Grieg, Edvard: Streichquartett

  • Hallo!


    Moment mal, so ganz korrekt ist die Faden(*)-Überschrift nicht, denn sie suggeriert, daß Grieg nur ein Streichquartett komponiert hat. Das stimmt aber nicht:


    Es gab ein d-moll-Streichquartett (1861) des jugendlichen Grieg, das auch aufgeführt wurde. "Gab" schreibe ich, da es inzwischen verschollen ist.
    Und da ist noch das unvollendete Streichquartett F-dur, aus zwei 1891 komponierten Sätzen bestehend.
    Aber ins Bewußtsein der Musikwelt hat es nur das g-moll-Quartett geschafft, deshalb sage ich weiterhin "das Streichquartett von Grieg" und meine damit das in g-moll op. 27 von 1878.


    Was ist das für ein Werk? Zunächst mal die vier Satztitel:
    un poco andante - allegro molto e adagio
    romanze: andantino - allegro agitato
    intermezzo: allegro molto marcato - piu vivo e scherzando
    finale: lento - presto al saltarello

    Und der Charakter des Werkes? Ganz anders, als man es erwartet. Kein kühles, sprödes, nordisches Werk - nein, es sprüht förmlich vor Temperament und Leidenschaft! Das Streichquartett von Grieg hat mich wirklich überrascht, es ist auch derzeit meine liebste Komposition des Norwegers, denn die Musik ist nicht "nur" spannend, sondern auch hochklassig. :yes:
    Es beginnt mit einem Motto (oder Motiv), das durch alle Sätze des Werkes wandert. In den Sätzen selbst wechseln häufig die tempi; expressive, klangmächtige Passagen werden von lyrisch-ruhigen abgelöst und umgekehrt.


    Ich schreibe mal nicht zu viel, schließlich erwarte ich noch eine interessante Werkbeschreibung von Signore Barezzi, der das Streichquartett von Grieg länger und besser kennt als ich und diesen Faden(*) bestellt hat. :hello:


    Viele Grüße,
    Pius.


    (* :hello: Uwe)

  • Zitat

    Original von Pius


    Und der Charakter des Werkes? Ganz anders, als man es erwartet. Kein kühles, sprödes, nordisches Werk - nein, es sprüht förmlich vor Temperament und Leidenschaft!


    Hallo Pius, leider kenne ich das SQ nicht. So wie du es beschreibst, gibt es da bestimmt Nachholbedarf. Aber findest du, dass andere Werke Griegs an Temperament und Leidenschaft zu wünschen übrig lassen? Man denke nur an das Klavierkonzert, um ein populäres Beispiel zu nennen.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Hallo, Draugur!


    Zitat

    Original von Draugur


    Hallo Pius, leider kenne ich das SQ nicht. So wie du es beschreibst, gibt es da bestimmt Nachholbedarf. Aber findest du, dass andere Werke Griegs an Temperament und Leidenschaft zu wünschen übrig lassen? Man denke nur an das Klavierkonzert, um ein populäres Beispiel zu nennen.


    Hm, ich bin kein großer Fan dieses Konzerts... aber das gehört nicht hierher.
    Dennoch, im Klavierkonzert gibt es sicherlich sehr extrovertierte Passagen, aber dennoch finde ich es irgendwie "nordisch kühl". So zügellose "südländische" Temperamentausbrüche wie im Streichquartett gibts da nicht. Eher vergleichbar expressiv ist noch seine dritte Violinsonate, aber nicht ganz so. Aber vielleicht ist das nur subjektives Empfinden, genau wie meine Meinung, man sollte die Komponisten (ab Haydn) über ihre Streichquartette kennenlernen...


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Ich empfehle (in dieser Reihenfolge):


    Oslo String Quartett (Naxos)

    Emerson String Quartet (DGG)

    Trusl Mork & Friends (Virgin)


    Weder Auryn Quartett oder Kontra Quartett noch Guaneri String Quartett oder gar Petersen Quartett und Chilingirian Quartet konnten mich überzeugen (auch hier mein Eindruck gereiht).

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Schönen Dank für den Faden, Pius, den ich gerne annehmen und weiterspinnen werde. Das Grieg-Quartett empfinde ich wie folgt:


    Wie bereits angedeutet sprüht es vor Temperament und Leidenschaft. Ich finde, dass wegen der rhytmischen Einfachheit und der geraden Betonungen bei einem großen Teil des Quartetts fast Tanzcharakter besteht. Auch die Melodien sind sehr einprägsam und eignen sich zum Mitsingen.


    Das Quartett ist nicht so sehr ein Stück, das in die Tiefe geht. Es ist in diesem Sinne kein ernstes Stück, das durch seine Verarbeitung von Themen, Tonfolgen oder durch Variationen an Leben gewinnt, d.h. die Wirkung ist eher äußerlich denn innerlich.


    Die Handschrift ist stark; es ist ein kräftiges und selbstbewusstes Stück.


    Ich selber höre es nicht so gerne, da ich sehr ohrwurmanfällig bin. Meine "Hausaufnahme" ist die des Guarneri Quartetts, die ab nicht überzeugen konnte. Vergleichseinspielungen kenne ich nicht; zwei oder dreimal habe ich das Quartett in Konzerten gehört; es kam beim Publikum immer gut an und bekam viel Applaus.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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  • Jetzt haben meine Vorschreiber schon so fachkundig geschrieben, dass mir selbst kaum mehr etwas zum Mitteilen bleibt - außer mich bei ihnen zu bedanken :jubel:


    Der letzte Satz ist tatsächlich sehr ungewöhnlich für einen norwegischen Komponisten...erinnert eher an eine gesteigerte Variante des letzten Satzes von Mendelssohns Italienischer Symphonie - grandios!!!
    Skandinawische Schroffheit findet sich aber trotzdem reichlich in diesem herrlichen Werk - neben dem Temperament :D
    Die Auryn-Aufnahme gefiel mir übrigens sehr gut - habe sie aber Jahre nicht mehr gehört...


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof


    Das Quartett ist nicht so sehr ein Stück, das in die Tiefe geht. Es ist in diesem Sinne kein ernstes Stück, das durch seine Verarbeitung von Themen, Tonfolgen oder durch Variationen an Leben gewinnt, d.h. die Wirkung ist eher äußerlich denn innerlich.
    Uwe


    Hallo Uwe,


    hier kann ich nicht ganz konform gehen. Du sagst, dies sei kein Stück, was in die Tiefe geht. Wie schwierig dieser Begriff ist, wissen wir ja beide.
    Ich empfinde dem nicht so und sage mal ganz offen, daß ich den Eindruck habe, daß Du für Dich Werke nur dann Tiefe besitzen, wenn diese Tiefe IMO sehr deutlich hervortritt, einem quasi sagt: Obacht!! Ich besitze Tiefe (Beethoven oder Bartok z.B.)
    Ich bin der Ansicht, daß es Werke gibt, deren Tiefe subtiler ist - z.b. Grieg oder Debussy. Letzteres braucht sich IMO hinter keinem StrQ irgendeines anderen Komponisten zu verstecken....
    Weniger offenkundig. Es sucht nicht so offensichtlich nach dem Seinsgrund hinter der Oberfläche...
    Nur ein paar Gedanken.


    :hello:
    Wulf.

  • Hallo Wulf,


    schönen Dank erst einmal für Deine kritischen Hinweise und Gedanken. Sie sind für mich sehr interessant.


    Zitat

    und sage mal ganz offen, daß ich den Eindruck habe, daß Du für Dich Werke nur dann Tiefe besitzen, wenn diese Tiefe IMO sehr deutlich hervortritt, einem quasi sagt: Obacht!! Ich besitze Tiefe (Beethoven oder Bartok z.B.)


    Da wirst Du wohl Recht haben. Natürlich besitzen Werke für mich nur dann Tiefe, wenn ich diese auch erkennen bzw. empfinden kann. Und das gelingt mir wohl, wie Du es beobachtest, nur dann, wenn darauf in dem Werk deutlich hingewiesen wird (ach, wie ärgere ich mich, dass ich meine gedanklich bereits vorbereiteten Beiträge in dem für mich sehr interessanten und wichtigen Thread bezügl. Tiefe in Musikwerken noch nicht verfasst habe; der Austausch wäre bestimmt interessant). Ich hoffe sehr, dass ich meinen Horizont, Kenntnisse und Sensibilität im Erfassen von Werken, noch erweitern werde; unter anderem dieses ist ein Grund meines Beiseins hier im Forum.


    (Wenngleich mir gerade ein eigenartiger Gedanke kommt: ein Werk, das mir oberflächlich sagt: „hallo, ich besitze Tiefe“, müsste wohl ein eher oberflächliches Werk sein; gerade bei Beethoven und Bartok habe ich dieses Gefühl aber noch gar nicht gehabt.)


    Noch einmal zum Grieg-Quartett:


    Ich meine, ich habe es mehr gelobt als getadelt. Seine Stärken, so wie ich sie empfinde, habe ich angesprochen; dass das Stück generell keine Tiefe besitzt, habe ich aber nicht gesagt. Ich habe lediglich gesagt, dass es seine Stärken weniger aus der Tiefe (in dem, und nur in dem Sinne, wie erläutert) herausholt. Und dies habe ich näher definiert:


    Zitat

    Das Quartett ist nicht so sehr ein Stück, das in die Tiefe geht. Es ist in diesem Sinne kein ernstes Stück, das durch seine Verarbeitung von Themen, Tonfolgen oder durch Variationen an Leben gewinnt, d.h. die Wirkung ist eher äußerlich denn innerlich.


    Ich vermute, dass diese meine Eindrücke entstehen, weil Grieg in seinem Streichquartett sehr einfache, einprägsame und sich zum Nachpfeifen aufdrängende Melodien benutzt hat. Viele mögen das sehr gerne, wenige (so ich) nicht. Ich meine auch keinesfalls, dass die Musik nicht aus tiefen Empfindungen Griegs hervorgegangen ist. Gerade der erste Satz verdeutlicht mir, dass eher das Gegenteil der Fall war. Nach meinem Gefühl bringt das Quartett das, was in der Tiefe existiert, fast schonungslos an die Oberfläche. Für mich verliert vieles, was in der Tiefe existiert, aber umfassend ausgesprochen wird und auf diese Weise an die Oberfläche kommt, seinen Reiz, sein Geheimnis, seine Glaubwürdigkeit – und seine Poesie. So ergeht es mir auch mit Griegs Streichquartett.


    Und noch ein Erklärungsansatz: Es werden in dem Stück Themen, Nebenthemen und sonstige Musikpassagen vorgestellt und aneinandergereiht, teilweise verbunden durch Überleitungen, häufig aber einfach auch ohne. Aufgrund dessen wirkt das Stück für mich horizontal; es ist hauptsächlich ein Nacheinander von Inhalten. Dies wirkt auf mich flach; der Eindruck der Tiefe aber entsteht, zumindest bei mir, im zugleich von Horizontalem und Vertikalem. Ein reines Vorstellen, auch noch so schöner Melodien, bewirkt bei mir bestenfalls ein „sehr schön, aber was soll ich damit anstellen?“. Interessant und lebendig wird es für mich eigentlich erst durch ein Geflecht von Beziehungen bestimmter Parameter und Inhalte untereinander, durch Verarbeitung, durch Entwicklungen und Verwicklungen (verzeiht die Unbeholfenheit meines Ausdrucks).


    Zitat

    Letzteres braucht sich IMO hinter keinem StrQ irgendeines anderen Komponisten zu verstecken....


    Ich habe das Stück mit meinen Beschreibungen keinesfalls abgewertet, sondern lediglich beschrieben, warum es eher weniger meinem persönlichen musikalischen oder künstlerischem Naturell, Interesse und Erwartungen entspricht. Ich hoffe aber sehr, mich weiterzuentwickeln und in dem Grieg-Quartett noch einiges zu entdecken.


    Schöne Grüße,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Die beiden Sätze des F-Dur-Quartetts hatte ich bislang auf einer CD des Petersen-Quartetts (mit dem g-moll und Schumanns a-moll). Jetzt ist mir eine CD des Osloer Streichquartetts "Grieg revisited" in die Hände gefallen. Außer Streichquartettbearbeitungen der Ballade (für Klavier) und eines Melodrams Bergliot op.42 (Text: Bjørnstjerne Bjørnson) enthält sie eine neue Komplettierung, die der Cellist des Ensembles Øystein Sonstad auf der Basis des vorhandenen Materials (und sofern ich recht verstehe gewisser Ähnlichkeiten zu der F-Dur-Violinsonate erstellt hat). Ich habe mich noch nicht näher damit befasst, aber man erhält jedenfalls den Eindruck eines durchaus hörenswerten Stücks, das verständlicherweise einen erheblich geschlosseneren Eindruck macht als die beiden Einzelsätze (deren zweiter hier an dritter Position kommt).


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Heute habe ich erstmals das Streichquartett op 27 in g moll aus dem, Jahre 1878 gehört.
    Schon nach den ersten Tönen empfand ich eine gewisse Abneigung - die sich allerdings im Laufe der Hörsitzung verflüchtigte.
    In die Liste meiner Lieblingswerke wird es dieses Quartett vermutlich aber nicht schaffen.
    In der Tat gibt es hier einige schroffe und radikale Stellen, eine ausgeprägte Dynamik und stellenweise ein gewisses Quantum an "Wildheit" und Verschrobenheit.
    Dieses Werk, Grieg selbst zählte es zu seinen "allerbesten Werken"* scheint zu polarisieren,
    Der Wiener Kritiker Eduard Hanslick vernichtete es (mit Ausnahme des 2. Satzes) und schrieb, Grieg habe "Wahrhaft kindisches Vergügen an allem was hässlich ist"
    Er erhielt Support vom Leipziger Rezensenten Eduard Bernsdorf, der da schreib: "Das Werk macht auf uns den Übelsten Eindruck der Welt . wegen seiner Grimassenhaftigkeit,, Weiters war von Mißklängen und con Geschmacklosigkeiten die Rede.
    War das bösartig ?
    Nein - Ich habe sofort gewusst was gemeint ist und fand die Beschreibung bildlich gelungen-
    Allerdings geschrieben nach den Wertmaßstäben des mittleren 19 Jahrhunderts, also schon eine "rückwärtsgewandte Rezension,Teile des Publikums indes reagierten mit frenetisch em Applaus auf das Stück (auch zwischen den Sätzen)
    Ich persönlich würde hier nie "Mangel an Tiefe" konstatieren - eher scvhon Mangel an Liebreiz oder Ohrwurmqualitäten.
    Allerdings lässt es sich nich überhören, daß es sich um ein durchaus INTERESSANTES Werk handeltm das IMO seine Meriten hat.
    Eigentlich sollte es einigen Tamino- Mitgliedern gefallen. Mich wundert, daß es hier sowenig bekannt ist.


    mfg aus Wien
    Alfred


    *) dennoch wollte er es kurz vor der Uraufführung generell umarbeiten

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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