Arvo Pärts Entwicklung scheint symptomatisch für seine und vor allem die Generation vor ihm zu sein.
Nach neoklassizistischen Anfängen, die dem normalen Musikinteressierten (wie mir) unbekannt sind (auch die Klassiker der seriellen Musik sollen so etwas gehabt haben), folgt der Reihe nach das Ausprobieren der international als aktuell geltenden Techniken, was mit dem Wiederentdecken der "entarteten Musik" zu tun hat und in dieser Art musikgeschichtlich einzigartig sein dürfte: Zwölftontechnik, dann die in den 50ern neu entwickelte sich nicht mehr auf die Tonhöhen beschränkende Reihentechnik, die Serialismus genannt wird. Unter dem Einfluß Cages gibt es dann eine chaotischere stilmischende Avantgardeströmung, die als solche wohl nicht richtig abgrenzbar ist, dennoch sagt der Kenner: typisch 60er Jahre. Eine große Zahl junger Komponisten beteiligte sich an diesen Strömungen, Pärt war ein nicht Unbekannter unter ihnen. Unter anderem sollen 3 Symphonien interessant sein, die unterschiedlichen dieser Strömungen angehören sollen.
Pärt kam dann wie viele seiner Altersgenossen in eine Krise, da etwa im Gegensatz zu B.A.Zimmermann oder Luigi Nono eine persönliche stilistische Ausprägung ihm nicht in ausreichendem Maße gelungen zu sein scheint, er muss sich als Mitläufer oder Epigone vorgekommen sein und machte eine Komponierpause.
Die späten 60er und 70er Jahre sind durch eine extreme Vielfalt von Personalstilen von Komponisten gekennzeichnet, die ebenso wie Pärt zwölftönige und serielle und andere experimentelle Vergangenheit haben. Diese Personalstile müssen im Einzelfall überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Was ihnen aber oft gemein ist, ist die ihnen ablesbare Vertrautheit mit den Methoden seriellen und postseriellen Komponierens der 50er und 60er Jahre.
Ein wichtiges Beispiel für einen solchen neuen, auf dem Fundament der Erfahrung eigenen seriellen Komponierens entstandenen Stils, ist die Minimal Music Steve Reichs. Ebenso wie im Serialismus ist die Tätigkeit des Komponisten auf das Steuern eines im Detail konstruierten oder von selbst ablaufenden schematischen Ablaufs beschränkt. Dieser "Minimalismus" des Komponierens bestimmt auch das Werk John Cages, dessen Aleatorik eine Art Pendant zum europäischen Serialismus darstellt.
Arvo Pärt erfindet in den 70er Jahren seinen eigenen in diesem Sinne ebenfalls minimalistischen oder konstruktivistischen Stil. Er nennt ihn "Tintinnabuli-Stil", da eine der Stimmen seines Satzes stets den Dreiklang entlangwandert. Die anderen schreiten diatonisch voran aber durchaus in unterschiedlichen Tonarten, die Anzahl der Schritte wird durch die zu singenden Silben bestimmt, gesungen wird syllabisch (pro Silbe ein Ton). Was also pro Abschnitt, der komponiert werden soll, zu entscheiden bleibt, sind die verwendeten Dreiklänge/Skalen pro Stimme und in welchen Akkord sie anfangs (oder irgendwann im Verlauf) zusammenklingen, gerne sind das ebenfalls Dreiklänge. Der Rest läuft zwar dann wohl nicht ganz schematisch ab, aber in so reduziertem Rahmen der Möglichkeiten, dass mir eine Verwandtschaft mit seriellen, aleatorischen und minimalistischen Komponierweisen behauptbar erscheint.
Darüber gilt es wohl hier zu diskutieren, schließlich wird Pärt gerne als jemand angeführt, der Konstruktivismen "überwunden" hätte.
Pärts Problem besteht in der großen Enge der Vorgaben seiner Schreibweise. Insofern scheint er mir dem Zwölfton-Pionier Hauer vergleichbar, der von 1919 bis zu seinem Tode Zwölftonspiele als Massenware erzeugte. Gewissermaßen eine interessante persönliche Sackgasse, bei der dann aber eigentlich nur das erste Werk wirklich von Interesse ist. Oder doch das Frühwerk?