Die Bachkantate (039): BWV14: Wär Gott nicht mit uns diese Zeit

  • BWV 14: Wär Gott nicht mit uns diese Zeit
    Kantate zum 4. Sonntag nach Epiphanias (Leipzig 1735)




    Lesungen:
    Epistel: Röm. 13,8-10 (So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung)
    Evangelium: Matth. 8,23-27 (Jesus schläft auf einem Schiff, wird geweckt und besänftigt den wütenden Sturm)



    Fünf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 18 Minuten


    Textdichter: unbekannt; inspiriert aber vom titelgebendem Choral aus dem Jahr 1524
    Choral (Nr. 1 und 5): Martin Luther (1483-1546)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe I + II, Horn, (Trompete), Violino I/II, Viola, Continuo



    1. Choral SATB, Horn, Oboe I + II, Streicher, Continuo
    Wär Gott nicht mit uns diese Zeit,
    So soll Israel sagen,
    Wär Gott nicht mit uns diese Zeit,
    Wir hätten müssen verzagen,
    Die so ein armes Häuflein sind,
    Veracht’ von so viel Menschenkind,
    Die an uns setzen alle.


    2. Aria Sopran, Horn (oder Trompete), Streicher, Continuo
    Uns’re Stärke heißt zu schwach,
    Unser’m Feind zu widerstehen.
    Stünd’ uns nicht der Höchste bei,
    Würd’ uns ihre Tyrannei
    Bald bis an das Leben gehen.


    3. Recitativo Tenor, Bass, Continuo
    Ja, hätt’ es Gott nur zugegeben,
    Wir wären längst nicht mehr am Leben,
    Sie rissen uns aus Rachgier hin,
    So zornig ist auf uns ihr Sinn.
    Es hätt’ uns ihre Wut
    Wie eine wilde Flut
    Und als beschäumte Wasser überschwemmet,
    Und niemand hätte die Gewalt gehemmet.


    4. Aria Bass, Oboe I + II, Continuo
    Gott, bei deinem starken Schützen
    Sind wir von den Feinden frei.
    Wenn sie sich als wilde Wellen
    Uns aus Grimm entgegenstellen,
    Steh’n uns deine Hände bei.


    5. Choral SATB, Horn, Oboe I + II, Streicher, Continuo
    Gott Lob und Dank, der nicht zugab,
    Dass ihr Schlund uns möcht’ fangen.
    Wie ein Vogel des Stricks kömmt ab,
    Ist uns’re Seel’ entgangen:
    Strick ist entzwei, und wir sind frei;
    Des Herren Name steht uns bei,
    Des Gottes Himmels und Erden.




    Für seinen 2. Kantaten-Jahrgang (für die Jahre 1724 bis 1725), den Bach im Amt des Leipziger Thomaskantors komponierte, hatte er sich die anspruchsvolle Aufgabe gestellt, jeder Kantate einen zum jeweiligen Sonntag passenden Choral zugrunde zu legen, der textlich wie melodisch die Leitschnur der gesamten Kantate bilden sollte.


    Diese darum auch als "Choralkantaten-Jahrgang" bezeichnete Sammlung ist allerdings in dem erwähnten Zeitraum nicht ganz vollständig geworden.
    Das hatte mitunter ganz profane Gründe: Nicht jeder Sonntag des Kirchenjahres kommt in jedem Jahr vor, weil z. B. der Termin des Osterfestes ja variiert.
    So war es auch 1725: Ostern lag relativ früh und somit gab es den heutigen 4. Sonntag nach Epiphanias nicht, es war also keine Komposition einer Choralkantate nötig.
    Für alle so fehlenden Sonntage seines Choralkantaten-Jahrgangs hat Bach im Laufe der folgenden Jahre die Kompositionen sukzessive nachgeholt, um seine "Sammlung" zu komplettieren.
    So kommt es z. B., dass die hier besprochene Kantate BWV 14 mit einem Entstehungsdatum im Jahre 1735 (demnach also kurz nach Vollendung des Weihnachtsoratoriums) eine der am spätesten entstandenen Bach-Kantaten überhaupt ist.


    Wie schon in BWV 81 dreht sich in der Kantaten-Dichtung alles um die Sturm-Episode des Sonntagsevangeliums und die in die Jetzt-Zeit übertragene Furcht der Christen vor einem Verlassensein von Gott, bzw. der Angst vor einer Bedrohung durch nicht näher benannte Feinde.


    Für die Arie Nr. 2 habe ich widersprüchliche Angaben gefunden, was das den Sopran begleitende obligate Soloinstrument betrifft:
    Mal ist von einem (Jagd-) Horn, mal von einer Trompete die Rede - ein ziemlich großer Unterschied, wie ich finde...
    Evtl. weiß einer von Euch hier Näheres zur Besetzung, bzw. es finden sich verschiedene Einspielungen, die sowohl das eine wie auch das andere Instrument einsetzen?? Ich bin gespannt!
    Organisatorisch würde einiges für das Horn sprechen, denn es kommt außer in der erwähnten Arie auch noch im Eingangschor vor (und wie gewöhnlich quasi ad libitum auch im Schlusschoral)....

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Für die Arie Nr. 2 habe ich widersprüchliche Angaben gefunden, was das den Sopran begleitende obligate Soloinstrument betrifft:
    Mal ist von einem (Jagd-) Horn, mal von einer Trompete die Rede - ein ziemlich großer Unterschied, wie ich finde...
    Ich bin gespannt!
    Organisatorisch würde einiges für das Horn sprechen, denn es kommt außer in der erwähnten Arie auch noch im Eingangschor vor (und wie gewöhnlich quasi ad libitum auch im Schlusschoral)....


    Lieber Bach-Freund!


    Mir lag die Kantate in der Aufnahme von Rilling vor. Wieder eine der Kantaten, die nicht zu den mitreißenden Glanzlichtern zählt, die melodiösen Farben sind doch zu düster-, fast wie das Wetter an diesem grauen Tag. Mitreißend ist dafür die Arie Nr.2. Knapp und prägnant wird der Hörer auf eine allesverwandelnde Zusage geführt: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Das reichte mir an Stärkung für diesen Morgen! Das Horn gab auch eine zuverlässige und stabile Grundierung ab, Trompetenbegleitung empfinde ich in dieser Arie zu spitz und schrill. Und ich werde mit diesem Motiv in meinen Gedanken aus diesem verregneten Sonntag noch was machen!


    Gruß


    Adamo

    Magnificat anima mea

  • Hallo Wolfgang,


    auf dem Autograph der Kantate steht eindeutig Corno da caccia. Dass du Angaben gefunden hast, dass diese Partie mit Trompete besetzt wird, ist insofern nicht ganz falsch, als dass das Corno da caccia mehr bauliche Gemeinsamkeiten mit einer Trompete als mit einem Horn hat. Man könnte sogar sagen, dass es - von kleinen Abweichungen mal abgesehen - nur eine aufgerollte Trompete ist.


    Die gleichnamige Entwicklung von Herrn Güttler hat mit dem von Bach verlangten Instrument allerdings nur die Tatsache gemein, dass beide aus Metall gefertig sind.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Hallo Thomas,


    interessante Info - da wäre ich gar nicht drauf gekommen.


    Das erklärt, warum in den von mir befragten Kantatenführern beide Instrumente erwähnt werden und keiner der Autoren daran zu zweifeln scheint, dass seine Angabe evtl. nur eine Besetzungsalternative wäre...


    Genau das hat mich ja so irritiert - normalerweise steht bei unklaren Fakten ja zumindest ein entsprechender Hinweis auf diesen Umstand in den Erläuterungen. Und hier war eben nichts dergleichen zu finden, weder bei Alfred Dürr (Trompete), noch bei Arnold Werner-Jensen (Jagdhorn) - jetzt weiß ich auch, warum hier die Betonung auf Jagdhorn (Corno da caccia) lag und er nicht - wie sonst üblich - lediglich Horn geschrieben hat. :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Das corno da caccia ist ein konisches Instrument und wird daher auch
    der Hornfamilie zugerechnet. Corno da caccia als aufgerollte Trompete
    zu bezeichnen ist nicht richtig: die Trompete ist zylindrisch und generiert einen ganz anderen Ton als ein corno da caccia.


    Güttler, ein Meister beider Instrumente, hat also zur richtigen Kanne bei der Kantate gegriffen...

    :):):)

  • Hallo allegro_assai,


    da sitzt du einem Irrtum auf. Das Ding heißt zwar Corno, aber das Rohr ist zum großen Teil zylindrisch wie bei den Trompeten und nicht konisch wie bei den Hörnern.


    Aber allein ein Vergleich der Instrumente zeigt ganz deutlich, dass Güttlers Version am eigenen Geschmack orientiert ist und nicht am historischen Vorbild. Vermutlich kennst du das Bild von Gottfried Reiche, dem Leib- und Magentrompeter Bachs, welches im Leipziger Rathaus hängt. Darauf ist er mit einem Corno da caccia abgebildet. Auf diesem Bild kann man ziemlich gut erkennen, dass das Rohr erst am Schallstück konisch wird. Und auch bei einem erhaltenen Instrument von 1730 vom Nürnberger Instrumentenschmied Friedrich Ehe, welches in Salzburg im Museum Carolino Augusteum befindet, ist das Rohr zylindrisch.


    Aber man möge sich selbst eine Meinung bilden, ob Güttler die "richtige Kanne" gewählt hat:


    ......



    Übrigens hat Güttler das nicht erfunden, auf beiden Instrumenten gut zu sein, denn es war zu Bachs Zeiten schon so, dass die Trompeter auch das Corno da caccia gut beherrschten - eben aufgrund der baulichen Nähe beider Instrumente zueinander.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Der Gottfried Reiche Kupferstich hat Nachbauten
    inspiriert z.B. von Finke mit Grifflöchern, auch
    von Thein in Bremen.
    Dieses gewundene Instrument, ohne Ventile,
    wird als Clarintrompete in runder Bauform bezeichnet.
    Häufig wird auch der Begriff Jägertrompete verwendet.


    Eingesetzt wurde es zB. bei Bachs BB2 mit Concentus,
    damals mit Walter Holy als Trompeter.