"Der galante Criminalist" - Sonderausgabe

  • Vorrede zur zweiten, verbesserten Ausgabe


    Ich bin überglücklich, Ihnen, werter Leser, diese hanebüchenen Zeilen anvertrauen zu dürfen, im Vertrauen, dass Ihr edler Geschmack die Würze und Nahrhaftigkeit der wenigen dürren Worte selectieren und barmherzige Nachsicht die schwachen Zeilen übersehen möge. Itzo gestützt auf die Kunst des hochverehrten M. de Lulliste, wurden die wenigen Seiten in ihrer Kunstfertigkeit vervielfacht und ich bin trés embu, dass der Leser von hohem Stand mit meiner Meinung d'accord geht.
    Möge der "galante Criminalist" Ihnen geistige Nahrung und moralische Erbauung sein...


    M. Blackadder
    MMVII



  • Der Geschichte erster Theil


    /Worin der Held verwechselt wird und sich der Sache schicklich annimmt/


    Es war schon spät. Die Sonne hatte sich schon verabschiedet und ich wollte mich eigentlich auch aus dem Staub machen, aber da kam plötzlich diese Blondine rein. Erst sah ich gar nix, als sie im Halbdunkel auf der Schwelle stand. Aber als sie einige Schritte auf meinen Schreibtisch zukam, konnte ich die wahnsinnige Figur erkennen, die sich unter ihrem Korsett abzeichnete. Ihre Lippen waren voll und sinnlich, ihr Schönheitsfleck frisch geschwärzt, die Augen keck auf mich gerichtet.


    „Sind Sie Bertoni, der Schnüffler?“ fragte – nein - hauchte sie in meine Richtung. Diese Stimme hatte bei mir voll ins Schwarze getroffen. Natürlich zusammen mit der Optik. Diese Braut sah einfach sagenhaft aus und ihre Stimme verströmte das Timbre einer warmen Nacht in einem Orangenhain.
    „Ja, klar“, log ich. Bertoni der Schnüffler wurde heute Morgen vom Pestwagen abgeholt und hatte sein Büro nebenan. Aber er würde mir diese kleine Scharade sicher verzeihen. Wenn nicht, konnte er sich ja beschweren, dachte ich und bot dem feengleichen Geschöpf einen Sitzplatz an. Mit einem Lächeln schlug sie den angebotenen Wein aus, also setzte ich die Flasche selbst an und nahm einen tiefen Schluck. Vielleicht hätte ich ihr ein Glas dazu anbieten sollen. Egal. Es schien ihr nichts auszumachen. Sie war wahrscheinlich von der ganz harten Sorte. Eine von denen, deren zauberhaftes Wesen eine unglückselige Melange mit ihrer verdorbenen Seele einging. Ich liebte diese Frauen, die außen ein Engel und innen viele Teufel waren.


    „Was kann ich für sie tun?“ hörte ich mich selbst fragen und schob die ganzen Notenblätter zusammen. Irgendwie musste ich alle Dinge, die mich als Komponisten hätten verraten können, verschwinden lassen. Aber ich setzte mich, legte meine Füße auf den Tisch und hoffte, die blitzblank gescheuerten Schnallenschuhe würden mächtig Eindruck schinden und ihren Blick fesseln.


    Das Lächeln der Lady verschwand. Sie holte ein Spitzentuch aus ihrem Ärmel und tupfte sich die Augen. „Es geht um meinen Mann. Don Caldini. Er ist seit drei Tagen verschwunden.“


    Ich schaute die Lady genau an. Sie war nicht älter als fünfundzwanzig. Vielleicht siebenundzwanzigeinhalb. Caldini war ein alter Greis, der ein Vermögen damit gemacht hatte, Pfähle in eine Lagune zu hauen und eine Stadt drauf zu bauen. Nova Venezia. Die Stadt hielt drei Jahre, dann wurden aus den sechsstöckigen Häusern Bungalows mit fünf Etagen tiefen Swimmingpools. Ich hatte von meinem Vater davon gehört. Der alte Caldini konnte sich aus der Verantwortung ziehen, indem er einen alten Hausmeister beschuldigte, den Stöpsel gezogen zu haben, und indem er natürlich den Richter kaufte. Dieser junge, knackige Engel, der mir gegenüber saß, sollte die Frau dieses alten Mannes sein? Sie schien meine Gedanken lesen zu können.


    „Sie finden es sicherlich anstößig und unmoralisch“, begann sie und leckte sich dabei aufreizend über die vollen, dunkelroten Lippen. „Aber es ist nicht so, wie sie denken. Mir ging es nur ums Geld.“


    Sie war also nicht nur schön und begehrenswert, sie war auch noch verdammt ehrlich. Spätestens jetzt war mir klar, dass ich ihren Mann suchen würde. Das bestellte Requiem konnte warten. Ich nahm die Geige vom Tisch und legte stattdessen, wie nebenbei, meinen Degen hin. Sie tupfte sich wieder imaginäre Tränen vom makellos gepuderten Gesicht. „Ich möchte wissen, was passiert ist“, sagte sie schluchzend. Ich lehnte mich gegen das Cembalo, als ob es lediglich diesem Zwecke dienen sollte. Ich hoffte, eine männliche Haltung einzunehmen, als ich sagte, dass ich nicht billig sei. Wobei ich mich fragte, was Bertoni wohl so an Honorar verlangte. Ich bekam 3 Florin für das Requiem, das mich mindestens vier Wochen Arbeit kosten würde. Wenn ich an Bertonis Garderobe und exquisiten Geschmack dachte, dann müsste er ein Vielfaches bekommen. Aber das nützt ihm nun auch nicht mehr, dachte ich. Ich nahm allen Mut zusammen. „Ich bekomme drei Dukaten“, sagte ich.


    „Natürlich pro Tag plus Spesen, nicht wahr?“ fragte Donna Caldini und ihr vordem trauriges Gesicht verwandelte sich wieder in undurchschaubare Laszivität. Drei Dukaten pro Tag? Ich würde nie wieder für Geld komponieren, dachte ich sofort. Bertoni, der Teufelskerl wusste, wie lukrativ die Schnüfflerei war. Der einzige Haken war, dass ich keinerlei Ahnung hatte, wie man schnüffelte. Was würde ein Profi jetzt machen?


    „Wann sahen sie ihren Mann das letzte Mal?“ Diese Frage erschien mir plausibel. Während ich auf die Antwort wartete, warf ich ein schwarzes Tuch über die Büste Monteverdis.



    „Vor drei Tagen auf dem Maskenball des Grafen Cagliostro“, hauchte sie.


    Die Gerüchte waren also wahr. Der Graf, der von sich behauptete, seit Urzeiten zu existieren, hielt sich in der Stadt auf. Ich dachte kurz an den Gedanken, eine Cagliostro-Oper zu komponieren und notierte mir diese Idee auf einem Blatt Papier. Donna Caldini musste glauben, ich notierte mir Wesentliches über ihren Fall.


    „Es war im Palaccio Grande“, fügte sie zwinkernd hinzu. „Übrigens logiere ich dort bis Ende des Monats...“


    „Wenn ihr Mann bis dahin gefunden ist, meinen sie“, traute ich mich sie zu unterbrechen. Dabei schob ich die Gambe hinter den Paravent.


    „Bis Ende des Monats“ beharrte sie und ich sah ihre Oberlippe leicht zittern.
    „Und um welche Zeit genau gingen sie ihres Mannes verlustig?“ fragte ich, um Zeit zu gewinnen. Mir war klar, dass ich nicht eine Sekunde nach dem Manne forschen würde. Aber ich würde die Signora jeden Tag besuchen, um „Neuigkeiten“ zu überbringen. Diese Frau musste ich einfach wieder sehen.


    „Es war so gegen Mitternacht“, sagte sie. „Die Gesellschaft zerstreute sich und mein Mann wurde in den gelben Salon geschoben.“


    „Geschoben?“ fragte ich erstaunt.


    Weiß Gott, wo sie den Fächer herzauberte, aber sie wedelte damit vor ihrer vorwitzigen Nase und schien dahinter zu kichern. „Er ist nicht mehr in der Lage, zu laufen. Wir… er hatte einen Unfall gehabt.“


    „Wer hat ihn geschoben?“ Ich kickte eine Traversflöte unter das Sofa.


    „Der Graf“, flüsterte sie in die kühler werdende Abendluft.


    Ende von Teil 1

  • Der Geschichte zweiter Theil


    /worin ein seltsamer Gast seltsame Reden schwingt/


    Als Donna Caldini gegangen war, beschloss ich, einen Teil des Vorschusses, den sie mir auf den Tisch legte, in der Taverne um die Ecke einzulösen. Zuerst trank ich darauf, eine große Geldquelle aufgetan zu haben, dann trank ich auf das gute Aussehen der Donna, dann trank ich auf den armen Bertoni, der jetzt in einem Massengrab mit Löschkalk bedeckt vor sich hin moderte, und anschließend trank ich aus Selbstmitleid, denn ich hatte keinerlei detektivisches Gespür, noch Kontakte. Von einer zwingenden Logik, Teile eines Mosaiks zusammen zu fügen ganz zu schweigen. Ich würde der Donna nichts für ihr Geld bieten können. Bald würde sie es merken, dass ich nicht der „große“ Bertoni war, wenn sie es nicht schon längst wusste. Nicht dass Bertoni eine übermäßig große Nummer in Venedig war, aber wenn sie von ihm wusste, dann bestimmt von einer einheimischen Quelle, und die würde ihr schon bald zuflüstern, dass er den Jordan frisch überschritten hatte.


    Als ich so an meinem Tisch saß, die dritte Flasche im Visier, bemerkte ich in den Augenwinkeln eine Gestalt, die sich zu mir herüberbeugte. „Signore Vivaldi?“


    „Das ist mein Name“, knurrte ich zurück, ohne den Fragsteller eines Blickes zu würdigen. Meine kurze Antwort aber schien dem Fremden Aufforderung genug an den Platz gegenüber zu siedeln. Er trug einen schwarzen, schweren Mantel und einen ebenso schwarzen Hut, dessen Krempe sein Gesicht verschattete. Unter der schweren Montur musste er schwitzen wie ein sizilianischer Fischer in der Mittagssonne. Die Luft in der Taverne war feucht und stickig. Ich lockerte meine Cravate, als ob ich ihm damit Erleichterung verschaffen konnte. Seltsamerweise flößte mir die unbekannte Gestalt keinerlei Furcht ein, was wohl am Alkohol lag, der sich dick und ölig über meinen Angstnerv legte. Ich fühlte mich stark und unbesiegbar. Wie beinahe jeden Abend um diese Zeit an diesem Ort.


    „Verzeiht, ich wollte nur sicher gehen, dass ich die richtige Person anspreche“, sagte der Fremde mit einem ausländischen Akzent.


    Ich goss meinen Becher voll und erwiderte nichts. Ich versuchte eine Aura der vollkommenen Abweisung und Ignoranz aufzubauen, aber dem Fremden schien es nichts auszumachen. Er verharrte beinahe regungslos auf seinem Stuhl. „Wie ich hörte, seit ihr Musiker?“


    Ich trank meinen Becher auf einen Schluck leer und überlegte, ob ich etwas antworten sollte. Aber der schwarze Hut kam mir zuvor. „Sind eure Kompositionen erfolgreich?“


    Der Ton in seiner Frage gefiel mir überhaupt nicht. Als Antwort goss ich erneut meinen Becher voll und schaute demonstrativ an ihm vorbei.


    „Euer Bruder ist ja eine Berühmtheit, aber von euch hört man nicht sehr oft etwas. Aber…“ er unterbrach sich, beugte sich nach vorne und langte in eine der Manteltaschen. Dabei fiel etwas Kerzenlicht in sein Gesicht und ich sah für einen kurzen, verschwommenen Moment stahlgraue Augen unter dem Hut hervorstechen. Der Fremde sank zurück und hielt einen vergilbten Programmzettel unter seine Nase. Jedenfalls vermutete ich die Nase dort. „Opernhaus Bitonto, August 1705, Influenza in Aulis, komponiert von Marcello Vivaldi“, las er vor. „Gab es noch Vorstellungen nach der Uraufführung, Signore Vivaldi?“



    Ich bin ein Künstler. Und Künstler wollen beschmeichelt werden. Und auch, wenn ich wusste, dass der Fremde absichtlich die Knöpfe drückte, um mich ärgerlich werden zu lassen, war ich nicht in der Lage, diese unverhohlene Beleidigung auf mir sitzen zu lassen. „Drei“, sagte ich laut und voller Stolz. Die Gäste in der Taverne verstummten für einen Moment und schauten erschrocken in unsere Richtung. Als sie meine Verfassung begriffen, schüttelten sie die Köpfe und widmeten sich wieder ihren Geschäften.


    „Drei?“ Der Fremde pfiff durch die Zähne. „Dann muss man in diesen Zeiten wohl von einem Erfolg sprechen, nicht wahr?“ In der Dunkelheit seines Hutschattens konnte ich ihn deutlich grinsen sehen. Ich spürte wie mein Temperament, angeheizt durch den Wein, meine Hand zu einer Faust ballen ließ. Vielleicht war ich kein Schnüffler, aber Prügel konnte ich austeilen. Ich dachte an Porpora, den ich während einer Aufführung seiner „Aggripina“ vor zwei Jahren in Neapel einen Kinnhaken verpasst hatte, weil er das Tempo verschleppte. Aber anstatt dem Fremden eine mitzugeben, schenkte ich mir den Rest der Flasche in den Becher. Ich verblüffte mich selbst.


    „Ihr verblüfft mich“, sagte der Fremde, als ich das meinen Trank zum soundsovielten Mal abgesetzt hatte. „Solltet ihr mir nicht einen mitgeben?“ Provokant beugte er seinen Kopf nach vorne, so dass der Hut kurz gegen die leere Flasche stieß und sie beinahe umwarf.


    „Das erwartet ihr wohl“, sagte ich, verschwieg aber, dass ich das selbst erwartet hatte. Ich hatte ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Unbeabsichtigt zwar, aber den Vorteil wollte ich nicht mehr hergeben, sondern sogar noch ausbauen.


    „Wollt ihr einen Becher Wein?“ fragte ich mit freundlicher Miene. Ich hoffte, einen weiteren Punkt auf seiner Verblüfftheitsskala zu erzielen. Diesmal wartete ich nicht die Antwort ab, sondern bestellte beim Padre eine weitere Flasche und einen zusätzlichen Becher. Als der Angesprochene beides brachte, stellte ich erstaunt fest, dass der Becher, den der Fremde bekam, sauber war. Ich schenkte den Wein in beide Becher.


    „Seid ihr hergekommen, um mich zu beleidigen? Dann seid ihr umsonst gekommen“, log ich und nahm einen tiefen Schluck. Ich spürte, wie mein Sod brannte.


    „Nein“, sagte der Fremde und nahm einen kurzen Schluck. „Ich will nur sehen, was für ein Mensch ihr seid.“


    „Und was bin ich für ein Mensch?“


    „Ihr seid ein cleveres Bürschchen, würde ich sagen.“ Er hob das Glas und sein Kopf nickte in meine Richtung.


    "Lassen sie die Förmlichkeiten", schlug ich mutig vor. "Siezen wir uns."


    Ende Teil 2

  • Der Geschichte dritter Theil


    /Worin der fremde Gast viel Geld für wenig Tun hinterlässt/


    Der Fremde stellte sich als Giacomo vor, was ich ungefähr so passend fand, wie die Ansicht, Donna Caldini habe ihren verschollenen Mann aus Liebe geheiratet. Sein Akzent wies ihn als transalpinen Bewohner aus, aber sein Wortschatz verriet, dass er schon einige Zeit italienischen Boden unter seinen dicken Sohlen haben musste. Ich kam immer noch nicht darüber hinweg, dass er den Mantel und den Hut aufbehielt, während mir mit jedem Becher heißer und heißer wurde. Mehr wollte er mir von sich nicht berichten, lediglich die Aussicht auf einen lukrativen Job bot er mir an. Ich musste lachen. Seit Monaten lebte ich mehr schlecht als recht von Musikstunden und als Organist in St. Michele, und heute gaben sich die Auftraggeber die Klinke in die Hand. Ich vertröstete ihn auf nächsten Monat. Sollte ich die Scharade mit Donna Caldini nur drei, vier Tage aufrecht erhalten, dann könnte ich davon ohne Weiteres ein halbes Jahr davon leben. Selbstverständlich wusste ich, dass ich niemals sechs Monate sparsam damit umgehen würde. Gleich morgen früh würde ich zu Signore Vellacchi stiefeln und mir einen neuen Rock kaufen. Vielleicht auch zwei. Da gab es einen roten, auf den hatte ich die ganze Zeit ein Auge geworfen. Nun, mit vielleicht einigen Dukaten, war das kein Wunschdenken mehr.


    „Was für eine Art Arbeit soll es denn sein?“ fragte ich mehr aus Höflichkeit als aus Interesse. Die drei Dukaten pro Tag versnobten mich in Windeseile. Würde ich jemals für weniger meine Finger krumm machen?


    „Mein Auftraggeber möchte lediglich wissen, was Donna Caldini ihnen bei ihren Treffen mitteilt“, antwortete Giacomo. Mir blieb beinahe das Herz stehen.


    „Donna Caldini?“ fragte ich, als hätte ich mich verhört, was ich sicher nicht getan hatte. Auch wenn die vierte Flasche den Bach, bzw. meine Kehle runterging, so hatte ich doch das Glück, mit jedem Becher besser auszusehen, geschmeidiger zu reden und vor allem schärfer zu denken. Der einzige Nachteil war, dass lediglich ein Becher mehr alles sofort zunichte machte. Leider variierte dieser Nachteil von Abend zu Abend. In diesem Fall war ich gottseidank noch nicht so weit, aber ich hatte Angst, dass der nächste Schluck mich in dieses unschickliche Verhältnis setzen würde. Ich stellte meinen Becher ab und fixierte meinen Tischgenossen. Es fiel schwer, den schwarzen, handtellergroßen Bereich unterhalb der Krempe zu fixieren, wo ich das Gesicht vermutete, vor allem, weil ich den Eindruck hatte, die Stühle und Tische, die sich links und rechts meinen Pupillen aufdrängten, würden anfangen zu kreisen.


    „Ja, Donna Caldini“, antwortete Giacomo seelenruhig.


    „Nie gehört“, erwiderte ich und beschloss, meinem Nachteil eifrig entgegen zu gehen. Ich trank den Becher hastig leer.


    Giaomo begann zu lachen. Erst wippte nur unhörbar der schwarze Mantel, während der Hut auf seinem Kopf in schlingernde Bewegungen verfiel. Dann hörte ich ein leises, gepresstes Lachen. Urplötzlich herrschte Stille. „Was immer ihnen Donna Caldini zahlt, mein Herr zahlt das Doppelte.“


    Um ein Haar hätte ich den Mantel meines Gegenübers voll gespuckt. Glücklicherweise konnte ich mich gerade noch drehen, so dass der ganze Wein auf den Nachbartisch gelangte. Unglücklicherweise wiederum hatten sich dort soeben Gäste eingefunden. Ein bisschen Kleingeld und Padres Anstrengungen, die mir einen tadelnden Blick einbrachten, beruhigten die Situation. Ich wandte mich wieder dem Gesprächsfaden zu. „Das Doppelte?“


    „Japp.“


    „Das Doppelte für einen wortwörtlichen Bericht dessen, was mir Donna Caldini mitteilt?“


    „Japp.“


    „Einfach so?“


    „Japp.“


    „Nur für das Wiedergeben ihrer Worte? Nicht für einen kleinen Giftanschlag oder eine Verführung? Nur für Berichterstattung?“


    „Japp.“


    „Zehn Dukaten am Tag für das Berichten ihrer…“, hob ich eifrig an.


    „Verdammt noch mal, ja“, sagte Giacomo, beugte sich vor und umklammerte mein Handgelenk. Mit der anderen Hand holte er einen Beutel mit klingenden Münzen hervor, die er in meine Hand legte. „Bei zehn Dukaten pro Tag, dürfte das, was hier drin ist, eine Woche reichen“, sagte er mit entnervter Stimme.


    „Und nur für…“, begann ich erneut.


    „Wie ich bereits mehrmals sagte“, sagte er mit gepresster Stimme und blickte sich verschwörerisch nach rechts und links um. „Legen sie ein paar Triosonaten zum Bericht drauf. Wir sehen uns morgen abend wieder hier.“


    Er stand auf, leerte den Becher und strebte dem Ausgang zu, während ich mir den Becher wieder voll machte. Anschließend ärgerte ich mich, dass ich nicht mehr rausgeholt hatte…


    Ende Theil 3

  • Darf man hier unterthänigst Beyfall glatschen? ?(


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Da wird man ja [SIZE=7]ganz klein...[/SIZE]


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Der Geschichte vierter Theil


    /Worin leider (noch) keine Zeichnung wartet, aber Vivaldi Zorn erfährt und trotzdem Pläne schmiedet/


    Am nächsten Morgen wurde ich unsanft durch lautes Schlagen an der Tür geweckt. Als ich zu mir kam, schien mein Kopf explodieren zu wollen. Kurzzeitig dachte ich an Giacomo wie an einen Traum, aber der gefüllte Beutel mit den klimpernden Münzen, der auf dem Kopfkissen lag, belehrte mich eines besseren.


    Die Schläge an der Tür wurden aggressiver. „Signore Vivaldi?“ hörte ich eine Frauenstimme rufen. Leider nicht die Art von Frauenstimme, die leise säuselnd nach einer Wiederholung einer bestimmten Leibesübung verlangte, sondern eher die Art Stimme, die einem klar zu machen versuchte, dass jede Flucht sinnlos und jeder denkbare Ausgang durch mehrere Armeen versperrt wäre.


    In Ermangelung angemessener und greifbarer Kleidung legte ich mir das Laken togagleich um die Schultern und wankte benommen an die Tür. Als ich einen Spalt öffnete, glühte mir das erzürnte Gesicht von Donna Cassandra entgegen. Ihre Hände ruhten vor ihrem überwältigenden Busen auf den Schultern des kleinen Carlo, der mich frech angrinste.


    „Signore Vivaldi“, tönte ihr schriller Alt mir entgegen. „Seit einer Viertelstunde versuchen wir, hier Einlass zu bekommen. Ich werde mich nach einem neuen Lehrer für Carlo umsehen müssen, wenn sie ihre Disziplinlosigkeiten nicht in den Griff kriegen.“ Dabei schob sie den kleinen Carlo ins Zimmer, ohne meinen lautlosen Protest im Entferntesten registriert zu haben.


    Ich checkte kurz meinen inneren Terminkalender. Carlo kam dienstags um zwölf, demzufolge war schon Mittag. Und wenn Carlo kam, dann kamen auch noch Bruno, Sandro und Karl-Heinz, der deutsche Austauschmusikant. Das konnte ich heute kaum gebrauchen. Im Übrigen konnte ich es eigentlich gar nicht mehr gebrauchen, denn was ich gestern an Geld bekam, reichte, um locker zwei Jahre ohne Schüler auszukommen. Mein Plan für den Tag sah folgendermaßen aus: Als erstes würde ich die Lage beim Grafen Cagliostro ausspähen. Mir war klar, dass ich nicht den Hauch einer Chance hatte, dort herein zu spazieren und den Grafen von Angesicht zu Angesicht zu fragen, aber ich würde mich an die Ecke des Palazzos stellen und auf Straßenmusikant machen. Dann würde ich den Schuppen observieren. Mal sehen, ob mir der Graf nicht unter die Augen kommen würde, oder jemand, dem ich ein paar wichtigtuerische Fragen stellen konnte. Andererseits war auch der Gedanke verlockend, einfach mit der ganzen Kohle abzuhauen. Nach Wien oder München. Dort suchten sie italienische Musiker. Selbst London wäre ein Versuch wert. Paris sollte ich meiden, riet mir Giovanni Rossi, ein drittklassiger Kollege, als er vor einigen Monaten zurückkehrte und mir voller Lachen eine Reihe strahlend weißer Zähne präsentierte, die er hernach wieder mit den Worten in ein Tuch schlug: „Daf paffiert einem dort alf Italiener.“


    Donna Cassandra machte mir unterdessen noch mehr lautstarke Vorwürfe, aber ich bekam nur in den Augenwinkeln mit, wie sich ihr Busen vor Aufregung hob und senkte. Carlo indessen machte es sich am Cembalo bequem und versuchte, seinen Hamster zwischen die Stahlseiten zu klemmen und durch Drücken der entsprechenden Tasten zu foltern. Ich konnte hören, dass er zuweilen Erfolg hatte.


    „Haben sie mich verstanden?“ fragte Donna Cassandra, deren Atem ich plötzlich neben mir spürte. Ich zuckte zusammen.


    „Natürlich, nur, ich glaube, ich bin krank.“ Mir fiel nichts Besseres ein.


    „Ihnen fällt wohl nichts Besseres ein, wie?“ keifte sie mich an. Dann schnappte sie Carlo, der händeringend seinen Hamster aus dem Cembalo zu klauben versuchte, aber kläglich scheiterte. Dann schlug die Tür mit einem lauten Knall zu, während Donna Cassandra weiter fluchte und Carlo nach seinem Hamster heulte. Die nachfolgende Stille war Balsam für meinen Kopf. Als Donna Cassandra aus dem Treppenhaus nach draußen trat, hörte ich sie wieder Fluchen und wüste Beschimpfungen ausstoßen. Als Antwort setzte ich mich an das Cembalo und spielte ein spritziges Menuett, dass durch seltsam schräge Töne companiert wurde. Nach wenigen Minuten waren sie aber nicht mehr zu vernehmen. Lediglich zwei, drei Tasten schienen plötzlich zu klemmen…

  • Der Geschichte fünfter Theil


    /In welcher unser Held das erstemal scheitert und Bekannschaft mit Südamerika schließt/


    Ich suchte Kleidungsstücke zusammen, die zu der Ausstattung eines Staßenmusikanten passten. Das heißt, ich zog die verschwitzten Klamotten von gestern an, knöpfte und band nachlässig Hose und Hemd, suchte die Augenklappe, die ich als Scherzartikel für den letzten Karneval gekauft hatte. Ich setzte eine ausgefranste Perücke auf und griff anschließend die billigste Geige, die mir in die Hände fiel. Dann machte ich mich auf den Weg zum Campo di San Luca, an dessen Stirnseite der Palaccio stand, in dem der Graf als auch Donna Caldini wohnten. Die Sonne versteckte sich hinter dunklen Gewitterwolken und mein besorgter Blick wanderte mehr als einmal zum Himmelsgrau. Aber es schien, als ob ich Glück hatte. Ein böiger Wind trieb das Wolkenmeer auf das Meer hinaus.


    An meinem Bestimmungsort angekommen suchte ich mir ein stilles Eck, das mir nicht allzu viele Zuhörer bescheren sollte, von wo ich aber einen hervorragenden Blick auf den Eingang hatte. Dann nahm ich meine Geige und tat so, als hätte ich ein leichtes Stück erst gestern gelernt. Ich kratzte auf der Fiedel herum und beobachtete dabei die Fenster des Palazzos. Aufgrund der gewittrigen Dunkelheit brannten im dritten Stock etliche Kerzen. Und da sechs große Fenster nebeneinander erstrahlten, nahm ich an, dass es sich hierbei um einen großen Saal handeln musste. Genau darüber war nur ein Fenster durch Kerzenschein illuminiert.


    „Mein Gott, Vivaldi“, hörte ich plötzlich eine Stimme sagen. „Haben ihr es wirklich schon nötig?“


    Ich brach meine Observierung ab und wandte mich dem Sprechenden zu. Es war Sandro Sambuccha, der Weinhändler.


    „Ihr habt mich erkannt?“ fragte ich nervös und beendete abrupt das Gefiedel.


    „Ähm, ja, sieht ganz so aus“, lachte der beleibte Mann und dabei bebte sein Brustkorb.
    „Das ist aber schlecht“, kommentierte ich seine Heiterkeit. „Darf ich fragen, woran ihr es gemerkt habt?“


    Als Antwort tippte er auf meine Schulter. Ich blickte auf die Stelle und sah das rotlockige Haar unter der Perücke hervorquellen. „Mist“, entfuhr es mir.


    „Außerdem seht ihr aus wie immer. Lediglich die Augenklappe ist mir nicht geläufig“, brummte Sambuccha immer noch lachend. Dann warf er mir eine kleine Silbermünze zu. „Aber gebt nicht Alles auf einmal aus“, lachte er und ging seines Weges.


    Soviel also zu meiner „Verkleidung“, dachte ich und gab mir Tiernamen. Ich hatte jetzt die Wahl meine Maskerade zu verbessern oder den Plan der Observation fallen zu lassen. Aber nach Hause zu gehen und was passendes zu finden, hatte ich keinerlei Lust und die Aussicht, dass ich Erfolg haben würde, standen äußerst schlecht. Mein rätselnder Blick fiel auf einen kleinen Laden, der unweit der Arkaden, die sich um den Platz spannten, Tücher und Stoffe anbot. Da ich ja ein kleines Vermögen mein eigen nannte, machte ich mich auf den Weg dorthin. Das fiel unter Spesen, sagte ich mir und nahm mir vor, eine Quittung zu verlangen.
    Als ich eintrat wehte mir der Duft von Mottenkugeln entgegen. Ein kleines, dürres Männchen kam hinter einem Apothekerschrank hervor.


    „Signore, mein Name ist Piedro, was kann ich für euch tun?“ Dabei blickte er abfällig auf mein Äußeres und rümpfte die Nase.


    „Ich brauche Stoff“, sagte ich und merkte, wie mir die Augen anschwollen. Was immer hier gegen Ungeziefer benutzt wurde, es reizte meine Schleimhäute.


    „Seid ihr sicher, dass ihr hier richtig seid?“ fragte Piedro und lehnte sich lässig an den Schrank, dabei betrachtete er sorgenvoll seine frisch manikürten Fingernägel. Ich spürte, wie mein Blick plötzlich stark eingeschränkt wurde. Dazu fühlte sich meine Nase wie ein Fremdkörper an. Jeden Augenblick musste ich niesen.


    „Ja, sicher bin ich hier richtig“, brach es aus mir hervor, wobei ich darüber erschrak, dass meine Stimme wie die eines Sterbenden klang. Ich suchte verzweifelt halt an einer Vitrine, bevor mein Blickfeld nur noch ein Viertel seiner sonstigen Ausmaße annahm. Ich spürte Hitze meinen Kopf erobern und Schweiß die Stirne entlang rinnen. Ich musste einen wunderbaren Anblick geboten haben.


    „Ich brauche Stoff. Sofort.“ Dabei versuchte ich flehend auszusehen, aber nach der Miene Piedros zu schließen, war „Jämmerlich“ der bessere Ausdruck.


    „Wenn du nicht sofort verschwindest, alarmiere ich die Wachen“, sagte Piedro plötzlich drohend und lief einen Schritt auf mich zu. Seine rechte Hand ruhte auf dem Knauf eines Degens. Oder auf dem eines Schirmes. Ich konnte nichts mehr genau erkennen. Ich suchte verzweifelt nach dem Ausgang, dann fiel mir das Geld ein, was ich unter dem Hemd trug. Natürlich hatte ich nicht den ganzen Beutel dabei. Die meisten Münzen hatte ich in einem Loch in den Dielen versteckt. Zwei Dukaten hatte ich mir intelligenterweise eingesteckt. Damit wollte ich mir zwar den roten Rock leisten, aber das hatte noch Zeit. Mein erbärmlicher Gesundheitszustand war mir nun wichtiger. Ich nahm eine Münze und legte sie auf die Vitrine. „Stoff“, röchelte ich ein weiteres Mal und versuchte dabei souverän zu wirken. Wenn man souverän röcheln kann. Ich klammerte mich mit letzter Kraft an die Vitrine, die leicht wankte. Rasselnd fuhr mein Atem durch die Lungen und je mehr ich versuchte, Luft zu bekommen, desto höher das Pfeifen und desto schwieriger wurde es.


    Piedros Miene erhellte sich plötzlich. „Sagt das doch gleich“, säuselte er plötzlich und verschwand hinter einem Vorhang, um kurz darauf mit einem kleinen Säckchen heraus zu kommen. Dann öffnete er ihn und ich blickte entgeistert auf ein weißes Pulver.


    „Frisch aus Südamerika“, sagte Piedro jovial und tunkte meine Nase ohne Vorwarnung in die unbekannte Substanz…

  • Der Geschichte sechster Theil


    /In welchem der Held realistische Einschätzungen hegt/


    Ich weiß nicht, wann ich wieder zu mir kam. Das heißt, ich weiß nicht mehr, wann sich die Realität wieder so gestaltete, dass ich den Eindruck hatte, kontrolliert darauf zugreifen zu können. Ich erinnerte mich, dass ich nach dem Nasentunker plötzlich von der Allergie genas. In lauter Dankbarkeit kaufte ich ihm diese Medizin ab, fand den Preis von einem Dukaten für den Beutel aber ziemlich happig. Piedro meinte lapidar, das sei eben eine Sache von Nachfrage und Angebot, und überhaupt sollte ich die Sache nicht so erwähnen. Woher ich wusste, dass er Stoff habe, fragte er mich und ich sagte ihm, dass man das ja von weitem sehe, dass er mit Stoff handele, woraufhin er skeptisch seine Auslage im Fenster begutachtete und anschließend nur die Schultern zuckte.


    Dann fing es an. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, als ich den Eindruck gewann, ein sehr guter Musiker zu sein. Das dachte ich eigentlich regelmäßig. Auch, dass die Umwelt mich unter Wert schätzte. Aber meistens hatte ich diese Einschätzung nach drei, vier Litern Chianti. Jetzt ergriff mich dieser Gedanke bei voller Nüchternheit und war in seiner Gewalt Furcht einflößend. Mein Gott, bin ich gut, dachte ich und vergaß beinahe mein eigentliches Anliegen. Ich wollte doch eine Verkleidung kaufen. Aber neben der Einschätzung, dass ich ein absolut genialer Musiker war, kam noch die völlig objektive Einschätzung dazu, dass ich ein dermaßen schlauer Fuchs war, dass ich eine Verkleidung eigentlich gar nicht nötig hatte. Ich spürte pures Charisma durch meine Adern fließen. Mein Gott, hab ich eine Ausstrahlung, dachte ich, als ich den Beutel verstaute, Piedro in den Genuss eines Abschiedsgrusses kommen lies und den Laden verließ. Mit Hilfe dieser Aura sollte es mir eigentlich ein Leichtes sein, den Grafen direkt anzusprechen. Er würde sicherlich seinesgleichen sofort erkennen, dachte ich, als ich die alte, speckige Perücke absetzte und sie achtlos auf den Rinnstein warf.


    Mein Gott, bin ich ein toller Mensch.


    Ich marschierte schnurstracks auf den Eingang des Palazzos zu. Wenn ich mit dem Grafen fertig war, würde ich sofort eine Oper schreiben. Prometheus schien mir das geeignete Sujet zu sein. Aber wahrscheinlicher war, dass ich anschließend Donna Caldini mit meiner Schönheit blendete. Mein Gott, bin ich ein absoluter Traumliebhaber, dachte ich, als ich über den Platz lief. Dann fing es an. Ich weiß nicht warum das lila Einhorn mir keinen Platz machte, aber als ich bis auf einen Meter herankam, sprang es entsetzt davon. Erst hatte ich mich als Verursacher der Flucht in Verdacht, sah aber den dunklen Schatten eines riesigen Drachens auf den unregelmäßigen Steinen des Platzes wachsen. Dicht über den Köpfen der unbeteiligt wirkenden Menschen sauste er dahin und das Einhorn verschwand in einer Seitengasse. Der Drache wuchtete sich hinterher. Ich wunderte mich kein bisschen, denn die Überzeugung, dass ich Italiens größter Komponist war, hatte sich fest in meinem Hirn eingenistet und lies keinen Platz für andere Gedanken. Ich schreckte nicht mal auf, als der Palazzo vor meinen Augen verschwamm und für Sekundenbruchteile ein dunkles, rundes Haus auf einem grünen Hügel erschien, aus dem schreiend Wikinger rannten, wie mir schien, und eine beleibte Frau mit langen blonden Zöpfen aus Leibeskräften schrie, als ein kleiner Mann mit Backenbart und riesiger Mütze die Verfolgung aufnahm. Das konnte mich, Italiens größtes Genie, nicht irritieren. Lediglich die nächste Vision von Streichern in seltsamen Fluggeräten rang mir ein stilles Lächeln ab. Mir, dem größten Criminalisten Italiens. Dem besten Geiger, dem besten Komponisten, dem besten Liebhaber.
    Ich stieg die Treppe zum Eingang des Palazzos herauf, aber bevor ich die hölzerne Tür erreichte, wurde sie geöffnet und ein schwer bewaffneter Geselle versperrte mir den Weg.


    „Na, wo wollen wir denn hin?“ blaffte mich ein unrasierter, glatzköpfiger Kerl an. Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lachen. Ich konnte durch die Lücken der gelben Zähne einen eigenartigen Geruch nach Hering und Schweiß wahrnehmen. Ich, der beste Schnüffler Italiens.


    „Ich möchte den Grafen sprechen“, sagte ich auf unnachahmliche Weise, wie es nur eine charismatische Person von außerordentlichem Geschmack tun konnte.


    Als Antwort erntete ich ein herzhaftes Lachen und die Tür schloss sich krachend vor meiner Nase. Vor mir, Italiens größtem Trottel…

  • Der Geschichte siebter Theil


    /In welchem Überraschungen kein Ende nehmen/


    Das Fiasko an der Tür des Palazzos tat meinem Selbstbewusstsein nicht weh. Die Zeit war einfach noch nicht reif für mich. Ich trottete nach Hause, setzte mich an meinen Arbeitstisch und köpfte eine Flasche Wein. Bisher entsprach es nicht unbedingt meinem Naturell Pläne zu machen, aber ich wusste, es kam jetzt sehr auf die Sorgfalt an. Und da ich immer noch in der „Ich bin der Beste“-Sphäre weilte, schien es mir ein leichtes, meine nächsten erfolgreichen Schritte vorauszusehen.


    Den Grafen würde ich nicht auf herkömmlichen Weg treffen. Zu ihm kam niemand unaufgefordert durch. Das war mir nun klar, mir, dem mindestens zweitbesten Komponisten Italiens. Eine Begegnung konnte nur wie zufällig stattfinden, aber wie sollte ich ein solches Treffen arrangieren? Eine andere Frage war, wie lange sollte ich diese Scharade aufrechterhalten? Sicher konnte ich einige Tage lang den Schnüffler spielen, aber spätestens dann würde Donna Caldini Ergebnisse verlangen. Und bei diesem Gedanken wurde mir schwummrig vor Augen. Zwei Dinge geschahen plötzlich auf einmal. Zum einen rutschte ich aus der Sphäre der Genialen in den Ring der Mediokren und zum anderen erkannte ich die Möglichkeit, in die Nähe des Grafen zu gelangen. Wie konnte ich das einfachste Mittel übersehen? Ich, der bestimmt nicht schlechteste Komponist Italiens? Aber, so redete ich mir ein, sprach es nur für meinen Intellekt, kompliziertere Wege einzuschlagen als notwendig. Ich holte aus meinem Geheimversteck zwei Münzen und machte mich auf, meine nachlässige Kleidung aufzufrischen. Bei Vellacchi angekommen tauschte ich die Münzen gegen einen neuen Rock und neue Stiefel. Ich sah blendend aus. Schließlich schmückte mich eine neue gepuderte Perücke. Als ich mich im Spiegel betrachtete wirkte ich äußerst herrschaftlich und mein Plan schien schon durchgeführt, bevor ich überhaupt einen zweiten Schritt getan hatte. Voller Selbstvertrauen machte ich mich am frühen Abend erneut auf den Weg zum Palazzo des Grafen, wobei sich das wohltuende Gefühl der Sicherheit sich sehr von dem Fiasko vor Stunden unterschied. Nicht nur, dass ich keinen Fabelwesen begegnete, obwohl ich den dämmrig werdenden Himmel absuchte und jeden Augenblick erwartete, Minotauren um die Ecke biegen zu sehen. Aber nichts geschah. Menschen tummelten sich wie gewöhnlich auf dem Platz. Ich sah, dass Piedro seinen Laden geschlossen hatte, zuckte aber nur mit den Schultern. Mit festen Schritten erklomm ich die Treppe zu großen Tür, vor der ich vor kurzer Zeit eine Schmach erlitten hatte. Diesmal war ich aber vorbereitet. Die Tür wurde wieder von dem unsympathischen Kerl mit Mundgeruch geöffnet. Er schaute mich scheel an und ich konnte förmlich sehen, wie in seinem Gehirn die Rädchen ratterten, kurz stockten, wieder ratterten, aber erneut und anhaltend ins Stocken kamen.


    „Ähm, Ihr wünscht?“ fragte er etwas ratlos.


    „Donna Caldini erwartet mich“, sagte ich beiläufig. Ich hoffte so, einen adligen Tonfall zu treffen.


    „Euer Name?“ sagte das Kerlchen, der es aufgegeben hatte, sein Räderwerk in Gang zu setzen.


    „Vivaldi, Signore Vivaldi.“


    Die Tür öffnete sich ganz und der Kerl machte einen Diener, als ich über die Schwelle trat und in einen Vorraum trat, der einen ganzen Ball beherbergen konnte.


    „Donna Caldini residiert im zweiten Stock“, sagte der Kerl, noch immer bücklings und deutete auf die Treppe, die an der Ostseite nach oben führte.


    Rechts und links des Saales strebten geschwungene, breite Marmortreppen nach oben, die sich auf einer Galerie auf Höhe des ersten Stockes vereinigten, schließlich wieder auseinanderstrebten und zur zweiten Etage hinaufeilten. Ich betrat die Stufen und merkte, wie mir die neuen Stiefel an der Ferse eine fette Blase bereiteten.


    Das Männchen, das mir die Tür geöffnet hatte, war verschwunden und ich blieb auf Höhe des ersten Stocks stehen und hielt mein Ohr an eine der großen Türen. Ich konnte nichts hören, aber die Ahnung, dass hinter diesen Türen der ominöse Graf hauste, ließ meine Hand den schweren Knauf nach unten drücken. Ich erwartete ein verräterisches Knarren und Quietschen, aber die Tür öffnete sich lautlos und leicht. Ich blickte auf einen mit Kandelabern bestückten Flur. An den Wänden hingen Gemälde von erlesener Schönheit und zu beiden Seiten gingen etliche Türen ab. Der Flur schien ins Unendliche zu reichen. Jedenfalls wurde dort, wo ich das Ende vermutete, alles von satter Dunkelheit verschluckt.


    Vorsichtig trat ich in den Flur und schloss die Tür hinter mir. Ich hörte mein Herz pochen, während ich langsam meinen Weg zu ersten Türe bahnte. Dort angekommen, versuchte ich wieder, durch das dicke Holz zu lauschen. Aber außer dem Wirken von Holzwürmern konnte ich keinen Laut vernehmen. Ich rekonstruierte vor meinem inneren Auge die Ansicht des Palazzos von meinem nachmittäglichen Standpunkt. Der beleuchtete große Saal, in dem ich den Grafen vermutete, so er denn überhaupt anwesend war, musste sich zwei, drei Türen weiter befinden. Also schlich ich hinüber und verfuhr dort, wie an der ersten Tür. Aber kaum hatte ich mein Ohr an die Tür gelehnt, fuhr sie wie von Geisterhand auf und ich fiel in den großen Raum, während eine tiefe Stimme vom anderen Ende des Saales sagte: „Ah, Signore Vivaldi, I presume?“

  • Der Geschichte achter Theil


    /In welchem unser Held durch ein Wechselbad der Gefühle eilt/


    Die Stimme klang wie von fern und als ich mich aufrappelte, gewahrte ich eine Person in der dunklen Ecke des großen Saales, der nur an der Fensterseite von Kerzen erhellt wurde. Der größte Teil des festlichen Raumes lag im flackernden Schatten der Beleuchtung. Ich schirmte meine Augen mit der linken Hand gegen das Kerzenlicht ab und blickte in die Richtung, aus der mich der Unbekannte angesprochen hatte. Ich traute mich nicht, einige Schritte auf den Sprecher zuzugehen, um vielleicht besser sehen zu können. Ich rang eher damit, auf dem Absatz kehrt zu machen und durch die offene Tür zu fliehen, durch die ich hereingefallen war.


    „Signore Vivaldi, hättet ihr die Güte, die Türe zu schließen. Es zieht hier mächtig“, tönte erneut die Stimme.


    Jetzt, wo das das Kind schon in den Brunnen gefallen war, dachte ich, wäre es das Beste, der Aufforderung nachzukommen, also schloss ich die Tür. Ein Seufzen aus der Ecke des Sprechers drückte Wohlgefallen aus.


    „Und wenn ihr euch jetzt entscheiden könntet, in unsere Richtung zu kommen, dann müssten wir nicht so durch den Saal plärren“, ertönte eine schrillere Stimme und ließ mich zusammenzucken. Da mussten mindestens zwei sitzen. Instinktiv griff ich wieder zur Klinke, aber meine Neugier war größer. Ich seufzte meinerseits und begann den Weg zum anderen Ende des Saales, während meine neuen Schuhe auf dem Parkett klackten. Die Ferse tat verdammt weh und vor meinem geistigen Auge erschien das Bild einer nässenden Blase. Hätte ich doch, wie empfohlen, in meine Schuhe pinkeln sollen?


    Als ich näher kam, wurde aus der Schwärze der Entfernung ein diffuses Grau und mit jedem Schritt schälten sich die scharfen Konturen eines Mannes auf einem Sessel und eines weiteren Mannes in einem Rollstuhl heraus. Don Caldini, dachte ich sofort. Er lebt. Das wird seine Frau freuen. Das wird seine Frau vielleicht doch nicht freuen. Der Mann auf dem Stuhl war elegant gekleidet. Sein Rock saß auf eine nonchalante Weise lässig, dass ich nur bewundert durch die Zähne pfeifen konnte. Die Perücke saß wie angegossen und seine Schnallen auf den Schuhen reflektierten das Licht der Kerzen an den Fenstern. Das war sicherlich der ominöse Graf Cagliostro. Als ich nah genug herangetreten war, sah ich sofort die adlergleiche Nase zwischen zwei mich fixierenden blauen Augen. Das Gesicht war fein geschnitten, in vollendetem Maße aristokratisch, dachte ich und wandte meinen Blick wieder zu der Person im Rollstuhl, die keinen gegensätzlicheren Eindruck machen konnte. Der Kopf vorn übergebeugt wie ein Geier, das graue Haar an den Seiten lang auf die Schultern fallend, während die Glatze selbst im Dunkeln zu schimmern schien. Aber nicht wie Gold in der Sonne schimmerte, sondern wie Schimmel im Mondlicht. Die Nase war ein Klumpen zwischen zwei kleinen Schweinsäuglein, die irgendwo hinter mich schauten, aber nicht direkt auf mich. Das faltige Gesicht war unrasiert und seine Hände zitterten unter der Decke, die auf seinem Schoß lag. Ich hoffte zumindest, dass sie nur zitterten.


    Der Graf deutete auf einen unbesetzten Stuhl. „Nehmt bitte Platz“, sagte er. In seiner Aufforderung schwang eine Melange aus Bitte und Kommando, die unwillkürlich zur Befehlserfüllung gemahnte. Kein Wunder, dass der Graf diesen Ruf der Unwiderstehlichkeit hatte. Mein Bruder würde sagen, der Mann hat Ausstrahlung. Ich setzte mich.


    „Ich bewundere euren Mut und eure Zielstrebigkeit“, sagte der Graf und nahm ein Glas in die Hand. „Nicht jeder würde gleich den Schauplatz des Verbrechens aufsuchen und mit dem Hauptverdächtigen sprechen, noch dazu, wenn es eine solch prominente Person ist.“
    Ich wusste, dass ich jetzt irgendwas Souveränes von mir geben musste, um nicht als totaler Idiot dazustehen.


    „Ja, den Mut und die Zielstrebigkeit habe ich, nicht jeder würde schließlich gleich den Schauplatz des Verbrechens aufsuchen und mit dem Hauptverdächtigen sprechen, noch dazu, wenn es sich um eine solch prominente Person handelt.“ Ich fühlte beinahe körperlich, wie mir die Zügel entglitten.


    „Und ihr habt sicherlich eine Theorie des Verbrechens aufgestellt?“ fragte der Graf lächelnd.


    „Ja, natürlich, ich habe eine Theorie des Verbrechens aufgestellt“, erwiderte ich mit etwas brüchiger Stimme. Ich sank in meinem Stuhl zusammen.


    „Entzückend Und wie lautet sie?“ fragte der Graf.


    Ich musste mir auf die Schnelle etwas zusammenreimen. Egal was und wie, es musste schnell und souverän herüberkommen. Ansonsten hätte ich schon verloren. Und zu verlieren hatte ich in diesem Augenblick gar nichts mehr.


    „Meine Theorie ist sehr einfach“, begann ich, um Zeit zu gewinnen und betrachtete das ungleiche Paar, das sich in meine Richtung beugte. Die folgende Stille war lang und unerträglich. Ich hob endlich an. „Sie haben Don Caldini auf eigenen Wunsch entführt.“


    Der Graf lachte kurz auf und führte ein spitzenbesetztes Taschentuch an seine Nase. Dabei sank er in seinem Stuhl zurück. „Und weiter?“ fragte er. Don Caldini schaute etwa zwei Meter neben mich, aber ich wusste, dass er mich weiterhin fest fixierte.


    „Nun, das hat natürlich mit der ehrenwerten Donna Caldini zu tun“, antwortete ich, den erstbesten Gedanken ergreifend, der sich mir anbot. Don Caldinis Kopf hob und senkte sich plötzlich, als hätte er einen Krampf bekommen. Ich wertete es als Zustimmung. War ich auf der richtigen Fährte? Cagliostro bedeutete mir mit einer Kurbelbewegung seiner Taschentuchhand, ich solle fortfahren.


    „Nun, der ehrenwerte Don Caldini wünscht aus dem Zwischenfall Informationen über seine Angetraute zu erwerben.“ Ich schaute Caldini an und wartete auf ein Zeichen der Zustimmung. Wieder hob sich der mit faltiger, grauer Haut überzogene Schädel. Plötzlich und unerwartet kehrte die Hochstimmung, die ich Stunden zuvor auf dem Platz erfahren hatte in meine Adern zurück. Mit einemmal war alle Feigheit verschwunden, und ich wusste, ich war dem Grafen mehr als ebenbürtig. Und auch, wenn sich im hintersten Winkel meines Gehirns eine leise, feine Stimme erhob, die hysterisch vor aufkommenden Leichtsinn warnte, so formte mein Mund trotzig einige Worte, die in meiner Wahrnehmung vor mir stehen blieben, sich aufbäumten und den Grafen und Caldini wie eine Keule trafen: „Donna Caldini hat vor, ihren Mann umzubringen, um sich von dem Erbe weitere dreihundert Paar Schuhe zu kaufen.“

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  • Der Geschichte neunter Theil


    /In welchem unser Held eine gruselige Entdeckung macht/


    Ich sah, wie Don Caldini in seinem Stuhl zu zittern anfing. Cagliostro selbst hielt sich das spitzenbedeckte Tuch vor die Nase und ich konnte nicht sehen, was für ein Gesicht er dahinter zog.


    Hatte ich das wirklich gesagt? schoss mir die Frage durch den Kopf. Der kurzzeitige Mut schrumpfte zusammen. Hatte ich wirklich behauptet, Donna Caldini habe vor, ihren Mann umzubringen? Wie kam ich auf das schmale Brett?


    Der Graf nahm das Tuch von seinem Gesicht und in seiner Miene spiegelte sich Besorgnis. Entweder warf er mich raus, weil ich eine Scherzgrenze überschritten hatte oder ich war blindlings einer richtigen Sache auf der Spur.


    „Ich habe euch für einen zweitklassigen Musiker gehalten, Signor Vivaldi, und für einen trunksüchtigen Dummkopf. Und nun entpuppt ihr euch als erstklassiger Criminalist“, sagte Cagliostro und trat mit seinem Glas an einen kleinen Tisch. Aus einer Kristallkaraffe goss er sich neuen Wein ein. „Nun, dass mit dem Musiker muss ich nicht korrigieren, aber eure Spürnase scheint durch den Alkohol nicht gelitten zu haben. Im Gegenteil…“ Mit diesen Worten überreichte er mir ebenfalls ein Glas. Meiner trockenen Kehle konnte nichts Besseres passieren. Ich nahm es und trank es mit einem Schluck aus.


    „Was habt ihr nun vor?“ fragte Cagliostro und blieb stehen. „Wie sehen eure Pläne aus?“.


    Pläne? Pläne! Der Tag schien mir nichts anderes zu bieten als permanent wechselnde Perspektiven. Gut, ich war kurzfristig sehr wohlhabend geworden, aber dafür musste ich mit mir unbekannten Personen Pläne entwickeln. Während der Graf mein Glas erneut füllte, forschte ich in den Windungen meines Gehirns nach irgendeinem Zipfel einer möglichen Antwort. Vielleicht würde sich der Mut wieder finden, und damit auch die Worte, aber so sehr ich darüber nachgrübelte, desto dunkler präsentierte sich mein inneres Archiv. Außer einer alten Idee für eine Oper fand ich nichts brauchbares. Ich trank auch das zweite Glas leer und schaute versonnen in die dunkle Ecke hinter Don Caldini.


    „Was habt ihr vor?“ Ich flüchtete mich in die altbekannte Strategie der Gegenfrage. Cagliostro schaute kurz auf den zitternden alten Mann, bedeutete mir mit einem kleinen Wink, ich solle aufstehen. Er legte die Hand auf meine Schulter und zusammen mit ihm durchschritt ich langsam den Saal, weg von Caldini, dessen Zittern den Stuhl, auf dem er saß, knirschen ließ.


    „Es ist wichtig, dass Donna Caldini nicht erfährt, dass ihr Mann bei mir in besten Händen ist. Es geht nicht nur um Don Caldini selbst, es geht um das Wohl der Menschheit“, flüsterte mir der Graf vertrauensselig ins Ohr.


    „Das Wohl der Menschheit?“ fragte ich erschrocken zurück.


    Der Graf legte seinen Zeigefinger auf den Mund und blickte besorgt auf Caldini, der still vor sich hinzitterte, während der Stuhl weiterhin seinem eigenen Vibrato folgte.


    „Ja“, flüsterte der Graf bestätigend. „Das Wohl der Menschheit!“


    „Das ist doch jetzt ein Witz, oder?“ fragte ich flüsternd zurück. Der Wein gab mir etwas Lebenskraft zurück und ich traute mich, eine forsche Frage zu stellen.


    „Meine Witze sind intelligent. Wäre dies ein Witz, so wäre er schal und indisponirt“, antwortete der Graf. Dann klaubte er mit einer Hand einen kleinen Beutel aus seiner Rocktasche und drückte ihn mir in die Hand. „Nehmt das für eure Verschwiegenheit. Wenn die Donna nach ihrem Mann und den Fortschritten eurer Ermittlungen fragt, so gebt an, ihr seid noch nicht weit gediehen, aber ihr hättet herausgefunden, ich, der Graf, beabsichtige, bereits morgen früh nach Dresden abzureisen. Sie wird euch bitten, mir zu folgen, was ihr sicherlich annehmt. In Dresden werden wir uns wieder sehen. Dort bekommt ihr neue Anweisungen und natürlich“, er tippte auf den Beutel, der schwer in meiner Hand lag, „bekommt ihr dort mehr davon.“


    Ich schluckte. Der Beutel wog schwer und ich ging nicht davon aus, dass Bleikugeln darin versteckt waren. Ich hatte gar nicht so viele Dielen in meiner Wohnung, um die vielen Dukaten darin zu verstecken. Aber eine Sache ließ mich nicht zur Ruhe kommen.


    „Ihr spracht vom Wohl der Menschheit“, insistierte ich erneut. „Was hat es damit auf sich?“


    Der Graf blickte auf Caldini und ein kleiner Sabberstreifen an seinem Kinn und das Schweigen des Stuhles verrieten ihm, dass der alte Mann erschöpft eingeschlafen war. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf ein geöffnetes Saalfenster hin und zog mich in eben diese Richtung. Dort angekommen entledigte er sich seiner Rockjacke und machte sich an feinster Seide zu schaffen.


    „Mein Gott, was für ein Rohr“, entfuhr es mir, wobei ich gerade noch die Kurve bekam und die Worte nicht lauthals hinausbrüllte. „So groß!“


    „Das längste, was sie je gesehen haben, n’est-ce pas?“ fragte der Graf stolz.


    Ich nickte eifrig und meine Hände fuhren begeistert den Schaft entlang, während der Graf das seidene Tuch, unter dem er das Teleskop versteckt hatte, achtlos hinter sich warf. Er blickte durch das Objektiv, stellte an verschiedenen Drehknöpfen irgendetwas ein, drehte das Rohr, nach rechts, dann nach links, nach oben, nach unten, bis ein „Ah“ die gewünschte Entdeckung bestätigte.


    Der Graf trat zurück und bedeutete mir, ein Blick durch das Rohr zu werfen. „Sie fragten nach dem Wohl der Menschheit“, sagte er dabei.


    Ich hielt mir das linke Auge zu und sah durch die schmale Öffnung, die sich vor meinem rechten Auge weitete. Und ich sah einen Mann an einem Tisch sitzen, der mit seinen Fingern komische Bewegung auf der Tischplatte machte. Das heißt, auf dem Tisch befand sich ein graues Rechteck mit schwarzen Buchstaben darauf. Auf diesen Buchstaben hieben die Finger ein.


    „Wer ist das?“ fragte ich.


    „Das“, antwortete der Graf, „ist ein Schmierer, der sich als Blackadder ausgibt, und der unsere Geschichte lenkt.“


    „Blackadder? Ein Engländer? Droht Krieg mit England?“


    „Pah“, schnaubte der Graf verächtlich. „Der wäre wohl gern ein Engländer. Das ist ein kompletter Vollidiot, in dessen rohen Händen unsere zarten Seelen zu Hackfleisch werden, nichts weiter. Und damit nicht genug, er langweilt gebildete Stände mit dieser zusammenhanglosen Geschichte von dem da“, ich schaute kurz auf und sah seine Hand auf den schlafenden Caldini deutend, „und uns. Und vor allem, er zwingt mich morgen nach Dresden aufzubrechen. Und euch übrigens auch.“


    Ich verstand nur Poststation, aber ich konnte mein Auge nicht von diesem Kerl lassen. Plötzlich zuckte ich zurück. Der Kerl hatte mich gesehen. Das war eindeutig. Ich sah, wie er sich zu mir umdrehte und zuwinkte. Das konnte kein Zufall sein.


    Der Graf lachte. „Hat er euch gesehen?“ fragte er belustigt.


    Ich nickte, während mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Welche Oper wurde hier gegeben? Welch grausige Kantate spielte sich hier ab?

  • Der Geschichte zehnter Theil


    /In welcher unser Held kurzzeitig Muße findet/


    Als ich den Grafen und Caldini verließ und in das pompöse Treppenhaus zurückkehrte, hatte ich kurzzeitig das Gefühl, mich in einem schlechten Traum zu befinden. Der geneigte Leser mag begreifen, dass die Geschehnisse, die an diesem einzigen Tage auf mich einstürzten genug Wirkung in einem ganzen Leben entfalten konnten. Abgesehen von der Tatsache, dass ich innerhalb von vierundzwanzig Stunden so viel Geld zugesteckt bekam, wie die ganzen dreißig Jahre vorher zusammen nicht, bestürzte mich die Tatsache, dass mich Donna Caldini für jemanden hielt, den ich niemals vorgab zu sein, auch wenn ich natürlich wenig getan hatte, um den falschen Eindruck abzuwehren. Aber dass ein unbekannter Mann, der meine Identität sehr wohl kannte, und der berühmte Graf Cagliostro, der mich ebenfalls schnell durchschaute, nicht hintenan standen und mir das Geld förmlich in den Rachen schoben, machte mich zwar kurzzeitig euphorisch, aber der Argwohn breitete sich in meiner Brust aus, wie die Wärme eines guten Weines. Lediglich mein Appetit auf diesen Schmaus war, gelinde gesagt, wenig ausgeprägt. Was der Graf mit dem Blick durch das Teleskop bezweckte, wusste ich nicht. Es erschien mir als kuriose Marotte, als Blendwerk, genauso wie sein Gerede vom Wohle der Menschheit.


    Als ich auf der Galerie stand und die kalten Marmorstufen betrachtete, die in die Gemächer der Donna führten, sagte eine innere Stimme zu mir: Flieh. Nimm all dein Geld und flieh. Es reicht, um ein sorgenloses Leben als Komponist im Ausland zu führen. Was immer deine Geldgeber vorhaben, es wird dir nicht zum Vorteil gereichen. Ich weiß nicht, warum ich diese Stimme ignorierte. Nun, im Nachhinein lag es wohl daran, dass sie englisch gesprochen hatte und ich damals dieser Zunge nicht mächtig war.


    Das Gefühl der Verwirrung schüttelte ich ab, wie ein Hund Wasser aus seinem Fell. Ich nahm zwei Stufen auf einmal, denn die Aussicht, der schönen Donna Caldini zu begegnen, ließ mich alle Vorsicht vergessen. Fliehen konnte ich immer noch später. Jetzt musste ich erstmal der Donna meine Aufwartung machen und ihr all die Dinge berichten, die mir der Graf aufgetragen hatte. Dabei wurde es mir etwas schwer ums Herz, denn es hieß, die Gräfin verlassen und ins kalte Sachsen fahren.


    Ein Bediensteter öffnete die Doppeltür ohne Nachfragen. Wahrscheinlich hatte er mit meinem Erscheinen gerechnet. Der Raum, in den ich trat, war groß, aber hatte nicht die Dimensionen des Ballsaales, in dem ich Cagliostro begegnet war. Er war geschmackvoll und zurückhaltend eingerichtet, die vielarmigen Leuchter auf den Fenstersimsen spendeten ein behagliches Licht, die Seidentapeten berichteten von einer antiken Sage, die mir unbekannt schien. Zumindest glaubte ich an eine antike Sage. Eine abgebildete Person nahm ich als Odysseus auf, wie er an den Mast seines Schiffes gefesselt dem Sirenengesang lauschen wollte. Warum man Odysseus zusätzlich einen Nagel durch den Kopf getrieben hatte, ließ mich stutzig werden. Genauso wie die Abbildung, die zweifellos Herakles im Garten der Hesperiden zeigte. Das Anschlussbild zeigte den Helden, wie er mit dem Drachen Ladon genüsslich einen Apfelkuchen verspeiste. Solchermaßen irritiert, folgten meine Augen der Hand des Bediensteten, die auf einen Tisch zeigte, um den grazile Stühle gruppiert waren, dann verschwand er wortlos. Ich setzte mich also, nahm gedankenverloren die Karten, die auf dem Tisch lagen in die Hand und blickte aus dem Fenster. Draußen war es beinahe vollständig dunkel geworden und aus der Ferne hörte ich eine einzelne Gambe eine sehnsuchtsvolle Melodie spielen. Ich wurde aus meinem Sinnieren gerissen, als die Tür aufgerissen wurde und eine Frau mit raschelnden Röcken energisch den Raum betrat und auf mich zukam. Es war gewiss nicht Donna Caldini, es sei denn, sie wäre über Nacht vierzig Jahre gealtert und hätte fünfzig Kilo zugenommen. Vom Schrumpfen und von der Kehlkopfoperation mal ganz abgesehen. Die Matrone, die sich mir nicht vorstellte, sagte mir in barschem Tonfall, die Donna sei leider verhindert, ich möge meine Informationen zügig mitteilen, der Donna würden die Neuigkeiten überbracht, wenn sie in der Lage dazu sei. Mein vorsichtiger Hinweis, ich würde gerne meinem Auftraggeber persönlich meine Informationen übermitteln, es sei so abgemacht, quittierte die resolute Alte mit zusammengekniffenen Augen und einem Blick, der, wäre er tödlich gewesen, ganz Venedig in Schutt und Asche gehauen hätte. Da ich keine Lust hatte, mich mit der Alten in die Haare zu kriegen, gab ich meine Nachrichten preis, aber nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ich im Falle einer Reise nach Dresden natürlich noch Geldmittel bräuchte. Da ich in aller Frühe aufbräche, sollte man mir nun „zwanzig, besser fünfzig“ Dukaten übergeben, was sie mit schallendem Gelächter beantwortete.


    „Ihr werdet rechtzeitig von der Donna instruiert“, war ihre knappe Antwort, dann deutete sie auf die Tür, hob ihre Röcke und raschelte davon.


    Ich war, ehrlich gesagt, etwas enttäuscht. Gerade so viel enttäuscht, dachte ich mir, dass ich unbedingt in Padros Taverne etwas Seelentrost benötigte. Diese Aussicht verlieh meinen Beinen Flügel und ich eilte durch die beginnende Nacht in mein zweites Zuhause…