Stilgeschichte des Jazz - 2. New Orleans und Dixieland

  • In der bunten ethnischen und musikalischen Gemengelage in New Orleans bildete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts der gleichnamige Stil heraus: New Orleans-Jazz. In kürzester Zeit etablierten sich in der brodelnden Stadt mehr als 30 Bands und Orchester, die plötzlich "the new thing" - diese neuartige Form von Musik spielten. Der Blues bildete das Rückgrat, wenn auch nicht immer formal, so doch tonal und in der Form, das Instrument als Verlängerung der Singstimme zu betrachten.


    Die Orchester bestanden in der Regel aus den Instrumenten Trompete (oder Kornett), Posaune, Klarinette, Banjo (oder Gitarre), Tuba (oder später Kontrabass) und Schlagzeug. Die Bandgrößen reichten vom Quintett bis hin zu größeren Ensembles mit Doppel- oder Dreifachbesetzungen der Blasinstrumente. Typisch war das Prinzip des sogenannten "Call and Response": Eine Melodie wird dreistimmig eingeführt, das Hauptinstrument (meistens die Trompete), variiert das Thema in mehreren Durchläufen und wird von den anderen Bläsern spontan respondierend begleitet. Da das Geschehen meistens sehr nahe am eigentlichen Thema blieb, spricht man eher von Variation als von Improvisation im späteren Sinne des Jazz.


    Die Bass- und Rhythmus-Instrumente bildeten das harmonische und rhythmische Fundament, damals im 4/4-Takt, von dem aber fast nur die 1 und 3 betont wurden. Dieser "Two Beat Jazz" hatte spätestens in den Dreißiger Jahren zugunsten des "Four Beat", also der Gleichwertigkeit aller Zählzeiten, ausgedient. Die Musik war damals noch dichter am Marsch als am späteren Swing, der - kleingeschrieben - wichtiges Stilmerkmal aller Jazz-Epochen werden sollte.


    Ab 1915 verbreitete sich die Musik in den Norden, zum einen über die Dampfer des Mississippi, zum anderen über die Auswanderung in nördlichere Staaten im Zuge der Industrialisierung und dem Angebot an Arbeit in Chicago, Kansas City, Memphis usw.


    Auch weiße Musiker begannen, diese Art der Musik zu spielen. Ihre Form des New Orleans-Jazz firmierte schon bald unter dem Namen Dixieland. Spitze Ohren hörten hier scheinbar die etwas glattere, aber versiertere Variante auf Kosten der Expressivität und Spontanität. Ich halte nicht viel von diesen Einordungen, nach dem Motto: "Der Neger spielt wilder und ausdrucksvoller, der Weiße intelligenter." Gute Musiker gab es bei beiderlei Hautfarbe, dennoch mischten sie sich zu der Zeit in den Bands noch nicht. Austauschen und sich gegenseitig informieren taten sich schwarze, kreolische und weiße Musiker hingegen fleißig. An ihnen lag es sicherlich nicht, dass übergreifende Orchester nicht zustande kamen.


    Tonaufzeichnungen aus der ersten Dekade des Jazz gibt es nicht. Ironie der Geschichte ist, dass die weißen Bands die ersten waren, die Schallplatten bespielten und mit großem Erfolg auch in New York mit der neuen Musik reussierten. Die Original Dixieland Jazz Band war im Januar 1917 die erste Jazz-Band, die für Columbia Records eine Plattenaufnahme machte. Ihr Kopf, Nick LaRocca, bezeichnete sich daraufhin nicht unbescheiden aber fälschlicherweise als Erfinder des Jazz.



    ODJB


    Bedeutende Musiker dieser Frühzeit des Jazz waren die Trompeter King Oliver und Louis Armstrong, der Pianist und Bandleader Jelly Roll Morton, der Posaunist Kid Ory und die Klarinettisten Sidney Bechet und Johnny Dodds.



    Sidney Bechet



    Jelly Roll Morton


    Armstrong spielt hierbei eine Sonderrolle, wurde er für viele bis zum heutigen Tag zum Synonym des Jazz schlechthin. Seine Rolle als Pionier, der den Jazz bereits in frühen Tagen von der Unterhaltungs- in die Kunstmusik überführte, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Seine Form, auf dem harmonsichen Gerüst eines Stückes ausschweifende und tiefsinnige Geschichten zu improvisieren, wurde zum Maßstab und zur Messlatte aller nachfolgenden Musiker. Ich finde, man kann ihn getrost als Urvater des Jazz bezeichnen. Dass er später als "Satchmo" - augenrollend und mit weißem Taschentuch winkend - zum harmlosen Grüßonkel der Unterhaltungsindustrie wurde, steht auf einem anderen Blatt.



    Louis Armstrong


    Bei Louis Armstrong sollte man zu Aufnahmen greifen, die er in den zwanziger Jahren mit seinen Bands "The Hot Five" oder "The Hot Seven" eingespielt hat. Da kann man einigermaßen sicher sein, noch etwas von der Urprünglichkeit dieser Musik auf die Ohren zu bekommen. Spätere Aufnahmen geben ein völlig anderes Bild ab. Weitere Aufnahmen, die ab 1917 entstanden und den New Orleans- bzw. Dixieland-Stil adäquat repräsentieren, kann ich an dieser Stelle leider nicht empfehlen. Meine persönlichen Hörgewohnheiten reichen nicht bis in diese Frühphase zurück. Hier müssten bitte andere in die Bresche springen.


    Gruß
    B.