Mahler-Zyklus in Berlin

  • Hallo,


    ein Bekannter hat mich jüngst auf folgendes tolle Event aufmerksam gemacht:


    Im Rahmen der Festtage 2007 der Staatsoper Berlin werden dieses Jahr sämtliche Sinfonien und Orchesterlieder von Gustav Mahler aufgeführt, vom 01. bis 12. April. Das ganze findet offensichtlich als Gastspiel in der Philharmonie statt.


    Die Konzerte sind hochkarätig besetzt, Boulez und Barenboim dirigieren die Staatskapelle Berlin, Solisten werden u.a. Quasthoff, Michelle DeYoung, Burkhart Fritz und andere sein.


    Ich kenne mich wenig aus in der Kultur-Welt Berlins und beginne erst allmählich mich für große Orchester-Musik zu interessieren, aber eine derartige Veranstaltung erscheint mir doch recht einmalig und auch hier im Forum erwähnenswert zu sein..?!



    P.S.: Spontan hab ich mich zum Kauf einer Karte für "Das Lied von der Erde" hinreißen lassen..Studenten haben's ja.. :D



    Liebe Grüße, der Thomas (in Vorfreude auf den 11.04.). :hello:

  • Hallo.


    Ich denke auch, dass der Mahler-Zyklus mit der Staatskapelle ein sehr ambitioniertes Unterfangen ist. Im vergangenen Jahr hatte ich hier bereits die 8. unter Boulez erleben können. Das hat mich etwas zwiespältig gelassen. Aber das mag daran liegen, dass die 8. nun mal bombastisch ist.
    Grundsätzlich würde mich Boulez aber noch mal reizen, nur Barenboim brauche ich nicht. Ich habe Auszüge aus seiner aktuellen Einspielung der 7. gehört, und die haben mich mehr verschreckt als interessiert.


    Da ich um Ostern aber ohenhin arbeiten muss, stellt sich für mich die Frage des Besuchs auch nicht ernsthaft.


    :hello:


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo Thomas!


    Dankesehr für die Info!
    Bisher habe ich nur Mahlers 8. und 'Das Lied von der Erde' kennen gelernt bzw. ein paar mal gehört.
    Aber gerade die 8. würde mich doch live sehr reizen. Mal schauen, was der Peter davon hält und was die Preise sagen...vielleicht werden wir dann auch mal auf der 'Gästeliste' auftauchen.


    Lieben Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Ich werde nicht auf der Gästeliste auftauchen.
    Auch wenn mich Boulez oder Barenboim reizen würden, 60€ aufwärts sind doch ein zu großer Happen.
    Das Konzert mit der Achten ist schon ausverkauft.
    Man sollte sich also mit dem Kartenbestellen beeilen, es gibt nicht mehr viel.



    Gruß, Peter.

  • Zitat

    Original von petemonova
    Ich werde nicht auf der Gästeliste auftauchen.
    Auch wenn mich Boulez oder Barenboim reizen würden, 60€ aufwärts sind doch ein zu großer Happen.


    Das ist so nicht ganz richtig. Die Preise sind gestaffelt in 26,-, 39,-, 62,-, 75,-, 86,- und 99,- EUR, je nach Sitzplatz.


    Die 39er Karten schienen mir das beste Preis-Leistungsverhältnis zu sein. So kann man die Sänger wenigstens von der Seite betrachten :)



    Liebe grüße, der Thomas. :hello:

  • Hallo Thomas,


    das ist schon richtig, nur sind die günstigsten Plätze so gut wie alle ausverkauft. Selbst 39€ sind mir schon viel zu viel, für 26 hätte ich es mir überlegt.

  • Hallo zusammen,


    scheinbar waren Boulez, Barenboim und die Staatskapelle Berlin im Januar / Februar unterwegs, um Teile des Mahler-Zyklus vorzustellen. Ich habe hier in München Mahlers 5. mit Boulez gehört, war allerdings nicht durchgehend begeistert. Einige Stellen klangen für mich eher ungenau und auch unsauber (in den Bläsern), was ich bei Boulez eher nicht erwartet hätte. Es kann natürlich an der Tagesform gelegen haben. Ich habe jedenfalls auch schon kurz überlegt, Ostern in Berlin zu verbringen :)


    Das ist jetzt übrigens mein erster Beitrag in diesem Forum, ich muss also noch üben. :rolleyes:


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Der Zyklus hat am Sonntag begonnen - gestern (Montag) abend in der Philharmonie gehört und gesehen:


    Gustav Mahler, Sinfonie Nr.2


    mit der Berliner Staatskapelle unter Pierre Boulez (und dem Staatsopernchor sowie den Solistinnen Petra Lang und Dorothea Röschmann).



    In einem Interview aus Anlass der Festivitäten hat Barenboim zu Recht darauf hingewiesen, dass Mahler-Sinfonien leider auch bei schlechten Aufführungen ihre Wirkung auf das Publikum nicht verfehlen. Davon ist die Zweite besonders betroffen: ich kann mich allein an zwei schlechte, aber sehr effektvolle und deshalb erfolgreiche Aufführungen erinnern und an eine extrem virtuose (und auch effekthascherische) unter Rattle, die mich mit gespaltenen Gefühlen zurückgelassen hat.


    Derlei ist bei Boulez nicht zu befürchten. Die Temporückungen und Orchesterattacken bleiben stets in Fluss und Logik der Musik eingebunden, verselbständigen sich nicht (wobei letzteres manchen Stellen, etwa dem orchestralen "Aufschrei" gegen Ende des dritten Satzes, auch eine eigene Qualität verleihen kann). Es fällt auf, dass Boulez eher langsame Grundtempi wählt (insb. im ersten Satz, im "Urlicht" und in Teilen des Finales). Großartige Transparenz des Klangs, man hört (fast) alles und auch manches, was ich noch nie gehört habe. Besonders die "schwarzen" Regionen des Orchesterklangs (Bässe, Fagotte, tiefe Hörner, Posaunen, Tuba, Tamtam, große Trommel) werden betont, ohne dass das jemals plump klingen würde. Fabelhafte Umsetzung durch die Staatskapelle, mit leichten Abstrichen bei Hörnern und Trompeten. Schöne Leistungen der Solistinnen und des Chors (den man sich beim ersten Einsatz vielleicht noch leiser hätte vorstellen können). Höhepunkt der Aufführung war hier wirklich einmal das Finale: Boulez lässt es nicht zur Überwältigungsorgie mit brutalen Schlagzeuggewittern verkommen, sondern zwingt es unter einen Spannungsbogen. So schien es mir jedenfalls - in der heutigen Dienstags-Ausgabe der "Berliner Zeitung" urteilt Peter Uehling dagegen schon vor diesem Konzert, dass Boulez der langweiligste Mahler-Dirigent aller Zeiten sei.


    Dröhnende Ovationen für alle Beteiligten, insbesondere für Boulez, der darauf (für seine Verhältnisse) geradezu jugendlich beschwingt reagierte.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,


    eine kurze, neben dem eigentlichen Thema liegende, Frage: Wann hast Du die 2. mit Rattle gehört; im vergangenen September in Berlin? Damals war ich nämlich auch in der Philharmonie und wirklich begeistert. Insofern würde mich der Grund Deiner Zwiespältigkeit interessieren.
    Boulez habe ich mit der 8. Mahler im vergangenen Jahr im Konzerthaus erlebt. Damals war ich etwas zwiespältig, da ich eigentlich nur die leiseren, kammermusikalisch wirkenden Passagen beispielsweise des zweiten Satzes, als wirklich "schön" empfand. Im monumentalen Final-Satz wirkte auf mich manches seltsam unbeteiligt.


    :hello:


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo lohengrins,


    die Zweite mit Rattle habe ich 1999 in Salzburg mit den Wiener Philharmonikern gehört: das war eine Aufführung, in der (von Mahler ja durchaus gewollte) Kontraste in puncto Tempo und Dynamik bis zum letzten ausgereizt wurden. Eine technisch fulminante Leistung der auch physisch ungeheuer engagiert spielenden Philharmoniker, die ich selten auf diesem überragenden Niveau gehört habe. Buchstabe und Geist der Partitur geben eine solche Lesart durchaus her - und doch hatte ich den Eindruck, einer reinen Demonstration orchestraler Virtuosität beizuwohnen, einer Abfolge wirkungsvoller "Stellen" (das ist natürlich ein rein subjektives Urteil ohne jede Verbindlichkeit). Trotzdem ist es eines der Konzerte, an die ich auch heute noch öfter zurückdenke. Vielleicht dirigiert Rattle die Sinfonie heute ja anders?


    Bis zu einem gewissen Grad entspricht Boulez ja dem Klischee, das über ihn im Umlauf ist: sparsame Gestik, die selbst dann, wenn bei Mahler die Welt zusammenbricht, einen bestimmten Radius nicht überschreitet, dabei immer sehr kontrolliert wirkend. Das sind durchaus "sachliche" Interpretationen, die aber ganz ausgefeilt sind und (was besseres fällt mir jetzt nicht ein :rolleyes: ) "die Musik selbst sprechen lassen". Gerade der rhetorisch überbordenden Zweiten tut ein solcher Ansatz m.E. sehr gut.


    Heute folgt für mich noch die Dritte mit Boulez - ich bin sehr gespannt.


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Hallo,


    auf DLR Kultur (auch über Internet-Stream unter "www.dlf.de" empfangbar) wird gerade Mahlers Dritte mit der Staatskapelle unter Boulez live aus der Philharmonie übertragen.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Gestern (Dienstag) abend also in der Philharmonie:


    Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 3


    mit der Berliner Staatskapelle unter Pierre Boulez, der Altsolistin Michelle DeYoung, den Aurelius-Sängerknaben aus Calw sowie dem weiblichen Teil des Staatsopernchors.


    Die Dritte ist mir nach der Neunten unter allen Mahler-Sinfonien die liebste - was für ein kühnes Meisterwerk ist doch der erste Satz, mit seiner aus der Tiefe entwickelten Klanggewalt (Kontrabässe, Fagotte, die Posaunensoli - und dagegen die lange schweigenden Geigen), wie schlüssig (und wie viel origineller als in der Zweiten) ist die "Erzählung" dieser Sinfonie, die das Unvereinbare (Nietzsche und Bimmbamm) zusammenzwingt.


    War die Zweite unter Boulez "nur" eine sehr gute Aufführung, so geriet die Dritte zu einer überragenden Interpretation. Höhepunkt war der erste Satz, makellos und mit phänomenaler Klangkultur von der Staatskapelle bewältigt, von Boulez überlegt aufgebaut, mit traumsicheren Tempo- und Dynamikrelationen, ganz transparent (noch nie habe ich in dem wirbelnden Themenpotpourri am Ende der Durchführung die "mit furchtbarer Gewalt" auszuführenden Sechzehntelläufe der Streicher so deutlich gehört) und doch unmittelbar mitreißend. Überrascht hat mich, wie sehr Boulez die faszinierenden zirkushaften, vulgären Elemente dieser Musik betont - die verblüfften, zurückzuckenden Reaktionen einiger Zuhörer zeigten die unveränderte Sprengkraft solcher Klangsphären. Auch die fünf weiteren Sätze gelangen hervorragend: Nietzsche-Satz und Schlussadagio in fliessenden, nicht verschleppten Tempi, ebenso die Posthornepisoden im dritten Satz: nicht (vorsätzlich oder versehentlich) sentimental oder bedeutungsschwanger, sondern ganz einfach. Die zwei bis drei Kiekser des Posthornisten (der leider wieder ein Flügelhorn spielte - hier wäre wirklich einmal ein HIP-Experte gefragt!) gehören ja bei Aufführungen irgendwie dazu. Ansonsten hervorragende Bläser, nur die (sonst vorzüglichen) Posaunisten hatten mit der hohen Tessitura im Nietzsche-Satz leichte Probleme. Gute (nicht überragende) Chöre. Wunderbar ausdrucksvoll Michelle DeYoung im vierten und fünften Satz ("Ach komm und erbarme dich!") - nur an zwei Stellen gab es Schwierigkeiten mit der deutschen Diktion ("O Mäansch!", "Häarzeleid").


    Insgesamt für mich eines der bewegendsten Konzerterlebnisse der letzten Zeit. Wie hast Du es im Rundfunk erlebt, Giselher? Würde mich sehr interessieren!


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,


    ich kann Deine Eindrücke nur bestätigen. Da war nichts von einem angeblich "kalten", "lobotomisierten" und "emotionslosen" Mahler-Dirigat zu hören, das Boulez gelegentlich nachgesagt wird. Die Höhepunkte wurden durchaus mit Schmackes exekutiert, ich meinte teilweise, die Druckwelle des Schlagzeuges und der Becken durch die Lautsprecher spüren zu können. Faszinierend fand ich vor allem die Art von "Spektralklang", die Boulez bei der Staatskapelle erzeugte: absolut transparent und durchhörbar (selbst die Harfen am Ende des 1. Satzes), toll auch Gleichzeitigkeit der orchestralen "Ereignisse" im oberen und unteren Klangspektrum. Die Tempi waren für meinen Geschmack rundum richtig gewählt, natürlich fliessend, wie Du schon gesagt hast, de Young war auch sehr gut. Insgesamt würde ich dem Ganzen das Prädikat "Kontrollierte Extase" zuerkennen. Es hat sich jedenfalls gelohnt und ich werde am Ostermontag auch der Übertragung der 8. mit Boulez lauschen!


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo!


    Ich konnte zumindest den ersten Satz des gestrigen Konzerts verfolgen - im Auto (danach hatte ich leider einen Termin). Leider schreibe ich deshalb, weil ich das gern im ganzen verfolgt hätte. Zunächst glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen. So schroff, so hart klang mir das zu Beginn. Und so grübelte ich, ob es sich um ein Konzert des aktuellen Mahler-Zyklus handeln könnte, mit Barenboim? mit Boulez? Von sachlich oder emotionslos jedenfalls tatsächlich keine Spur. Dagegen Überblick beim Aufbau und der Entwicklung - und kein kaltes Herz dabei.
    Hoffentlich bin ich Ostermontag rechtzeitig mit der Arbeit fertig, sodass ich die 8. dann (noch mal) unter Boulez hören kann.


    :hello:


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo Giselher und lohengrins,


    Zitat

    Original von GiselherHH
    Faszinierend fand ich vor allem die Art von "Spektralklang", die Boulez bei der Staatskapelle erzeugte: absolut transparent und durchhörbar (selbst die Harfen am Ende des 1. Satzes), toll auch Gleichzeitigkeit der orchestralen "Ereignisse" im oberen und unteren Klangspektrum.



    Zitat

    Original von lohengrins
    Von sachlich oder emotionslos jedenfalls tatsächlich keine Spur. Dagegen Überblick beim Aufbau und der Entwicklung - und kein kaltes Herz dabei.


    das alles habe ich genauso gehört. Frappierend, dass die dynamischen Höhepunkte in der Tat mit enormem Schmackes daherkamen und TROTZDEM ganz durchhörbar blieben. Auch der "Charles-Ives-Effekt" mit den zwei verschiedenen übereinandergelagerten Tempi am Beginn der Reprise wurde perfekt vermittelt.


    Weitere Konzerte des Mahler-Zyklus werde ich leider nur noch über den Internet-Stream verfolgen können...


    Viele Grüße


    Bernd