Variationen für das neue Jahrtausend - Rzewski: The People United Will Never Be Defeated

  • Liebe Forianer,


    ich möchte euch heute einen aus meinen Augen hoch interessanten Klavierzyklus (besser wohl Reihe von Variationszyklen) vorstellen, der bereits als "Diabelli-Variationen" des neuen Jahrtausends gerühmt wurde. Da mag manch einer die Nase rümpfen ob des gewaltigen und wohl kaum zu übertreffenden Beethovens und auch ich halte von solch überschwenglich, werebwirksamen Vergleichen recht wenig.


    Doch der Reihe nach. Frederic Rzewski, 1938 in Westfield /Massachusetts geboren, dürfte heute einer der interessanten und eigenwilligsten Komponisten Amerikas sein. Bereits 1954 begann er ein Kompositionsstudium an der Harvard University. Zu seinen Lehrern gehörten dort Walter Piston und Roger Sessions, Kontrapunkt eignete er sich bei dem amerikanischen Komponisten Randall Thompson (nicht zu verwechseln mit Virgil Thomson - R.Thompson sollte der Nachwelt mit einem einzigem Werk, dem "Alleluja" in Erinnerung bleiben) an.
    1958-60 setzte er dann seine Studien an der renommierten Princeton University unter Milton Babbitt (Komposition) und Oliver Strunk fort.
    1960 siedelte er schließlich nach Italien über, um seine Kompostionstechniken bei Dallipicola zu vollenden.
    Von da an machte er in Europa schnell als Pianist zeitgenössischer Klaviermusik (v.a Stockhausen) von sich Reden.
    Seine frühe Freundschaft mit Christian Wolff und David Behrman als auch seine Bekanntschaft mit John Cage sollten sowohl seine kompositorisches als interpretatorisches Output beeinflussen.
    Sein kompositorischer Stil war im Laufe der Zeit einem steten Wandel unterworfen sein. Machte er sich in den 60ern und Anfang der 70er Jahre v.a. mit Live-Improvisationen elektronsicher Musik durch sein selbst gegründetes Ensemble MEV einen Namen, so finden sich später minimalistsiche Phasen und schließlich eine Phase des Gegenüberstellens komplementärer Elemente in groß angelegten Werken. Volkslied trifft auf Jazz, atonales auf tonales, alles ohne je ein Bekenntniskampf daruas werden zu lassen. Dem einzigen Bekenntnis, dem sich Rzewski in seiner Musik hingibt, ist ein politisches.
    Rzewski ist ein "Linksintelektueller", um nicht zu sagen Marxist.
    Als solcher verfolgte er selbstverständlich den Putsch durch Pinochet in Chile und den resultierenden Niedergang der Allende-Regierung, welcher 700000 Menschen auf die Straße trieb, die für die Allende-Regierung demonstrierten.
    Diesen Menschen zollte Rzewksi 1975 durch The People United Will Never Be Defeated seinen Tribut.


    zum Aufbau des Werkes:


    Dem Werk liegt das von dem chilenischen Komponisten Sergio Ortega (1938 - 2003) erdachte gleichnamige Lied zugrunde, welches dieser für eben diesen Widerstand der chilenischen Bevölkerung geschrieben hatte.
    Rzewskis Werk selbst entstand aber nicht aus freien Stücken, sondern wurde von der Pianistin Ursula Oppens in Auftrag gegeben, die ein Begleitstück zu Beethovens Diabelli-Variationen suchte.


    The People United Will Never Be Defeated gliedert sich klar in 6 Abschnitte bzw. 6 Zyklen . Jeder Zyklus enthält genau 6 Variationen, so daß sich 36 Variationen ergeben - genau so viele, wie das Originalthema an Takten enthält.
    Laut Christian Wolff repräsentieren die ersten Variationen jeweils einen Finger, während die 6. Variation die geschlossene Faust versinnbildlichen soll. (Ob es eine Anregung oder "nur" eine Deutung Wolffs war, entzieht sich leider meiner Kenntnis.) Das spannende ist nun die Einteilung der 6 Abschnitte nach musikalischen Elementen:


    1. Abschnitt (Zyklus): Einfache Ereignisse
    2. Abschnitt: Rhythmen
    3. Abschnitt: Melodien
    4. Abschnitt: Kontrapunkte
    5. Abschnitt: Harmonien
    6. Abschnitt: eine Synthese aus allen




    Jeder Zyklus entwickelt dabei einem den musikalischen Element entsprechenden Charakter. So ist der dritte Zyklus größtenteils lyrisch gehalten (gelegentliche Jazz-Einflüsse), der vierte von Konflikten bestimmt, wärend der fünfte Gleichzeitigkeit des Geschehens vermittelt.
    Die Variationen verlangen ein hohes Maß an technischem Können, Rzewski nutzt die volle Bandbreite der im 20. Jhd. üblichen Techniken. Sprachlich steht das Werk in der romantische Tradition des 19. Jhd., Rzewski mischt die Sprache jedoch mit pandiatonischen, modalen als auch teil seriellen Techniken.
    Der hohe technische Anspruch anvanciert jedoch nie zum Selbstzweck sondern dient stets dem erwünschten Ausdruck der jeweiligen Variation.


    Rzewskis Bandbreite an Ausdruck, an vermittelten Emotionen im Verlaufe des Werkes ist beachtlich. Auch Rzewski entfernt sich zeitweise fast bis zur Unkenntlichkeit des Themas, die letzte Variation ist dann - ähnlich den Goldberg-Variationen - eine Neudarstellung des Themas.


    Für die Konserve wurde das Werk bisher zweimal festgehalten:



    Die etwas früher entstande Aufnahme mit dem Pianisten Stephen Drury:




    und die von der Kritik hoch gelobte (ich kann dem beipflichten!) Aufnahme mit Marc-Andre Hamelin:




    Ob die Aufnahme mit Ursula Oppens noch verfügbar ist (sie erhielt für die damalige Aufnahme eine Grammy-Nominierung und wurde von einem Musikmagazin als "Aufnahme des Jahres" geadelt) entzieht sich auch hier leider meiner Kenntnis.
    Allerdings dürfte die Hamelin-Einspielung der Oppens-Einspielung in kaum einen Belange nachstehen.


    :hello:
    Wulf.

  • Genossen des guten Geschmacks,


    nach zweimaliger Unterbrechung ist dieser thread nun endlich ins Leben gerufen.


    Ich hoffe, ich kann ein wenig euer Interesse wecken, oder vielleicht sogar schon ein paar Meinungen von euch hören - ähh, lesen.


    :hello:
    Liebe Grüße
    Wulf.

  • Lieber Tom,


    das freut zu hören. Bin gespannt, wie es Dir gefällt.
    (Laß Dich nicht durch das relativ banal anmutende Originalthema -bzw. lied, v.a. in der stampfenden Einleitung irritieren - schon die 1. Variation, finde ich, läßt unglaublich aufhorchen!)


    LG
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf
    Lieber Tom,


    das freut zu hören. Bin gespannt, wie es Dir gefällt.
    (Laß Dich nicht durch das relativ banal anmutende Originalthema -bzw. lied, v.a. in der stampfenden Einleitung irritieren - schon die 1. Variation, finde ich, läßt unglaublich aufhorchen!)


    Lieber Wulf,


    mir gefällt die Aufnahme von Hamelin ausgesprochen gut. "The people united will never be defeated" ist Musik die Hamelin ausgesprochen gut in den Fingern liegt, Drury erscheint mir dagegen technisch nicht immer souverän. Hamelin dagegen höre ich mit Rzweski immer wieder gerne.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Hallo Christian,


    schön, einen "Miteingeweihten" in den Tamino-Reihen zu finden.
    Ich finde dieses Werk einfach unglaublich fesselnd und ja, die Musik scheint für Hamelin gemacht. Du kennst sogar die Drury-Aufnahme 8o Kenn ich leider nicht, aber aufgrund dessen, was Du mir schilderst, wird sie wohl denn verzichtbar für mich bleiben. Wie schonend für die Geldbörse ;)


    Hast Du in dem Werk vielleicht sogar Lieblingsvariationen?


    LG
    Wulf.

  • Äh, ihr habt eine wichtige Einspielung vergessen: Die von Rzewski selbst. Und er ist ein SEHR fähiger Pianist. Er kommt zwar nicht ganz an die Hamelin-Einspielung heran, hat aber einen so gänzlich anderen Anschlag (ziemlich trocken), daß diese Aufnahme durchaus lohnenswert ist. Außerdem ist seine Improvisation fabelhaft.

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Hallo Wulf,


    ich habe mir die Hamelin-Aufnahme jetzt auch besorgt und bereits einige Male gehört.
    Und ich höre mich da immer mehr ein, es gefällt mir von Mal zu Mal besser. Dabei bin ich kein allzu großer Freund von Variationswerken.


    Aber hier finde ich bereits das Thema, das Originallied recht interessant, als banal würde ich es nicht bezeichnen wollen. ;)
    Ja, und die Variationen sind teilweise schon sehr atemberaubend. Bei manchen frage ich mich wirklich, was das noch mit dem Thema zu tun hat.


    Und Hamelin hat das Werk ganz sicher im Griff, das merkt man schon.


    Also vielen Dank für den Hinweis. :hello:



    Gruß, Peter.

  • Schön zu sehen daß diesem wunderbaren Werk hier ein eigener Thread gewidmet wird. Ich hatte die CD von Hamelin schon im 'Meine Lieblingspianisten'-Thread (oder so ähnlich) genannt. Tatsächlich sind die Variationen teils wirklich wagemutig und atemberaubend. Ich kann nur jedem empfehlen, sich diese CD einmal zu Gemüte zu führen.


    VG,
    FoN


    PS: Der politische Hintergrund machen mir dieses Werk und dessen Komponist noch ein ganzes Stück sympathischer. : :)


    PPS: Besonderes Highlight für mich ist immer wieder das vom Komponisten vorgeschriebene Pfeifen des Pianisten (in Var. No 13). :D

  • Zitat

    Original von Wulf


    Hast Du in dem Werk vielleicht sogar Lieblingsvariationen?


    Lieber Wulf,


    entschuldige die späte Antwort. :untertauch: Ich habe heute Rzewski wieder sehr ausgiebig gehört- nämlich zweimal :D :D


    Meine Lieblingsvariation ist im Augenblick Variation 39.


    Mit jedem Mal gefallen mir die Variationen besser. Banal finde ich das Thema übrigens nicht. Zumindest keinen Deut banaler als das Thema der Diabelli-Variationen. Und was Rzewski aus diesem Material macht begeistert mich immer wieder.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Christian,


    welches Stück meinst du genau mit "Variation 39"? Es sind nämlich "nur" 36 Variationen. Oder meinst du den letzten Track (39) der Variationen (also wieder das Thema, Tempo 1) auf der Hamelin-CD?


    L. G.
    Gerald

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Zitat

    Original von Melot1967


    Oder meinst du den letzten Track (39) der Variationen (also wieder das Thema, Tempo 1) auf der Hamelin-CD?


    Lieber Gerald,


    Du hast recht, ich meinte Track 39- allerdings scheint mir das Stück eben nicht einfach nur eine Wiederholung des Themas zu sein, oder?


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

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  • Hallo Christian,


    soweit ich es jetzt in Erinnerung habe, beinhaltet Track 39 das Thema im Originaltempo mit anschließender Coda. Es hört ja nicht abrupt mit dem Thema auf.



    Liebe Grüße,
    Peter.

  • Hallo zusammen!


    Komisch, da sind mir doch die Aktivitäten in diesem thread glatt durch die Lappen gegangen....


    Um so mehr bin ich jetzt richtig froh, ein paar Postings hier gelesen zu haben. Und dann noch alle so positiv =)


    ad bubba:


    Ist die Einspielung Rzewskis für die Konserve festgehalten und noch verfügbar??


    ad Peter:

    Zitat


    Ja, und die Variationen sind teilweise schon sehr atemberaubend. Bei manchen frage ich mich wirklich, was das noch mit dem Thema zu tun hat.


    Nicht wahr? ;) Und bei den "Diabellis" fragt man sich ja auch, was das zwischenzeitig noch mit dem Originalthema zu tun hat.


    Freut mich, daß ich Dir mit dieser Empfehlung wat Jutet getan hab :D


    ad Christian:


    Danke für Deine Wahl. Interessant :yes:


    :hello:
    Liebe Grüße
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf


    ad Christian:


    Danke für Deine Wahl. Interessant :yes:


    Lieber Wulf,


    meine Favoriten dieser Woche sind: Variation 18 und 28. :angel:



    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

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  • Ave Caesar!


    Morituri te salutant! (oder so ähnlich). Welch edlen Geschmack Ihr beweist, o großartiger Statthalter Roms. :D


    LG
    Wulf.

  • Lieber Wulf,


    das ist des Guten nun fast zu viel ..... :D :D


    Bei soviel Weihrauch wird mir regelrecht schwindelig :) Ich hoffe es zückt hier noch keiner den Dolch- aber die Iden des März sind ja Gott sei Dank schon vorbei .....



    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

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  • Zitat

    Original von Caesar73


    Bei soviel Weihrauch wird mir regelrecht schwindelig :)
    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian


    Warst wohl kein Meßdiener, hmm? :beatnik:
    Aber es freut mich einfach, daß ich mit meiner Begeisterung für dieses Werk nicht alleine stehe...


    :hello:
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf


    Warst wohl kein Meßdiener, hmm? :beatnik:


    Aber sicher doch- von der Wiege bis zur Bahre :D
    Und Routine im Schwenken des Weihrauchfasses habe ich durchaus :hahahaha:



    Und "The people united" ist wirklich ein grandioses Werk. Ich hatte es lange nicht mehr gehört- und Dein Thread war eine willkommen Gelegenheit meine alte Einschätzung zu überprüfen. Aber das geht mir bei seit ich hier bei Tamino aktiv bin ständig so: Man macht ständig Entdeckung- und das macht für mich ja auch den Reiz des Forum aus- unter anderem
    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

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  • Lieber Wulf,


    meine Lieblingsvariationen dieser Woche sind:


    Nummero 9, 12 und 27



    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

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  • Hallo zusammen,


    dieser Thread ist schuld! Ich habe mir die Aufnahme mit Hamelin beschafft und bin heute unter dem Kopfhörer auf Tuchfühlung gegangen (- der einzige Trost meiner Gattin: ich hätte in dieser Zeit keine anderen Dummheiten gemacht).


    Sagen kann ich bis jetzt nur so viel:
    - toll, dass es dieses Wrk gibt,
    - überaus spannend, sich "einzuhören",
    - und soviel ist klar: großartig gepielt.


    Ob es mir gefällt? - man muss natürlich die Langzeitwirkung abwarten (zu den Risiken und Nebenwirkungen werde ich Arzt und Apotheker befragen), aber das Werk könnte zum engsten Kreis meiner Variationslieblinge aufsteigen.


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von Pylades


    Ob es mir gefällt? - man muss natürlich die Langzeitwirkung abwarten (zu den Risiken und Nebenwirkungen werde ich Arzt und Apotheker befragen), aber das Werk könnte zum engsten Kreis meiner Variationslieblinge aufsteigen.


    Ich sehe mit großer Freude, dass Du auf dem richtigen Wege bist ....:D:D


    Und keine Bange: Die Langzeitwirkung kommt so sicher wie das Amen in der Kirche :D


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Christian,


    Zitat

    Ich sehe mit großer Freude, dass Du auf dem richtigen Wege bist.


    Und keine Bange: Die Langzeitwirkung kommt so sicher wie das Amen in der. Kirche


    ...na bei solchen Wegweisern (...nein - erinnert zu sehr an die Winterreise...) Ciceronen, oder gar Leuchttürmen kann es daran ja nicht fehlen. Hoffe jetzt nur, dass ich nicht Messdiener werden muss...


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von Pylades
    Hoffe jetzt nur, dass ich nicht Messdiener werden muss...


    Lieber Bernd,


    glaube mir: Das Schwenken eines Weihrauchfasses und Rzewski hören geht sehr gut zusammen :D:D:D


    Oder sagen wir mal so: Wenn Du lange genug "The people united will never be defeated" hörst wird Dich ganz automatisch dass Bedürfnis überkommen, dass Weihrauchfass zu schwenken :D:D


    Und dann bist Du schon ein halber Messdiener :D
    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Lieber Christian, hallösche Pylades,


    prima, daß ihr dem Werk mal wieder ein oder auch zwei Ohren widmet - ich habe auf youtube ein Ausschnitt Hamelins gesehen und anschließend das ursprüngliche Lied gesungen von einem Männerchor - das war FANTASTISCH!!!


    :hello:
    Wulf

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  • Hallo "Freunde der chilenischen Revolutionsmusik",


    in den letzten paar Tagen habe ich mich in jeder freien Zeit mit "The people united..." beschäftigt. Und als Neuhörer hatte ich anfangs etwas falsch gemacht: ich hatte mir das Thema angehört und dann mal hierhin, mal dorthin "gezappt"; der erste Endruck war denn auch: ziemlich schwierig und chaotisch.


    Das ist aber auch hier die völlig falsche Herangehensweise an deses Werk; besser ist: mehrmals das Thema anhören, eine Nacht darüber schlafen, den nächsten Tag die vollständigen Variationen hören - und plötzlich tut sich eine enorme Entwicklung auf.


    Auf der einen Seite ist das Ganze höchst "modern", zeitgenössisch in jeder Variaton, aber letzten Endes doch sehr verständlich; und es hat eine große Tradition hinter sich: die formale Gliederung in Gruppen - mit dem Thema als Eingang und "Ausgang" - verweist auf die Goldberg-Variationen, das "historische Bewusstsein", wie z.B. eben dieser Rekurs auf Bach, aber auch z.B. die Variation 13, die sicherlich vorsätzlich an Gershwin erinnert (ich nenne sie die "Gringo"-Variation), verweist eher auf die Diabelli-Variationen (mit Nr. 22 "alla notte e giorno faticar" von Mozart oder Nr. 24, "Fughetta", die eher an Bach erinnert).


    Ich glaube, hier gibt es noch viel für mich zu entdecken.


    Weiß jemand, ob man die Noten zu "The people united..." einigermaßen günstig irgendwo erwerben kann?


    Gruß
    Pylades

  • Hallo Pylades,


    du erwähnst die formale Gestaltung. Auch die finde ich sehr interessant. Wie dem Booklet zu entnehmen - was ich eingangs ja auch erwähnte - gliedert sich das Werk in mehrere Abschnitte, die sich durch durch einen musikalischen Parameter definieren.


    Was die Noten angeht, darf ich an dieser Stelle eine Adresse empfehlen: musicroom.de; die rühmen sich, die größte erhältliche Auswahl zu haben- alles was gibt, haben wir auch - Rzewski kriegst Du für 33 EUR - das ist hinsichtlich des Bekanntheitsgrades und der vermutlich nicht so hohen Auflage gar kein übler Preis würde ich sagen; japanischer Verlag; Notenbeispiel sieht aber sehr ordentlich aus.


    Eine weitere Adrese, die ich entdeckt habe ist di-arrezo.de - die haben den Rzewski aucxh, aber 3 EUR teurer und noch nicht mal Foto abgebildet.


    Ich empfehle erste Adresse, habe aber keine Erfahrung- weder mit musicroom, noch mit di-arezzo.


    Liebe Grüße
    Wulf

  • Hallo, miteinander!


    Durch diesen Thread aufmerksam gemacht, habe ich mir die Hamelin-Aufnahme gekauft und heute zum ersten Mal gehört. Das wird wohl noch öfters vorkommen! :angel:


    Das Thema ist eingängig, durch sein beinahe an Schubert gemahnendes und sicher auch trotzig-folkloristisches Schwanken zwischen Dur und Moll würde ich es aber keineswegs als banal empfinden - das gilt gewiss weit mehr für den einschlägigen Diabelli.


    In den Varationen, die man sicher nicht partikulär hören sollte, wie oben schon angedeutet, überwiegen wohl die Einflüsse eines Weltmusik-Jazz, der seinerseits nicht denkbar ist ohne Barock über den Impressionismus bis hin zur Serialität. Dabei erscheint mir eine geniale Homogenität wesentlicher als der Versuch, postmodern die Stile vergangener Jahrhunderte auszuprobieren. Dies habe ich eigentlich eher erwartet.


    Sagen wir mal, Bach, Beethoven und Bartok durch die Brille von Keith Jarrett und Conlon Nancarrow ... oder so :D


    Hamelins Stilgefühl und virtuose Perfektion sind atemberaubend.


    Danke für diesen glänzenden Tipp!


    Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Das letzte Stück auf der Hamelin-CD, Winnsboro Cotton Mill Blues, finde ich auch fantastisch. Erst das rhythmische Maschinengeräusch (ich hätte nicht gedacht, dass Töne aus dem Klavier so ein Geräusch ergeben könnten), das mich in Trance versetzt, und dann der Blues, der sich allmählich durchsetzt. Die Klangqualität der ganzen CD ist hervorragend.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Hallo zusammen,


    inzwischen habe ich mir die Noten zu "The people united..." besorgt und mich ziemlich intensiv mit der Hamelin-CD und gleichzeitig dem Notentext beschäftigt.
    Leider kann ich nicht Klavier spielen - aber ich glaube ohnehin, dass hier für denjenigen, der das Instrument für den Hausgebrauch ausreichend gut spielt, Grenzen gezogen sind.


    Auch wenn der Verlag (ZEN-ON Music Co. Ltd.) dem Werk "mittleren Schwierigkeitsgrad" zumisst - ich habe daran sehr meine Zweifel. Kann ja sein, dass rein grifftechnisch nicht unbedingt die massivsten Akrobatenkunststücke verlangt werden, dazu müsste ein sehr guter Pianist Stellung nehmen - was aber z.B. in Variation 15 "Flexible, like an improvisation" an Zählkunstücken abverlangt wird, ist beängstigend: Triolen, Quintolen, Sextolen, Septolen wechseln sich unmittelbar hintereinander ab, an einer Stelle liegen zwei Stimmen in der rechten Hand: Triolen laufen parallel zu Septolen, und die linke Hand spielt dazu die geraden Viertel. Und solche Spielchen findet man fast überall. Die Leichtigkeit des Spiels von Hamelin nötigt mir inzwischen noch höheren Respekt ab als beim ersten Hören.


    Dabei ist das Notenbild durchaus "klassisch", der erste Eindruck mancher Seiten - "al fresco" gesehen - ist durchaus vergleichbar mit dem, den man von Chopin-Etuden hat. Variation 21, "Relentless, uncompromising", hat eine Trillerstelle in rechter und linker Hand, die vom graphischen Eindruck her an die Arietta aus op. 111 erinnert.


    Exotische Schreibweisen finden sich eigentlich nicht - abgesehen vom "(optional) whistle" und einigen Zeilen mit extensivem Glissando.
    Beeindruckend ist die Dichte der Ausdrucksbezeichnungen - neben den "klassischen" Bezeichnungen wie z.B. "poco a poco crescendo e accelerando" finden sich englische: "gradually gather speed and energy" oder "like a question" oder "expansive, with victorious feelings". Offensichtlich wusste Rzewski genau, was er erreichen wollte. Ich werde versuchen, mir auch seine eigene Einspielung anzuschaffen.


    Zitat

    Original von WolfgangZ:


    Sagen wir mal, Bach, Beethoven und Bartok durch die Brille von Keith Jarrett und Conlon Nancarrow ... oder so


    Einverstanden. - Aber die Brille von Jarrett (Nancarrow kenne ich nicht) könnte man gegen andere Brillen austauschen, die Textur Bachs und Beethovens (und Bartoks) nicht. Insofern: ein Moderner, ein Revoluzzer im Traditionsgewande! Das sind ja oft die "Allerschlimmsten".
    "The people united..." wird, davon bich ich überzeugt, in das Repertoire hineinwachsen und zu den ganz großen Variatonszyklen zählen. Und mir noch viel zu entdecken geben.


    Gruß
    Pylades


    P.S.: Lieber Christian,


    wie du (weiter oben) vorhergesehen hattest: ich poliere bereits das Weihrauchfass.

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