ....auch wenn wir hier allmählich von "Mozarts Kastraten" (klingt irgendwie komisch :D ) zu "Rossinis Kastraten" abgleiten - irgendwie passt es dann doch zusammen, denn es zeigt sehr schön die Entwicklung innerhalb weniger Jahre: Während es zu Mozarts Zeiten noch üblich war, dass sich Kastraten (in ausreichender Anzahl) in Opern- und Kirchenmusik tummelten (obwohl der Zenit der "Kastratenkultur" bereits überschritten war), ist schon 20 Jahre später ein Kastrat durchaus nichts so selbstverständliches mehr - sie beginnen allmählich "Mangelware" zu werden =)


    Joschis einleitende Frage habe ich auch schon so interpretiert, dass es ihn eher zu überraschen schien, dass sogar Mozart "noch" relativ häufig und regelmäßig für Kastraten komponiert hat.


    Beim Tancredi kann ich mir eigentlich nur vorstellen, dass die Partie ursprünglich für einen Kastraten vorgesehen war, auch wenn in der Premiere dann eine Dame diese Rolle gesungen hat - warum hätte Rossini einen männlichen Titelheld sonst in Mezzo-Lage komponieren sollen? Oder die besagte Dame war tatsächlich von Anfang an für den Tancredi vorgesehen, dann zeigt es, dass Anfang des 19. Jahrhunderts die Opernästhetik noch nicht ausschließlich auf den Tenor als jugendlichen Helden einer Oper fixiert war, sondern -wie ehedem- diese Rolle auch einer höheren Stimmlage zugeordnet werden konnte, ohne dass dies jemand komisch gefunden hätte.


    Vermutlich ist der "Titel-Kastrat" für die Tancredi-Premiere ausgefallen oder es hat sich kein passender Sänger dafür finden können (weil diese Stimmspezies mittlerweile eben "rarer" wurde...) - das war 1791 bei der Titus-Premiere ja auch schon der Fall gewesen.


    Ich kann mich an die Aufnahme einer Arie des Tancredi erinnern, die von Jochen Kowalski interpretiert wurde und an eine derselben Arie von Marylin Horne - was für eine Bandbreite ;)

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Oder die besagte Dame war tatsächlich von Anfang an für den Tancredi vorgesehen, dann zeigt es, dass Anfang des 19. Jahrhunderts die Opernästhetik noch nicht ausschließlich auf den Tenor als jugendlichen Helden einer Oper fixiert war, sondern -wie ehedem- diese Rolle auch einer höheren Stimmlage zugeordnet werden konnte, ohne dass dies jemand komisch gefunden hätte.


    Richtig - richtig - richtig!


    Es war eine Zeit des Übergangs, man sollte nicht vergessen, dass es 1813 noch keine Tenöre in unserem Sinne gegeben hat (d.h. wie wir sie in der Zwischenzeit kennengelernt und in den letzten Jahren mangels Angebot schon fast wieder vergessen haben :D ). Rossini selbst hat erst in den 30ern das erste nicht falsettierte hohe C gehört, und war gar nicht erbaut (erinnerte ihn an den Klang eines Kapauns).


    Daher sind viele seiner schönsten Rollen für Contralto geschrieben, eine damals offenbar recht häufige Spezies. Aber schon in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts werden auch diese rarer, worauf einige dankbare Rollen von leichten Koloratursopranen annektiert wurden (z.B. Rosina), was teilweise bis heute noch gängige Praxis ist und von einigen sehr geschätzt wird, obwohl es nichts mit dem Original zu tun hat. Es war wieder einmal Maria Callas vorbehalten, das Rossini-Bild etwas zu entstauben, und seit der Abbado-Einspielung des Barbiers mit Teresa Berganza ist der Mezzo bei Rossini wieder die dominierende Stimmart. Und Sängerinnen wie Marilyn Horne und Eva Podles haben den tiefen Rossini-Partien wieder neuen Glanz gegeben und sie aus der Versenkung hervorgeholt.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • ... was wiederum elegant zu heutigen Mozart-Interpretationen von Kastraten-Partien (und damit zum "Kernthema") zurückführt :D


    Während es heutzutage ja fast schon "zum guten Ton" ;) gehört, dass in Barockopern (zumindest in CD-Einspielungen) Altisten, Countertenöre, Sopranisten, usw. die Kastratenpartien interpretieren, ist es meines Wissens bislang eher die Ausnahme, dass sich einer dieser Herren mal eine der entsprechend geeigneten Mozart-Opern vornimmt?!?


    Spontan fällt mir jetzt nur die Rousset-Aufnahme vom "Mitridate" ein, in der Brian Asawa die Partie des Farnace singt. Die Arien für diese Figur kenne ich auch von einer Recital-CD, dort von Jochen Kowalski gesungen.


    Aber ansonsten? Ein Countertenor/ Altus z. B. als Annio im Titus?? Mir nicht bekannt. Oder eine Interpretation von "Exsultate, jubilate" (KV 165)? Noch keine gehört.
    Auf der Bühne schon gleich gar nicht, nicht mal im Mitridate oder im Lucio Silla, allerdings - wann gibt es die auch schon mal "live" zu erleben ;(


    Warum ist das bloß so? Haben die Herren im Hochbarock (und früher) mehr zu tun oder trauen sich viele an Mozart nicht heran, weil sie schwerpunktmäßig barocke Sing- und Verzierungstechniken studiert haben?


    Eigentlich schade, finde ich.... wäre auf jeden Fall mal ein neuer, nicht uninteressanter Höreindruck, wenn es mehr entsprechend geeignete Mozart-Werke in Aufnahmen mit Altisten und Countern gäbe.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Salut,


    Andreas Scholl konzertierte bei den Schwetzinger Festspielen mit [Händel], Mozart und Haydn, allerdings bei den Wiener Klassikern vornehmlich mit Liedern. Eine Arie war dabei KV 178. Sie hat mir vom Gesang her gut gefallen, allerdings fand ich es blöd, dass es "nur" Klavierbegleitung gab.


    :hello:


    Ulli

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Es gab bereits zur Hochzeit der Kastraten Damen, die auf deren Rollen spezialisiert waren, subalterne Rollen wie Sesto in Händels Cäsar wurden sehr häufig von Frauen gesungen. Ein Countertenor hat genaugenommen historisch und stimmlich in einer Kastratenpartie in der Oper wenig verloren. In der Gesangstechnik weiß ich nicht Bescheid, aber es gibt wohl gute Gründe dafür, dass Countertenöre zwar ganz gut bei Lautenliedern sind, aber nur selten die Power für das Feuerwerk, dass man von den Kastratenpartien erwartet haben. Insofern bin ich froh, sie nicht auch noch in Mozart-Opern zu hören...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ... Countertenöre sind halt leider heutzutage nur die "Verlegenheitslösung", aber was soll man machen, wenn keine Kastraten (mehr) verfügbar sind :]


    Zitat

    ...es gibt wohl gute Gründe dafür, dass Countertenöre zwar ganz gut bei Lautenliedern sind, aber nur selten die Power für das Feuerwerk, dass man von den Kastratenpartien erwartet haben. Insofern bin ich froh, sie nicht auch noch in Mozart-Opern zu hören...


    Immerhin trauen sich viele dieser Sänger, in Barockopern aufzutreten und ich würde sagen, dass die Virtuosität und die Koloraturanforderungen in Opern aus der Hochzeit der neapolitanischen Schule (also so um 1730) ungleich höher sind, als die, die Mozart beispielsweise von einem Farnace, einem Aminta und erst recht dem Annio verlangt.
    So gesehen müsste das eigentlich gehen - jedenfalls bezogen auf den Aspekt "geschnittene Nudeln", also das virtuose rauf und runter ... ;)

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Es gab bereits zur Hochzeit der Kastraten Damen, die auf deren Rollen spezialisiert waren


    Man darf auch nicht vergessen, dass in der Blütezeit der Kastraten, oft "Quer" gesungen/gespielt wurde. Eine Frau in der Männerrolle und umgekehrt.
    Caffarelli (1710-1783) debütierte als 16-jähriger in einer Frauenrolle und sang bis zu seinem 20 Lebensjahr nur Frauenrollen. Angeblich warensich die Zuhörer/Schauer nicht sicher "was" er denn nun wirklich war!!


    LG Joschi

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ein Countertenor hat genaugenommen historisch und stimmlich in einer Kastratenpartie in der Oper wenig verloren. In der Gesangstechnik weiß ich nicht Bescheid, aber es gibt wohl gute Gründe dafür, dass Countertenöre zwar ganz gut bei Lautenliedern sind, aber nur selten die Power für das Feuerwerk, dass man von den Kastratenpartien erwartet haben. Insofern bin ich froh, sie nicht auch noch in Mozart-Opern zu hören...


    Der Grund dafür ist, dass Countertenöre die jedem Mann zu Gebote stehende Fistelfunktion der Stimme nutzen ("Fistelstimme"). Dabei schwingen aber nur die Randbereiche der Stimmbänder bei nicht vollständig geschlossenen Stimmlippen, so dass diese Töne nicht mit der gleichen Intensität erzeugt werden wie bei einer "normalen" Gesangsstimme. Zwar gibt es heute mittlerweile gut trainierte Countertenöre mit hinreichend tragfähigen Stimmen, aber das ist natürlich kein Vergleich mit einem wirklichen Kastraten. Dessen Vorteil liegt darin, dass die aufgrund der Kastration erhaltene androgyne Klangqualität der Stimme verbunden wird mit der Resonanz und dem Volumen einer ausgewachsenen Männerstimme (die Kastration hatte ja keinen schädigenden Einfluss auf das sonstige körperliche Wachstum).


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher


    Zitat

    Dessen Vorteil liegt darin, dass die aufgrund der Kastration erhaltene androgyne Klangqualität der Stimme verbunden wird mit der Resonanz und dem Volumen einer ausgewachsenen Männerstimme (die Kastration hatte ja keinen schädigenden Einfluss auf das sonstige körperliche Wachstum).


    Ich glaube, dass gerade diese Tatsache auf den Aufnahmen Moreschis noch hörbar ist. Ohne jetzt über gesangliche Qualitäten zu urteilen glaube ich, dass diese Stimme in größeren Räumen über eine bemerkenswerte Qualität verfügt haben muss, die durch Technik heute nicht adäquat reproduziert werden kann.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,


    die Aufnahmen Moreschis sind natürlich in dieser Hinsicht wenig aufschlußreich, weil er meist nur Salonmusik und Sakralkitsch singt und das in einem recht kleinen Aufnahmeraum (wohl ein Salon). Außerdem ist die Aufnahmetechnik der damaligen Zeit durch ihre technische Begrenztheit gerade im Obertonbereich wenig geeignet gewesen, die androgyne Klangqualität der Stimme auch nur einigermaßen adäquat einzufangen. Sopranstimmen litten ja auch unter der akustischen Aufnahmetechnik, sie klingen meist entkörperlicht und sehr instrumental, quasi wie Flöten.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Theophilus,


    Rein theoretisch: Stell man poliert elektronisch so eine alte Aufnahme wirklich gut (das kann, kostet aber viel Mühe, Zeit und Geld) und sichert diese "geschonte" Aufnahme.
    Nachher wird so eine Aufnahme über guten Lautsprecher abgespielt. Dann müßen - physikalisch redeniert - irgendwie "Obertöne" entstehen. Wie hoch die sind, darüber reden wir jetzt nicht. Aber jedenfalls höher als die, welche jetzt geboten worden.


    Klingt eine Aufnahme, davon gemacht, nicht schon viel besser?


    LG, Paul

  • Als relativer Neuling in diesem Forum, entdecke ich immer ware Leckerbissen. Auch ich habe mich intensiv mit Kastraten beschäftigt. In soweit habe ich hier schon wieder viele neue Infos gefunden.Angeregt wurde ich durch das Buch der Venusmann, von Franzpeter Messner. Hier geht es um Carlo Farinelli.Da ich ja eigentlich Kurzgeschichten schreibe, habe ich eine Geschichte über den Kastraten Valentino geschrieben der u.a. jeden Tag, in strenger Disziplin, Solfeggien üben musste.Ich muss der Geschichte noch den letzten Schliff geben.
    Die Frage nach "Mozarts Kastraten" in opera seria ist von den Experten, umfassend behandelt worden. Obwohl die Kastraten der späteren Jahre, bis Alessandro Moreschi 1858-1922,( meines Wissens der letzte), auch alle eine intersante Lebensbiografie aufweisen.
    Padre

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  • Ich habe dies schon etwas ältere Thema mit viel Interesse gelesen. Da es ja noch nicht geschlossen ist möchte ich noch mal auf die von GieselherHH angeführten "androgynen" Züge oder Eigenschaften eingehen.Androgyn bedeutet doch, weiblich und männliche Merkmale vereinend. Solche Merkmale ,Hohe Stimmen bei Männern beispielsweise, müssen meiner Meinung nach, nicht zwangsläufig durch Kastration, sondern doch viel eher durch genetische Fehlsteuerungen verursacht sein. Eine Frau bekommt einen Bart, hat das nicht genetische Ursachen?Ich bin kein Arzt, es wäre deshalb sehr interessant welche körperlichen Veränderungen mit einer Kastration einher gehen und ausgelöst werden.
    Viele Grüße
    Padre

  • Hallo Padre,


    diese von Dir erwähnten körperlichen Veränderungen sind meines Wissens hauptsächlich hormonell bedingt, also nicht unbedingt erblich bzw. genetisch verursacht (oder vorprogrammiert).


    Die oft grotesken Körperproportionen (oder auch die teilweise enorme Fettleibigkeit), die bei vielen Kastraten beobachtet (und bespöttelt) wurden, da war man ja gnadenlos, sind auf das mit Einsetzen der Pubertät beginnende Körperwachstum zurückzuführen.


    Durch Entfernen der für die Ausschüttung des männlichen Hormons Testosteron verantwortlichen Drüsen (?) im Zuge der Kastration fehlt dieses für die Entwicklung zum Mann so wichtige Hormon. Deshalb bleibt z. B. ja auch die Stimmlage die eines Kindes - der Stimmbruch entfällt.


    Wandelt sich nun der Knabenkörper während der Pubertät zu dem eines Mannes, fehlt dieses für die Entwicklung zum Mann entscheidende Hormon natürlich völlig und die Phänomene "Fettleibigkeit" / "Disproportionalität der Gliedmaßen" usw. treten auf, ebenso wie fehlender Bartwuchs, etc.
    Der erwachsene Körper des kastrierten Mannes verfügt im Zweifel eher über weibliche Züge, da im Männerkörper ja auch enthaltene weibliche Hormone (Östrogen) nicht am selben Ort produziert und ausgeschüttet werden wie die männlichen Hormone und diese weiblichen Hormone somit auch dem Körper des Kastraten nach wie vor zur Verfügung stehen.
    Die Interaktion der weiblichen Hormone mit dem Testosteron, die beim "normalen" Mann stattfindet (bei manchen ist der Testosteron-Anteil höher, bei manchen weniger), gibt es hier dann gar nicht.


    Ich bin auch kein Arzt, aber so in der Art habe ich das schon einmal in einem Buch über Kastraten gelesen - ich hoffe, ich gebe es richtig wieder.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Lieber Marc,


    Nicht nur in großen Zügen stimmt Deinen Beitrag. Es könnte hinsichtlich Oestrogen was ausgebreitet werden, aber das ist hier nicht wichtig.


    Es geht, darum, daß Testosteron eine Vermännlichung verursacht, d.h. die männliche Körpereigenschaften werden stimuliert: grobere Zügen, Behaarung des Körpers, Vertiefung der Stimme, usw.


    LG, Paul

  • Davon habe ich auch schon gehört und das stimmt auch. Es ging aber darum, ob die von Marc beschriebenen Syptome, auch dann auftreten wenn überhaupt keine Kastration vorliegt und diese körperlichen Veränderungen sozusagen rein hormonell bedingt sind.Durch eine hormonelle Störung bekommt eine Frau Barthaare der Mann aber nicht.Dann kann doch nicht von Androgyn sprechen. Es findeen eben keine Anpassunungen weiblichen und männlicher Merkmale statt.
    Padre

  • Lieber Padre,


    Die Geschichte des männlichen Hormons geht schon lange zurück. Die ersten Proben mit dem Hormon wurden an einem Soldat aus den 1. Weltkrieg unternommen. Der Mann hatte das Unglück ein Verwundung bekommen zu haben, die ihn kastrierte.
    Ins Interbellum (zwischen WK I und II) gab mann ihn dann ein Mittel, das aus zigtausend Liter Pferdenurin (wenn ich mich nicht irre) isoliert war.


    Es gibt Frauen, die aus verschiedene Gründe entweder männliches Hormon bekommen, oder wo das Oestrogen nicht (mehr) genügend produziert wird.
    Frauen später als ± 50 Jahr bekommen überhaupt ein groberes Gesicht und das Gesich wird mehr behaart (Schnurrhaare). Da ist die Oestrogenproduktion auf ein niedriges Niveau gekommen, d.h. das männliche Hormon (das auch von Frauen produziert wird) kann eine wichtigere Rolle spielen.


    LG, Paul

  • Vielen Dank Paul für deineinteressante Erklärung. Ich habe mir den Begriff " Androgyn"noch mal durch den Kopf gehen lassen. In diesem Fall war eigentlich nur gemeint, die Anpassung der männlichen an die weibliche Stimme, sodass die Klangqualität des Mannes nicht von der der Frau zu unterscheiden ist.
    Viele Grüße Padre :hello: :hello: :hello:

  • Zitat

    Original von Ulli
    Cherubino hingegen war schon immer eine Hosenrolle und wurde bei der UA von Dorothea Bussani-Sardi *1763 Wien, † nach 1810 gesungen.


    Eigtl. schade, in der Rolle könnte ich mir einen Kastraten gut vorstellen. :rolleyes:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Felipe II


    Zu den Hosenrollen möchte ich noch ergänzend zwei Beispiele anführen.
    Tommaso Consili, kam als Gast nach München und sang die Partie des Schäfer "Aminta" aus Re pastore, KV 208 ( Marc hat hierauf schon hingewiesen).
    Vincenzo del Prato, sang den Idamante, aus Idemeneo, KV 366. Mozart war alllerdings von den Gesangskünster, Pratos nicht sehr beindruckt.
    Viele Grüße
    Padre :hello:

  • Ich wollte noch schnell hinzufügen, dass es auch bereits von Natur aus Frauen mit mehr oder weniger Testosteronanteil gibt,(auchsolche mit Bartwuchs!) die dann automatisch androgyner als Typ wirken oder Frauen die einen genetisch bedingten "männlicheren" Körperbau haben und dann auch als knabenhaft bezeichnet werden. Ebenso gibt es Männer mit sehr weichen weiblcihen Zügen und das ist dann in beiden Fällen "Androgynität", die ncihts mit Hormongabe zu tun hat, sondern einfach schon genetisch vorprogrammiert war.
    Bei den Griechen zum Beispiel waren die sogenannten Epheben, sehr mädchenhaft wirkende Knaben gerade um ihrer Androgynität geschätzt.
    Und auch die Kastraten haben sciher nciht zuletzt wegen dieser Ambivalenz im Geschlecht einen grossen Reiz ausgeübt.


    Fairy Queen

  • Das stimmt natürlich. Bei den Kastraten wurde das hauptschlich durch das Messerchen verursacht."Eviva il coltello"-" Es lebe das Messerchen" Ich möchte hier nicht erneut, auf diese grausame Verstümmelungsmethode eingehen , ( hatten wir alles schon mal) und empfehle: " Der Venusmann" von Hanspeter Messmer.
    Ich selbst habe über die Kasraten eine Geschichte ( Novelle ) in Vorbereitung, die noch in fachlcher Sicht überarbeitet werden muss. Gruß
    Padre

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