Paul Juon - Die Kammermusik

  • Hallo,


    in einer Zeit, wo allzuviel zu Recht vergessenes wieder ausgegraben wird, möchte ich an Paul Juon erinnern, da ich nach einer Suche hier im Forum feststellen mußte, daß er so gut wie nie erwähnt wurde. Informationen zum Komponisten findet man hier:


    http://www.juon.org/0.IJGHomePage_de.html


    Die Erinnerung findet im Kammermusikforum statt, weil Juon u.a. mehrere Klaviertrios komponiert hat, wovon sein op. 70 "Litaniae" m.E. zu den besten Werken dieser Gattung überhaupt gehört.


    Das Werk, eine "Tondichtung" für Klaviertrio, wurde um 1920 komponiert und 1929 veröffentlicht. Es ist tonal geschrieben, weist jedoch eine hohe Originalität auf. Formal ist das Werk außerordentlich geschlossen, dabei sehr dicht und schlüssig gearbeitet, es gibt keine Längen. Auch auf Hörer mit einer eher gefühlsmäßig ausgerichteten Rezeptionshaltung ist die Wirkung meist stark, das Werk wirkt inspiriert und tief empfunden.


    Die Aufnahme des Altenberg-Trios Wien umfaßt alle Klaviertrios von Juon, sie ist die einzige, die ich kenne und sie stellt mich in jeder Beziehung zufrieden, es wird ernsthaft und unmaniriert musiziert. Ein gutes, nicht halliges Klangbild ist das Tüpfelchen auf dem "I" dieser gelungenen Produktion.


    http://www.amazon.de/Piano-Tri…3-8298414?ie=UTF8&s=music


    Gruß


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • Hallo Andreas,


    sehr gute Idee!
    Auf der Website wird er als "Das fehlende Glied zwischen Tschaikowskij und Strawinskij" betitelt, ich kannte nur seinen Beinamen "russischer Brahms".
    Vor langer Zeit hat mich ein Werk von ihm begeistert: Die Kammersinfonie für Streicher, Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier (1905), wurde seinerzeit vom Linos-Ensemble ausgegraben. Das Scherzo(?) im 5/4-Takt ist ein richtiger Ohrwurm.
    Schön zu sehen, daß es eine Neueinspielung mit Mitgliedern des Tonhalle-Orchesters gibt. Ob die wohl ebenso mitreißend spielen wie das Linos-Ensemble?


    :hello:Khampan

  • Hallo Khampan,


    die Bezeichnung "russischer Brahms" trifft nach meinem Dafürhalten ebensowenig den Kern von Juons Komponieren, wie "das fehlende Bindeglied zwischen Strawinskij und Tschaikowskij".


    Einige seiner Werke haben die Voraussetzungen zu richtiggehender Popularität, ohne dabei eklektizistisch oder kompositorisch nachrangig zu sein. Eine Popularität, die eigenartigerweise nie eingetreten ist.


    Gruß


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • wenn schon verglichen wird: ich würde am ehesten an reger denken.


    strawinsky kanns irgendwie nicht sein, der ist stilistisch und zeitlich dem guten juon zu weit "voraus" - aber ich kenne von juon nur ein werk von 1930 für das das aber in jedem falle zutrifft.


    hm. vielleicht eine synthese aus reger und hindemith?
    :hello:

  • gerade habe ich Juons Klaviertrio a-Moll op. 17 im Radio gehört und war wieder hellauf begeistert.
    Auch von den Interpreten: European Fine Arts Trio. Eine Aufnahme allererster Güte, aber nirgends käuflich zu sehen.


    Jetzt kenne ich zwar erst zwei frühe Werke, aber wage mich mal an eine grobe Einordnung:
    - spielerisch musikantische Haltung, daher weniger wie Brahms, sondern eher wie Dvorak, Saint-Saens, Schostakowitsch.
    - Tonalität etwa wie bei Sibelius, früher Schostakowitsch, oder um genauer zu sein: wie die vielen anderen unbekannten nicht-atonalen Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts: Ludwig Thuille, Karl Weigl etc.


    Deren gemeinsames Problem war ja, daß sie für die Musikgeschichte obsolet waren. Erst recht wenn sie hauptsächlich Kammermusik schrieben.


    Da kann ich mich als Kammermusikfreund auf noch viele Entdeckungen freuen.


    Gruß, Khampan

  • Zitat

    Original von Khampan


    gerade habe ich Juons Klaviertrio a-Moll op. 17 im Radio gehört und war wieder hellauf begeistert.
    Auch von den Interpreten: European Fine Arts Trio. Eine Aufnahme allererster Güte, aber nirgends käuflich zu sehen. [...]


    Hallo Khampan,


    ich hab’ das Werk im ARD-Nachtkonzert auch gehört und war ebenso spontan begeistert. Auf eMail-Nachfrage teilte mir der Südwestdeutsche Rundfunk mit, daß die gesendete Aufnahme eine Eigenproduktion des SWR sei, die bislang nicht auf CD veröffentlicht wurde.


    Auf der Website des European Fine Arts Trio


    http://www.efat.ch/d/discographie.html


    wird zwar eine CD mit Juon’scher Musik angezeigt; Op. 17 ist jedoch leider nicht dabei.


    Es bleibt die Hoffnung, daß sich der SWR, vielleicht in Kooperation mit irgendeinem Label, irgendwann mal entschließt, eine eigene Juon-CD auf den Markt zu werfen.


    Ich werde in jedem Fall noch einmal brieflich, sowohl an den SWR als auch an das EFAT die Bitte richten, uns schmachtenden Klassikhörern diese herrliche Aufnahme zugänglich zu machen. Es kann sicher nicht schaden, wenn andere Leser es mir gleichtun ... =)



    Beste Grüße!


    Laurenz

    `
    (...) Eine meiner frühesten Erinnerungen im Zusammenhang mit der Musik betrifft einen Abend, an dem das Rothschild-Quartett bei uns ein hochmodernes Werk von Egon Wellesz spielen sollte. Die Stühle waren den Musikern zu niedrig, so nahmen sie unsere Bände mit Schubertscher Kammermusik, um damit ihre Sitze zu erhöhen. Ich dachte, wieviel schöner es wäre, wenn sie auf Wellesz sitzend Schubert spielen würden (...)


    — aus „5000 Abende in der Oper“ von Sir Rudolf Bing —
    .

  • Hallo zusammen,


    die Bezeichnung "russischer Brahms" ist IMHO insoweit zutreffend, als die Kammermusikwerke, die ich bisher von Juon kennenlernen durfte, mir ausnehmend gut gefallen.
    Meiner Ansicht nach ragen sie weit aus dem heraus, was im Allgemeinen so an Rand- und Nischenrepertoire ausgegraben wird. Nachdrücklich empfehlen (kaufen, Leute !!) möchte, nein MUSS!, ich diese beiden Produktionen:



    Aktuell für je 7,99 EUR zu haben und für mich schon jetzt musikalisch, klanglich und interpretatorisch absolute Kammermusik-Highlights, mit Blick auf die Käufe der letzten Zeit. :)


    Die Opuszahlen auf der deutschen Wiki-Seite lassen erahnen, wie viel es da noch zu entdecken gibt. Her damit! :D


    Grüße
    Frank

  • Ich schrieb vor einem Jahr:


    op.50 von Paul Juon kann man ohne Probleme neben die Beiträge von Brahms, Dvorak und Faure ins Regal stellen. Kammermusik vom Feinsten, das Adagio lamentoso (3. Satz) ist hinreissend.

  • Nach den Klavierquartetten und dem Klavierquintett hat cpo jetzt die vier Streichquartette des russisch-schweizerischen Komponisten herausgebracht, mit dem hervorragenden Sarastro Quartett, das schon für vielbeachtete Ausgrabungen in puncto d'Albert, Weingartner und Gaito verantwortlich zeigte.


    Die vier Quartette wurden mit den Opus Nummern 5, 11, 29 und 67 herausgebracht, wobei op. 11 wohl das erste Quartett ist, das 1896 uraufgeführt wurde. Opus 5 - mit 42 Minuten das längste - entstand kurze Zeit später, während die letzten beiden Werke im 20. Jahrhundert - 1904 bzw 1920 - entstanden.


    Opus 11 - hat die klassischen vier Sätze und dauert knapp 28 min. Dieses Werk bereitet dem gewillten Hörer keinerlei Probleme, Dvorak und Tanejew haben ähnliches formuliert und das Werk wäre mit seinen schwungvollen musikalischen Einfällen sicher ein potentieller "crowd pleaser", wenn es denn mal eine nennenswerte crowd zu hören bekäme.

  • Zu den Streichquartetten kann ich noch nicht sagen, außer dass sie schon sei ca. 2 Wochen auf meiner Bestellliste für Februar stehen. Indes haben mich die Taminoianer bereits von den beiden CDs mit Klavierquartetten, Klavierquintett und Klaviersextett überzeugt. Beide sind schon seit geraumer Zeit (ungehört) in meiner Sammlung. Derzeit höre ich das Klavierquartett op 50 - und bin hingerissen. In der Tat ausgewogen und klangschön, dabei indes niemals langweilig oder akademisch, sehr einfallsreich und teilweise sogar originell.


    Eine Bereicherung für jede Kammermusiksammlung.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Interessanterweise hat mich das 1907 komponierte, einer Freundin namens Marie Bender gewidmete Klavierquartett op 37 "Serenade" etwas mehr überrascht. Ich empfand es als "origineller" - wer so will, auch "unorthodoxer" als das gestern gehörte Quartett Nr 50. Ich fand schon den Beginn des ersten Satzes, der mit einem düster melancholischen Streichersolo beginnt, der dann aber 2 mal in Folge seinen Charakter ändert, mehr als bemerkenswert- Angeblich inspirierte Selma Lagerlöfs Roman "Gösta Berling" Juon zu diesem Quartett.
    Ich würde Juon übrigens nicht mit Brahms vergleichen, sondern - eigentlich mit niemandem....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nachdem ich jetzt alle vier Quartette zweimal gehört habe, muß ich sagen, dass cpo und den Sarastros hier eine ganz außerordentliche Ausgrabung gelungen ist. Wer erwartet hier nur spätromatisches Geschwelge zu hören, sieht sich im 3. Streichquartett schon mal verunsichert und im 4. ziemlich getäuscht. Dieses 1920 komponierte Quartett ist ein ganz erstaunliches Werk. Die Errungenschaften von Schönberg zumindest von "Verklärte Nacht" und dem 1. SQ sind hier verarbeitet, ebenso die von Debussy und Ravel und - noch erstaunlicher - einiges klingt sehr nach Janacek, nur dessen Streichquartette lagen noch in der Zukunft. Dazwischen auch klare Reminiszenzen an Gustav Mahler in puncto Integration trivialer Musik, das gilt übrigens auch für das 3. Quartett wo ein ganzer Satz von Fiddler-Klängen geprägt ist. Hier hat ein Komponist jenseits des Mainstream seinen eigenen Weg von der Spätromantik in die beginnende Moderne formuliert, und zwar auf ziemlich originelle Weise, natürlich ohne dann den letzten Schritt zu tun. Aber dieses Oeuvre verdient Beachtung, die es jetzt ja wohl auch bekommen wird. Um gleich vorzuwarnen, das ist keine eingängige schnell rezipierbare Musik, hier ist Hörarbeit gefragt, die auch ich noch fortsetzen muß und werde. Denen, die sich auch aufgemacht haben, wünsche ich viele interessante Überraschungen. :hello:

  • Paul Juon: Streichquartett op 11 in h-moll


    Am 25. Jänner 2016 schrieb ich:

    Zu den Streichquartetten kann ich noch nicht sagen, außer dass sie schon sei ca. 2 Wochen auf meiner Bestellliste für Februar stehen.

    Ich habe sie offenbar damals erworben - und heute habe ich die Originalversiegelung geöffnet und mir das Streichquartett Op 11 angehört.

    Es ist das erste von Juons Streichquartetten und hatte ursprünglich die Opuszahl Nr 4

    Das Werk hat eine Spieldauer von etwa 27 Minuten und besteht aus 4 Sätzen


    1. Allegro risoluto
    2. Andante tranquillo
    3. Scherzo: Presto
    4. Finale: Allegro con giusto

    Im Laufe der lezten 100 Jahre wurde viel über Paul Juon und seinen Stil geschrieben - viel unterschiedliches, sodaß man sich eigentlich nicht lächerlich machen kann, wenn man weitere Vergleiche anstellt. Dennoch werde ich darauf verzichten, Weder sehe ich einen "russischen Brahms", noch Einflüsse von Tschaikowsky, wenngleich der Autor des Booklets

    explizit, Speziell bei op 11 darauf hinweist. Ich empfand das Werk als stellenweise sehr eindringlich - nichrt wirklich aggressiv oder spröde, aber ganz unterschwellig dazu tendierend, wobei die Balance durch "bezaubernde" und auch "originelle" Stellen hergestellt wird. Mir gefiel das Werk im Laufe des Hörens immer besser, sodaß sich mein subjektive Gesamturteil von "anhörbar" zu "unbedingt hörenswert" wandelte. Speziell der Finalsatz hat es mir angetan


    Die DOPPEL-CD mir sämtlichen Streichquartetten - hervorragend gespielt vom Sarastro Quartett - ist derzeit noch lieferbar und zwar zum Sonderpreis von 9.99 Euro


    Hier noch ein Link zur youtube Veröffentlichung.



    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !