Hallo Forumsgemeinde,
durch Alfreds Schließung des letzten "Marthé-Threads" ist eine Frage von klaus unbeantwortet geblieben.
Da ich den Themenkomplex in der gestellten Frage und den nachfolgenden Ausführungen sehr interessant und diskutabel finde, erlaube ich mir einen neuen Thread zu eröffnen.
klaus schrieb:
ZitatWie steht das Forum zu den Tempi? (der neunten Sinfonie; Anmerkung von Norbert)
a) Aufhebung des Kopfsatz-Allegros durch Bruckner, Tempovorschrift "Misterioso"
b) interpretatorisch verlangt dies vielleicht eine (bei aller Verehrung für LvB "Ent-Beethovenisierung" (Zitat Erwin Horn) der Interpretation - Musik, die wie ein gewaltiger gelassener Lavastrom aus sich selbst kommt und in Analogie zu Schubert eigentlich nirgends "hin will" sondern einfach "ist" - für mich durch PJM und durch Giulini und Celibidache verwirklicht
c) wie schnell soll das Tempo des Scherzos sein, um die Harmonien wahrnehmen zu können? (s.a. Eroica)
d) wer die Preiser-Homepage besucht hat, hat vielleicht auch die höchst interessante Aufnahme von Sigismund von Hausegger (Uraufführungsinterpret der Urtextfassung) gefunden, die im Tempo wesentlich schneller ist. Meine Frage daher: Musizieren wir heute - in den für mich schlüssigen Tempi (Peter Jan Marthe, Celibidache, Simon Rattle, Thielemann, Giulini, Fabio Luisi, Asashina) - Bruckner zu langsam oder werden wir endlich seinen Intentionen gerecht? Zur Sicherheit möchte ich auf die Briefe Bruckners an Nikisch u.a. Dirigenten verweisen, in denen er vor zu schnellen Tempi warnt. Auch die Lektüre des Finales der VIII. (v.a. Reprise und Coda) ist empfehlenswert.
e) Sollte jemand daran interressiert sein, in welcher klanglichen Form Bruckner seine Symphonien zu Lebzeiten gehört hat - nämlich oft auf zwei Klavieren im Richard-Wagner-Verein durch seine Schüler und Freunde - so bin ich gerne bereit, eine Aufnahme der IX. (ohne Finale, die hat er natürlich nie gehört) auf zwei Klavieren zu übersenden. Die V. hat er jedoch nur auf 2 Klavieren gehört, da er der orchestralen Uraufführung aus gesundheitlichen Gründen fernbleiben musste. Allerdings könnten die Tempi für manche Forianer beinahe eine Vivisektion sein, für mich jedenfalls sind sie schlüssig.
Des Weiteren einige Sätze von Christian Thielemann zur 5. Sinfonie: "Um Bruckner wirklich zu verstehen, muß man sich wohl erst einmal auf die Langsamkeit einlassen - seine Musik ist nicht im eigentlichen Sinne feurig. Für den Hörer von heute bedeutet das die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Zwangsläufig findet er dann heraus, daß in dieser Langsamkeit sehr wohl ein unglaubliches Feuer ist. Allerdings lodert es unter der Oberfläche".
Gibt es ein "richtiges Bruckner-Tempo"?
Ist es langsamer als das, das heute idR gespielt wird?
Wird man Bruckner eher gerecht, wenn man langsamere Tempi wählt?
Fragen über Fragen. Die Diskussion ist eröffnet...
Anmerkung: Es geht mir nicht ausschließlich um die 9. Sinfonie, aber sie darf gerne, angesichts der Tatsache, daß wir uns in letzter Zeit sehr intensiv mit ihr beschäftigten, im Vordergrund stehen.
Letzte Anmerkung an klaus zu Punkt e): Ich wäre durchaus interessiert...