Hallo, Literaturfreunde!
Für das Ibsen-Jubiläum dieses Jahr (100. Todestag) scheint sich hierzulande kaum jemand zu interessieren.
Da ich finde, daß er große Aufmerksamkeit verdient, widme ich ihm zumindest diesen kleinen thread hier.
Ibsen war, nächst Shakespeare, der größte Historiendichter des neueren Europa. Ganz wie dieser wird er erst zur vollen Wirkung gelangen, wenn die Kleider seiner Gestalten Kostüme geworden sind.
Ihn wie Egon Friedell mit Shakespeare gleichsetzen möchte ich dann doch nicht. Aber er war sicher ein herausragender Literat seiner Generation. Da gibt es außer ihm eigentlich nur noch Dostojewski, vielleicht noch Tolstoi und Zola. Aber das waren alles Romanschriftsteller. Ibsen war sicher der bedeutendste Dramatiker seiner Zeit, zudem bereitete er entscheidend das moderne Theater vor.
Unter allen norwegischen Künstlern aller Kunstrichtungen und Epochen will ich ihn dann doch als den bedeutendsten überhaupt bezeichnen; ich denke, das kann man so sagen.
Über Dostojewski wurde einmal gesagt (ich weiß leider nicht mehr, von wem), daß er, wenn er nicht künstlerisch sondern wissenschaftlich tätig gewesen wäre, schon vor Freud Begründer der Psychoanalyse geworden wäre.
Dies läßt sich auch so über Ibsen sagen, sie waren in ihren Charakterbeschreibungen in gewisser Weise ihrer Zeit voraus.
Ibsens beiden bekanntesten Werke sind kurioserweise eher untypisch.
"Peer Gynt", zurecht "nordischer Faust" genannt, mischt Mythos und Moderne auf eine einmalige (zumindest kenne ich kein vergleichbares Werk) Weise, ist für den um Verständnis bemühten Leser nicht wesentlich einfacher zu verdauen als Goethes großes Drama.
"Nora", von vielen als "Emanzipationsdrama" abgestempelt, war sicher revolutionär, aber die bahnbrechenden literarischen Qualitäten sehe ich da nicht. Vielleicht kann ich mich auch einfach nicht damit identifizieren. Oder das Thema ist in den seitdem Vergangenen Jahrzehnten zu oft durchgekaut worden.
Zum Einstieg kann ich sehr "Die Wildente" empfehlen, ein IMO hervorragendes, vielschichtiges und dennoch gut lesbares Drama, das auch heute noch viel zu sagen hat (eigentlich ohne thematischen Verlust in die Jetztzeit verlegbar).
Viele Grüße,
Pius.