Hallo,
ich möchte noch etwas zu George Enescu sagen. Ich schätze seine Klavierwerke (Luiza Borac, AVIE, 2003) und Musik für Cello und Klavier (Viviane Spanoghe, André de Groote, Classic Talent, DomMusic) sehr. In den CD-Beilagen findet man ganz erstaunliche und auch ergreifende Angaben zu Enescus Person. So soll er ein musikalisches Genie gewesen sein, ein Frühreifer, der mit 11 schon komponierte, kein Werk das er hörte jemals vergas, sofort nach Gehör fehlerfrei und mit genauem Ausdruck ziemlich alle bekannte Klaviermusik nachspielen konnte (er spielte virtuos mehrere Instrumente, er war einer der bekanntesten Geiger seiner Zeit), usf., man möchte es garnicht alles glauben. Dabei war er doch immer ein freundlicher, bescheidener Mensch, der zu seinem Lebensende in Paris lebte in einem Zimmer mit Stuhl, Bett, Tisch und einem Schrank. Er hätte es besser haben können, aber er wollte keine Unterstützung annehmen. Oder doch: befragt, was er sich wünsche, antwortete er: “Ein Löffel Marmelade”. "Und er stürzte sich darauf wie eine Katze auf ihre Milch."
Einmal sagte er “Wenn ich alles notieren würde, was ich im Kopf habe, hätte ich 100 Jahre zu tun.” Aber ihn ereilte Krankheit und eine Schreibblockade. Was hätten wir, wenn ihm die 100 Jahre beschieden gewesen wären? Schon die drei Klaviersuiten (AV0013) sind im Stil höchst unterschiedlich, und die Doppel-CD (AV2081) mit Nocturne, Prelude und Fuge, und den zwei Klaviersonaten erweitert den Reichtum seiner Ausdrucksmöglichkeiten nochmals. Es ist eine sehr organische, lebendige Musik, die aber niemals aufschreckt und verstört, das hat sie nicht nötig. Sie lässt mich stattdessen bei jedem Hören etwas Neues entdecken, das ich vorher nicht bemerkte, es ist eine ganz unaufdringliche Komplexität und Virtuosität. Ich bin sehr froh, Enescus Musik kennengelernt zu haben und denke jetzt besonders an das “Andante molto expressivo” der 1. Klaviersonate, mit seinen über den Feldern herüberwehenden Glockenklängen, eine Meditation über das rumänische Wort “Dor”, für das es kein deutsches Äquivalent gibt, und das Sehnsucht, Nostalgie, Liebesschmerz, Wehmut gleichermassen bedeutet.
Ich möchte damit nicht sagen, dass seine Musik traurig ist, für mich aber ist eine sehr spezielle Melancholie, oder eine Zartheit, jedenfalls ein demverwandtes Gefühl, der Kern seines Individualstiles, der sich sonst nicht festmachen lässt.
Viele Grüsse Julius
Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »Julius« (27. Dezember 2009, 16:55)