Liebe Forianer,
ich möchte euch heute einen aus meinen Augen hoch interessanten Klavierzyklus (besser wohl Reihe von Variationszyklen) vorstellen, der bereits als "Diabelli-Variationen" des neuen Jahrtausends gerühmt wurde. Da mag manch einer die Nase rümpfen ob des gewaltigen und wohl kaum zu übertreffenden Beethovens und auch ich halte von solch überschwenglich, werebwirksamen Vergleichen recht wenig.
Doch der Reihe nach. Frederic Rzewski, 1938 in Westfield /Massachusetts geboren, dürfte heute einer der interessanten und eigenwilligsten Komponisten Amerikas sein. Bereits 1954 begann er ein Kompositionsstudium an der Harvard University. Zu seinen Lehrern gehörten dort Walter Piston und Roger Sessions, Kontrapunkt eignete er sich bei dem amerikanischen Komponisten Randall Thompson (nicht zu verwechseln mit Virgil Thomson - R.Thompson sollte der Nachwelt mit einem einzigem Werk, dem "Alleluja" in Erinnerung bleiben) an.
1958-60 setzte er dann seine Studien an der renommierten Princeton University unter Milton Babbitt (Komposition) und Oliver Strunk fort.
1960 siedelte er schließlich nach Italien über, um seine Kompostionstechniken bei Dallipicola zu vollenden.
Von da an machte er in Europa schnell als Pianist zeitgenössischer Klaviermusik (v.a Stockhausen) von sich Reden.
Seine frühe Freundschaft mit Christian Wolff und David Behrman als auch seine Bekanntschaft mit John Cage sollten sowohl seine kompositorisches als interpretatorisches Output beeinflussen.
Sein kompositorischer Stil war im Laufe der Zeit einem steten Wandel unterworfen sein. Machte er sich in den 60ern und Anfang der 70er Jahre v.a. mit Live-Improvisationen elektronsicher Musik durch sein selbst gegründetes Ensemble MEV einen Namen, so finden sich später minimalistsiche Phasen und schließlich eine Phase des Gegenüberstellens komplementärer Elemente in groß angelegten Werken. Volkslied trifft auf Jazz, atonales auf tonales, alles ohne je ein Bekenntniskampf daruas werden zu lassen. Dem einzigen Bekenntnis, dem sich Rzewski in seiner Musik hingibt, ist ein politisches.
Rzewski ist ein "Linksintelektueller", um nicht zu sagen Marxist.
Als solcher verfolgte er selbstverständlich den Putsch durch Pinochet in Chile und den resultierenden Niedergang der Allende-Regierung, welcher 700000 Menschen auf die Straße trieb, die für die Allende-Regierung demonstrierten.
Diesen Menschen zollte Rzewksi 1975 durch The People United Will Never Be Defeated seinen Tribut.
zum Aufbau des Werkes:
Dem Werk liegt das von dem chilenischen Komponisten Sergio Ortega (1938 - 2003) erdachte gleichnamige Lied zugrunde, welches dieser für eben diesen Widerstand der chilenischen Bevölkerung geschrieben hatte.
Rzewskis Werk selbst entstand aber nicht aus freien Stücken, sondern wurde von der Pianistin Ursula Oppens in Auftrag gegeben, die ein Begleitstück zu Beethovens Diabelli-Variationen suchte.
The People United Will Never Be Defeated gliedert sich klar in 6 Abschnitte bzw. 6 Zyklen . Jeder Zyklus enthält genau 6 Variationen, so daß sich 36 Variationen ergeben - genau so viele, wie das Originalthema an Takten enthält.
Laut Christian Wolff repräsentieren die ersten Variationen jeweils einen Finger, während die 6. Variation die geschlossene Faust versinnbildlichen soll. (Ob es eine Anregung oder "nur" eine Deutung Wolffs war, entzieht sich leider meiner Kenntnis.) Das spannende ist nun die Einteilung der 6 Abschnitte nach musikalischen Elementen:
1. Abschnitt (Zyklus): Einfache Ereignisse
2. Abschnitt: Rhythmen
3. Abschnitt: Melodien
4. Abschnitt: Kontrapunkte
5. Abschnitt: Harmonien
6. Abschnitt: eine Synthese aus allen
Jeder Zyklus entwickelt dabei einem den musikalischen Element entsprechenden Charakter. So ist der dritte Zyklus größtenteils lyrisch gehalten (gelegentliche Jazz-Einflüsse), der vierte von Konflikten bestimmt, wärend der fünfte Gleichzeitigkeit des Geschehens vermittelt.
Die Variationen verlangen ein hohes Maß an technischem Können, Rzewski nutzt die volle Bandbreite der im 20. Jhd. üblichen Techniken. Sprachlich steht das Werk in der romantische Tradition des 19. Jhd., Rzewski mischt die Sprache jedoch mit pandiatonischen, modalen als auch teil seriellen Techniken.
Der hohe technische Anspruch anvanciert jedoch nie zum Selbstzweck sondern dient stets dem erwünschten Ausdruck der jeweiligen Variation.
Rzewskis Bandbreite an Ausdruck, an vermittelten Emotionen im Verlaufe des Werkes ist beachtlich. Auch Rzewski entfernt sich zeitweise fast bis zur Unkenntlichkeit des Themas, die letzte Variation ist dann - ähnlich den Goldberg-Variationen - eine Neudarstellung des Themas.
Für die Konserve wurde das Werk bisher zweimal festgehalten:
Die etwas früher entstande Aufnahme mit dem Pianisten Stephen Drury:
und die von der Kritik hoch gelobte (ich kann dem beipflichten!) Aufnahme mit Marc-Andre Hamelin:
Ob die Aufnahme mit Ursula Oppens noch verfügbar ist (sie erhielt für die damalige Aufnahme eine Grammy-Nominierung und wurde von einem Musikmagazin als "Aufnahme des Jahres" geadelt) entzieht sich auch hier leider meiner Kenntnis.
Allerdings dürfte die Hamelin-Einspielung der Oppens-Einspielung in kaum einen Belange nachstehen.
Wulf.