Folter in der Oper

  • Auch in der Oper wird gefoltert. Teils mit groben Mitteln - teils mit psychologischen Methoden.


    Drei Beispiele für verschiedene Aspekte:


    In "Tosca" die sadistische Szene Tosca/Scarpia (etwa ab "Il prezzo"), in der Scarpia zusätzlichen Lustgewinn über rein sexuelle Gefälligkeiten hinaus durch die genußvolle verbale Folterung erzielt.


    Das Ständchen Beckmessers in den "Meistersingern", wo Sachs seine situative Überlegenheit genußvoll auskostet, um Beckmesser schier zur Verzweiflung zu bringen.


    "Il prigioniero", wo Hoffnung und Zuversicht sich im Bruchteil einer Sekunde in Verzweiflung und Todesangst wandeln.


    Was fällt Euch dazu ein?

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Hallo Misha,


    Was dachtest Du von Florestan in Fidelio versus Pizarro?
    Und das Drohen in der Entführung von Bassa Selim zu foltern (gefolgt von Märtern aller Arten)?
    Man kann es ohne Mühe erwetern, wenn es um Psychologie geht. Auch die Königin der Nacht , die ihre Tochter erpresst "sonst bist Du meine Tochter nimmermehr", spielt ein schlimmes psychologisches Spiel.
    La Cenerentola, wo Stiefvater und Stiefschwestern zusammen das arme Mädel quälen.
    Bei Rossini, Bellini und Donizetti braucht man nicht lange zu suchen. Ich habe vorgestern (??) Anna Bolena gehört. Hendrik VIII war auch so ein Figur. In Il Giuramento von Mercadante findet man Manfredo.
    Und ist Germont, wie er Violetta moralisch erpresst, nicht auch ein Kandidat?


    Du kannst m.E. besser fragen, wo nicht eine derartige Person zu finden ist.


    LG, Paul

  • Über die Definition des Begriffs "Folter" kann man sich trefflich streiten. In einem weiteren Sinn gehört sicherlich jedes physische oder psychische Leid dazu, das Menschen anderen Menschen zufügen, um irgendein Ziel zu erreichen. Hier könnte man Fälle wie Germont/Violetta, Cenerentola oder auch Sachs/Beckmesser einordnen (obwohl ich bei letzterem skeptisch bin) - besonders brutale Ausprägungen "operntypischer" Konflikte, aber nicht gattungssprengend.


    In einem engeren Sinn könnte man Folter als physisches oder psychisches Leid definieren, das Individuen von übergeordneten Instanzen zugefügt wird (Staat, Kirche usw.). Scarpia in "Tosca" wurde ja schon genannt, wobei mir hier nicht zuerst die zweifellos brutale Erpressung Toscas eingefallen wäre, sondern die körperliche Folter an Cavaradossi hinter der Bühne, in Aufführungen/Einspielungen gerne garniert mit möglichst bühnenwirksamen Schmerzensschreien.


    In manchen Opern findet Folter nicht nur statt, sondern sie wird aus einer im weitesten Sinne humanistischen Perspektive zum Thema. "Fidelio" wurde genannt, als Befreiungsoper selbst schon einem Typus angehörend - aber die musikalische Schilderung der Einzelhaft Florestans in völliger Dunkelheit (= Folter) ist einfach ein großartiger Aufschrei gegen solche Verbrechen.


    Ebenso: Wozzeck - was der Hauptmann und vor allem der Doktor an ihm verbrechen (= medizinische Folter), und wie Berg (und Büchner) genau die physische und psychische Zerstörung Wozzecks schildern.


    In der vielleicht wichtigsten Oper des 20. Jahrhunderts, Janaceks "Aus einem Totenhaus", findet unausgesetzt Folter statt, unter den Gefangenen, von Seiten der Wärter/Aufseher und in den erschütternden Erinnerungen der Opfer. Der halb totgeprügelte Alexander Petrovic, der am Ende des ersten Aktes über die Bühne kriecht, oder im dritten Akt die Erzählung Shapkins von dem Polizisten, der ihm fast ein Ohr abgerissen hat - das ist Musik, die den Zuhörer fast körperlich schmerzt. DAS Beispiel, dass gerade auch die Oper es vermag, diesem furchtbaren Thema gerecht zu werden.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo zusammen,


    Paul hat es schon erwähnt, wir unterscheiden körperliche und seelische Folter. Letztere übt auch Carmen aus und zwar bis zu ihrem bitteren Ende. Oder Nedda im Pagliacci,die ihren Canio bis zur Weissglut treibt. Oder auch Lola in Cavalleria Rusticana,die Alfio zuerst Hörner aufsetzt und dann noch verlacht.Letztlich wird Turridu erschlagen.
    Die meisten Seelenmartern kommen in den Verismo Opern vor. Die sind dem Leben (und Sterben) am ähnlichsten.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Siegfried
    Hallo zusammen,


    Paul hat es schon erwähnt, wir unterscheiden körperliche und seelische Folter. Letztere übt auch Carmen aus und zwar bis zu ihrem bitteren Ende. Oder Nedda in Pagliacci,die ihren Canio bis zur Weissglut treibt. Oder auch Lola in Cavalleria Rusticana,die Alfio zuerst Hörner aufsetzt und dann noch verlacht.Letztlich wird Turridu erschlagen.
    Die meisten Seelenmartern kommen in den Verismo Opern vor. Die sind dem Leben (und Sterben) am ähnlichsten.


    Na ja, Canio gegenüber tut sie ja in der Oper gar nicht viel, der treibt sich schon selbst zur Weißglut. Den Beppo lässt sie aber ganz schön auflaufen...


    In Cavalleria ist es mehr Turridu, der mit Santuzza sehr unsanft umspringt und damit indirekt die Tragödie auslöst...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,
    Nedda läßt Tonio "auflaufen".


    (Wenn man die ganze Psychologie mit einbezieht,
    kann man natürlich fast jede Oper nennen).


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Nedda läßt Tonio auflaufen.


    Ja natürlich, der "arme" Tonio bekommt schließlich eines übergezogen...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ausreißen der Fingernägel.
    Brechen der Beine.
    Schließlich Verbrennung.
    Das passiert dem armen Pater Grandier in Krzysztof Pendereckis Oper "Die Teufel von Loudon" - stammt aus einer Zeit, als Penderecki noch nicht wie Lehár mit Wagner-Sound klang, sondern wilde Klangmontagen komponierte. Auf der Bühne wirkt's hervorragend!
    :hello:

    ...

  • In Puccinis Turandot wird Liu zu Tode gefoltert (und zwar von Riesen-Insekten mit grünen Mandibeln - jedenfalls sieht man das so in der optisch spektakulären und musikalisch soliden Produktion der Wiener Volksoper). Man will den Namen des Prinzen von ihr herauspressen.


    Warum ist sie auch so blöd und sagt es öffentlich, dass sie den Namen kennt und ihn nicht preisgeben wird.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Wenn man die ganze Psychologie mit einbezieht, kann man natürlich fast jede Oper nennen.


    Hallo Herbert,


    Da hast Du völlig Recht. Nicht umsonst schrieb ich deshalb

    Zitat

    Du kannst m.E. besser fragen, wo nicht eine derartige Person zu finden ist.


    Vielleicht wird das einen Thread, wo nur sehr selten die Antworte kommen.
    Es könnte sein, daß "der Verkauften Braut" dann ein Kandidat ist. Es ist schon eine Weile her, daß ich jene Oper hörte, daß ich den Inhalt nicht mehr ganz behalten habe.


    Diese Ausführung, wo der Frick wieder eine wunderbare Leistung abgibt. Und Wunderlich so herrlich singt.


    LG, Paul

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Melot1967


    Warum ist sie auch so blöd und sagt es öffentlich, dass sie den Namen kennt und ihn nicht preisgeben wird.


    Anders formuliert, warum sind Opernheldinnen immer so selbstlos und müssen sich für Männer opfern oder diese zu schützen versuchen.


    Wenn Liu behauptet, nur sie kenne den Namen, schützt sie übrigens damit zunächst einmal weniger Kalaf, sondern in erster Linie dessen Vater. (Die Gefahr, dass sie seinen Namen auf der Folter verrät, ist zu diesem Zeitpunkt noch gegeben --- natürlich wissen wir Opernbersucher/innen, dass sie sich zuvor umbringen kann und bis zu diesem Moment durchhält, aber die Opernfiguren wissen das natürlich nicht.)


    Übrigens stellt sich für mich die perverse Frage, ob Lius Tod etwa notwendig ist, um Kalaf Turandot "ebenbürtig" zu machen. Sie ist über Leichen gegangen, um nicht heiraten zu müssen, bis sie sich von ihm erobern lässt. Er geht über Leichen (zumindest nimmt er den Tod von Liu in Kauf), um sie letztlich zu kriegen. Zynischer geht es wohl nicht.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

    Einmal editiert, zuletzt von Waltrada ()

  • Wenn man weiß, daß Puccini Schmetterlinge aufspießte und sich an ihrem Todeskampf ergötzte, um sich in Kompositionsstimmung zu bringen (Quelle: Marcel Prawy), ist eigentlich ohnedies alles klar...
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Wenn man weiß, daß Puccini Schmetterlinge aufspießte und sich an ihrem Todeskampf ergötzte, um sich in Kompositionsstimmung zu bringen (Quelle: Marcel Prawy), ist eigentlich ohnedies alles klar...
    :hello:


    Aha, daher "Madame Butterfly" ...

  • Da ich gerade eine sehr interessante Puccini-Biographie von Helmut Krausser gelesen habe und mich ausserdem intensiv und auch szenisch mit einer der Liù befasst habe, dazu noch einige Sätze.


    Laut Krausser und anderne Puccini-Biographen gibt es für die Liù ein konkretes Vorbild in Puccinis Leben: sein Hausmädchen Doria. Selbige war bis über beide Ohren in den Maestro verliebt, der allerdings ausnahmsweise einmal nicht sofort zugriff sondern ihre wesentlich attraktivere und temperamentvollere Cousine als langjährige Dorf-Gespielin vorzog.
    Puccinis Gattin jedoch, die eine furchtbare Megäre ohne Stolz, Scham und Skrupel gewesen sein muss, war überzeugt, ihr erotomanischer Ehemann habe auch eine Affâre mit Doria. Sie hat das eher schüchterne Mädchen auf eine so aggressive Art und Weise öffentlich verfolgt, bedroht und im ganzen Dorf diffamiert, dass Doria am Ende seelisch vollkommen zerstört war.
    Als ihr dann auch noch eine Abtreibung unterstellt wurde(die in Wahrheit die Cousine gemacht hatte) nahm sie, um aller Welt ihre Unschuld zu bezeugen, Gift und starb tagelang einen qualvollen Tod. Sie hatte zuvor verfügt, dass nach ihrem Tod ihre Jungfräulchkeit festgestellt werden solle, um sie und Puccini von allen Vorwürfen rein zu waschen. Genauso geschah es, Doria und Puccini wurden entlastet und Signora Puccin ibekamm einen Gercihtsprozess wegen Verleumdung angehängt, den sie zwar verlor, der dann aber mit Bestechungsgeldern "entschärft" wurde. Puccini habe Doria mit der Liù ein Denkmal setzen wollen, heisst es......


    Opern , die das Leben schreibt.


    F.Q.
    Sie hat nciht nur Folter von seiner Ehefrau ertragen müssen sondern sich praktisch selbst zu Tode gefoltert......

  • Guten Abend


    Zitat

    Original von Misha
    Auch in der Oper wird gefoltert.


    Was fällt Euch dazu ein?



    W.A. Mozart


    "Die Entführung aus dem Serail"


    "Erst geköpft,
    dann gehangen,
    dann gespießt
    auf heißen Stangen;
    dann verbrannt,
    dann gebunden,
    und getaucht;
    zuletzt geschunden !"


    (Um aber reine richtige Folter zu erzielen, müsste man die Reihenfolge umkehren, was nützt es, wenn ich jemanden köpfe und danach erst.... :untertauch:) .


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard
    ...
    (Um aber reine richtige Folter zu erzielen, müsste man die Reihenfolge umkehren, was nützt es, wenn ich jemanden köpfe und danach erst.... :untertauch:) .
    ...


    Vielleicht ein Hinweis darauf, dass Osmin gar nicht so bösartig ist, auch wenn er das dauernd von sich behauptet.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?