Bruckner romantisch

  • Die vierte Sinfonie heißt die Romantische. Zu Recht! Bruckner lässt es hier fließen ... Meinen Eindrücken zufolge gibt er den Themen hier einen Raum, der sonst nicht eingeräumt wird. Alles ist lyrischer. Die Struktur wirkt tatsächlich verklärt. Dies durchzieht jeden einzelnen Satz.


    Wo wird es Eurer Meinung nach bei Bruckner richtig romantisch (wobei die Romantik ja eine große Blickbreite erlaubt)?

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Hallo masetto,


    welche Sicht man auf bestimmte Werke hat liegt oft an seiner eigenen Entwicklungsgeschichte, also welche Aufnahmen man von dem Werk zuerst gehört hat und dann schätzen gelernt hat.
    Bei mir war es für alle Brückner-Sinfonien Eugene Jochum (DG-LP) - ein guter Einstieg.


    Die Sinfonie Nr.4 habe ich trotz des Titels "Romantische" nie als übermäßig romantische Sinfonie angesehen. Ich bin mir auch nicht sicher ob Bruckner diesen Beinamen tatsächlich selber gegeben hat, oder ob es nicht einer der Verleger war um das Werk "interessanter" zu machen !?!


    :) Später auf CD hat mir dann die Karajan-Aufnahme die Augen über Bruckner geöffnet und mich äußerst positiv überrscht. Die Karajan-Aufnahme (DG) der Sinfonie Nr.4 ist wie aus "Chrom und Stahl" mit den super disponierten Berliner Philharmonikern, einfach phänomenal.
    Karajan ist alles andere als romantisch - so gefällt es mir.


    ;( Trotz meiner Vorliebe für Solti (Decca) gefällt mir seine Sicht der Sinfonie Nr.4 gar nicht und ich halte diese CD für die einzig schwache CD in der Bruckner-Decca-GA. Vielleicht ist Solti tatsächlich zu romantisch =) !?!

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich kenne die Karajanaufnahme der Vierten nicht, denke aber nicht das man der vierten das nehmen kann, was ihr diesen Beinahmen eingebracht hat.


    Die Aufnahme der vierten unter Jochum mit der Staatskapelle Dresden (aus der Box) ist die von mir favorisierte. Ich muss mir dringend die Karajanaufnahme mal anhören.


    Ich möchte in diesem Thread jedoch nicht nur über die Vierte sprechen. Darüber hinaus sei angemerkt, dass "romantisch" natürlich ein sehr dehnbarer Begriff ist!


    Noch immer neige ich mich sehr weit aus den Fenster, wenn ich versuche, die Musik und meine Eindrücke zu beschreiben, aber würde ich vieles bei Bruckner als schroff und kastenförmig betrachten, ist dies bei der Vierten zwar grundsätzlich auch vorhanden, aber außergewöhnlich ausgeschmückt. Sowohl in Inhalt, als auch in Form. Vielleicht sind kastenförmig und schroff ja wirklich blöde Ausdrücke, wenn man an Sinfonie 8 und Sinfonie 9. Ich meine damit diesen registerartigen Stil, diese Ebenen und Klangblöcke, die Bruckner aufeinander und miteinander zu Sinfonien baut.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Die Vierte erfüllt für mich mehrere Aspekte von Romantik. Zum einen ist da die Verherrlichung der Natur und vor allem des Waldes, die im ersten Satz und im Jagd-Scherzo eindeutig gegeben ist. Zum anderen die für Bruckner ganz untypische Volkstümlichkeit, die sich im Trio des Scherzos zeigt. Klanglich gefällt mir diese Stelle bei Solti am besten, in anderen Aufnahmen klingt sie nicht satt genug.


    Mich wundert, dass von vielen Dirigenten die Triolen im Hauptthema des ersten Satzes so schnell genommen werden, sie klingen dann wie zu langsame Achtel. Das ist bei Karajan und Wand der Fall. Bei Solti und Tintner, deren Aufnahmen vielleicht in anderen Belangen schwächer sein mögen, klingen sie für mich gut.


    Kürzlich durfte ich im Konzert die 1888er Fassung erleben, die unlängst von einem Herrn Korstvedt neu herausgegeben und rehabilitiert wurde. Mir sind zur gängigen Fassung eigentlich kaum Unterschiede aufgefallen, das lag wohl daran, dass ich sie lange vorher nicht gehört hatte.1

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)