Don Giovanni - Übertragung von den Salzburger Festspielen 2006 - ein Desaster

  • Liebe Opernfreunde


    Masochisten, die es leid sind sich in strengen Kammern auspeitschen zu lassen oder die von ausgedrückten Zigarettenkippen auf dem Rücken genug haben empfehle ich sich die derzeit laufende Inszenierung von den Salzburger Festspielen anzusehen - sie werden auf ihre Rechnung kommen.


    Bevor wir zu den musikalischen "Genüssen" kommen - ein Wort zur Ausstattung:


    Das weisse Universalbühnenbild, welches sich andauernd dreht, ansonst aber keine optischen Akzente bietet, ausser daß es eben weiß ist, und sich Türen und verschiebbare Wände darauf befinden ist sowohl für Don Giovanni, als auch sämtliche anderen Mozart-Opern, Werke von Verdi, Meyerbeer,Wagner, Lortzing und Strauß gleichermaßen bestens ungeeignet: Lieb- geschmack- und ausdruckslos.


    Die Kostüme IMO von erlesener Hässlichkeit passen sich wohltuend ins Gesamtkonzept ein. Kein Stück passt zum Anderen, die Gemeinsamkeit, die stilistische Einheit ist jedoch dadurch gegeben, daß alle gleichermaßen unvorteilhaft wirken und die Körperformen ihrer Träger(innen) unterstreichen - nicht immer zum Vorteil der Trägerinnen.


    Lobend erwähnen möchte ich auch noch die Regieeinfälle, wie Reinemachfrauen oder schnurspringende Kinder auf der Bühne.


    Einiges wurde aber (offensichtlich wegen des großen Erfolges) von La Traviata übernommen, beispielsweise das Agieren der Darsteller auf allen vieren......


    Sehr erotisch und bühnenwirksam auch die Models in ihrer Unterwäsche - auch wenn einige Mitwirkenden einige Jährchen zu alt und einige Kilo zu schwer für diesen Job schienen.......


    Das gut aufgelegte Geldadel-Publikum applaudierte voller Inbrunst in die Registerarie hinein und bewies auf dies Weise seine Kompetenz und Sachkenntnis......


    Das war also das vielbeschworene Elitepublikum, dem solche Aufführungen gefielen..... - oder hoffte man auf diese Weise die Arie abzukürzen ? Ich weiß es nicht.


    Das Dirigat war eher lieblos, aber bei weitem nicht so schlecht, wie manche Zeitungen behaupteten.


    Stimmlich möcht ich nicht ins Detail gehen - es lohnt nämlich nicht.
    Die over-all Performance war allenfalls unterer Durchschnitt. - zumindest wenn man die Einspielungen der letzten 30 Jahre im Ohr hat.....


    Dennoch: Alles in allem eine gelungene Parodie des Werkes, welche jugendliche Opernfreunde, die Don Giovanni das erste mal sehen - und zwar in dieser Aufführung - wirkungsvoll von Mozart - und vom gesamten Genre "Oper" wirkungsvoll fernhält.....


    Eine gelungene szenische Umsetzung, bei der nur eines stört:
    Mozarts verstaubte Musik - man sollte sie weglassen.... :baeh01:


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo


    Alfred hat ja schon wortreich über die Inszenierung berichtet und ich spare mir dazu weitere Ausführungen, die ohnehin nicht annähernd so aunschaulich sein könnten. Lediglich ein paar kurze Bemerkungen dazu.



    Alfred scheint neuerdings verstärkt masochistische Züge anzunehmen. Denn er sieht sich in letzter Zeit auffallend oft moderne Operninszenierungen an. ;)



    Da die Don Giovanni Inszenierung aus dem Jahr 2002 stammt, kann sie nichts von der vorjährigen Traviata übernommen haben.



    Zitat

    Sehr erotisch und bühnenwirksam auch die Models in ihrer Unterwäsche - auch wenn einige Mitwirkenden eineiger Jährchen zu alt und einige Kilo zu schwer für diesen Job schienen.......


    Die Senioren-Models traten nur einmal auf, und zwar in der Friedhofsszene! Was sie da wohl zu bedeuten hatten...



    Zitat

    Das gut aufgelegte Geldadel-Publikum applaudierte voller Inbrunst in die Registerarie hinein und bewies auf dies Weise seine Kompetenz und Sachkenntnis......


    Von ca. 2000 Zuschauern haben vielleicht 40 oder 50 zu früh geklatscht. Außerdem war das Geldadel-Publikum in der Premiere. Wieviele da zu früh geklatscht haben entzieht sich jedoch meiner Kenntnis.



    Zitat

    Das Dirigat war eher lieblos, aber bei weitem nicht so schlecht, wie manche Zeitungen behaupteten.


    Ein ähnlicher Vorwurf wie schon bei der Figaro-Vorstellung. Die Inszenierung zeigte einen kalten, berechnenden und brutalen Don Giovanni, umgeben von einer gefühlskalten und brutalen Gesellschaft in einer kalten und brutalen Welt. Ich weiß nicht, wie sich da ein liebevolles Dirigat angehört hätte. Tatsächlich trauerten alle Kommentare nach der Premiere Nikolaus Harnoncourt nach, und es gab auch konkrete Vorwürfe gegen Daniel Harding. Die zweite Vorstellung ist musikalisch sehr gut abgelaufen, offensichtlich wurde daran ein wenig gefeilt. Es fehlte die strukturelle Ausarbeitung eines N.H., es klang mehr nach einem stürmischen Ricardo Muti, passte aber ganz gut zum Ablauf auf der Bühne und fiel eigentlich nie negativ auf. Das einzige, was dabei auffiel, und zwar positiv, dass die Philharmoniker das energische Tempo klaglos mitgingen, und dabei nie ihren schönen, warmen Ton verloren. Dies bildete einen willkommenen Kontrast zur Kälte der Inszenierung, die auf diese Weise nicht zur vollständigen Trostlosigkeit der Stimmung verkam.
    Generell fand ich es gut, dass nicht die Premiere sondern die zweite Vorstellung übertragen wurde. Die Aufführung lief wie am Schnürchen ab, etwas was eine Premiere so gut wie nie in diesem Maße bieten kann.



    Zitat

    Stimmlich möcht ich nicht ins Detail gehen - es lohnt nämlich nicht.
    Die over-all Performance war allenfalls unterer Durchschnitt. - zumindest wenn man die Einspielungen der letzten 30 Jahre im Ohr hat.....


    Da frage ich mich aber, welche Einspielungen der letzten 30 Jahre Alfred da meinen könnte. Ich glaube nicht, dass es da so viele gibt, die diese Aufführung von den Sängern her wirklich übertreffen. Aber wenn man es als Opern-Aufführung betrachtet, wage ich zu behaupten, dass das eine außerordentlich gut gesungene Vorstellung war. So etwas wird man heutzutage nicht leicht finden können und war beispielsweise deutlich über dem Niveau der Wiener Aufführung vom Samstag. Don Giovanni, Donna Anna, Donna Elvira, Don Ottavio und Leporello von derartiger Qualität kann man auf einmal wirklich nicht oft hören (mein persönlicher Favorit war Melanie Diener als wirklich erfreuliche Donna Elvira! Die Abstriche bei den anderen Hauptrollen sind zu ertragen). Also ohne Zweifel eine Festspiel-würdige Aufführung (natürlich nur für Leute, die mit dieser Art Inszenierung zurecht kommen).


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Habe die heutige Übertragung verpasst :O (eigentlich war sie fest vorgemerkt...)
    Sie wie hier geschrieben wurde, habe ich wohl dadurch meine optischen Geschmacksnerven geschont. Als Neugieriger bzw. (wurde mir ja hier auch schon vorgeworfen 8) ) Masochist ärgert es mich aber trotzdem...
    Gibt es eine Wiederholung oder eine Radioübertragung der Aufführung?


    Gute Nacht!
    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • ich habe die inszenierung vor 3 jahren in salzburg gesehen. mich hat sie
    damals schon sehr beeindruckt. dies wurde gestern im tv bestätigt. ich
    finde sie sehr schlüssig und bezüglich personenführung
    ausgezeichnet.


    harnoncourt ist besser als daniel harding. ich habe harding heuer live
    in wien mit den wiener philharmonikern gehört. da hat er mir auch nicht
    sehr gefallen.


    anna netrebko war besser als christine schäfer (donna anna).


    faun

    die kritik ist das psychogramm des kritikers (will quadflieg)

  • Salut,


    welch ein Glück [für Theophilus] habe ich das weder gehört noch gesehen. Das beste daran scheint Alfreds Kommentar zu sein.


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo


    Zitat

    anna netrebko war besser als christine schäfer (donna anna).


    Na Gott sei Dank kam das von einer völlig unverdächtigen Ecke, so dass Edwin nichts anders übrigbleibt, als vernehmlich mit den Zähnen zu knirschen!


    Dennoch war es eine sehr gut gesungene Donna Anna, stimmlich tadellos bewältigt, wenngleich im Finale ihrer großen Arie nicht zu überhören war, dass sie ganz an die Grenze ihrer Möglichkeiten ging. Souveräner war Melanie Diener, die die dramatischen Anforderungen der Donna Elvira grandios bewältigte (gerade diese Rolle höre ich in letzter Zeit selten befriedigend). Thomas Hampson war ein erwartungsgemäß guter Don Giovanni, sängerisch und darstellerisch, Ildebrando d'Arcangelo dito als Leporello, und wann habe ich zuletzt einen derart guten Don Ottavio gehört wie Piotr Beczala?
    Gegenüber Masetto bin ich neutral, lediglich Zerlina und Komtur fielen gegenüber den Top Five ein wenig ab. Insgesamt eine sehr gute Besetzung.




    Zitat

    Gibt es eine Wiederholung oder eine Radioübertragung der Aufführung?


    Nein.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,
    ich kann hier garnicht mitreden,weil das umstrittene Opjekt
    bei uns nicht übertragen wurde.So wie Alfred das Spektakel
    geschildert hat,wäre ich wohl sowieso nicht über den Anfang
    hinaus gekommen.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Ich fand den Salzburger "Don Giovanni" eigentlich durchwegs erfreulich, vor allem, weil jetzt endlich eine Donna Anna zu erleben war, die richtig intonieren konnte und wußte, was sie singt ( :baeh01: ).
    Auch die Inszenierung schießt meiner Meinung nach nicht über das Ziel hinaus, sondern erzählt die Geschichte in einem modernen, aber keineswegs das Werk verändernden Tonfall.
    Sängerisch, auch über die erwähnte erfreuliche Neubesetzung hinaus, fand ich im Grunde nichts auszusetzen.
    Schwachpunkt war für mich aber Harding. Da lasse ich mir Mozart wirklich lieber von Harnoncourt buchstabieren!

    ...

  • Hallo Edwin,


    na sowas, sollten wir da ganz unversehens eine gemeinsame Front gegenüber Alfred eröffnet haben? ;)


    Noch eine Frage zu Harding: Fandest du sein Dirigat merklich schlechter als jenes von Bertrand de Billy?


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,
    ganz ehrlich: Ich fand de Billy leider auch nicht so grandios, wie man ihn hinstellte. Für mich ist das Mozart-Herunterpinseln, sicherlich ganz o.k., wenn man nicht den Anspruch stellt, vom Dirigenten außerordentliche Überlegungen zum Thema Mozart serviert zu bekommen (nicht jedem ist es gegönnt, ein Harnoncourt zu sein!). Sowohl de Billy als auch Harding war für meinen Geschmack eine mehr oder minder taugliche Kapellmeisterei ohne besondere Vorkommnisse und mäßiger Spannung.
    :hello:

    ...

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  • Hallo Edwin,


    na dann bin ich beruhigt. Ich hätte sie zwar etwas wohlwollender eingeschätzt (ich konnte mit beiden Dirgaten ganz gut leben), war aber auch der Meinung, dass sie auf vergleichbaren Levels operieren.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Es geht hier gar nicht um eine gemeinsame Front - oder nicht.


    Worum es geht ist, daß eine Gesellschaft von (bestenfalls) halbgebildeten Parvenues, denen jeder Bezug zu historischen Zusammenhängen fehlt, die das sechzehnte. vom Siebzehnten Jahrhundert nicht auseinanderhalten können, die keine Ahnung von den Gepflogenheiten des achzehnten haben, denen das neunzehnte zutiefst fremd ist, heute klassische Opern inszenieren und auf diese Art und Weise auch künftigen Generationen den Zugang zur EIGENTLICHEN Form des Werkes verbauen. Selbstverständlich war auch in der Vergangenheit Oper Wandlungen unterworfen - aber prinzipiell beschränkten sie sich darauf die technischen Möglichkeiten auszunutzen um das möglich zu machen - was den Verfassern des Libretto vorgeschwebt haben muß: eine naturnahe Darstellung der Geschichte ohne daß man die Pappe aus der die Kulissen gemacht wurden schon meterweit riecht. Eine möglichst perfekte Illusion - eine Zeitreise in jene Zeit in der das Stück angesiedelt ist. Da passen dann die Zusammenhänge wieder. Wenn zwei Personen im (zudem noch geschmacklosen) Outfit des 20. Jahrhunderts aufeinander mit gezücktem Degen losgehen - dann wirkt das allenfalls peinlich.


    Solche Aufführungen hat es natürlich schon früher gegeben. Aber nicht in Salzburg. Es ist mir nun klar warum Herr von Karajan so lange das Zepter nicht aus der Hand gab und mit eiserner Hand regierte.


    Nun einge Antworten auf Statements in diesem Thread:


    Zitat

    Alfred scheint neuerdings verstärkt masochistische Züge anzunehmen. Denn er sieht sich in letzter Zeit auffallend oft moderne Operninszenierungen an.


    Meist nicht bis zum Ende, aber doch relativ lange, um mir einen Eindruck machen zu können......
    In der Tat ist es für mich eine Qual sowas zu sehen - und ich habe früher sowas gemieden wie die Pest, in dem Gefühl dieser Regietheatermafia hilflos ausgeliefert zu sein.
    Heute stellt sich die Sache anders dar: Keine Musikzeitung kann meine Artikel ablehnen, wenn ich Gift und Galle gegen solche verfremdenden Aufführungen spritze - ich brauche sie nämlich nicht, weil ich mein eigenes Medium zur Verfügung habe, das zunehmend an Lesern und Einfluiß gewinnt.
    Jedoch bin ich dadurch auch gezwungen mir diese unsäglichen Geschmacklosigkeiten anzusehen - Masochismus ist das nicht - allenfalls Opferbereitschaft. Nur was man genau kennt kann man (verbal) angreifen und im günstigsten Fall zerstören.
    Das gelingt aber nur, wenn - was ich annehme - eine breite Mehrheit das Ende dieser Aufführungspraktiken wünscht -und die Möglichkeit hat dies öffentlich zu artikulieren. Hiebei ist es natürlich wichtig, daß sich auch junge gebildete Leute äussern -Sie sind es die in Zukunft die Opernhäuser füllen werden - oder aber nicht.


    Wobei ich den Eindruck habe, daß es bei solchen Inszenierungen ausschließlich darum geht Oper an sich zu diskreditieren und letztlich zu zerstören.


    Das Edwin mir widersprechen wird - das ist natürlich zu erwarten.
    Ich schätze ihn sehr - aber weniger wegen seines musikalischen Geschmackes, als wegen seines geistvollen Humors und der Fähigkeit ironisch zu formulieren ohne je wirklich verletzend zu werden. :hello:


    mit freundlichen Grüßen


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bravo Alfred,


    Du hast es auf den Punkt gebracht.


    Man braucht Deinen Ausführungen nichts hinzuzufügen.


    Wir müssen zusehen,wie die Oper durch irgendwelche


    musikfremden"Regisseure" zerstört wird. ;(


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Wobei ich den Eindruck habe, daß es bei solchen Inszenierungen ausschließlich darum geht Oper an sich zu diskreditieren und letztlich zu zerstören.


    Hallo Alfred,


    ich bin ganz Deiner Ansicht, wenn es darum geht, dass es (zumindest auch) Inszenierungen geben sollte, die den Intentionen der Librettisten und Komponisten entsprechen (im Sinne einer historischen Aufführungspraxis auch auf der Bühne). Ich würde dann ausschließlich solche Vorstellungen besuchen.


    Ich bezweifle aber, dass es unseren Wünschen dienlich ist, wenn man den Regietheaterregisseuren unterstellt, sie wollten die Oper diskreditieren.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    EIGENTLICHEN Form des Werkes verbauen. Selbstverständlich war auch in der Vergangenheit Oper Wandlungen unterworfen - aber prinzipiell beschränkten sie sich darauf die technischen Möglichkeiten auszunutzen um das möglich zu machen - was den Verfassern des Libretto vorgeschwebt haben muß: eine naturnahe Darstellung der Geschichte ohne daß man die Pappe aus der die Kulissen gemacht wurden schon meterweit riecht. Eine möglichst perfekte Illusion - eine Zeitreise in jene Zeit in der das Stück angesiedelt ist.


    Woraus in aller Welt schließt Du, dass das die Intention der Opernkomponisten und Librettisten der Vergangenheit gewesen sein sollte? (es ist einfach deine persönliche Idealvorstellung, mehr nicht) Ganz gewiß nicht im 17. und der ersten Hälfte des 18. Jhds. Die Kulturhistoriker hier wissen das sicher besser, aber die Idee Naturalistischen Theaters entstand meines Wissens im 19. Jhd.
    Es wäre doch wohl auch ziemlich absurd bei etwas derart offensichtlich künstlichem wie der Oper wo Leute singen statt sprechen, wo ein Diener mit dem Herrn verwechselt wird, weil sie die Hüte getauscht haben, oder wo eine Frau ihren Verlobten nicht erkennt weil er einen falschen Bart trägt, eine möglichst perfekte Illusion oder Zeitreise zu verlangen, oder?


    Glaubt irgendjemand im Ernst, man habe sich um 1790 in Wien oder Prag darum geschert, ob die Kostüme des Don Giovanni der Tracht in Sevilla um 1570 oder doch 1620 entsprochen hätten (kein Mensch hatte Interesse an einer Zeitreise dorthin, in welcher Zeit spielt eigentlich Orpheus und Euridike?)? Viel eher war doch dem Publikum klar, dass hier u.a. Zeitgenössisches angesprochen wurde, nämlich zum einen die Bändigung adliger Dreistigkeiten durch allgemeine bürgerliche Gesetze (Don Ottavio fordert Giovanni nicht auf Annas Verdacht hin oder sticht ihn nieder, sondern möchte ihn stellen und der Obrigkeit übergeben) und nicht zuletzt die Angst (vielleicht gepaart mit heimlicher Faszination) vor der sexuellen libertinage einiger radikaler Zeitgenossen (wie im Extremfall De Sade) im Zug von Aufklärung und Revolution. Don Giovanni um beim Beispiel zu bleiben, ist keine gemütliche Zeitreise ins Sevilla des 17. Jhds. (oder doch 16.?), sondern handelt in für seinerzeitige Verhältnisse ziemlich explizite Weise von Sex und Gewalt und der Faszination, die von der eigentlich unsittlichen Verbindung dieser Elemente in der Person Giovannis ausgeht, u..a daher dürften die frühen Romantiker so begeistert davon gewesen sein ;)


    Keiner spricht Dir deinen Geschmack und deine Vorlieben ab. Aber Du machst ziemlich genau dasselbe, was Du den verhaßten Regisseuren vorwirfst: Du nimmst Dein Idealbild von Theater und verlangst, dass sich alle danach richten sollten, egal welches Stück, welche Zeit, welches Publikum.


    viele Grüüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Alfred!
    Wegen des musikalischen Geschmacks wollen wir uns doch nicht streiten. Ich hab' halt einen... :baeh01:


    So, nun aber ernsthaft - und ich meine das ganz ohne Provokation: Ich kann das Regietheater ja auch nicht ausstehen. Aber war dieser "Don Giovanni" denn überhaupt eines?
    Mir kommt vor, daß weder die Figuren im Charakter noch die Handlung an Substanz geändert wurde. "Don Giovanni" ist doch im Gehalt nicht so sehr zeitgebunden, daß man íhn nicht auch transferieren und in der heutigen Zeit ansiedeln könnte.
    Nicht jede Regie, die aktualisiert, ist automatisch Regietheater und aufgrund der Werk-Verzeichnung abzulehnen.



    Hallo Herbert!
    Was ist ein "musikfremder Regisseur"? Bzw. wann ist eine Regie "musikfremd"?
    Für mich ist es beispielsweise absolut musikfremd, wenn sich ein Regisseur, und wenn er noch so konservativ inszeniert, beim Pilgerchor im 3. Akt / "Tannhäuser" Publikumslacher holt. Hab' ich selbst erlebt, und zwar von einem Regisseur, der auch, um sich Lacher zu holen, im 2. Akt "Meistersinger" Sachs mit einem Nachttopf in der Hand auftreten ließ. Meiner Meinung nach, sind das genau die Mätzchen, von denen ich meine, ein Regisseur könnte sie sich schenken.



    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Das Edwin mir widersprechen wird - das ist natürlich zu erwarten.
    Ich schätze ihn sehr - aber weniger wegen seines musikalischen Geschmackes, als wegen seines geistvollen Humors und der Fähigkeit ironisch zu formulieren ohne je wirklich verletzend zu werden. :hello:


    Tja, Edwin ist nicht nur ein großer Krieger mit roten Zöpfen, da oben steckt auch was drin :D


    Über den Hintergrund von Alfreds Kritik haben wir schon in vielen Threads und von vielen Blickwinkeln aus diskutiert.


    Vor dem Hintergrund von Alfreds musikalischen Vorlieben ist seine Kritk durchaus berechtigt, auch in der Schärfe. Aber, Alfred, bei aller Wertschätzung Deiner Opern- und Kunstauffassung, meinst Du nicht, daß Du vergeblich versuchst, ein nicht mehr zeitgemäßes Bild zu retten? Zugegeben ein sehr schönes, ein liebenswertes, künstlerisch hochwertiges, und (auch meine Meinung) in vielen (aber nicht allen) Belangen dem heutigen Verständnis überlegenes Bild, aber eben ein vergangenes.


    Soweit Du darauf hinweist, daß die Veränderungen früher anderer Art waren, so denke ich, daß die zivilisatorische bzw. kulturelle Entwicklung bis etwa kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges durchaus als eine Einheit verstanden werden kann. Es gab - trotz aller Unterschiede - immer einen gemeinsame Bildungskanon, eine gemeinsame kulturelle Sprache, von dem sich die Veränderungen nicht verabschiedeten. Das gibt es heute nicht mehr. Die heutigen Erwachsenen irren zwischen den Trümmern der abendländischen Kultur umher wie japanische Touristen zwischen den Trümmern von Palmyra...


    Insofern kannst Du die aktuelle Opernlandschaft beklagen, aber wohl kaum verändern.

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Woraus in aller Welt schließt Du, dass das die Intention der Opernkomponisten und Librettisten der Vergangenheit gewesen sein sollte?


    Salut,


    es geht hier einfach um die Einheit: es werden auch die gleichen Instrumente verwendet, dieselben Noten gespielt, der selbe Text gesungen. Warum dann ausgerechnet andere Kostüme und Bühnenbilder? Das ist nämlich das einzige, wozu sie in der Lage sind, es zu ändern.


    :P


    Orpheus und Euridice spielt mindestens 600-700 Jahre vor Christus... denn da waren die Sagen bereits bekannt und wiederum mindestens 600-700 Jahre alt. Wie man zu dieser Zeit gekleidet war, ist eine andere Frage... jedenfalls trug man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen C&A-Fetzen.


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli


    es geht hier einfach um die Einheit: es werden auch die gleichen Instrumente verwendet, dieselben Noten gespielt, der selbe Text gesungen. Warum dann ausgerechnet andere Kostüme und Bühnenbilder? Das ist nämlich das einzige, wozu sie in der Lage sind, es zu ändern.


    Es wird/wurde sehr häufig ein anderer Text gesungen, nämlich eine Übersetzung. Es werden sehr häufig Nummern gestrichen, Texte gekürzt, aus theaterpraktischen Gründen. Es wird Bühnenbild, Personenregie usw. geändert, weil Theater erst in der Aufführung entsteht, es ist kein Film, der einfach abgespielt wird. Zumindest Alfred ist ja auch nicht für eine einfache Kopie historischer Bedingungen eingetreten, sondern dafür weder Prospekte noch Maschinen zu schonen, um z.B. Dinge umzusetzen, die technisch seinerzeit nicht möglich waren.


    Es gab IIRC mal irgendwo eine Inszenierung der Zauberflöte, in der bewußt einige Elemente damaliger Technik (etwa schwarzgekleidete Leute, die auch dunkler Bühne die Schlange bedienen o.Ä. verwendet wurden), das ist sicher reizvoll, aber es ist doch ganz klar, dass bei so etwas eine Ebene ensteht, die damals niemand wahrgenommen hat. Heute wirkt es eben kein bißchen naturalistisch, sondern es wird gerade deutlich gemacht, dass man sich im Theater befindet, wenn seinerzeitige "Tricks" verwendet werden. Wenn man von der (IMO falschen) Annahme ausgeht, eine Zauberflöte im Theater an der Wien 1791 sei das "Original", wäre genau solch eine Aufführung heut eine Kuriosität, von Anfang an verfremdet. Denn was für die Technik gilt, gilt mehr oder minder für alle Elemente einer Aufführung. Zum Glück gibt es kein Original, daher sind wir der Mühe enthoben, es zu rekonstruieren oder zu raten, was die Autoren von moderner Bühnentechnik gehalten hätten, sondern können einfach möglichst spannendes und interessantes Theater machen.


    Es geht hier um etwas wesentlich tieferliegendes, nämlich um das Verständnis von Theater. Alfred unterstellt, Monteverdi oder Mozart hätten Theater als "Zeitreise" oder so was ähnliches verstanden und die damaligen Zuschauer hätten eine solche erwartet. Das halte ich für falsch. Ich bin kein Kulturhistoriker, aber mir ist kein Theoretiker oder Praktiker von Aristoteles bis Brecht bekannt, der Theater so verstanden hätte. Welchen Sinn sollte eine Zeitreise in die Antike haben (zumal vermutlich die meisten Zuschauer wußten, dass ein antiker Idomeneus oder Cäsar NICHT so ausgeschaut hat wie auf der Bühnen im 18. Jhd. mit ihren komischen Phantasiekostümen.
    Ein noch extremeres Bsp. Wenn in einem Ballett/Opernspektakel in Versailles der König selbst auftritt, weiß jeder, dass das der König ist, nicht Jupiter oder wer immer und dass das gesamte Stück u.A. der Demonstration seiner Pracht, seines guten Geschmacks usw. dient. Kein Zuschauer meinte, er sei im Kino ;) Natürlich sollten Zuschauer durch "Maschineneffekte" usw. in Staunen versetzt werden. Aber das sind doch in unserem Actionfilm-Zeitalter Lächerlichkeiten, die keinen mehr beindrucken. Man muß also entweder auf den Effekt ganz verzichten, oder den Zuschauer anders beeindrucken. U.a. deswegen darf und muß man Bühnenbild ändern. Die Musik ist hoffentlich bei entsprechender Interpretation gut genug, um die gewünschten Effekte auch heute noch zu erzielen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    meinst Du nicht, daß Du vergeblich versuchst, ein nicht mehr zeitgemäßes Bild zu retten ?


    Darüber habe ich oft nachgedacht - und ich war lange Zeit der Meinung, es wäre tatsächlich ein aussichtslose Unterfangen.


    Wenn man jedoch die Letzen fünfzig Jahre Welt-und Entwicklungsgeschichte Revue passieren lässt


    (Deutschland ist wiedervereint - Leningrad heisst wieder St.Petersburg -
    nahezu allen sozialen Errungenschaften werden zurückgenommen - die Arbeitslosigkeit und der Rassismus ist wieder da - ebenso Baktereien die gegen Antibiotia resistent sind, ein erneute Erstarken der Religion (en) )


    dann muß man zu dem Schluß kommen ALLES ist reversibel, wenn man nur genügend Druck macht den "Zeitgeist" zu verändern.



    Ich orte - vor allem bei der intelligenten Jugend - Rückbesinnung auf "alte Werte". Man darf nicht vergessen, daß die derzeitige Kulturszene in etwa folgendermaßen geprägt ist: Eine Clique, die in sich abgestützt ist und jedem dar dazugehören will die Regeln diktiert - gegen den Willen der Mehrheit des mündigen Publikums . Wer das gegenteilige Meinungen äussert, der kommt gar nicht an den Kuchen.
    Quasi jeder junge Musiker MUSS sich positiv zu den "guten neuen Ideen" äussern - sonst bekommt er ja gar keinen Vertrag.


    Dieser Druck erzeugt Gegendruck - und ich glaube - unabhängig von dem was ich persönlich wünsche, fürchte oder hoffe, daß irgend einmal das Fass voll sein wird - und dann schicken wir diese Kulturschänder in die Wüste.


    Eine Oper zu manipulieren - in der Form wie das heute geschieht, ist in etwa so als würde ich Rembrandts übermalen, nur damit "Menschen unserer Zeit" die "unterschwellig vorhandene Message" des Bildes verstehen.


    (Glücklicherweise wird ja Bach auch wieder am Cembalo gespielt, nachdem dies lange Zeit verpönt war.)



    Es wurde ja weiter oben gesagt: Man zerstört die Oper.
    Und das wird man sich nicht ewig gefallen lassen.
    Ich möchte hier das Publikum ermuntern, da niemand sonst es tut - zu buhen - wenn ihm, danach ist - und nicht still und angepasst dazusitzen und zähneknirschend zu applaudieren - mühsam den Zorn unterdrückend.


    Zu Karajans Zeiten waren auch Opernübertragungen - aber im Gegensatz zu heute musste kein Moderator den Leuten mühevoll eintrichtern welch ein Opernereignis das war - das konnte man nämlich
    sowieso sehen und hören.....



    mfg


    aus Wien


    Alfred



    PS:


    1978 habe ich - obwohl man mir erklärt hat, es sei aussichtslos - das (bereits zu Ende gebaute) österreichische Atomkraftwerk Zwentendorf mit zu Fall gebracht. Mit vereinten Kräften werden wir auch solche Operninszenierungen wieder aus Wien und Salzburg verbannen - oder zumindest radikal einschränken.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • .

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Zumindest Alfred ist ja auch nicht für eine einfache Kopie historischer Bedingungen eingetreten, sondern dafür weder Prospekte noch Maschinen zu schonen, um z.B. Dinge umzusetzen, die technisch seinerzeit nicht möglich waren.


    Genauso sehe ich das auch. Dennoch bleibt dabei das Stück in seiner Zeit, egal welche es ist, sofern man den Effekt als solchen nicht erklären kann. Denn die Musik stammt aus dieser Zeit, die Gedanken, die Kostüme also auch. Selbst, wenn man damals zeitgenössisch inszeniert hat, ein Idomeneo also mit Dreispitz, dann ist das noch lange keine Berechtigung, ihm heute einen Astronautenhelm aufzusetzen. Vielmehr hätte er einen Dreispitz zu tragen [war nur ein Beispiel].


    :rolleyes:


    Meiner Meinung nach kann sich Musik nur dann entfalten, wenn sie in "ihrer" Umgebung daheim ist. Ich stelle es keinesfalls in Frage, dass Musik auch in anderer "Inszenierung" schön sein und gefallen kann - für mich wirkt es abartig [da steckt wieder "arte" bzw. ars = Kunst drin]. Das best gespielte Konzert in einer Metallhalle taugt für mich [!] nichts - es lässt mich kalt.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Meiner Meinung nach kann sich Musik nur dann entfalten, wenn sie in "ihrer" Umgebung daheim ist.
    ...
    Das best gespielte Konzert in einer Metallhalle taugt für mich [!] nichts - es lässt mich kalt.


    also doch kartenspielen, plaudern, etc. während der vorführung .-)
    man lese nur zeitgenösische berichte über aufführungen in wien
    zur zeit mozarts.


    faun

    die kritik ist das psychogramm des kritikers (will quadflieg)

  • @alle und an niemanden :D


    Diese ganze Diskussion ist doch verzopft und für die Jetty ;-)


    Wovon lebt die Oper?


    Von der Vielfalt, der Abwechslung, dem Neuen.


    Ich würde z.B. gerne mal wieder die Tosca in Wien hören/sehen - vergällt wird mir dies durch die verstaubte Inszenierung aus dem Jahre Schnee. Das ist doch entsetzlich langweilig ! In die jetzige Inszenierung ginge ich nur, wenn AN sänge :baeh01:


    Ja, manche neuen Inszenierungen gehen schief oder sprechen nicht an - ja??? und??? ist das ein Beweis dafür, daß die letzte aus 1949 die ultima ratio bleibt? Dürfen junge Menschen nicht IHRE Sicht der Dinge auf die Bühne bringen? müssen sie sich sklavisch an die Altvorderen halten?


    Alfred - hast Du Kinder ???


    N'amd ;-)
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Zitat

    Original von faun


    also doch kartenspielen, plaudern, etc. während der vorführung .-)
    man lese nur zeitgenösische berichte über aufführungen in wien
    zur zeit mozarts.


    faun


    Ja, auf jeden Fall... :yes: Du wirst bemerkt haben, dass ich nicht länger als 10 Sekunden ruhig irgendwo sitzen kann...


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)


  • Hast Du das Argument, dass man der Verfremdung durch die Rekonstruktion der "historischen Umgebung" am wenigsten entkommt nicht verstanden oder warum hältst Du es für falsch? Nochmal:


    Wenn Titus (um mal eine wirklich historische Person zu nehmen) keine Toga trägt, sondern einen Dreispitz, ist das für mich krass verfremdet, denn ich erwarte bei einem römischen Kaiser eine Toga, egal ob er in einer Oper von Monteverdi oder Mozart oder in einem Film mit Ustinov auftaucht. Dann kann er ebensogut oder besser wie Chirac oder Fidel Castro aussehen, dann entspricht er wenigstens einem Herrscher meiner Zeit (wie der Dreispitz dem 18. Jhd.). Es ist unmöglich unserer Zeit zu entkommen.


    Wenn die Oper von Mozart als Zeitreise in die Antike gemeint gewesen wäre (was falsch ist), dann wäre es verkehrt, in einer heutigen Inszenierung den Eindruck einer Zeitreise ins 18. Jhd. zu erwecken, sondern es müßte, der Intention des Autors gemäß, ebenfalls die Antike evoziert werden.


    Die Oper kann (da sind wir uns hoffentlich alle einig, außer sie wären Hellseher gewesen) von Mozart & Co nicht als Zeitreise aus dem 21. ins 18. Jhd. gemeint gewesen sein. Ich habe den Eindruck, dass aber genau das von einigen Diskutanten gewünscht wird. Kann man machen, aber das ist dann definitv nicht die Intention der Autoren.


    Wenn sie aber gar keine Zeitreise ist, sondern z.B. gewisse allgemeine Wahrheiten über Liebe, Freundschaft, Abhängigkeit, Macht, Verantwortung ausdrücken oder einfach nur unterhaltsames Theater sein soll, dann muß das mit heutigen Mitteln möglichst packend umgesetzt werden. Dazu kann gehören, dass man ein ähnliches Verhältnis zwischen dem Publikum und den Bühnenfiguren herstellt, wie es seinerzeit herrschte (also wenn als die Figaro-Handlung 1786 etwa gleichzeitig spielt, ebenfalls diesen Eindruck bei heutigen Zuschauern erzeugen) auch wenn das -zugegeben- kein besonders subtiles künstlerisches Mittel ist.


    Aber es ist doch klar, dass man ganz genau wie im Beispiel oben verfremdet, wenn der Zuschauer eine Zeitreise ins 18. Jhd. macht, denn die können die Autoren nicht gewollt haben. Wer Mozart im Stile des 18 Jhds. (oder meistens ja eher im Stile des Rosenkavalier-Pseudo-Rokoko) inszeniert, fügt also etwas hinzu, was die Autoren nicht gemeint haben können.
    Und nun zeige man mir bitte, warum dieses Abweichen von der Intention der Autoren richtig ist, alles andere aber falsch. Ich überlasse es jedem selbst, für welche Alternative des Dilemma er sich entscheidet...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Für mich lebt die Oper nicht vom Neuen, sondern im Gegenteil vom Alten, von der musikalischen Aussage in Verknüpfung mit der Handlung. Und das ist etwas, was eigentlich immer gleich bleibt.


    Mir ist die Tosca in einer 08/15-Inszenierung, die sich einigermaßen an die vom Komponisten und Librettisten vorgegebenen Fakten hält, spannend genug (vor allem wegen der Musik). Sensatiönchen, die dem Regisseurshirn entsprungen sind, brauche ich nicht - im Gegenteil, sie stören mich immens bei der Wahrnehmung des Werks.


    Und ich habe den Eindruck, daß es vielen anderen potentiellen Opernbesuchern ebenso geht wie mir. Hier in Aachen hat man das Theater mit entstellenden Inszenierungen an den Rand des Ruins gewirtschaftet. Es gab schon Figaro-Aufführungen, in denen nicht mehr als 50 oder 60 Leute saßen.


    Deshalb hat Alfred meine volle Unterstützung bei seinem Feldzug .


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Die Oper kann (da sind wir uns hoffentlich alle einig, außer sie wären Hellseher gewesen) von Mozart & Co nicht als Zeitreise aus dem 21. ins 18. Jhd. gemeint gewesen sein. Ich habe den Eindruck, dass aber genau das von einigen Diskutanten gewünscht wird. Kann man machen, aber das ist dann definitv nicht die Intention der Autoren.


    Die Intention kann nur eine Reise in die Antike sein, oder bei der Zeit der Autoren zu bleiben. Damit ist die Zukunft eideutig ausgeschlossen. Und nur darum geht es. Eine Zeitreise ins 21. JH hat maximal Haydn bei seiner Il mondo della luna vorgeschwebt - und nicht mal das. Es gibt nur um die Welt auf dem Mond... im 18. Jahrundert.


    Ansonsten stimme ich Bernd sehr gerne zu.


    Auch Alfreds Beispiel mit dem Rembrandt war sehr gut! Wer würde einen Rembrandt übermalen, nur damit er zeitgemässer wirkt und die Aussage besser rüberkommt? Wäre das nicht ein Frevel? Man würde sich nicht mal wagen, einen Platikrahmen dranzupappen... Genau wie bei Bernd, erfahre ich genau das, was ich will, wenn das Werk so gepielt und gezeigt wird, wie es ist. Will ich moderne Kunst haben, schaue ich sie mir an, aber ich bastele nicht das Alte zurecht, so dass es überhaupt nicht mehr passt - weder in die "alte", noch in die "neue" Zeit. Nur weil manche offenbar zu blöd sind, sich in alte Weisheiten, Vorstellungen und Aussagen hineinzudenken? Komponiert, inszeniert und interpretiert Euern Kram doch selbst! Dann werde ich mal daran rumbastlen... :D


    Und immer wieder die Aussage, die Musik passt nicht zum Geschehen, den Kostümen und dem Bühnenbild. Die Musik wagt sich kaum einer zu verändern [außer NH]. Und damit fällt er eher auf die Schnautze. Kürzungen usw. halte ich für keine Änderungen, die sind teilweise angebracht, wenn es auch sehr schade ist. Aber man kann eben nicht die Wiener und Prager Fassung des DG gleichzeitig geben...


    Und jetzt verrotzt der NH auch noch den Lieblingschor von mir im Titus... :kotz:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Servus Bernd,


    Mir ist die Tosca in einer 08/15-Inszenierung, die sich einigermaßen an die vom Komponisten und Librettisten vorgegebenen Fakten hält, spannend genug (vor allem wegen der Musik). Sensatiönchen, die dem Regisseurshirn entsprungen sind, brauche ich nicht - im Gegenteil, sie stören mich immens bei der Wahrnehmung des Werks.


    Ich brauche auch keine "Sensationchen". Wenn ich aber eine alte Inszenierung zum 100. Mal vorgesetzt bekomme, dann brauche ich nicht in die Oper zu gehen - ich kann mir die schönste Tosca, die ich besitze, mit den schönsten Stimmen aus Anno 1949 in den CD Player legen und von der Couch aus genießen.


    ICH will aber NEUES hören und sehen - neue Inszenierungen, neue Interpretationen, neue Stimmen.


    :hello:
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)


  • Es gibt ja noch 40.000 andere Opern...


    :baeh01:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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