Henrik Ibsen (1828-1906)

  • Hallo, Literaturfreunde!


    Für das Ibsen-Jubiläum dieses Jahr (100. Todestag) scheint sich hierzulande kaum jemand zu interessieren.
    Da ich finde, daß er große Aufmerksamkeit verdient, widme ich ihm zumindest diesen kleinen thread hier.


    Ibsen war, nächst Shakespeare, der größte Historiendichter des neueren Europa. Ganz wie dieser wird er erst zur vollen Wirkung gelangen, wenn die Kleider seiner Gestalten Kostüme geworden sind.


    Ihn wie Egon Friedell mit Shakespeare gleichsetzen möchte ich dann doch nicht. Aber er war sicher ein herausragender Literat seiner Generation. Da gibt es außer ihm eigentlich nur noch Dostojewski, vielleicht noch Tolstoi und Zola. Aber das waren alles Romanschriftsteller. Ibsen war sicher der bedeutendste Dramatiker seiner Zeit, zudem bereitete er entscheidend das moderne Theater vor.
    Unter allen norwegischen Künstlern aller Kunstrichtungen und Epochen will ich ihn dann doch als den bedeutendsten überhaupt bezeichnen; ich denke, das kann man so sagen.


    Über Dostojewski wurde einmal gesagt (ich weiß leider nicht mehr, von wem), daß er, wenn er nicht künstlerisch sondern wissenschaftlich tätig gewesen wäre, schon vor Freud Begründer der Psychoanalyse geworden wäre.
    Dies läßt sich auch so über Ibsen sagen, sie waren in ihren Charakterbeschreibungen in gewisser Weise ihrer Zeit voraus.


    Ibsens beiden bekanntesten Werke sind kurioserweise eher untypisch.
    "Peer Gynt", zurecht "nordischer Faust" genannt, mischt Mythos und Moderne auf eine einmalige (zumindest kenne ich kein vergleichbares Werk) Weise, ist für den um Verständnis bemühten Leser nicht wesentlich einfacher zu verdauen als Goethes großes Drama.


    "Nora", von vielen als "Emanzipationsdrama" abgestempelt, war sicher revolutionär, aber die bahnbrechenden literarischen Qualitäten sehe ich da nicht. Vielleicht kann ich mich auch einfach nicht damit identifizieren. Oder das Thema ist in den seitdem Vergangenen Jahrzehnten zu oft durchgekaut worden.


    Zum Einstieg kann ich sehr "Die Wildente" empfehlen, ein IMO hervorragendes, vielschichtiges und dennoch gut lesbares Drama, das auch heute noch viel zu sagen hat (eigentlich ohne thematischen Verlust in die Jetztzeit verlegbar).


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Der Herr Ibsen!


    Ja, auch ich habe Die Wildente gelesen und war gerade vom Schluss sehr angetan, aber mich konnte auch der ganze Stil und Inhalt fesseln.


    Ich denke, du kannst ihn zu Recht als diesen bezeichnen - obwohl du Grieg sicher nicht auslassen solltest, der mit der Vertonung Peer Gynts bekannt geworden und geblieben ist - der Autor hingegen nicht.


    Ich habe mir vorgenommen, mich mit Ibsen mehr zu beschäftigen bzw. mit seinen Werken.
    Als Lesestoff habe ich mir Gespenster, Die Kronprätendenten, Brand, na ja...und Peer Gynt :wacky: vorgenommen.
    Und dann mal sehen.


    Mal zur Wildente. Ich habe so was in Erinnerung, dass er doch selbst mal Vater eines unehelichen Kindes war/wurde und dieses ablehnte. Sollte sich das nicht in Hedwig widerspielgeln?!


    Lieben Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Salut,


    was mich mit Ibsen verbindet, ist sein Denkmal auf Ischia, vor dem ich vor ziemlich exakt 6 Jahren stand. Auf dieser wundersamen Insel entstanden auch Teile von "Peer Gynt".


    Ich bin nicht mehr sicher, ob das Denkmal im Haupthafen oder in Casamicciola steht.


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Pius,


    toll, daß Du diesen thread ins Leben gerufen hast!! In der Tat, ich hätte es glatt übersehen, Ibsens Ehrentag. Ich habe bisher zwei Werke von Ibsen gelesen:


    1. Peer Gynt


    freiwillig auferlegt, bevor ich mir die Grieg-GA hab schenken lassen.
    Ein fantastisches Gedicht!


    (Wer Ibsens Werk kennt, weiß daß es sich bei der "Morgenstimmung" um einen Sonnenaufgang in der Sahara handelt und nichts mit nordischen Fjorden etc. zu tun hat.)


    und das eher unbekannte, aber umso faszinierende und fesselnde Werk


    2. Ein Volksfeind


    von der Thematik höchst aktuell und in abgewandelter Form mindestens zweimal verfilmt


    Die Interessen eines erfolgreichen Kurortarztes, der entdecken muss, daß das Grundwasser verseucht ist und seines Bruders,Amtsrat und Vorsitzender der Kurortverwaltung, dem diese Entdeckung und seinem Interesse an neuen Gästen eher im Wegsteht, prallen unweigerlich aufeinander. Daraus ergeben sich für den Kurortarzt fatala Konsequenzen.


    (Die Deutung des Arztes ist in der Literatur weiterhin umstritten - für manche ein tragischer Held, für die anderen ein Narr..)


    Ein tolles Werk, das ich jedem nur empfehlen kann! (Ist mit seinen 120 S. auch bestens als Urlaubslektüre geeignet ;) )


    LG
    Wulf.

  • Hallo!


    Maik:


    Zitat

    Die Kronprätendenten, Brand


    Wie kommst Du auf diese "exotischen" Werke?
    Aber schön, daß Du Dich dafür interessierst. Den alten Henrik würde es sicher freuen! ;)


    Zitat

    Mal zur Wildente. Ich habe so was in Erinnerung, dass er doch selbst mal Vater eines unehelichen Kindes war/wurde und dieses ablehnte. Sollte sich das nicht in Hedwig widerspielgeln?!


    Äh, hast Du das aus dem Nachwort der Reclam-Ausgabe, habe ich (noch) nicht gelesen, oder woher?


    Wulf:


    Zitat

    In der Tat, ich hätte es glatt übersehen, Ibsens Ehrentag.


    Der war sogar schon am 20.3.


    Zitat

    2. Ein Volksfeind


    von der Thematik höchst aktuell und in abgewandelter Form mindestens zweimal verfilmt


    Kennt man davon einen? Im Harenberg ist nur eine Verfilmung von 1937 erwähnt.
    Es ist durchaus eines der Hauptwerke von Ibsen, ich kenne es allerdings nicht.




    Es gibt übrigens drei Vertonungen von "Peer Gynt":
    Grieg 1875 Bühnenmusik, Egk 1938 Oper, Schnittke 1989 Ballett


    Zudem:
    Oper "Gespenster" von Bibalo 1981



    Zum Abschluß noch etwas aus dem Harenberg-Schauspielführer über "Die Wildente":


    Ibsen hatte sich mit der Figur Gregers selbst ironisiert, trat doch auch er gerne als Verfechter der Wahrhaftigkeit auf. In seinen vorangegangenen Gesellschaftsdramen hatte er stets dafür plädiert, vergangene Sünden nciht zu verheimlichen, damit sie nicht übermächtig würden.


    Das "Gipfelwerk" (Alfred Kerr) und "Jahrhundert-Stück" (Joachim Kaiser) trat 188 seinen Siegeszug an den europäischen Bühnen an. Sein Erfolg bis in die Gegenwart mag gerade darauf zurückzuführen sein, daß die Folgen des Wahrheits-Fanatismus zumeist katastrophaler und daher auch theaterwirksamer sind als die alltäglichen Desaster der Lebenslügen.

  • Liebe Ibsen-Freunde,


    Henrik Ibsen gehört - wie August Strindberg - zu meinen Lieblingsdramatikern. Allerdings habe ich noch nicht alle Stücke gelesen. Durchaus interesssant sind auch die frühen Werke, darunter auch ein Catilina-Fragment. Mit Peer Gynt habe ich mich anfangs ein wenig schwer getan, aber das hat sich inzwischen gegeben. Neben der Wildente schäzte ich "Nora" und "Gespenster" besonders.


    Nora war seinerzeit in der Oberstufe Pflichtlektüre, gefallenjn hat es mir gut, auch wenn man natürlich einwenden kann, dass der Gehalt des Stückes an Aktualität verloren habe. (Wie ich im Unterricht festgestellt habe, finden die Schüler das Stück in der Regel übrigens keineswegs antiquiert) Aber der Schluss hat mich in seiner Radikalität immer sehr beeindruckt, (wobei der Effekt zu Ibsens Zeit noch weitaus stärker gewesen ist) interessant dabei ist dass Ibsen diesen Schluss für die deutsche Erstaufführung in Kiel durch einen konventionelleren mehr den gesellschaftlichen Normen des wilhelminischen Deutschland entsprechenden ersetzt hat: Nora verlässt Helmer nicht und bleibt bei Mann und Kind.


    Gerade für Nora lassen sich übrigens Bezüge zu Ibsens eigener Biographie nachweisen: Ebenso wie Noras Vater ging Ibsens Vater 1835 bankrott, Ibsen war damals sieben Jahre alt und musste sich gegen viele Widrigkeiten behaupten. Auch die sozialkritischen Tendenzen in Ibsens Dramen haben dort sicher eine ihrer Wurzeln.


    Noch ein Satz zu Ibsens Dramentechnik: Bei Ibsens Stücken handelt es sich in den meisten Fällen um sogenannte analytische Dramen, das heißt: Die Ursache für das dramatische Geschehen liegt vor der eigentlichen Bühnenhandlung und wird erst nach und nach aufgedeckt.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Pius,


    ich fügte ja bei "Verfilmung" noch ein "in abgewandelter Form" hinzu. (Ich dachte an Erin Brkovich und noch so einen anderen mti John Travolta in der Hauptrolle.. :stumm: Aber da fehlt die eigentliche Essenz Ibsens - bei den Filmen geht es lediglich um die Umweltproblematik, eine/n Anwalt/in der Umwelt und den "Bösen", die nur nach Profit schauen...also insofern, vergiss meinen Kommentar bezüglich der Verfilmung lieber.....


    Was Vertonungen Peer Gynts angeht, so gibt es da noch eine Schauspielmusik des norwegischen Komponisten Harald Saeverud von 1948, die einen quasi anti-romantischen und tiefenpsychologisch ausgeloteten Gegenentwurf zu Griegs Vertonung darstellt.
    Die Premiere im eigenen Lande war ein überwältigender Erfolg, viele meinten gar, die Musik sei viel näher am Drama bzw. Ibsens Werk als die Vertonung durch Grieg.


    Eine Einspielung der Peer-Gynt-Suiten ist bei BIS erschienen.
    Lohnt auf jeden Fall, dieser Neuvertonung ein Ohr zu schenken...


    LG
    Wulf.

  • Hallo Pius!


    Auf diese Werke kam ich durch die Schule. Die Wildente musste/durfte ich ja auch deswegen lesen und in einem Schülerreferat wurden eben u.a. diese beiden Werke 'gelobt' (wahrscheinlich hatte der Schüler es irgendwo gelesen) und ich merkte sie mir vor.


    Daher habe ich auch vage das mit dem unehelichen Kind in Erinnerung. Bin mir aber nicht ganz sicher.


    Gespenster steht schon ne Weile auf der Einkaufsliste, da ich aber momentan andere Bücher lese, habe ich es immer wieder verschoben. Wird aber von den genannten Werken das Erste werden.


    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo allerseits!


    Ibsen zählt zu meinen absoluten Lieblingsdramatikern, und ich muss Egon Friedell durchaus rechtgeben: Wer kann denn, abgesehen von Shakespeare, von den Dramatikern der Neuzeit mit ihm mithalten? Tschechow, was das Flair angeht - Dürrenmatt vielleicht in Hinblick auf die Dramaturgie - aber in keiner anderen Person Werk sind alle Tugenden eines Dramatikers so vollendet zu Tage getreten wie in den Dramen Ibsens.


    Noch immer ist, zumindest außerhalb Norwegens, "Ein Puppenheim" [1879] das bekannteste Stück Ibsens, ist Nora das literarische Schlachtross der Emanzipation der Frau und als solches nebst Jelinek oft im Deutschunterricht vorhanden. Ich finde allerdings, dieser feministische Kontext, in den es gestellt wird, bekommt dem Drama nicht unbedingt: Ibsen ist nicht so eindimensional. Er selbst betonte immer den humanitären Aspekt des "Puppenheims" und auch seiner anderen Dramen. Und Nora ist in der Tat keine Feministin, keine wirkliche Vorreiterin der Emanzipation. Vielmehr schildert das Drama das Scheitern einer Ehe: die Schlussszene legt auf erschütternde Weise dar, dass jeder ein Bild des anderen geliebt hat, das der Realität nicht standhalten kann.


    Im deutschsprachigen Raum wird außerdem die "Wildente" [1884] allmählich populärer, ein großartiges Stück aus Ibsens reifer Schaffensperiode, dessen zentrales Thema die Unvereinbarkeit von Wunsch und Wirklichkeit darstellt, von der fast jede Person im Stück betroffen ist (mit Ausnahme des alten Werle, der in der Welt der Wildente Gott ist). Hier bewahrheitet sich unter anderem auch wieder (wie übrigens in Ibsens Werk relativ häufig) der alte Spruch, dass gut gemeint oft das Gegenteil von gut ist. Übrigens wurden Parallelen zwischen Hedvigs Selbstmord in der "Wildente" und Sentas Selbstmord im "Fliegenden Holländer" gezogen.


    Besser noch als die "Wildente", gleichzeitig weniger bekannt, sind aber meines Erachtens die beiden Dramen "Die Frau vom Meer" [1888] und vor allem "Hedda Gabler" [1890]. Die Frau vom Meer - das ist Ellida, Tochter eines Leuchtturmwärters, die sich einst einem geheimnisvollen Seemann - und Mörder - verlobt hatte, dann aber den bürgerlichen und verwitweten Doktor Wangel geheiratet hat und nun unglücklich im Landesinneren, wiewohl an einem Fjord, dessen Wasser ihr abgestanden erscheint, lebt. Da - geradezu plötzlich - erscheint der Seemann wieder und fordert die Einlösung des vor vielen Jahren gegebenen Eheversprechens. Psychologisch genial zeichnet Ibsen in den vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit, die der Fremde Ellida gibt, die Entwicklung dieser Frau und ihrer Ehe mit Doktor Wangel. Das zentrale Thema des Schauspieles ist eigentlich die Fremdheit, oder auch das Einbrechen des Fremden, des grauenvoll Anziehenden in eine anscheinend heile Welt. Auch hier ist es möglich, Parallelen zum "Fliegenden Holländer" zu finden.


    Und schließlich meine letzte und nachdrücklichste Empfehlung "Hedda Gabler", ein Drama, über das Achim von Winterfeld urteilte: "Ein Kammerspiel von einer Feinheit der Charakteristik, des Untereinanderverbundenseins der Handelnden, der szenischen Führung, von einer Geschliffenheit des Dialogs, von einem Raffinement des Aufbaues, von einer dramatischen Spannung, die selbst bei einem Ibsen trotz alles Vorausgegangenen doch wieder in Staunen setzt." Die dekadent-pervertierte Hedda Gabler hat - ähnlich Ellida - mit Jörgen Tesman einen bürgerlichen und noch dazu äußerst langweiligen Ehemann ausgefasst, einen Kunsthistoriker, der ihr samt seinen ältlichen Tanten äußerst zuwider ist. Da kommt ein alter Verehrer, ebenfalls Kunsthistoriker, Ejlert Lövborg, zurück nach Kristiania (Oslo), und mit ihm Heddas Jugendfeindin Thea Elvsted, die gleich Nora ihren Ehemann verlassen hat, um mit Lövborg in keuscher geistiger Gemeinschaft zu leben. Thea hat in Heddas Augen "Macht" über Lövborg, sie interessiert sich für seine Arbeit, er hat keine Geheimnisse vor ihr... Auch Hedda, der stets langweilig ist, möchte einmal Macht über einen Menschen haben. Der Zufall spielt ihr das noch nicht der Öffentlichkeit präsentierte Manuskript seiner jüngsten geistigen Schöpfung, an der Thea als Muse großen Anteil hatte, in die Hände; sie verbrennt es und treibt Lövborg in den Selbstmord. Tesman will mit Theas Hilfe aus den Notizen und Skizzen das Manuskript rekonstruieren; Thea ist nun seine Muse. Als Heddas Anteil an Lövborgs Ende aufgedeckt zu werden droht, begeht auch sie - aus Furcht vor der Verantwortung, aber auch aus Langeweile und Ekel vor sich selbst und der ganzen Welt - Selbstmord.
    Ich vermag gar nicht alles Geniale dieses Dramas aufzuzählen, vielmehr habe ich das Gefühl, dass alles, was ich darüber schreibe, eher abschreckt denn neugierig macht. Aber es ist mein persönliches Lieblingsdrama von Ibsen - wenn nicht überhaupt - und wirklich genial und zu empfehlen.


    Grüße,
    Martin

  • Hallo!


    Ich bin doch sehr erfreut, daß es doch so viele gibt, die Ibsen zu schätzen wissen! :yes:


    Das Friedell-Zitat, würde ich allerdings, wie bereits gesagt, nicht so stehen lassen.


    Zitat

    Original von Philhellene
    Ibsen zählt zu meinen absoluten Lieblingsdramatikern, und ich muss Egon Friedell durchaus rechtgeben: Wer kann denn, abgesehen von Shakespeare, von den Dramatikern der Neuzeit mit ihm mithalten?


    Das kommt auch darauf an, nach welchem Maß man mißt. So wie Shakespeare über allen Dingen schwebt meines Erachtens nach kein anderer (neuzeitlicher) Dramatiker. Es kommt dann sicher auch auf individuelle Präferenzen an, wen man "auf den Plätzen" sieht.


    Zitat


    Tschechow, was das Flair angeht - Dürrenmatt vielleicht in Hinblick auf die Dramaturgie - aber in keiner anderen Person Werk sind alle Tugenden eines Dramatikers so vollendet zu Tage getreten wie in den Dramen Ibsens.


    Nun, ich persönlich finde, daß man die Namen Pedro Calderon de la Barca, Moliere, Friedrich von Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Bertolt Brecht, Tennessee Williams und Samuel Beckett (ist natürlich eine subjektive Auswahl...) in diesem Kontext nicht nur nicht vergessen sollte, sondern auch ernsthaft überlegen sollte, wie "nahe" sie an Shakespeare eventuell doch "heranreichen" (zumindest in einzelnen Werken) - vielleicht auch, indem sie alles anders machen...
    Letztlich ist es eine zermürbende Diskussion. Bleiben wir einfach dabei, daß Ibsen der bedeutendste und beste Dramatiker seiner Zeit war und immer noch größte Aktualität hat.


    Zitat

    Besser noch als die "Wildente", gleichzeitig weniger bekannt, sind aber meines Erachtens die beiden Dramen "Die Frau vom Meer" [1888] und vor allem "Hedda Gabler" [1890].


    Bei "Hedda Gabler" stimme ich in das Lob ein (würde aber dennoch "Die Wildente" vorziehen), "Die Frau vom Meer" kenne ich leider (noch) nicht.


    "Peer Gynt", das offenbar vielen Probleme und Unverständnis bereitet, ist für mich Ibsens herausragendes Werk. Es ist freilich etwas ganz anderes als seine übrigen Dramen. "Peer Gynt" ist das vielleicht letzte große Mythos-Drama (T.S. Eliots "Mord im Dom" sei einmal ausgeklamnmert, ist sicher etwas anderer Natur), das Jahrhunderte oder gar noch mehr überdauern könnte...


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Liebe Freunde,


    passend zum Jubiläum ist im Verlag der Autoren eine neue Übersetzung der dreizehn wichtigsten Stücke Ibsens erschienen:



    Der Band enthält folgende Dramen:
    - Peer Gynt
    - Stützen der Gesellschaft
    - Ein Puppenheim (Nora)
    - Gespenster
    - Ein Volksfeind
    - Die Wildente
    - Rosmersholm
    - Die Frau vom Meer
    - Hedda Gabler
    - Baumeister Solness
    - Klein Eyolf
    - John Gabriel Borkman
    - Wenn wir Toten erwachen


    Der Übersetzer, Heiner Grimmler, schreibt: „Dieser Autor und seine angeblich so ‚sicheren’ Stücke können brandgefährlich für unser seelisches Gleichgewicht sein. Ibsen ist nie harmlos. Darin sehe ich vor allem die Aktualität: seine radikale Reduktion aller zeittypischen Probleme, jenseits aller philosophischen und psychologischen Moden, auf die wenigen, aber essentiellen Werte des Menschen wie Liebe, Tod, Glück, Phantasie und genuine Produktivität.“


    Recht hat er!!


    Ich denke, ich werde mein Sparschwein schlachten ;( , auf die eine oder andere CD verzichten ;( und mir die Ausgabe
    (€ 44.-) leisten.
    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Ibsen-Freunde!


    Habe mir in Tübingen den nächsten Ibsen zugelegt - zwar keinen von der oben genannten Liste, aber die Auswahl war nun mal spärlich - dafür heruntergesetzt:



    Ich denke, dass ich in der nächsten Woche anfangen kann. Lese zunächst noch Khourys Scriptum zu Ende.


    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo, Maik!


    Hast Du "Nora" denn schon mal gelesen?
    In diesem Reclam ist nur Sekundärliteratur drin, der Originaltext ist in einem gelben Reclam-Heft!


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo Pius,


    das hätte ich vielleicht noch dazu schreiben sollen. Ich habe die reine Lektüre bei jpc nicht gefunden, deshalb hab ich die Erläuterungen angezeigt. Na ja.
    Hab Nora also noch nicht gelesen, besitze aber das Schauspiel und werde es kommende Woche lesen.


    Lieben Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Am Grazer Schauspielhaus wird derzeit "Baumeister Solness" gegeben, mit Peter Simonischek in der Titelrolle und der blutjungen Verena Lercher als blutjunge Hilde - großartig und nur zu empfehlen! (Die überragende Qualität des Dramas, der Darsteller und der Inszenierung hat sich allerdings schon so herumgesprochen, dass es höchstens noch Restkarten gibt, wenn meine Informationen zutreffen)
    Nachdem ich am Mittwoch die Vorstellung genossen habe, habe ich auch zu Hause wieder nachgelesen und sehe mich gezwungen, meine obige Darstellung genialer Ibsen-Stücke um ein weiteres zu ergänzen.


    "Baumeister Solness" [1892] ist das erste Stück, das Ibsen nach seiner Rückkehr nach Norwegen verfasst. Es wird unter anderem mit drei Vorträgen des jungen Knut Hamsun assoziiert, in denen dieser öffentlich die "alten norwegischen Schriftsteller" angriff und zerpflückte - Ibsen gibt im Stück vielleicht eine Art Antwort.
    Viel auffallender sind aber meiner Meinung nach die Ähnlichkeiten mit den beiden vorangegangenen Dramen "Die Frau vom Meer" und "Hedda Gabler". Hilde Wangel spielt in ersterer noch eine Nebenrolle, ist die jugendlich-stürmische, auch pubertierende Tochter des Protagonisten und Stieftochter der Titelheldin. In "Baumeister Solness" ist sie ein paar Jahre älter, aber nicht minder stürmisch, und hat die Hauptrolle inne: Sie kommt zum alternden Baumeister Solness, weil dieser vor zehn Jahren in ihrem Heimatdorf die Kirche erbaut und dem Turm beim Richtfest den Kranz aufgesetzt hat. Beim anschließenden Fest habe er ihr "ein Königreich" versprochen. Dieses Königreich fordert sie nun ein. Hilde Wangel dringt in das Haus des Ehepaars Solness ein wie ein mythisches Naturwesen, wie Ellida in der "Frau vom Meer", bricht als Fremde ein in die heile Welt wie der Seemann dortselbst und beharrt auch, wie er, auf dem einmal gegebenen (oder vielleicht auch nicht gegebenen; Ibsen lässt die Möglichkeit bestehen, dass Hilde dreist lügt) Versprechen. Gleichzeitig ist sie aber skrupellos wie Hedda Gabler; begierig darauf, Macht über Menschen auszuüben, Menschen zu manipulieren, Menschen zu veranlassen, sich auf ihr Wort hin zugrundezurichten. Aber anders als Hedda tut sie das nicht zum eigenen Vorteil, sondern, wie Salome, zur eigenen Lust, eben als mythischer "Troll", der jenseits aller Moral steht, weder moralisch noch unmoralisch in seinen Handlungen. Unbedingte Empfehlung!


    Liebe Grüße,
    Martin