Anton Bruckner - eine Kultfigur ?

  • Derzeit führt wohl kein Weg am Thema Anton Bruckner vorbei.


    Ganz verstehen kann ich das nicht, seine Musik ist doch eher langatmig und wuchtig - ein absoluter Gegegensatz zum heutigen Zeitgeschmack und Zeitgeist, wo "spannende und spritzige" Interpretationen gewünscht, gefragt und gefordert sind.


    Helmut Andres hat das Thema dieses Threads in einem anderen Thread auf den Punkt gebracht:


    Warum hat sich seine Musik in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts – ähnlich wie die Mahlers – so durchgesetzt?



    Genau das habe ich mich auch gefragt - zudem noch, wie so eine unheroische Person wie Anton Bruckner es war, plötzlich zur "Kultfigur" hochstilisiert werden konnte....


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Tatsache, daß auf Alfreds Frage bisher keine Reaktionen vorliegen, obgleich Tamino schon als 'brucknerlastiges' Forum bezeichnet wurde, mag die Schwierigkeiten einer leichten Beantwortung beleuchten. Jedenfalls ist es offensichtlich nicht so, daß den Taminos Antworten auf Anhieb und zuhauf einfielen.


    Ich denke, daß sich diese Frage im Rahmen eines Forenbeitrags und ohne gründliche Befassung mit dem Thema auch kaum schlüssig beantworten läßt, wenn überhaupt. Da ich angesprochen bin, will ich zumindest episodische Hinweise versuchen, die ich z. T. schon in anderen Threads 'gestreut' habe. Der Gefahr, mich als Nicht-Musiker schwer zu überheben, blicke ich dabei tapfer ins Auge :].


    Einfach könnte man es sich mit der Behauptung machen, daß Bruckners Zeit nun endlich gekommen sei. Die Frage nach dem Warum wäre damit natürlich nicht beantwortet. Aber an der Sache mit der Zeit ist schon was dran. Wenn man ein kollektives Unterbewußtsein unterstellen kann, also etwas, was unter dem Mainstream des Zeitgeistes (Zitat Alfred: 'spannende und spritzige Interpretationen') waltet, dann dürften die Schlüssel zum Verständnis von Bruckners Aktualität am ehesten hier zu finden sein.


    Wie ich an anderer Stelle schon schrieb, mutet (mich) Bruckners Musik auf eigentümliche Weise völlig fremdartig an ('wie von anders her'), auch wenn sie sich des instrumentatorischen und kompositorischen Rüstzeugs ihrer Zeit bedienen mag (beides dabei fortentwickelnd). Die Fremdartigkeit könnte der Widerhall des Verlassenseins sein, dem sich der heutige Mensch immer stärker ausgesetzt fühlt. In vielen Zeitaltern hat es Endzeitstimmungen gegeben, jede zuende gehende Epoche ist zwangsläufig davon erfaßt. Das Zusammenwachsen der Welt ('Globalisierung') bedeutet zunächst einmal und unentrinnbar auch den Verlust von Heimat, besser der Heimat der Gefühle – ob in Religion, Arbeitswelt oder Familie und 'Sippe'. Darüber können auch all die hippen neuen Verbünde und Lebenswelten nicht hinwegtäuschen. Der Einzelne ist einsamer denn je. Und abhängiger von Prozessen, die er nicht mehr durchschaut, mag er noch so gebildet oder trainiert sein – unsere Politiker sind das allfällige Musterbeispiel dafür.


    Wie komme ich dann auf die Idee, daß ausgerechnet eine 'fremdartig' wirkende Musik diesem Prozeß der Entfremdung Heilung bringen könnte? Nun, es ist die Sehnsucht, von der die Menschen erfaßt sind; desto stärker, je einsamer sie sich fühlen. Wohlgemerkt, ich spreche immer noch von ihrem Unterbewußtsein, nicht von irgendeiner an den Tag gelegten Euphorie anläßlich eines Fußballsieges.


    Und mit der Sehnsucht bin ich mitten drin im Bruckner-Satz.


    So, damit die Sache fürs erste nicht gleich lang wird und Raum für welche anknüpfenden Überlegungen auch immer bleibt, Schluß hier.


    Viele Grüße
    helmutandres

  • Ich glaube, unter Brucknerianern gibt es sogar einen sehr ausgeprägten Bruckner-Kult. Andererseits glaube ich, daß kaum ein anderer Komponist so sehr sein Publikum polarisiert/spaltet wie Bruckner. Mahler hat vielleicht genutzt, daß seine Musik, hoch-emotionalisiert und spätromantisch idiomisiert,
    dazu geeignet ist, "Romantik-Räusche" und Exstasen beim Publikum zu bewirken (besonders wenn beispielsweise ein Bernstein dirigiert hat). Bruckners
    Musik ist sehr viel strenger auch in der Faktur und fordert den Hörer weit mehr.
    Allein das macht es schon schwer. Das machte es schon für die Nazis schwer, Bruckner wirklich zum "Volks-Sinfoniker" hochzuzüchten und ideologisch zu besetzen. Aber trotz Furtwängler und zweier "Reichs-Bruckner-Orchester" hat das nicht wirklich funktioniert...

  • Zitat

    Original von ben cohrs
    daß seine Musik, hoch-emotionalisiert und spätromantisch idiomisiert,
    dazu geeignet ist, "Romantik-Räusche" und Exstasen beim Publikum zu bewirken


    Bei der Formulierung muss ich doch eher an Skrjabin denken, der zumindest im deutschsprachigen Raum wohl keine Kultfigur ist.


    Offenbar ist Bruckner unmittelbar ansprechender und mitreißender als Skrjiabin (dass ich persönlich in pubertierenden Zeiten eher vom poème de l'extase mitgerissen war sollte eher als Ausnahme die Regel bestätigen).


    Wenn also Bruckner unter den Extatikern (da kämen dann noch Schreker und Szymanowsky in Betracht, oder?) herausragend beliebt ist, und darum zur "Kultfigur" (was ist das?) besonders geeignet ist, so ist das eigentlich nicht so rätselhaft.
    :hello:

  • Ich bedaure diesen Kultcharakter, obwohl Bruckner nicht gerade mein Favorit ist, hat er das nicht verdient. Kultfiguren sind austauschbar und werden meist aus den falschen Gründen verehrt...


    Ein paar nur bedingt musikalische, mögliche Ursachen, die zum "Kult"charakter beitragen :


    - bekannt, aber nicht allzu breit bekannt. Es gibt keinen Beethoven- oder Brahms-Kult.


    - wie schon gesagt, "spaltet" er das Publikum (ebenso wie zB Wagner oder Mahler), manche mögen seine Musik gar nicht, "Kultisten" lassen dagegen kaum etwas anderes gelten (das sind wohl die klassischen "Ressentiment-Hörer")


    - Bruckner ist (verglichen mit der umgebenden Spätromantik) anders, aber dann doch nicht allzu anders und ermöglicht sowohl dem von spektakulären Klangmassen als auch von kontrapunktischer Kunst begeisterten den Zugang


    - Vielfalt der Fassungen ermöglicht "Insiderwissen" und entsprechende Diskussionen.



    (Skrjabin würde sich von diesen eher äußerlichen Aspekten her vermutlich ebenso eignen; warum es das (noch?) nicht gibt, weiß ich auch nicht. Sibelius ist wohl zu unspektakulär (und in Deutschland/Österreich eh nicht besonders beliebt), obgleich er, wenn man Adornos Polemik trauen darf, in den 20ern und 30ern wohl auch eine gewissen Kultstatus innehatte


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ganz verstehen kann ich das nicht, seine Musik ist doch eher langatmig und wuchtig - ein absoluter Gegegensatz zum heutigen Zeitgeschmack und Zeitgeist, wo "spannende und spritzige" Interpretationen gewünsch, gefragt und gefordert sind.


    Ein Stück weit vielleicht ja gerade deswegen: Als Gegenpol in unserer schnelllebigen Zeit. Aber das ist bei mir auf keinen Fall der einzige Grund, weshalb ich Bruckner so gerne höre.
    1. Er war einfach ein fantastischer Komponist. Die Grundlagen dafür hat er sich bekanntlich lange und hart erarbeitet, in zwei (oder gar mehr?) Studiengängen. Und das hört man m. E. des Meisters Musik auch an. Alles klingt wunderbar harmonisch.
    2. Seine Musik ist sehr "melodisch". Will meinen, sie bietet sehr unterschiedliche Themenkomplexe, die gut "ins Gehör gehen", die man sich merken kann. Und die dazu noch ausgiebigst ausgekostet werden. Dazu war z. B. Brahms m. E. kaum in der Lage.
    3. Sie hat eine spiritistische Ebene. Das kann man, wenn man mag, religiös deuten (nicht mein Ding), aber man kann seine Sinfonien auch als selbst kreierte Welten betrachten. Dazu bietet sich die Neunte besonders gut an.
    4. Und nicht zuletzt bietet sie eine Menge Dramatik/Gefühl. Da kann man sich eine Menge hineininterpretieren. Oder sich einfach nur von den Klangmassen hinwegschwemmen lassen, in seine Welt. :-)


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Genau das habe ich mich auch gefragt - zudem noch, wie so eine unheroische Person wie Anton Bruckner es war, plötzlich zur "Kultfigur" hochstilisiert werden konnte....


    Bruckner als Kultfigur vermag ich nicht zu sehen. Was seine Musik angeht, ja, vielleicht. Aber doch nicht Bruckner als Person?! Oder meintest du das anders?

  • Bitte genau lesen:
    "daß seine Musik, hoch-emotionalisiert und spätromantisch idiomisiert,
    dazu geeignet ist, "Romantik-Räusche" und Exstasen beim Publikum zu bewirken" -- damit meinte ich Mahlers Musik und nicht die Bruckners ...
    :yes:

  • Auf jeden fall benötigt man zum hören beider dieser giganten schon etwas übung, mittlerweile halte ich die 8te mahler ohne problem durch :D


    LG florian


    :hello:

    Gustav Mahler: "Das Wichtigste in der Musik steht nicht in den Noten."

  • Zitat

    Original von honigschlecker
    Aber doch nicht Bruckner als Person?!


    Ich glaube schon, dass Bruckners Person zum Kult taugt. Er galt ja als Außenseiter, hatte keinen Brahmsbart, wirkte wohl etwas linkisch in der großen Stadt.. Das gibt doch einiges her, damit man sich persönlich an seine Seite stellen kann, um gegen "urbanes Sündenpfuhl" und "Sophisterei" zu wettern...

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    ........
    Genau das habe ich mich auch gefragt - zudem noch, wie so eine unheroische Person wie Anton Bruckner es war, plötzlich zur "Kultfigur" hochstilisiert werden konnte....


    dazu nur ein paar Gedankensplitter:


    BRUCKNER ist bzw. war


    1) eine Naturgewalt
    2) eine faszinierende Mischung aus einem
    "jeden-an-die-Wand-spielenden" Orgeltitanen
    und unterwürfigem (ewigem) Kontrapunktstudenten
    3) ein naiv-frommer Tonsatzlehrer
    4) sein Leben lang auf der Suche nach Liebe und Anerkennung
    und gleichzeitig demütig bescheiden
    5) ein armer Schlucker und doch so voller Reichtum
    6) blind in seiner Wagner-Verehrung
    und dennoch KEIN WAGNER-EPIGONE !
    7) unverwechselbar und unergänzbar (...... :stumm: )
    8] selbstbewusst in seiner musikalischen Aussage und seinen symphonischen Dimensionen
    und dennoch ständig geplagt von Zweifeln
    (siehe verschiedene Fassungen, "Nullte"...)
    9) ein neurotischer "Zwangzähler" und/oder Zahlenmystiker


    etc. etc. etc.


    dieses "zwischen Genie und Wahnsinn" müssen doch faszinieren ?


    Außerdem ist seine Musik einfach WUNDERBAR !
    Von wegen "langatmig": wer den Beginn der Neunten bewußt hört,
    verliert doch sofort jedes Zeit- und Raumgefühl....
    eine regelrechte Droge also !


    ..........................................

    Gruß,


    Michael

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  • Zitat

    Original von honigschlecker
    2. Seine Musik ist sehr "melodisch". Will meinen, sie bietet sehr unterschiedliche Themenkomplexe, die gut "ins Gehör gehen", die man sich merken kann. Und die dazu noch ausgiebigst ausgekostet werden. Dazu war z. B. Brahms m. E. kaum in der Lage.


    Das sehe ich genau andersherum. Ich versuche jetzt seit drei Monaten, mir Zugang zu Bruckners Musik zu schaffen (irgendwas muss ja dran sein :) ), alleine, es wirkt für mich alles irgendwie "austauschbar", mit wenig Wiedererkennungswert. Melodik kann ich nur selten erkennen.
    Das war bei Brahms ganz anders, da hatte jede Symphonie von Anfang an Passagen, die ich wieder hören wollte, und ja, da waren auch Melodien. Bei den Konzerten war es natürlich noch viel einfacher.



    Gruß,
    Spradow.

  • Zitat

    Original von Spradow
    Das sehe ich genau andersherum.


    Immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Musik empfunden wird. =)
    Ich will das ein wenig konkretisieren in Sachen Brahms: Melodien konnte er zwar schon komponieren, aber da wird nichts ausgekostet, alles bricht viel zu schnell wieder weg. Wenn ich bei der zweiten Sinfonie gar nicht selten eine schöne Passage entdecke, so ist's wenige Sekunden später schon wieder vorbei. Bruckner hingegen lässt die Themenkomplexe oft (aus)schwingen.


    Zitat

    Ich versuche jetzt seit drei Monaten, mir Zugang zu Bruckners Musik zu schaffen (irgendwas muss ja dran sein )


    Hast du's schon mit seiner vierten Sinfonie probiert? Die scheint mir für den Zugang gut geeignet. Da sind reichlich prägnante Motive vorhanden.

  • Bruckner und Kult? Vielleicht bin ich der Welt abhanden gekommen, aber Bruckner als Kult ist mir noch nicht aufgefallen. Und wenn, dann in Verbindung mit seinen Deutern. Bezeichnenderweise in einer Zeit, in der Gesellschaften immer stärker von Marketing beherrscht werden.


    Aus Kölner Perspektive jedenfalls ist es nicht unerheblich, wer denn hier Bruckner spielt. Im allfälligen Pressegedächtnis wird hier alles an Günter Wand gemessen (natürlich seinen Dirigaten des Kölner RSO). Und später waren dan Celis Konzerte überfüllt. Weils Celi war. Der Bruckner spielte.


    Daß die Wahrnehmung hier im Forum eine andere sein mag, nun, das soll wohl sein. Ein Handvoll Liebhabern, über Deutschland Holland und Österreich verstreut trifft sich im virtuellen Tamino-Beisel und trägt jede Menge Wissen und Erfahrung über das "Tonerl" aus Wien (Worte des großen Kna) zusammen. Jenseits der Türen dieses Beisels sind die Synonyme für Klassik nach wie vor Bach-Mozart-Beethoven.


    Mich selbst hat Bruckners Musik vor gut 30 Jahren getroffen. Ein langweiliger Nachmittag bei meiner Großmutter. Ich saß in der Küche und hatte einen Radiorecorder dabei. Und es tönten die einleitenden Klänge der sechsten Sinfonie. Das war absolut ungklaublich. Eine Naturgewalt, die da von Otto Klemperer entfesselt wurde. Gottseidank steckte eine bespielbare Cassette in dem Gerät.


    Wenige Wochen später: ein Samstag Mittag. Hans Knappertsbusch dirgierte die siebte Sinfonie von Bruckner. Die Sendung hieß "Die historische Aufnahme". Auch hier das Gefühl, dergleichen bislang noch nicht erlebt zu haben.


    Ohne, daß ich mich mit Bruckners Lebensdaten seinerzeit beschäftigt hätte, hatte ich immer den sehr persönlichen Eindruck, daß aus der Musik Bruckners eine jenseitige Kraft spräche.


    Das Hören von Bruckner geht für mich deutlich über das reine Musikhören hinaus, oft genug empfinde ich aus dieser Musik heraus auch Sicherheit und Geborgenheit. Bruckners Musik ist, die sie ist (das jetzt bitte nicht ins Hebräische übersetzen).


    Spradow schreibt, daß ihm bei Bruckner die Melodik fehle. Vielleicht lässt sich der Unterschied wie folgt beschreiben: Bruckner verhält sich zu Brahms wie in der Kunst ein Gemälde von Rubens (Betonung der Farb- und Lichtwerte) zu Poussin (Betonung der Zeichnung). Oder Prä-Raffaeliten zu Raffael. Dies als Verbildlichung eines persönlichen Empfindens.


    In den letzten Jahren wird Bruckner vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Ist das schon Kult? Nein, ein Phänomen wie Violetta, vorgetragen von ihrem alter Ego AN (mit den Klängen eines italienischen Skribenten, ja, wie hieß der noch, Verdi?) ist Bruckner gewiss nicht. Oder wie "Die drei Tenöre" (mittlerweile ergänzt um "Three Sopranos" und "Ten Tenors". Er wird es auch nicht werden. Gottlob. Daß man dieser ungewöhnlichen Musik, die in der Lage ist, ins Ínnerste eines Menschen vorzudringen, recht breiten Raum gewährt, das finde ich allerdings bemerkenswert.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Tag,


    nun, irgendwo muss die Frömmigkeit ja hin (sagte der Österreicher Friedrich Tenbruck, Soziologe), auch im Zeitalter der Entzauberung. - Beethoven geht ja nicht, Wagner nicht, den die Deutschen kultisch haben, Haydn und Schubert?, na. Gegen die Eintrübung der Seelen hat man die Sträusse, die wachsende Sehnsucht ist bei Mozart (Bäsle-Briefe). Folglich: Anton Bruckner! Nicht der Mahler, der ist zu inflationär und quälerisch. Sagte schon Hans Knappertsbusch, gefragt, was er zu Bruckner denkt: "Reden Sie über ihre Gebete?"


    Halt - das gewährt der Bruckner, weil er welchen gefunden hatte.


    Freundlich
    Albus

  • Zitat

    Original von Albus
    nun, irgendwo muss die Frömmigkeit ja hin


    Das wäre vielleicht ein interessanter Punkt: Wer verbindet mit Bruckners Musik etwas Religiöses? Auf mich trifft dies (naturgemäß...) nicht zu.

  • Die Frage nach der Religiosität in Bruckners Musik ist keine einfache und letztlich eine, die jeder für sich selbst beantworten muss, indem er in die Sinfonien eintaucht.


    Ich möchte Bruckner eigentlich nicht als Kultfigur ansehen. Keinen Komponisten möchte ich als Kultfigur betrachten. In meinen Augen hat das immer einen etwas abwertenden Beigeschmack, der weder dem Künstler, noch der Kunst gerecht wird.


    Bruckners Musik spricht für sich. Den einen spricht sie mehr an, den anderen weniger.


    Ob Bruckners Musik zeitgemäß ist, vermag ich auch nicht zu sagen. Wahrscheinlich lebe ich zu fernab vom Puls der Zeit :D Inwiefern muss Musik zeitgemäß sein. Zeit für Gefühle ist doch immer.


    Ich sehe z. B. nicht den hier genannten Brucknerboom. Dass es unter den Taminos viele Liebhaber Bruckners Musik gibt, ist in meinen Augen (auch aus oben schon genannten Gründen) normal.


    Bruckners Musik hingegen ist für mich durchaus Einzigartig. Das ist aber die Musik der verschiedensten Künstler genauso.


    sprechen wir über und vor allem hören wir die Musik Bruckners!


    Da Bruckner sicherlich ein "Sonderling" war, gibt es sicherlich auch die eine oder andere Anekdote zu berichten, die auf Interesse - zumindest bei den Freunden der Musik Bruckners stößt. Aber das als "Kult" zu bezeichnen, würde ich nicht richtig finden.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Original von honigschlecker



    Das wäre vielleicht ein interessanter Punkt: Wer verbindet mit Bruckners Musik etwas Religiöses? Auf mich trifft dies (naturgemäß...) nicht zu.


    Ich verbinde mit Bruckners Musik durchaus Religiöses, aber weniger, weil die Musik religiös wäre, sondern weil ich es bin. Musik bewirkt immer nur das, was man selber in der Lage (oder bereit) ist, zuzulassen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ja, vielleicht noch eher "Bruckner-Dirigenten-Kult" als "Bruckner-Kult" ...
    :D
    Das schlimme an Idolen ist, wenn sie erstmal auf dem Podest stehen, werden sie nicht mehr hinterfragt, geschweigedenn ergründet ...
    :untertauch:

  • Zitat

    Original von ben cohrs
    Bitte genau lesen:
    "daß seine Musik, hoch-emotionalisiert und spätromantisch idiomisiert,
    dazu geeignet ist, "Romantik-Räusche" und Exstasen beim Publikum zu bewirken" -- damit meinte ich Mahlers Musik und nicht die Bruckners ...


    Ich weiß, ich dachte aber, dass das auch für Bruckner und Skrjabin zutrifft.


    Ansonsten muss ich auch zugeben, den Bruckner-Kult nicht mitbekommen zu haben. Und dass Brahms zu irgendwas nicht in der Lage war, ist mir egal. Wie soll man das denn überprüfen? Man weiß ja nicht, ob er das überhaupt wollte. Irgendwelche Empfindungsräusche ausschwingen lassen ist jedenfalls nicht sein ästhetisches Konzept. Wer das bei Brahms sucht, ist selbst schuld.
    :no:

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von ben cohrs
    Ja, vielleicht noch eher "Bruckner-Dirigenten-Kult" als "Bruckner-Kult" ...
    :D
    Das schlimme an Idolen ist, wenn sie erstmal auf dem Podest stehen, werden sie nicht mehr hinterfragt, geschweigedenn ergründet ...
    :untertauch:


    Hallo Ben, so rum wird ein Schuh draus: man versucht seit einiger Zeit, Dirigenten dadurch zu adeln, daß sie sich als Bruckner-Exegeten hervortun. Und auch hier gilt das in anderem Zusammenhang geäußerte Feststellung von Theophilus:


    Zitat

    Die Herren Dirigenten Mxxxx liefern im Allgemeinen gediegene, ausgewogene und fein nuancierte Interpretationen ab, wobei die Orchester zumeist im oberen Bereich ihres Niveaus spielen. Was liest man hier? Hamma schon gehört, nichts Neues, Langeweiler, Taktschläger.... Wenn es nicht in irgendeiner Form eine ausgefallene Interpretation ist, hat einfach gutes Musizieren einen schweren Stand....


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Das mag sein, doch hat dies doch letztendlich auch nur Relevanz bei den Freunden Bruckners Musik.


    Freilich ist es schön, dass es so viele Dirigenten gibt, denen Bruckner am Herzen liegt. Wir haben dadurch eine Vielzahl an Aufnahmen, aus denen wir wählen können.


    Auf jeden Fall hat der, dessen Name nicht genannt werden darf, den Vogel abgeschossen :D

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Original von honigschlecker
    Immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Musik empfunden wird.
    Ich will das ein wenig konkretisieren in Sachen Brahms: Melodien konnte er zwar schon komponieren, aber da wird nichts ausgekostet, alles bricht viel zu schnell wieder weg. Wenn ich bei der zweiten Sinfonie gar nicht selten eine schöne Passage entdecke, so ist's wenige Sekunden später schon wieder vorbei. Bruckner hingegen lässt die Themenkomplexe oft (aus)schwingen.


    Schon interessant, dass der Vergleich Bruckner - Brahms immer noch so unterschiedlich bewertet wird.
    Dass bei Brahms die Themen manchmal schnell "wegbrechen", habe ich am Anfang auch so gesehen, inzwischen klingt das alles völlig normal für mein Ohr. Wenn man aber zum Beispiel die Finalsätze aus der zweiten oder dritten Symphonie nimmt, hat man schon zwei Gegenbeispiele.



    Zitat

    Hast du's schon mit seiner vierten Sinfonie probiert? Die scheint mir für den Zugang gut geeignet. Da sind reichlich prägnante Motive vorhanden.


    Stimmt, die Vierte war die erste Bruckner-Symphonie, die ich kennen gelernt habe, und sie hat mir zumindest nicht schlecht gefallen. Kein Vergleich allerdings z.B. zu den Brahms-Symphonien.
    Bei Gelegenheit werde ich mir auch die früheren Bruckner-Symphonien nochmal anhören, ich habe z.B. die erste auch als recht "melodisch" in Erinnerung.



    Gruß,
    Spradow.

  • Ich bin ja immer noch der Meinung, dass man durchaus mit der fünften oder neunten anbandeln sollte.


    Vielleicht auch einfach mal einzelne Sätze herausgreifen. Der Finalsatz der fünften Sinfonie ist derartig gigantisch angelegt. Oder die langsamen Sätze der Sinfonien 8 oder 9. Da kann man eigentlich gar nix verkehrt machen.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Original von Masetto
    Oder die langsamen Sätze der Sinfonien 8 oder 9. Da kann man eigentlich gar nix verkehrt machen.


    Das sagst du aus der Position des Bruckner-Liebhabers. Ich glaube, dass gerade diese Sätze einem sehr langatmig und nichtssagend vorkommen können, wenn man mit Bruckners Tonsprache nicht vertraut ist.
    Mir erging es jedenfalls so.
    Ich habe mich lieber zuerst an den Scherzi oder auch den Ecksätzen festgehalten, um erstmal einen Einstieg zu bekommen.


    Vielleicht ist das aber auch Typsache.



    Gruß, Peter.

  • Lieber Peter,


    das ist interessant: ich habe mit Bruckners Scherzi bis heute so meine Probleme - meine chronische Vorliebe für langsame Sätze ist ja bekannt und bei Bruckner nicht anders.


    Bisher haben sie Scherzi bei mir nur in St. Florian unter Peter Jan Marthé "funktioniert", sie passen wunderbar zur barocken Prachtentfaltung dort. Auf Konserve sagen sie mir allerdings meistens nur wenig.


    Zum Thema "Bruckner-Kult" kann ich nur wenig beitragen, da ich was Musik angeht digital funktioniere. Spricht sie mich an, dann erfasst sie mich auch total. Spricht sie mich nicht an, dann empfinde ich sie eher als aufdringlich, ein Zwischenstadium gibt es nicht so recht.


    Aber im Vordergrund steht immer die Musik, nicht der Komponist oder ein Interpret.


    :hello:
    Flo

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Ich finde, wie meine Oma auch schon immer sagte, man soll nicht Äpfel mit Birnen vergleichen -- aber wenn man sich mal die geistliche a cappella Vokalmusik von Brahms (z .B. die Motetten) und die von Bruckner anschaut, ergeben sich doch mehr Gemeinsamkeiten als "Gselchtes und Kraut".
    Abgesehen von persönlichen Vorlieben und Abneigungen Einzelner sehe ich partout nicht ein, warum man originelle Künstler per se gegeneinander ausspielen sollte.
    :stumm:


    Und noch ein Nachgedanke zum Kult: Wenn man klassische Musik dargeboten in Musentempeln generell betrachtet, ist jeder öfter aufgeführte Musiker irgendwie "Kult". Dazu gehören auch die entsprechenden "Tänze ums goldne Kalb" und die diversen anderen Rituale ...
    :D


    Man müßte einmal allgemein schauen, welche Komponisten heutzutage überhaupt den Status "Kulthafter Verehrung" "genießen"; da fallen mir aber außer Beethoven, Bach und Mozart eigentlich wirklich nicht viele ein. Mozart vielleicht am ehesten. Bei der heutigen Verkaufe der PR-Strategen muß man ohnehin skeptisch sein.
    :beatnik:


    Und Furtwängler hatte sicher bereits recht, als er seinerzeit feststellte, heutzutage sei leider weitaus wichtiger, wer die Musik spielt, als der, der sie komponiert hat ...
    :no:

  • Zitat

    Original von ben cohrs
    Und Furtwängler hatte sicher bereits recht, als er seinerzeit feststellte, heutzutage sei leider weitaus wichtiger, wer die Musik spielt, als der, der sie komponiert hat ...
    :no:


    Das ist eine Frage, die man von verschiedenen Seiten betrachten kann.


    Es gibt durchaus Aufnahmen, wo ich sage, "Mensch, dies gefällt mir besser, als auf der CD, die ich im Schrank habe".


    Dies ist meiner Ansicht nach eine Frage, die erst verstärkt auf den Plan gerufen wurde, seit es Tonträger gibt (ist ja auch logisch).


    Früher ging man in die Kirche/Oper hörte die Musik und war ergriffen. Heute haben wir eine imense Auswahl an Aufnahmen (zumindest bei einigen Werken/Komponisten). Das kann man bereichernd ansehen. Möglicherweise aber auch anders betrachten.


    Mir ist es nicht wichtig, wer die Aufnahme gemacht hat, sondern ob sie gut ist.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat Alfred:

    Zitat

    seine Musik ist doch eher langatmig und wuchtig - ein absoluter Gegegensatz zum heutigen Zeitgeschmack und Zeitgeist, wo "spannende und spritzige" Interpretationen gewünsch, gefragt und gefordert sind.


    Wagner's Musik ist doch noch "langatmiger und wuchtiger", dennoch entspricht er weiterhin und immer noch dem Zeitgeschmack. Und: auch Bruckner kann spannend interpretiert werden (ich sag jetzt nicht wen ich meine). Spritzig wohl weniger, aber das wäre ein interessanter Ansatz :D


    Zitat

    Warum hat sich seine Musik in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts – ähnlich wie die Mahlers – so durchgesetzt?


    Ist es nicht ganz einfach so, daß die meisten Komponisten vorerst einmal "abliegen" müssen, bevor sie neu entdeckt werden? und man sie gewissermaßen chronologisch aus der Versenkung zieht? Also Beethoven, Schubert, dann Bruckner, dann Mahler, dann Schostakowitsch, usw. Die "Alten" (Bach, Haydn, Mozart, u.a.) haben sich bereits im kollektiven Bewußtsein verankert, die "Jungen" müssen sich erst bewähren bis es funkt.


    Zitat

    Genau das habe ich mich auch gefragt - zudem noch, wie so eine unheroische Person wie Anton Bruckner es war, plötzlich zur "Kultfigur" hochstilisiert werden konnte....


    Ich sehe in Bruckner keine Kultfigur, eher noch den Heros, wenn es denn eine dieser beiden Charakterisierungen sein soll. Ich assoziiere eher Wagner mit dem Begriff Kultfigur, der würde sich im Hier und Jetzt glaube ich sehr wohl fühlen :D Bei Bruckner bin ich mir da nicht so sicher.


    LG
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Hallo Austria,

    Zitat

    Und: auch Bruckner kann spannend interpretiert werden (ich sag jetzt nicht wen ich meine).


    Also, ich rate jetzt drei Mal.


    1) Pierre Boulez?
    2) Hm - nein, die dirigiert nicht.
    3) Ulli hüpft an die Decke und verlangt nach einem Punching Ball? :D


    Wobei ich 3) mitunter sogar "spritzig" finde - nämlich dann, wenn Bruckner ländliche Musik stilisiert. "Spritzig" ist natürlich nicht der richtige Ausdruck, es ist ja eher ein derber Humor, der da bei Bruckner durchschlägt - aber Humor ist es!


    Übrigens: Bruckner wird sicherlich von einigen Hörern als "Kultfigur" (und Meß-Ersatz) verehrt. Ich glaube aber, daß das früher wesentlich stärker war als heute.
    Daß Bruckner dennoch nicht auf ein normales Maß zusammenschrumpft, hängt mit seiner Musiuk zusammen, die eben außerordentlich ist und aller "Normalität" die Stirn bietet.


    :hello:

    ...

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