Locke ist Tot - wie soll es nun weitergehen in der Musik ?

  • das soll Henry Purcell ausgerufen haben, als ihm die Nachricht vom Tode seines Lehrers und Freundes Matthew Lockes überbracht wurde.


    Matthew Locke ist selbst eingefleischten Barockliebhabern nur flüchtig bekannt,
    so ist er doch der größte Komponist vor Purcell in England und der führende Musiker der Restorationsepoche.




    Matthew Locke (Stich nach einem Gemälde von Isaac Fuller)


    Matthew Locke wurde um 1622 in der Grafschaft Devon in England geboren.
    Seine musikalische Ausbildung erhielt er als Chorknabe am Dom zu Exeter, dort lernte er auch das Orgelspiel bei John Lugge und hatte Kontakt zu Edward Gibbons, dem Bruder des berühmteren Orlando Gibbons (welcher der Hofkapelle und dem Kammerensemble Charles I. angehörte)
    1677 starb er als einer der hochangesehnsten Musiker seiner Zeit.


    Locke war Katholik und ein absolut loyaler Royalist. Während des Bürgerkriegs kämpfte er auf der Seite des Königs, gegen die Rundköpfe.
    Als die Royalisten schließlich geschlagen wurden, ging er zusammen mit Prince Charles ins niederländische Exil.
    Ob er ihm auch nach Frankreich folgte ist ungewiss, betrachtete man aber Lockes Kompositionen könnte das durchaus im Bereich des Möglichen sein. Zumal ihn Prince Charles schon jetzt sehr schätzte.


    Aus dieser Zeit stammen auch die ersten erhaltenen Kompositionen Lockes „Sammlungen von Canzonen aus meinem 1648 Aufenthalt in Holland“.


    Glücklicherweise ist diese Handschrift im Original erhalten und enthält neben Canzonen auch Motetten im italienischen Stil.
    Mit der Gründung des Commonwealth kehrte der Friede in England ein und Locke kehrte bald nach England zurück.
    Dies soll gegen 1651 / 1652 geschehen sein.


    Die Consort Music Lockes


    Aus diesem Zeitraum ist ein weiteres Manuskript erhalten, ein Buch mit mehreren Sammlungen von Streichermusik - seine phänomenalen Werke für Gamben Consort.
    Die Sammlung die noch heute in der british Library liegt sind folgende Werke Lockes zusammengefasst:
    „Compositions for Brocken and Whole Consorts of Two, Three, Five, and Six Parts – made by Matthew Locke, Composer in Ordinary to his Majesty.
    Die Sammlung ist in 7 Zyklen eingeteilt:


    „Duos for Bass Viols (datiert mit 1652 vom Komponisten)
    „For serveral Friends“
    “The Little Consort of 3 Parts for Viols or Violins” (datiert mit 1651, veröffentlicht 1656)
    “The Flat Consort for My Cousin Kemble”
    “Thje first Part of the Brocken Consort “
    “The Second Part of the Brocken Consort”
    “and a Consort of Fower Parts“ ,
    Locke erklärt im Vorwort er habe diese Sammlung für Herrn Wake zusammengestellt, als Unterrichtsmaterial für dessen Schüler.



    Diese Sammlung ist jedoch weitaus mehr als Unterrichtsmaterial!
    Sie ist die wohl bedeutenste Sammlung von Consort Musik aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, denn sie bringt eine alte Gattung zu einem krönenden Abschluß. Ein wahres Monument der englischen Musik!
    Oft sind die Werke Lockes als unvollkommen, unausgegoren bezeichnet worden, und man hat den Consort Stücken von Purcell den Rang zugebilligt, der Gipfel dieser Tradition zu sein.
    Zu Unrecht ! Gegen diese wahrhaft genialen Kompositionen sind Purcells Consort Stücke nichts weiter als das was auch Purcell in ihnen gesehen hat, bloße Stilübungen.
    Locke vereint die alte Tradition der Fantasien mit den neuen französischen Tänzen.
    So sind die Consort Suiten folgendermaßen aufgebaut: Sie beginnen mit einer freien kontrapunktischen Fantasie, gefolgt von einer Courante, einem Ayre das wiederum eher frei ist und beschlossen wird eine jede Suite mit einer Sarabande.
    Im 17. Jahrhundert waren Sarabanden noch schnelle lebhafte Tänze, anders als im beginnenden 18. Jahrhundert.
    In den Tänzen erweißt sich Locke als großartiger Kenner der französischen Musik, sowie in den freien Stücken als Bewahrer und Vollender der englischen Tradition.


    Was diese Stücke so bemerkenswert macht ist die Möglichkeit ein erweitertes Coninuo zuzufügen, so rücken diese Consort Stücke in die Nähe italienischer Sonaten eines Bertali oder Valentini, auch die Verwendung der Violinen verstärkt diesen Eindruck.
    Am Hofe dürfte es durchaus üblich gewesen sein, dass man die königlichen Harfen und Lautenspieler hinzugezogen hat. Wärend es bei der alten Consort Music üblich war nur mit der Kammerorgel den Baß zu spielen.




    1656 ist seine Zusammenarbeit mit Sir William Davenant belegt, da kurze Zeit später die erste englische Oper aus ihrer Zusammenarbeit entstand „The Siege of Rodos“ (1656)


    1659 entstand die Masque „Cupid and Death (James Shirley) in der Zusammenarbeit mit Christopher Gibbons.


    die geistliche Musik Lockes




    Charles Stuart / Charles II. (Krönungsgemälde von John Michael Wright)


    1660 war endlich die Ära Cromwell vorbei und Prince Charles kehrte nach England zurück, man könnte meinen die Engländer hätten sich dieses Ereignis seit Jahren herbei gesehnt, denn Charles wurde möglichst schnell zum König gekrönt und bestieg als Charles II. den englischen Thron.
    Charles II. ist als der „lustige Monarch“ in die Geschichte eingegangen und er ist auch einer der Monarchen der sowohl während seiner Regierung und sogar noch bis Heute tiefe Verehrung erfährt.
    Matthew Locke wurde von Charles sofort in Dienst gestellt, er erhielt den Auftrag die Musik zu seiner Krönung zu schreiben.
    Locke unterwarf sich ganz den Vorstellungen seines Königs, ebenso wie es Lully bei Louis XIV getan hatte.
    Von Charles II. sagte man, er habe die Fantasien gehasst und wollte nur Musik hören, zu der er den Takt schlagen könne....
    So ist es nicht verwunderlich, dass selbst die Kirchenmusik tänzerische Einflüsse erhielt.


    Er komponierte vornehmlich katholische Musik, also wurden lateinische Texte vertont, in der englischen Musik dieser Zeit nicht gerade oft anzutreffen. Die Kirchenmusik ist geprägt von der Verwendung der "25 Violins", sie ist auch stilistisch recht ähnlich mit Werken Pelhams Humfreys die aus der gleichen Epoche stammen.
    Vom König erhielt er die höchsten musikalischen Ämter, er wurde Leiter der King’s Privat Musik, sowie der Leiter der „25 Violins“ (Von Charles II. nach dem Vorbild des Hoforchesters Louis XIV gegründet) und Leiter der Holzbläser-Ensembles am Hofe, sowie königlicher Organist der katholischen Kapelle der Königin.



    Die Bühnenmusiken Lockes


    Für den königlichen Hof als auch die Theater in London entstanden weitere Bühnenwerke, die das Genre der „Semi Operas“ vorbereiten.


    Diese Bühnenwerke waren nicht einfaches Theater mit Musik, sonder spektakuläre Barockfeste. So ließ es sich weder der Hof noch die Theater in der Stadt es nehmen, ähnlichen Pomp zu veranstalten wie man es von Versailles oder Wien her kannte.
    Die Bühnentechnik war hier also ähnlich aufwendig wie in den Theatern auf dem Kontinent.
    Und auch die Musik betreffend wurden keine Kosten gescheut.


    So fand zu Lockes Masque "The Empress of Marocco" eine regelrechte Seeschlacht auf der Bühne statt:



    Für die privaten Aufführungen des Königs gibt es verschiedene Berichte. Charles ließ aus Frankreich extra Flöten und die neuen Oboen importieren, diese Musiker traten sogar auf der Bühne auf, oder wahren so postiert, damit sie jeder sehen konnte - zwecks Angeberei.


    Es gibt aber auch frivole Berichte, so dass es häufig vorgekommen sei, das die Tänzerinnen nackt aufgetreten seien, da Charles eine Vorliebe für hübsche Tänzerinnen hatte, seine Triebhaftigkeit brachte ihm ja schließlich die Syphilis ein...




    1672 entstand die Bühnenmusik zu Macbeth
    (Purcell zugeschrieben, was sich aber als Werk Lockes entpuppte)


    1673 „The Empress of Marocco“ (Elkanah Settle)


    1674 die großartige Bühnenmusik zu „The Tempest“ (Thomas Shadwell nach Shakespear)
    (ebenfalls zuerst Purcell zugeschrieben)


    Im Laufe der Jahrzehnte (dieses Werk war noch zu Händels Zeiten das meistgespielteste Theaterstück mit Musik!) wurden einige Musiknummern ausgetauscht und es ist kaum mehr nachvollziehbar was von wem stammte.
    So wurde das Werk irrtümlicherweise Purcell zugeschrieben und noch von der Musikwissenschaftlern überschäumend gerühmt:


    „das reifste Werk Purcells für das Theater...“
    „... der Sturm ist ein Schatz von guten Einfällen...“
    „...Der vorherrschende Eindruck ist zunächst Bewunderung und Freude, dann aber ein bedauern, weil diese so fruchtbare Reife und Meisterschaft so bald schon versiegen sollte...)



    Als sich 1960 herausstellte, dass dieses Werk (bzw. die Instrumentalstücke der Urfassung) von Locke und nicht von Purcell stammte, war auf einmal das Interesse an dem Werk wie weg geblasen.
    Eine absolut unangemessene und lächerliche Verhaltensweise seitens der Wissenschaft.



    Im Jahre 1675 entstand schließlich die erste Semi Opera „Psyche“ uraufgeführt am Dorset Garden Theatre.


    Das Werk ist überaus prächtig. Orientierte sich Locke doch an dem gleichnamigen Werk, dass Lully und Molière 1671 im Louvre auf die Bühne brachten.
    Elegante Tänze, großartige Arien, prächtige Chöre, die ganze Bandbreite des Hoforchesters wird zum Einsatz gebracht.
    Psyche ist wohl eines der schönsten Werke des englischen Barock.


    Lockes Freund, Henry Purcell sollte auf diesen großartigen Werken aufbauen und leider auch den gesamten Ruhm der Nachwelt in Anspruch nehmen.


    Abschließend kann man nur noch sagen, Locke gehört wohl zu den genialsten englischen Komponisten überhaupt. Seine Musik ist ein Meilenstein der englischen Musiktradition, ohne ihn hätte es Purcell nie gegeben.
    Es wird Zeit, dass seine Musik die so wunderschön und großartig ist endlich mehr Beachtung zukommt.




    Aufnahmen gibt es ja glücklicherweise einige gute und sie geben der Wertschätzung seiner Zeitgenossen, der des Königs und schließlich auch Purcells mehr als Recht:



    Consort of Fower Parts
    Hesperion XX - Savall


    wer könnte die Musik für Gamben Consort besser einspielen als Savall ?


    eine sehr schöne Alternative hierzu ist diese Aufnahme:



    Consort of Fower Parts
    Flanders Recorder Quartett



    The Broken Consort Part I
    The Parley of Instruments - Holman


    Eine ganz wundervolle Interpretation, dieser grandiosen Musik.



    Anthems, Motets and Ceremonial Music
    Choir of New College Oxford
    The Parley of Instruments - Higginbottom


    ein gelungener Querschnitt durch die geistliche Musik Lockes.



    The Enchanted Island - Music for a Restoration Tempest
    The Musicians of the Globe - Pickett


    (Locke, Humfrey, Weldon, Purcell etc....)


    Eine sehr schön zusammengestellte Bühnenmusik.



    Psyche, an english Opera
    The New London Consort - Pickett


    eine meiner liebsten Barockplatten überhaupt!



    Four and Twenty Fiddlers - Music for the Restoration Court Band
    (Locke, Banister, Grabu, Purcell)
    The Parley of Instruments - Holman


    Eine ganz wundervolle Zusammenstellung für das Geigenorchester des englischen Königs.

  • Da habe ich doch glatt die schönste Aufnahme der Bühnenmusik zu "The Tempest" vergessen:




    Locke: The Tempest
    Biber: Battaglia / Partia IV / Passacaglia für Laute
    Zelenka: Fanfare


    Il Giardino Armonico




    Diese wunderbare Bühnenmusik ist sowohl komplett hier eingespielt, sowie auf den oben genannten CD's "Four and Twenty Fiddlers" und "The Enchanted Island"


    Die Einspielung von "Il Giardino Armonico ist da aber natürlich wesentlich fetziger, die von Holman am elegantesten.



    Erstaunlich ist, dass es auch viele französische Komponisten nach England verschlagen hatte, zum einen weil Charles II. sich beklagte dass seine Musiker nichtmal in der Lage seien eine einfache französische Courante zu spielen, zum anderen gibt es gegen 1673 eine wahre Auswanderungswelle - warum ?


    Nun in Paris hatte Lully langsam eine Allmachstellung errungen, dass es für viele Musiker so keine Zukunft mehr gab. Der berühmteste Auswanderer war wohl Robert Cambert, der ja als der Schöpfer der ersten frz. Oper (Pomone 1672) gilt.


    Es dürfte sehr wahrscheinlich sein, dass er mit Locke zusammentraf, den Cambert wurde von Charles recht wohlwollend am Hofe empfangen.
    1677 wurde er allerdings unter misteriösen Umständen ermordet - man geht davon aus, dass es ein Auftragsmörder seiner vielen Gläubiger gewesen ist.


    Dann James Paisible, 1673 ebenfalls nach England übergesiedelt, er gilt Heute als derjenige der die Oboe nach England brachte.


    Der Kontakt zwischen den Musikern scheint weniger von Neid geprägt gewesen zu sein, wie in Frankreich. So war es durchaus üblich, das Paisible selbst die neuen Blasinstrumente in den Werken Lockes oder in denen des Hofkapellmeisters Nicholas Staggins spielte.
    Paisible ist ein weitere Komponist der Heute im Schatten Purcells steht, auch er schrieb unzählige hochkarätige Bühnenmusiken.




    und hier noch zwei leicht verwandte Threads:


    Restoration - englische Barockmusik nach Sonnenkönig Art


    Consort Music - Musik für Charles Stuart