Herbert Blomstedt - Der unterschätzte Dirigent

  • Herbert Blomstedt, 1927 in den USA als Sohn schwedischer Eltern geboren, erhielt seine erste musikalische Ausbildung am Königlichen Konservatorium in Stockholm und an der Universität Uppsala. Später studierte er Dirigieren an der Juillard School of Music in New York, zeitgenössische Musik in Darmstadt sowie Renaissance- und Barockmusik an der Schola Cantorum in Basel und arbeitete unter Igor Markevich in Salzburg und Leonard Bernstein in Tanglewood.

    1954 debütierte Herbert Blomstedt als Dirigent mit dem Stockholmer Philharmonischen Orchester und leitete später als Chefdirigent so bedeutende skandinavische Orchester wie das Osloer Philharmonische Orchester und das Dänische und Schwedische Radio-Sinfonieorchester, letzteres bis 1983. Von 1975 bis 1985 war er Chefdirigent der Staatskapelle Dresden, mit der er neben verschiedenen europäischen Ländern auch die USA und Japan bereiste.


    Als Gastdirigent arbeitete Herbert Blomstedt u.a. mit den Bamberger Symphonikern, den Berliner und Münchner Philharmonikern, dem Concertgebouw Orchester Amsterdam, dem London Philharmonic, dem Chicago und dem Boston Symphony Orchestra, dem New York und dem Los Angeles Philharmonic sowie dem Israel Philharmonic Orchestra. Das NHK Symphony Orchestra ernannte ihn zum Ehrendirigenten.


    Nach einer Serie erfolgreicher Konzerte mit dem San Francisco Symphony Orchestra wählte man Herbert Blomstedt ab der Saison 85/86 zum 'Music Director' des renommierten Orchesters. Mit diesem Orchester bereiste Herbert Blomstedt mehrmals so namhafte Konzert- und Festivalstädte wie Edinburgh, Salzburg, München und Luzern und erhielt ein fulminantes Presse-Echo. In den Jahren 1990, 1993 und 1995 fanden mit größtem Erfolg Tourneen in die Metropolen Europas statt. Nach zehn Jahren beendete Herbert Blomstedt im Juni 1995 seine erfolgreiche Tätigkeit in San Francisco.


    Von 1996 bis 1998 wirkte er als Chefdirigent des NDR-Sinfonieorchesters in Hamburg und übernahm mit Beginn der Saison 1998/99 bis 2005 die Leitung des Gewandhausorchesters Leipzig als Nachfolger von Kurt Masur.


    Herbert Blomstedt nahm mit der Staatskapelle Dresden über 130 Werke auf Schallplatte auf, darunter alle Sinfonien von Beethoven und Schubert, sowie mit dem Dänischen Radio-Sinfonieorchester sämtliche Orchesterwerke von Carl Nielsen. 1987 schlossen er und das San Francisco Symphony Orchestra einen Exclusivvertrag mit der DECCA ab, der zu zahlreichen preisgekrönten und beispielhaften Aufnahmen führte, inklusive aller Sinfonien von Jean Sibelius und Carl Nielsen. Die fruchtbare Zusammenarbeit - seit 1995 - mit dem Gewandhaus zu Leipzig ist ebenfalls auf mehreren CDs bei DECCA dokumentiert.

    Herbert Blomstedt ist ein gewähltes Mitglied der Königlich-Schwedischen Musikakademie und mehrfacher Ehrendoktor.

  • Hervorragende Aufnahmen des Dirigenten:



    Sibelius: Symphonien Nr. 1-7
    +Tapiola op. 112;Valse triste op. 44, 1
    San Francisco SO



    Grieg: Peer Gynt (Vollständige Bühnenmusik), San Francisco SO



    Grieg: Klavierkonzert, Chopin: 1. Klavierkonzert
    Olli Mustonen, San Francisco SO



    Weber: Klarinettenkonzerte, Sabine Meyer, Staatskapelle Dresden



    Weber: Klavierkonzerte, Peter Rösel, Staatskapelle Dresden



    Strauss: Eine Alpensinfonie, Don Juan, San Francisco SO



    Orff: Carmina burana, San Francisco SO



    Hindemith: Orchesterwerke, San Francisco SO, Gewandhausorchester Leipzig



    Bruckner: 9. Sinfonie, Gewandhausorchester Leipzig


    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Hallo Liebestraum,
    ich glaube,Blomstedt ist garnicht unterschätzt,
    jedenfalls nicht in der Fachwelt.Er ist kein Pultstar.
    Er ist kein Stardirigent,sondern ein Arbeiter in Sachen
    Musik,wie auch etwa K.Sanderling,oder H.Rögner.
    Ich kenne Blomstedt nur von seinen CDs,und was er
    da eingespielt hat,zeugt von seiner großen Meister=
    schaft.Gut,daß er diesen Thread hat.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Ja, Liebestraum,


    da gebe ich Herbert gern recht, der treffende Worte gefunden hat. Ich erinnere mich an einen Besuch in einem Fachgeschäft vor langer Zeit, damals, als es noch Fachverkäufer gab. Ich suchte eine Aufnahme der Carmina Burana. Der Verkäufer empfahl Blomstedt. Er meinte, mit Blomstedt liege man nie verkehrt.


    Das, denke ich, trifft den Kern der Sache. Blomstedt ist nie schlecht, bei ihm ist man immer gut bedient. Allerdings ist meiner Meinung nach auch etwas Wahres daran, wenn Herbert ihn "Arbeiter" in Sachen Musik nennt. Denn wirklich Großartiges kenne ich von ihm nun auch wieder nicht. Alles ist gut bis sehr gut, aber nichts ist hervorragend. Das Geniale bricht sich beim ihm nicht Bahn.


    Zu Hause stehen bei mir von Blomstedt die Nielsen-Symphonien, die Carmina Burana sowie die Beethoven-Symphonien, die, weil es sie zu einem unverschämt günstigen Preise bei Brilliant gibt, ein Bild verdient haben:

    Thomas

  • Hallo, Liebestraum!


    Zitat

    Original von Liebestraum
    Von 1996 bis 1998 wirkte er als Chefdirigent des NDR-Sinfonieorchesters in Hamburg und übernahm mit Beginn der Saison 1998/99 bis 2005 die Leitung des Gewandhausorchesters Leipzig als Nachfolger von Kurt Masur.


    Was macht er eigentlich jetzt?
    Ist er in Rente?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo Pius,


    ich nehme an, dass es sich jetzt nicht mehr an ein größeres Orchester als Chef binden wird.


    Künftig wird er als Gastdirigent bei den großen Orchestern der Welt konzertieren.


    Im September ist er mit Bruckners 5. Sinfonie in Berlin zu erleben.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Hallo Liebestraum,


    wie meine Vorredner auch schätze ich Herbert Blomstedt als zuverlässigen Interpreten, der eigentlich selten schlechtes bzw. belangloses abliefert. Ich möchte aber ThomasN in dem Punkt widersprechen, der Blomstedt fehlende geniale Momente ankreidet. Zum Beispiel Mahler: Für mich zählt seine Mahler 2. mit dem SFSO zu den besten Aufnahmen des Werkes.



    Gruß aus Hamburg :hello:

    Uwe

  • Hallo Uwe,


    ja, das stimmt, diese Aufnahme der 2. Sinfonie von Mahler ist genial, die steht bei mir auch im Regal, habe ich bei meiner Aufzählung total vergessen!


    Danke!


    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Ich finde den Titel "der unterschätzte Dirigent" hier fehl am Platze. Niemand hat ihn unterschätzt, sodern so genommen wie er ist:
    Perfekt, ohne besonders herauszufallen.


    Sehr treffend auch das Zitat von Thomas Norderstedt:

    Zitat

    Das, denke ich, trifft den Kern der Sache. Blomstedt ist nie schlecht, bei ihm ist man immer gut bedient. Allerdings ist meiner Meinung nach auch etwas Wahres daran, wenn Herbert ihn "Arbeiter" in Sachen Musik nennt. Denn wirklich Großartiges kenne ich von ihm nun auch wieder nicht. Alles ist gut bis sehr gut, aber nichts ist hervorragend. Das Geniale bricht sich beim ihm nicht Bahn.


    Thomas erwähnt auch die Beethoven-Sinfonien-GA bei Brillant, die mich wegen Beethovens Sinfonie Nr.8 zum Kauf anregte (was ich bereits im Beitrag zur Sinfonie Nr.8 erwähnte). Auch diese GA der Beethoben-Sinfonien ist durchweg gut (mir aber zu langsam).
    :yes:....Die Interpretation der Sinfonie Nr.8 hingegen würde ich als Ausnahme zum o.g. Zitat sehen, da ich diese wirklich herausragend gut gelungen finde und erlaube mir sogar genial zu schreiben.


    :) Die Nielsen-Sinfonien waren nach meinem Reinfall mit Ole Schmitt nun wirklich die erste überzeugende Aufnahme (Decca) für mich. Doch da kannte ich Bernstein´s und Järvi ´s Nielsen - GA noch nicht ;) .


    :) Sehr gut sind auch die sinfonischen Werke von Max Reger.
    Doch ist in dieser 7CD-Box nicht alles mit Blomstedt. Die von mir als Böcklin-Fan (siehe Avatar) hochgeschätze Böcklin-Suite op.128 und die Mozart - Variationen op.132 werden von Blomstedt sehr gut interpretiert.

    Orchesterwerke von Reger:
    Eine Ballettsuite op. 130;Beethoven-Variationen op. 86;
    Konzert im alten Stil op. 123;Hiller-Variationen op. 100;
    Mozart-Variationen & Fuge op. 132;4 Tondichtungen nach
    Böcklin op. 128;Sinfonietta op. 90;An die Hoffnung für
    Alt & Orchester op. 124;Hymnus der Liebe für Bariton &
    Orchester op. 136;Violinkonzert op. 101;Klavierkonzert op. 114;
    Symphonischer Prolog zu einer Tragödie op. 108;
    Eine romantische Suite op. 125
    Burmeister, Scherzer, Weberinske, Suske, Schunk,
    Staatskapelle Dresden, Staatskapelle Berlin, RSO Berlin,
    RSO Leipzig, Gewandhausorchester Leipzig, Dresden PO,
    Konwitschny, Blomstedt, Herbig, Rögner, Suitner, Bongartz
    Berlin-Classics, 1963-1984 ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo zusammen,


    habe von Blomstedt die bereits genannten Aufnahmen
    - Weber, Klarinettenkonzerte
    - Bruckner, 6. Sinfonie + Wagner, Siegfried-Idyll
    - Mahler, 2. Sinfonie
    - Nielsen, Sinfonien 1 - 6 - besser als der in FF hochgelobte Schoenwandt
    - Orff, Carmina burana
    - Hindemith, Metamorphosen + Reger, Mozart-Variationen


    und finde sie alle hervorragend. Im Weber hat er natürlich weniger zu tun und ist sicher nicht die Hauptperson der Aufnahme. Bruckner 6. und Nielsen 4. finde ich außerordentlich, da muss ich meinen Vorrednern z. T. widersprechen. Das sind aufregende Aufnahmen, die jeden Vergleich aushalten.

  • Wenn ich sagte :"Ein Arbeiter in Sachen Musik",meinte ich das


    durchaus positiv.Das würde ich genau so von Toscanini,F.Busch,


    oder B.Walter sagen.Es ist für mich lediglich das Gegenteil


    von :"Stardirigent",oder"Pultstar",Begriffe,die heute vorwiegend


    benutzt werden.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo,


    ich habe von Blomstedt die Schubert-Sinfonien mit der Dresdner Staatskapelle. Die sind nicht schlecht (vor allem aber günstig!), es fehlt aber IMO ein wenig die Spritzigkeit und die Frische, was viele der Sinfonien Schuberts ausmacht.




    Gruß, Peter.

  • Hallo Wolfgang,


    ich glaube schon, dass man bei vielen Aufnahmen, die auch Blomstedt eingespielt hat oft zu Einspielungen anderer Dirigenten greift, ihn dadurch übergeht und damit tatsächlich unterschätzt.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Wo ich gerade so am Stöbern bin, habe ich entdeckt, dass Blomstedt am 17.9. in Berlin mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin ein Konzert gibt.
    Auf dem Programm: Mozarts 5. Violinkonzert (mit Nikolai Znaider) und Bruckners 5. Sinfonie.


    :hello:



    Gruß, Peter.

  • hm, ich halte blomstedt für ÜBERschätzt ... keine einzige aufnahme hat mich je länger interessiert, ich höre kein profil, keine leidenschaft, keine musikalität, lediglich verwalten des notentextes. er hat auch mit dem gewandhausorchester keinen typischen 'ton' geschaffen ... das ebenfalls ÜBERschätzt ist also, alles in allem: blass und uninteressant ...genauso wie masur ...da gibts nur sehr weniges, was in meinen ohren wirklich gut ist ---

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Meine Lieben,


    In der Reihe Ars Vivendi gibt es immer wieder zu äußerst geldbörsenfreundlichen Bedingungen musikalische Perlen aus der DDR-Zeit, darunter Blomstedts 5. und 8.Symphonie von Schubert, aufgenommen 1978 mit der Staatskapelle Dresden (Coverbild kann ich leider nicht liefern).


    Im wesentlichen kann ich der Mehrheit der bisherigen Urteile zustimmen. Sicher gibt es großartigere Interpretationen, aber Blomstedts Einspielung gehört unbedingt zu den sehr guten. Er ist vor allem um ein ausgewogenes, klares Klangbild bemüht und trachtet, sozusagen eine goldene Mitte zu finden (interessant übrigens: Bei der "Unvollendeten" nimmt er den 1.Satz praktisch in der gleichen Zeit wie der überragende Karl Böhm, nämlich 11:28 - die Differenz beträgt eine Sekunde) und wirklich klassische Wirkung zu erreichen. Die 5. gelingt ihm daher auch noch besser als die 8., da gehört er für mich wirklich in die Spitzengruppe.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von klingsor
    ich höre kein profil, keine leidenschaft, keine musikalität, lediglich verwalten des notentextes.


    auch meine Lieben,


    durch Waldi (toller Tip!) verdankenswerterweise auf diesen Thread aufmerksam gemacht, fühle ich mich genötigt, Klingsors vernichtendem Statement vehement zu widersprechen! (Welch ein trüber Teufel hat Dich geritten, hochverehrter Dichterfürst?)

    Ich halte die Aufnahmen der Nielsen-Sinfonien und der Orchesterwerke von Hindemith mit dem San Francisco Orchester unter Blomstedt für referenzverdächtig:
    Mit Vehemenz (und sehr wohl angemessen leidenschaftlich) wird die Textur der sperrigen Musik offengelegt. Meines Erachtens stand das Frisco-Orchester unter dem bescheidenen Herbert (ohne „von“) vor 15 Jahren als an der Spitze des „Big Five“-Rankings.


    Mit freundlichem Gruss aus Bern


    Walter

  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Ich halte die Aufnahmen der Nielsen-Sinfonien und der Orchesterwerke von Hindemith mit dem San Francisco Orchester unter Blomstedt für referenzverdächtig:
    Mit Vehemenz (und sehr wohl angemessen leidenschaftlich) wird die Textur der sperrigen Musik offengelegt.


    :yes: Dem kann ich nur zustimmen. Davon profitieren insbesondere die beiden letzten Symphonien, deren moderne Elemente dadurch gut deutlich werden. Aber selbst wenn das die einzigen wirklich ganz außergewöhnlich exellenten Aufnahmen Blomstedts seien sollten, dann kenne ich doch nichts von ihm, was nicht sehr gelungen ist. Das ist doch eigentlich auch außergewöhnlich.


    Diese finde ich aber auch unübertroffen:



    Endlich mal keine biedermeierlich verschmalzten, ideenlos dahinplätschernden Mendelssohn Pianokonzerte. Nur Serkin/Szell sind ähnlich gut.


    Besonders gut finde ich auch seine Hindemith-Aufnahmen. Für die "Trauermusik" kenne ich auch nichts besseres. Die Mathis der Maler Symphonie finde ich nur von Herbert Kegel und auf ganz andere Weise von - außnahmsweise bei mir - Herbert v.Karajan (End-50er-EMI-Aufnahme) noch einen Tick besser. (Komisch, muß man Herbert heißen, um die erstklassig einspielen zu können?)



    Des weiteren höre ich noch besonders gerne seinen "Peer Gynt" und seine "Leonore".


    Seine Mahler 2 war mir bislang irgendwie völlig entgangen. Vielen Dank, Uwe, für die Empfehlung, der ich nachkommen werde.


    :hello: Matthias

  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Ich halte die Aufnahmen der Nielsen-Sinfonien und der Orchesterwerke von Hindemith mit dem San Francisco Orchester unter Blomstedt für referenzverdächtig:
    Mit Vehemenz (und sehr wohl angemessen leidenschaftlich) wird die Textur der sperrigen Musik offengelegt. Meines Erachtens stand das Frisco-Orchester unter dem bescheidenen Herbert (ohne „von“) vor 15 Jahren als an der Spitze des „Big Five“-Rankings.


    Ich stimme ebenfalls (angemessen leidenschaftlich) zu, zumindest was Nielsen betrifft - die Hindemith-Aufnahmen kenne ich nicht. Lobend erwähnen möchte ich außerdem Blomstedts Berwald-Aufnahmen, ebenfalls aus San Francisco. Ich habe Berwald durch diese Aufnahmen kennengelernt, und für den Erstkontakt mit einem Werk halte ich Blomstedt für den idealen Dirigenten (eigentlich, was das angeht, nur mit Szell zu vergleichen): wie Walter so schön geschrieben hat, macht er die Textur eines Werkes durchhörbar wie kaum ein anderer, ohne je ein bloßer Partiturenbuchstabierer zu sein. Blomstedt ist ein Dirigent, dem ich mich jederzeit bedenkenlos anvertrauen würde.


    Grüße,
    Micha

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  • Herbert Blomstedt verdanke ich eine der besten Bruckner-Aufführungen meines Lebens: er sprang bei den Berliner Philharmonikern vor etwa zwei Jahren kurzfristig für den erkrankten Nikolaus Harnoncourt ein und übernahm dessen Programm: Bruckner Sinfonie Nr. 8. Da blieb einem wirklich die Spucke weg: welch eine Klangpracht! Welche Homogenität der Blechbläser! Wenn hier in diesem Thread teilweise das Bild von Blomstedt als ein eher farbloser Sachwalter der Musik, als fleißiger "Arbeiter" ohne echte Spitzenleistungen und ohne echte Begeisterungsfähigkeit gezeichnet wurde, tippe ich mal, dass die jeweiligen Autoren Blomstedt noch nicht live gesehen haben und, falls doch, jedenfalls nicht mit einem Spitzenorchester. Ich kenne ihn aus dem genannten Berliner Konzert sowie aus verschiedenen Konzerten des NDR-Sinfonieorchesters in Hamburg (welches er auch nach seiner dortigen Chefdirigentenzeit immer wieder gern als Gast dirigiert hat) und fand ihn immer äußerst gut. Selbiges denke ich auch über seine CDs mit dem San Francisco Symphony Orchestra, welche bei Decca erschienen sind. Ich habe in dieser Besetzung alle 6 Nielsen-Sinfonien, die Sibelius-Sinfonien Nr. 2, 4 und 5 plus Tapiola und Valse triste, Mahlers Sinfonie Nr. 2 sowie Hindemiths Mathis der Maler und die Sinfonischen Metamorphosen über ein Thema von Weber plus Trauermusik. Alle genannten CDs kann ich vorbehaltlos empfehlen.


    Übrigens: nach dem von mir erwähnten Berliner Konzert gab Blomstedt im Foyer der Berliner Philharmonie bereitwillig Autogramme. Die Schlange der hierfür anstehenden Konzertbesucher war riesig - und diese Konzertbesucher waren nicht seinetwegen gekommen, sondern wollten eigentlich Nikolaus Harnoncourt hören. Die Stimmung in dieser Warteschlange, in die auch ich mich eingereiht habe, war euphorisch. Viele Menschen unterhielten sich mit dem Grundtenor: welch ein Dirigent!

  • Von Blomstedt fallen mir zwei Aufnahmen ein, die man durchaus als hervorragend bezeichnen kann:


    Beethovens Leonore in der 1805er Fassung.
    Blomstedt verliert sich dabei nicht in einer bloßen Betonung der Unterschiede zum späteren Fidelio, sondern interpretiert diese Oper gleichsam als eigenständiges Werk aus dem Jahr 1805. Ohne viel Aufhebens darum zu machen, liefert er eine fassungstreue Einspielung dieses Werkes ab, was man von Gardiner, der das gleiche Werk einige Jahre später eingespielt hat, nicht sagen kann.



    :jubel: Die Alpensinfonie von Richard Strauss welche hier schon genannt wurde, ich sie aber trotzdem noch einmal anführen möchte:



    Eine wunderbar klare, nüchterne und straffe Aufnahme dieses Werkes, die durchaus Referenzcharakter besitzt. Alleine schon an Hand der Covergestaltung ihrer Erstausgabe hat man sehen können, dass da ein anderer Strauss geboten wird, ein moderner und sachlicher.
    Für mich handelt es sich dabei nicht nur um die beste Aufnahme der Alpensinfonie, sondern vielleicht um die beste Strauss-Aufnahme als solche. Und genau dieser Aufnahme ist es auch zu verdanken, dass ich mich doch immer wieder mal mit Strauss befasse. :jubel:


    Viele Grüße
    John Doe
    :hello:

  • Ich kann John Doe nur zustimmen. Habe auch beide Aufnahmen, aber mir Originalcover.




    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Heute wird er 85:

    Herbert Blomstedt, * 11. Juli 1927 in Springfield, USA

    ist ein schwedisch-amerikanischer Dirigent.
    Er ist Mitglied der Königlich-Schwedischen Musikakademie.



    :jubel::jubel::jubel:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Seit drei Jahren ist hier nichts passiert, Zeit den thread mal nach vorne zu holen, zumal am 11. Juli Willi und hoffentlich an den 88. Geburtstag erinnern wird. Ich habe gerade bei Konzert und Bewertung eine Rezension des Konzertes in Stuttgart vom 2. Juli 2015 mit dem Klarinettenkonzert von Nielsen und der 9. Symphonie von Anton Bruckner eingestellt.

  • Das ist ja nett, dass Lutgra an Herbert Blomstedt erinnert ... und Willi dies am 11.07. auch zum 88.Geb. tun wird.
    Ich schätze Blomstedt und seine Aufnahmen. Er ist ja vielfach bei DECCA zu Hause und kann ja schonmal nicht viel schief gehen.


    :huh: Trotzdem bin ich nun etwas ratlos, denn so ziemlich alle klassischen Werke, die ich mit Blomstedt auf CD habe, liegen bei mir in "stärkeren" Aufnahmen vor:


    Sei es die Hindemith-Werke (Decca), die zwar mit Blomstedt ungleich spannender sind als die auf cpo mit W.A.Albert; aber wenn ich meine Bernstein-, Szell- und Ormandy-Aufnahmen vergleiche, zieht Blomstedt deutlich den Kürzeren.
    Die Sibelius-Sinfonien_GA (DEcca) steht ganz am Anfang dieses Threads ... sehr gute perfekt wirkende Aufnahmen, die ich gerne auflege; aber auch hier höre ich noch lieber alles von Bernstein in dieser Richtung. Tapiola - ja, das ist eine Referenzaufnahme!
    Ashkenazy kann ich bei den Sibelius-Sinfonien (DEcca) noch deutlich mehr abgewinnen.
    Die Beethoven-Sinfonien-GA (Brillant) ist mir durchweg in ihrer Grundauffassung zu langsam; einziger Glanzpunkt wäre für mich die Sinfonie Nr.8 mit ihrem unübertroffenen Paukensound.
    Blomstedt/Thibaudet mit den Mendelssohn-Klavierkonzerten wurde hier als "unübertroffen" genannt (Beitrag 19). Dem kann ich mich nicht anschliessen - ich fand es langatmig und vom Klavierklang nicht spritzig - die CD habe ich weitergegeben. Szell/Serkin sind hier meine Favoriten.
    In der Reger-Box (Berlin Classics) sind ein paar Aufnahmen mit Blomstedt sehr gut gelungen - aber da ist es wieder Komponist, von dem ich nicht unbedingt Alternativen brauche.
    Bruckner mit Blomstedt? Wäre mir nach Wand, Karajan, Solti und etlichen anderen herausragenden Einzelaufahmen eigendlich nicht mehr in den Sinn gekommen. Laut Lutgra´s Kritikauszug muss Blomstedt bei der Sinfonie Nr.9 ja "toll" gewesen sein ... aber wenn ich an solche Hammeraufnahmen, wie Bernstein (DG) oder Mrawinsky (Brillant) denke (ich weis - Wand fehlt), dann kann ich mir den Namen Blomstedt hier auch nicht mehr als sooo interessant vorstellen.
    Vielleicht sind wir hier an der Frage des Threads angelangt: Ist er tatsächlich so unterschätzt?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Bruckner mit Blomstedt? Wäre mir nach Wand, Karajan, Solti und etlichen anderen herausragenden Einzelaufahmen eigendlich nicht mehr in den Sinn gekommen. Laut Lutgra´s Kritikauszug muss Blomstedt bei der Sinfonie Nr.9 ja "toll" gewesen sein ... aber wenn ich an solche Hammeraufnahmen, wie Bernstein (DG) oder Mrawinsky (Brillant) denke (ich weis - Wand fehlt), dann kann ich mir den Namen Blomstedt hier auch nicht mehr als sooo interessant vorstellen.


    Lieber Wolfgang


    ich weiss nicht mit welcher Erwartungshaltung Du in ein Konzert gehst, falls Du das überhaupt machst. Aber es ist sicher immer enttäuschend, mit der Erwartung hinzugehen, jetzt noch eine bessere Interpretation zu hören als in 100 Jahren Schallplattengeschichte aufgezeichnet wurde. Deshalb nehme ich von diesem Hitparadengedanken auch zunehmend Abstand, sondern schätze eher die Vielfalt an interpretatorischen Ansätzen. Und natürlich war die Interpretation von Blomstedt nicht noch "heißer" als die von Bernstein und Mravinsky. Aber in meinen Ohren war sie mit Sicherheit besser und idiomatischer als die von Karajan und Solti, die - und das ist sicher ein streitbares Statement und dafür werde ich vermutlich gleich Prügel beziehen :untertauch: - in meinen Ohren an dem Kern von Bruckners Musik etwas vorbeidirigieren.

  • Lieber Wolfgang
    ich weiss nicht mit welcher Erwartungshaltung Du in ein Konzert gehst, falls Du das überhaupt machst. Aber es ist sicher immer enttäuschend, mit der Erwartung hinzugehen, jetzt noch eine bessere Interpretation zu hören als in 100 Jahren Schallplattengeschichte aufgezeichnet wurde.


    Lieber Lutgra,


    wenn ich ins Konzert gehe habe ich zumeist einmal die Erwartungshaltung, dass es heute kaum besser sein kann, als meine Favoritenaufnahme(n) der entsprechenden Werke (wenn es keine neuen Werke sind). Zumeist liege ich mit dieser Haltung richtig!


    Zu dem Rest wirst Du keine Prügel beziehen, denn ich akzepiere deine Meinung ... nur ich teile diese nicht - schon gar nicht, wenn es um Karajan´s packenden Bruckner geht, der genau in mein Bruckner-Bild passt !!!

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • schon gar nicht, wenn es um Karajan´s packenden Bruckner geht, der genau in mein Bruckner-Bild passt


    Den packendsten Bruckner von Karajan habe ich live gehört - meine einziges Konzert mit diesem Maestro - wenige Wochen vor seinem Tod mit den Wienern und Bruckner 8. Es ist aus der historischen Distanz natürlich schwierig, heute objektiv zu beurteilen ob es allein die Interpretation und nicht doch auch die Umstände waren, die dieses Konzert in der Erinnerung so hervorheben. Und nur, damit wir uns nicht mißverstehen, Karajans Bruckner steht auch bei mir im Regal.

  • Lieber Wolfgang, Lieber lutgra,


    falls mir ein Einwurf gestattet ist, denn auch ich habe mich ja kurz zu Blomstedt und Bruckner geäußert: Ich persönlich finde den Vergleich zwischen "Konserve" (und sei es eine Live-"Konserve") und dem Konzerterlebnis immer recht schwierig. Tatsächlich habe ich es noch nie erlebt, dass mich eine "Konserve" so zu packen vermochte, wie ein von mir besuchtes Konzert; selbst, wenn ich ein solches später als "Konserve" nachgehört habe. Nicht, daß es nicht auch packende CD-Aufnahmen gäbe, aber meine Wahrnehmung bzw. das Gefühl, welches beim Anhören in mir ausgelöst wird, ist dann doch anders.
    Was nun Herbert Blomstedt angeht, so habe ich ihn erst in den letzten paar Jahren durch Live-Konzerte mit dem NDR-Sinfonieorchester für mich entdeckt. Zwar habe ich ihn schon zu seiner Zeit als Chef des NDR-Sinfonieorchesters (1996 - 1997) erlebt - fand ihn aber damals, d.h. vor immerhin fast 20 Jahren weit weniger überzeugend, als jetzt.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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