BWV 83: Erfreute Zeit im neuen Bunde
Kantate zum Fest Mariae Reinigung (Leipzig, 2. Februar 1724)
Lesungen:
Epistel: Mal. 3,1-4 (Der Herr wird zu seinem Tempel kommen)
Evangelium: Luk. 2,22-32 (Darstellung Jesu im Tempel)
Fünf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 20 Minuten
Textdichter: unbekannt
Choral: Martin Luther (1524)
Besetzung:
Soli: Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe I + II, Horn I + II, Violino solo, Violino I/II, Viola, Continuo
1. Aria Alt, Oboe I + II, Horn I + II, Violino solo, Streicher, Continuo
Erfreute Zeit im neuen Bunde,
Da unser Glaube Jesum hält:
Wie freudig wird zur letzten Stunde
Die Ruhestatt, das Grab bestellt!
2. Aria (Choral + Recitativo) Bass, Streicher, Continuo
Herr, nun lässest du deinen Diener in Friede fahren, wie du gesaget hast.
Was uns als Menschen schrecklich scheint,
Ist uns ein Eingang zu dem Leben.
Es ist der Tod
Ein Ende dieser Zeit und Not,
Ein Pfand, so uns der Herr gegeben
Zum Zeichen, dass er’s herzlich meint
Und uns will nach vollbrachtem Ringen
Zum Friede bringen.
Und weil der Heiland nun
Der Augen Trost, des Herzens Labsal ist,
Was Wunder, dass mein Herz des Todes Furcht vergisst?
Es kann erfreut den Ausspruch tun:
Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast für allen Völkern.
3. Aria Tenor, Violino solo, Streicher, Continuo
Eile, Herz, voll Freudigkeit
Vor den Gnadenstuhl zu treten!
Du sollt deinen Trost empfangen
Und Barmherzigkeit erlangen,
Ja, bei kummervoller Zeit
Stark am Geiste kräftig beten.
4. Recitativo Alt, Continuo
Ja, merkt dein Glaube noch viel Finsternis,
Dein Heiland kann
Der Zweifel Schatten trennen;
Ja, wenn des Grabes Nacht
Die letzte Stunde schrecklich macht,
So wirst du doch gewiss
Sein helles Licht
Im Tode selbst erkennen.
5. Choral SATB, Oboe I + II, Horn I + II, Streicher, Continuo
Er ist das Heil und selig Licht
Für die Heiden,
Zu erleuchten, die dich kennen nicht,
Und zu weiden.
Er ist dein’s Volks Israel
Der Preis, Ehr’, Freud’ und Wonne.
Die Tatsache, dass Bach auch für einige Marienfeste Kantaten komponiert hat (z. B. auch für "Mariae Verkündigung" am 25. März), hat mich zu Beginn meiner Beschäftigung mit seiner geistlichen Vokalmusik schon etwas überrascht, galt er für mich doch als so etwas wie das musikalische "Urbild des Protestantismus" - und das passte in meinem klischeebeladenen Kopf einfach nicht mit den für mich als typisch katholisch "abgestempelten" Marienfesttagen zusammen.
Aber im Leipzig des 18. Jahrhunderts (und gewisslich auch anderswo zur damaligen Zeit) war die Tradition, einige Marienfesttage mit Gottesdiensten zu begehen, auch gut 200 Jahre nach der Reformation noch nicht abgerissen. Vielleicht weiß einer von Euch, wann selbige dann tatsächlich geendet ist? Vielleicht im Rahmen der Säkularisation, die mit Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts viele jahrundertealte Traditionen hinwegfegte??
Jedenfalls können wir dankbar für die Tatsache sein, dass es diese Feiertage zu Bachs Zeiten auch bei den Protestanten noch gab, denn sonst wären einige besonders schöne Bachkantaten nie komponiert worden!
Neben BWV 83 sind das noch BWV 125, BWV 82 und wohl auch BWV 200.
Heute am 2. Februar ist nun also "Mariae Reinigung", volkstümlich auch gerne als "Mariä Lichtmess" bekannt.
Da diese Begriffe (und deren Bedeutung) nicht jedem geläufig sein dürften, will ich kurz dazu ein paar Erläuterungen geben:
Nach den mosaischen Gesetzen, die die Grundlage des Judentums bilden, galt eine Frau nach der Geburt eines Knaben 40 Tage, nach der Geburt eines Mädchens sogar 80 Tage als unrein (warum auch immer). Zur Reinigung am Ende dieses Zeitraums hatte die Frau dem Priester ein Reinigungsopfer darzubringen, meist eine oder zwei Tauben, es konnte aber auch ein Schaf sein...
Naja - wenn man jetzt nun den Geburtstag von Jesus am 25. Dezember nimmt und dann 40 Tage weiter rechnet - schwupps! - schon sind wir am heutigen Tag angelangt!
Heute ist also der Tag, an dem Maria nach jüdischer Tradition das Reinigungsopfer nach der Geburt ihres ersten Sohnes im Tempel darbrachte, daher der Name des heutigen (Feier-) Tages.
Da Jesus Marias Erstgeborener war, kam noch eine weitere Sonder-Regel jüdischer Tradition zum Tragen:
In Erinnerung an die Passa-Nacht (also die Nacht, bevor das Volk Israel aus Ägypten zog und der Engel des Herrn durch Ägypten zog und alle männlichen Erstgeborenen tötete und nur die Häuser verschonte, deren Türen als Zeichen mit dem Blut eines geschlachteten Lammes bestrichen waren) galten bei den Juden seitdem alle männlichen Erstgeborenen als Eigentum Gottes und mussten ihm im Tempel übergeben (oder vor ihm "dargestellt") werden. Die Eltern lösten das Kind dann durch ein weiteres Tier- oder Geldopfer wieder aus.
Daher nennt man den Festtag "Mariae Reinigung" auch "Festtag der Darstellung des Herrn" (oder sinngemäß so ähnlich) - eine Bezeichnung für diejenigen, die den Fokus am heutigen Tag nicht so sehr auf Maria, sondern lieber auf Jesus legen möchten
Das Evangelium des heutigen Tages bezieht sich auf diese Begebenheit und erwähnt auch die Begegnung Maria, (Josefs) und Jesus mit dem greisen Simeon und der nicht minder jüngeren Prophetin Hannah im Tempel, die beide in dem Kind den verheißenen Messias erkennen und ihn als kommenden Erlöser Israels preisen.
Dem Simeon war verheißen worden, dass er nicht eher stürbe, bevor er nicht den Messias gesehen habe. Und mit dieser Begegnung erfüllt sich für den alten Simeon nun diese Prophezeiung - er sieht sein Leben erfüllt und stimmt seinen berühmt gewordenen Lob- (und Sterbe-) Gesang, das "Nunc dimittis" ("Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren") an, eine der Stellen der Evangelien, die wie das "Magnificat" (den Lobgesang der Maria) sehr, sehr oft von den verschiedensten Komponisten aller Epochen vertont worden ist.
Die Dichter der Kantaten, die Bach für Mariae Reinigung vertont hat, haben sich in ihren Texten -typisch für die Barockzeit- hauptsächlich mit diesem Gedanken aus dem "Nunc dimittis" befasst: Durch die Begegnung mit dem Heiland ist das weitere irdische Leben nunmehr quasi bedeutungslos geworden, eigentlich könnte man ja auch direkt sterben, um endlich im Paradies endgültig und ewiglich mit Gott vereint zu sein. Damit verliert der Tod jeden Schrecken - er wird quasi zum willkommenen Helfer, der den Übergang vom irdischen zum jenseitigen Leben ermöglicht.
Ein Gedankengang, der uns Heutigen doch etwas fremd geworden ist, aber durchaus dem gläubigen Empfinden der damaligen Christen entsprochen haben dürfte (so oft, wie diese Thematik in der Dichtung des Barock aufgegriffen wird).
Bach zeigt sich in der hier besprochenen Kantate BWV 83 mal wieder von seiner expermientierfreudigen Seite:
Die Mischung aus Rezitativ und Choral/ Psalmodie, die er den Bass in der Nr. 2 vortragen lässt, ist äußerst expressiv und sprengt eigentlich sämtliche strengen Satzvorstellungen der Barockmusik:
Einzig wichtig für Bach ist der deutliche Vortrag und die musikalische Ausdeutung des Textes, dem ordnet er alles formale zunächst einmal unter, ein sehr moderner Gedankengang, wie ich finde!
In diesem Satz wird der Beginn des erwähnten "Nunc dimittis", also des Lobgesangs Simeons, wörtlich zitiert und musikalisch entsprechend seiner Bedeutung entsprechend betont.
Bach scheint zum Zeitpunkt der Komposition dieser Kantate einen besonders fähigen und spielfreudigen ersten Violinisten an der Hand gehabt zu haben: In den Arien Nr. 1 und Nr. 3 wird die Solo-Violine ausgiebig und herrlich virtuos zum Einsatz gebracht, ich weiß gar nicht, welche von beiden ich schöner finde! Auch der Solotenor darf sich in Nr. 3 in teilweise fast schon instrumental zu nennender Art und Weise mit der Violinstimme "duellieren" - ein ganz fantastisches Stück!