Ist Bruckner "Feuer" ? - Freie Assoziationen

  • Liebe Forianer,
    Eigentlich wollt ich heute bereits Bruckner mal zu Seite schieben und mich wieder für einge Zeit den "Wiener Klassikern " widmen, da hat Klaus in einem der beiden Bruckner-Marthé Threas, die Frage aufgeworfen: "Ist Bruckner Feuer ?"


    Ich nehme an , daß jeder Forianer weiß was da gemeint war.


    So ist beispielsweis Glut und Feuer , obwohl miteinander verwandt - in der Musik etwas völlig anderes.


    Wie einige schon bemerkt haben werden - ein experimenteller Thread.
    Sowas fällt einem nicht täglich ein - ich nutze die Gunst der Stunde:


    Was assoziiert Ihr überhaupt wenn Ihr Bruckner hört ?


    Feuer, Glut, Gewitter, Sturm, Totenstille, Weihrauch, fliesendes Wasser ? etc


    Oder ist es eine Farbe in die ihr versinkt ?


    Bin gespannt


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo,


    Bin doch einmal bei der Neunten wegen Übermüdung (nicht wegen der Musik) eingedößt. Kurz vor dem Erwachen, die Musik lief noch, überfiel mich ein Gedanke oder Traum: Engel unterhielten sich über wichtige geheimnisvolle Dinge, nur ich verstand nicht was sie redeten, da ich ihre Sprache (Musik) nicht übersetzen konnte. Selbst der Komponist (Bruckner) verstand es nicht, aber er schrieb es nieder. Merkwürdiger Traum.


    Gruß
    Jörg

  • Es ist schwer zu sagen, ob Bruckner Feuer ist.
    Die Zeitstrukturen bzw. -verläufe und die Energieflüsse sind für mich bei Bruckner so gänzlich anders und ich habe bis auf einige Schubert-Strukturen keine vergleichbaren Abläufe in der Musikgeschichte gefunden.
    Es würde mich daher interessieren, ob jemand Parallelen zu Bruckner bei anderen Komponisten verspürt.

    "Play, man, play!" (M. Davis)
    "We play energy!" (J. Coltrane)

  • Für mich ist Bruckner Wasser und zwar ein fließender großer und breiter Strom, nie so rasch und wild wie ein Gebirgsfluss aber stellenweise etwas bewegter wie die Donau bei Hochwasser.
    Alternativ könnte man mehr das Sakrale herausarbeiten, das bei Bruckner immer irgendwie mitschwingt und seine Musik mit einer großen Kathedrale vergleichen...


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Hallo Bruckner-Freunde,


    für mich ist Bruckner Feuer.
    Aber erst seit dem ich die Bruckner-Sinfonien kenne und dadurch beim Hören vorher weiß, was mich erwartet.


    In diesem Satz steckt sehr viel, den muß man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen.
    Hört man das erste Mal Bruckner, der mit seinem Urnebel anfängt, so wird sich noch kein Feuer einstellen, erst dann, wenn es zu den ersten Ausbrüchen kommt; kennt man das Werk bereits, so ist gleich die Spannung da die durch die großen Stimmungkontraste innerhalb Bruckners Tonsprache unbeschreiblich wirkt.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • "Strom" ist ein guter Ausdruck. Was mich speziell bei Bruckner fasziniert, ist der völlig andersartige Fluss und das Phänomen, dass jede Note des Stromes mit absoluter Klarheit und Stringenz aus der Vorhergehenden gespeist wird. Zugegebenermassen bevorzuge ich Interpretationen, bei denen ich dieses Naturereignis in seiner gesamten Vielfalt verfolgen und erleben kann, also breite Tempi.
    Was ich oft vermisse, ist das Ausmusizieren der Entspannung, um so einen Neuansatz der Steigerung möglich zu machen.

    "Play, man, play!" (M. Davis)
    "We play energy!" (J. Coltrane)

  • In letzter Konsequenz ginge es dabei um Wesen und Bedeutung von Bruckners Musik. Und zwar in einem absoluten, über das Genre Musik hinausreichenden Sinne (wie Jan Peter Marthé es für seine Bruckner-Deutung auch zu reklamieren scheint ;). In dem geschlossenen Thread schrieb ich ja schon, daß seine Äußerungen in einem anderen Kontext durchaus 'richtig' sein könnten).


    Wie andere auch empfinde ich, daß Bruckner auf eine merkwürdige Weise aus der Kompositionsgeschichte herausfällt (oder -ragt). Seine Tonsprache bedient sich zwar der Mittel seiner Zeit, aber sie ist fremd, wie von 'anderswo' her. Es haftet ihr - zunächst mal in einem neutralen Sinne - etwas Unvergleichliches an. Ich denke mal, daß es im tiefsten Kern das war, was z. B. einen Hanslick so verstört hat und was andere dazu bewog, seine Kompositionen für das Konzertpublikum 'hörbar' machen zu wollen.


    Für mich ist es deshalb schwierig, die angesprochenen Kategorien wie Feuer, Glut, Wasserstrom etc. mit Bruckner zu assoziieren. Auch mit Begriffen wie Kathedralen, riesige Bögen, Klangblöcke, Monumentalarchitektur; Zeit und Raum u. ä. tue ich mich schwer. Vielleicht, weil sie im Versuch, Bruckner zu charakterisieren, auch schon ein wenig vernutzt sind. Selbst der Kosmos-Aspekt, wie ihn Günter Wand im Sinne der Statik der brucknerschen Klanggebilde eingebracht hat, ist m. E. nicht schlüssig: der Kosmos ändert sich rasend, wir merken es nur nicht, weil wir so kurz leben. Bruckners Kosmos rast, es herrscht ein unwahrscheinlicher Sog in seiner Sinfonik, ein Drive, ein Rhythmus (was mit den vom Dirigenten gewählten Tempi m. E. wenig bis nichts zu tun hat).


    Wir verstehen die Welt nicht, weil wir bei ihrem Anfang nicht dabei waren. Vielleicht hat es 'Anfang' gar nicht gegeben. So, von daher, könnte Bruckner zu uns sprechen, was wir in der konkreten Welt noch entdecken und erfahren müssen. Und an uns selbst.


    Freundliche Grüße

  • Für mich ist Bruckner nicht Feuer, sondern vielmehr Erde.
    Es gibt bei den Historikern des Mittelalters die schöne Theorie daß die gotischen Kathedralen eigentlich Wäldern nachempfunden sind. Das die alten keltischen Waldheiligtümer / heiligen Wälder sich in dieser Form mentalitätshistorisch wiederspiegeln, quasi als heidnische Unterwanderung des Christentums.
    Und Bruckners Musik ist für mich so eine Art steinerner, und zugleich lebendiger (sakraler/heiliger) Wald.


    Andreas

    Per aspera ad astra

  • ich kenne bruckners musik erst seit ungefähr 10 jahren. vorher wusste
    ich nur, dass er ein oberöstereichischer komponist war. seit dem ersten
    kontakt mit einer seiner symphonien (entweder die 8te oder die 4te),
    bin ich von dieser musik fasziniert.


    für mich ist bruckners musik (nicht er ,-) pure, hemmungslose erotik.


    faun

    die kritik ist das psychogramm des kritikers (will quadflieg)

  • ich hätte mit nicht erwartet, daß es zu derart unterschiedlichen Deutungen kommt. Erotik - das wäre das Letzte was mir bei Bruckners Musik einfiele.


    Hiebei muß allerdings berücksichtigt werden, daß speziell Bruckners Sinfonien interpetationssensibel sind, das heißt, sie sind wandelbar wie ein Chamäleon.


    Obwohl ich die Eingangsfrage selbst gestellt habe - oder vielleicht gerade deshalb - bin ich momentan nicht in der Lage sie zufriedenstellend zu beantworten, lediglich soviel würde ich behaupten, Bruckner ist eher Wasser als Feuer, ein gigantischer Strom, mit zahlreichen Nebenarmen die nie zum Ende kommen .........


    Vielleicht liegt auch Nebel über diesm Fluß, der gelegentlich aufreißt und dann die Sonne im Fluß spiegeln lässt ???


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    ich hätte mit nicht erwartet, daß es zu derart unterschiedlichen Deutungen kommt. Erotik - das wäre das Letzte was mir bei Bruckners Musik einfiele.


    Doch, beim Adagio der Achten war es das Erste, was mir auf- und einfiel...


    Natürlich bewegen wir uns mit solchen Assoziationen auf einem schmalen Grat - von der Erhabenheit zur Lächerlichkeit... usw.


    Berninis Kunstwerk - und das ist ein alter Hut - hat eine hocherotische Komponente; die tiefinneren Bezüge von Eros und Katholizismus sind auch bei Bruckner vorhanden, sogar überdeutlich, wenn man sich darauf einläßt. Der Puls von Bruckners Musik beschließt das Geheimnis der Liebe in sich ein. Es ist eine der Meta-Ebenen seiner Bedeutung überhaupt.

  • Wenn man Bruckners Äusserungen wörtlich nehmen bzw. seinen Biographen glauben darf, dann habe er das Adagio der VIII. aus unglücklicher bzw. unerwiderter Liebe zu einer Angebeteten namens Marie Demar geschrieben. Das Bruckner bezüglich dieses speziellen Symphonie-Satzes zugeschriebene Zitat lautet wörtlich: "Da habe ich wohl einem Mädchen zu tief in die Augen geschaut."


    Die Sinnlichkeit in Bruckners Musik wurde oft in den Interpretationen negiert, Bruckner wurde sicher oft aus religiöser, mystizistischer, chauvinistischer, katholischer, national(sozial)istischer etc. Sicht interpretiert, wobei die persönlichen Biographien der Dirigenten eine Rolle gespielt haben mögen.


    Für mich ist die Sehnsucht, Erotik, Sinnlichkeit oder einfach Liebe ein integraler - wenn nicht sogar der wesentliche - Bestandteil seiner Musik. Interpreten wie Boulez, die primär auf Struktur abzielen (ich war als St. Florianer wie Edwin beim Boulez-Konzert der VIII. mit den Wiener Philharmonikern in St. Florian dabei, eines meiner schrecklichsten und enttäuschendsten Konzerterlebnisse) bereiten mir körperliche Schmerzen bzw. Entzugserscheinungen.


    Ohne hier wieder einen Streit anfachen zu wollen: meine Lieblingsinterpreten bei Bruckner sind (in dieser Reihenfolge): Celibidache, Peter Jan Marthe, Giulini, Fabio Luisi, Simon Rattle.



    P.S. Die ideologische Vereinnahmung Bruckners, die sich auch in der Interpretationsgeschichte nachvollziehen lässt (Katholizismus, Nationalsozialismus, Deutschtum, Volkstum, Struktur, Wagnerianismus, Programmmusik, absolute Musik u.v.m.) bleibt ebenfalls noch zu diskutieren.

    "Play, man, play!" (M. Davis)
    "We play energy!" (J. Coltrane)

  • :D - schön.


    In meinem thread "Erotik in der Musik" bin ich zum Teil noch als exterrestrisches Wesen angesehen worden...


    ;-)
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Am Samstag war es mal wieder soweit. Ich habe mir meine Kopfhörer auf die Ohren gestzt und bin zu Bruckners 5ter durch die Schrebergärten ab in meinen Lieblingseichenwald. Ich war wie immer überwältigt von dieser Einheit aus Natur und Musik. Sofort war ein Thread in Planung. Nicht wie dieser, aber so ähnlich. Im Geiste schrieb ich Seitenlange Beiträge. Und jetzt? Jetzt geht es mir wie Alfred. Mir fehlen die Worte....


    Trotzdem ein ganz kleiner Versuch.
    Überirdisch. Sakral ohne nach Kirchenmusik zu klingen. Melancholisch belehrend. Nein drohend. Orgastisch! Strom. Fluss. Lüfte. Fliegen. Schweben. Erlösung. Dialog. Rückzug.


    Nur ein paar wirre Gedanken...


    Euer Gallo

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Erotik für die Ohren vielleicht ...


    Nun, ich finde die Gedanken meines Vorredners keinesfalls wirr. Wie kann man solche Musik wirklich beschreiben ?(


    Sehr schön wurde gesagt, dass die fünfte auf eine sehr eigene Weise höchst sakral ist. Das genau ist Bruckner! Aus diesem Grunde ist Feuer wie Wasser ein Teil dieser Musik!

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

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  • Hätte Bruckner nicht so viele unerfüllte Sehnsüchte hätte er diese Musik nicht schreiben können. Hier lebt er sie aus.
    Seine kurz vor der Ekstase abgebrochenen Höhepunkte - und dann beginnt es wieder von ganz sachte und baut sich wieder auf bis zum endgültigen Orgasmus - das ist Erotik pur. Heute würde man vielleicht weniger romantisch Koitus interuptus dazu sagen.

    lg
    Georg Andreas
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    Nur was stecken bleibt tut weh. Was im Fluß
    ist wird dorthin geschwemmt, wo es hingehört.