Die Bachkantate (049): BWV126: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort

  • BWV 126: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort
    Kantate zum Sonntag Sexagesimae (Leipzig, 4. Februar 1725)




    Lesungen:
    Epistel: 2. Kor. 11,19-12,9 (Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig)
    Evangelium: Luk. 8,4-15 (Gleichnis vom Sämann)



    Sechs Sätze, Aufführungsdauer: ca. 22 Minuten


    Textdichter: unbekannt; inspiriert aber vom titelgebendem Choral aus dem Jahr 1542
    Choral (Nr. 1 sowie in Nr. 3): Martin Luther (1483-1546); Nr. 6: Luthers Übersetzung der Antiphon „Da pacem Domine“ (1531) und Johann Walter (1566)



    Besetzung:
    Soli: Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe I + II, Trompete, Violino I/II, Viola, Continuo



    1. Choral SATB, Trompete, Oboe I + II, Streicher, Continuo
    Erhalt’ uns, Herr, bei deinem Wort
    Und steu’r des Papsts und Türken Mord,
    Die Jesum Christum, deinen Sohn,
    Stürzen wollen von seinem Thron.


    2. Aria Tenor, Oboe I + II, Continuo
    Sende deine Macht von oben,
    Herr der Herren, starker Gott!
    Deine Kirche zu erfreuen
    Und der Feinde bitter’n Spott
    Augenblicklich zu zerstreuen.


    3. Recitativo (+ Choral) Alt, Tenor, Continuo
    Alt
    Der Menschen Gunst und Macht wird wenig nützen,
    Wenn du nicht willt das arme Häuflein schützen,
    Beide
    Gott Heil’ger Geist, du Tröster wert,
    Tenor
    Du weißt, dass die verfolgte Gottesstadt
    Den ärgsten Feind nur in sich selber hat
    Durch die Gefährlichkeit der falschen Brüder.
    Beide
    Gib dein’m Volk einerlei Sinn auf Erd’,
    Alt
    Dass wir, an Christi Leibe Glieder,
    Im Glauben eins, im Leben einig sei’n.
    Beide
    Steh bei uns in der letzten Not!
    Tenor
    Es bricht alsdann der letzte Feind herein
    Und will den Trost von unser’n Herzen trennen;
    Doch lass dich da als unser’n Helfer kennen.
    Beide
    G’leit uns ins Leben aus dem Tod!


    4. Aria Bass, Continuo
    Stürze zu Boden, schwülstige Stolze!
    Mache zunichte, was sie erdacht!
    Lass sie den Abgrund plötzlich verschlingen,
    Wehre dem Toben feindlicher Macht,
    Lasst ihr Verlangen nimmer gelingen!


    5. Recitativo Tenor, Continuo
    So wird dein Wort und Wahrheit offenbar
    Und stellet sich im höchsten Glanze dar,
    Dass du vor deine Kirche wachst,
    Dass du des heil’gen Wortes Lehren
    Zum Segen fruchtbar machst;
    Und willst du dich als Helfer zu uns kehren,
    So wird uns denn in Frieden
    Des Segens Überfluss beschieden.


    6. Choral SATB, Trompete, Oboe I + II, Streicher, Continuo
    Verleih’ uns Frieden gnädiglich,
    Herr Gott, zu unser’n Zeiten;
    Es ist ja doch kein and’rer nicht,
    Der für uns könnte streiten,
    Denn du, unser Gott, alleine.


    Gib unser’n Fürst’n und aller Obrigkeit
    Fried’ und gut Regiment,
    Dass wir unter ihnen
    Ein geruh’g und stilles Leben führen mögen
    In aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit.
    Amen.



    Diese Choralkantate hat einen "Klassiker" von Martin Luther zum Inhalt, der gleich zu Beginn mit ziemlich starkem Tobak (zumindest für ein Kirchenlied) aufwartet.
    Es überrascht sicherlich nicht, dass im heutigen Evangelischen Kirchengesangbuch dieser Choral zwar nach wie vor enthalten ist, der Beginn aber in eine deutlich entschärfte Version umgewandelt wurde:

    "Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort/ und steu're deiner Feinde Mord,/ die Jesus Christus, deinen Sohn/ wollen stürzen von deinem Thron."


    Aber als historisches Textdokument ist der alte Luther-Choral in seiner ursprünglichen Form natürlich hochinteressant - mich würde interessieren, ob in den verschiedenen Einspielungen auf die "scharfe" Ur-Version zu Gunsten der "diplomatischeren" Umdichtung verzichtet wurde - man möchte es sich ja z. B. nicht mit papstophilen CD-Käufern verscherzen ;)


    Die Textdichtung dieser Kantate hält sich wiederum an das Gleichnis vom Sämann, wobei es allerdings diesmal weniger Bezüge an die eigentliche Geschichte gibt, als mehr auf die daraus resultierende Botschaft vom Wort Gottes, das ja mit der aufgehenden Saat verglichen wird, die auf dem Weg zum Keimen und Wachsen mancherlei Bedrängnis und Gefahr ausgesetzt ist.


    Jedenfalls ist der Eingangschoral eine klassische Choralbearbeitung Bachs: Der Sopran trägt die einzelnen Liedzeilen vor, während alle anderen Stimmen (vokale wie instrumentale) ihn einfallsreich umspielen.


    Das Rezitativ Nr. 3 ist eine interessante Mischung aus Rezitation der beiden Solotimmen Alt und Tenor und einem Duett beider Stimmen, sobald sie eine Choralzeile zusammen vortragen. Ich bewundere in solchen Nummern immer den nimmermüden Einfallsreichtum Bachs, der sich für "experimentelle" Sätze wie diesen (keine klassische Arie oder Duett, kein typisches Rezitativ, sondern "irgendwas dazwischen") stets etwas Neues einfallen lässt und sich nie in stereotyper Weise wiederholt! :jubel:


    Die Arie Nr. 4 ist -obwohl "nur" eine Continuo-Arie (die müssen trotz sparsamster Instrumentierung ja nicht immer langweilig sein :] )- ein wirklich tolles, sehr mitreißendes Stück! Ich mag es ja immer, wenn in Arien wie dieser auch mal richtig "die Post abgeht" - Bach lässt die Stimmen passend zum Text richtig schön schwungvoll zu Boden und in den Abgrund stürzen! Ganz tolles Stück!!
    Der Abgrund, der die schwülstigen Stolzen plötzlich verschlingen soll, erinnert mich frappant an den "Donner-Chor" aus der Matthäus-Passion - da gibt es eine ähnliche Textpassage. Wer weiß, vielleicht hat sich hier wie da der Herr Picander als Textautor versucht??

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)


  • Hallo Marc,


    also mir ist keine Einspielungsvariante bekannt, bei der die modernisierte Textfassung verwendet wird.( Kennst Du da etwas?) Ich fände dies auch äußerst befremdlich -der Kantatentext ist ja auch ein Zeitdokument und als solches deutbar!
    Die Kantate bewegt sich dabei sicher in einer lange überlebten Sphäre der strammen lutherischen Orthodoxie - aber ist nicht auch die Lebenswelt eines " Ich freue mich auf meinen Tod" sehr weit von uns weg? ( ob das in DIESEM Fall allerdings ein Fortschritt war, bleibt abzuwarten!)
    Im gottesdienstlichen Gebrauch hingegen finde ich es bei aller Sympathie für den lieben polterigen Bruder Martin angemessen, solche Schlachtengesänge zu vermeiden, hier geht es ja um die Gemeinde und den einzelnen Gläubigen in der Gegenwart.
    Allerdings erscheint mir manche ökumenisierte Choralfassung kraftloser als das Original - ein wenig gegen den römischen Stachel löcken ist in freundschaftlicher Verbundenheit schon noch erlaubt.Aber dies ist ein anderes Thema...!


    Gestern hab ich Rilling gehört, solide Interpretation - den stärksten Eindruck hat wieder mal das alte, schlichte " Verleih uns Frieden gnädiglich" gemacht

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!