Inhalt und Form bei der Johannes- und Matthäuspassion

  • Unlängst war und ist hier von einem Würfelmotiv in der Johannespassion zu lesen gewesen.


    Diese Passionen scheinen voll solcher Gleichnisse zwischen Inhalt und musikalischer Form in Gestalt der Umsetzung der Inhalte durch Bach zu sein.


    In diesem Thread kann darauf aufmerksam gemacht werden. Sollte dieser Thread Zuspruch finden und unübersichtlich werden, wäre es ja vielleicht möglich, zwei daraus zu machen.


    :hello:

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Hallo,


    Was ist mit Würfelmotiv gemeint?
    Falls du auf die Zahlensymboliken anspielst, so gibt es hier eine interessante
    Ausarbeitung zu der Symbolik hier: "http://www.sbg.ac.at/pth/texte/30-jahre/zahlensymbolik.htm"


    Viele Grüße,


    Raphael

  • Hallo,


    Achsooo....die Würfelrunde...jetzt wird mir einiges Klar..es geht also darum, wie Bach den Text durch Musik ausdrückt.


    Da fällt mir zuerst mal die Mattäuspassion ein:
    Alle Rezitative sind lediglich mit Cembalo/Orgel Begleitung komponiert.
    Ausser die Jesus-Rezitative sind zusätzlich mit einer "ätherischen" Streicherbegleitung gearbeitet. Wenn Jesus stirbt und spricht: "Es ist vollbrach" fehlen diese Streicherakkorde. Ein zeichen seines Todes, aber auch ein Symbol, der vermenschlichung - Hoben die Streicher ihn sonst eher von den anderen Menschen ab, so ist er durch den Menschlichen Akt des sterbens nun ganz klar ihnen zugehörig.


    Ich hoffe, diesen Threat nun richtig verstanden zu haben... :D - falls nicht, gebe ich es auf. Wenn ich es verstanden haben sollte, vallen mir noch viele offensichtliche, und weniger offensichtliche Gestaltungsmerkmale ein...


    Viele Grüße,
    Raphael

  • Guten Abend



    Die Matthäus-Passion soll, wie alle großen Werke Bachs, mit Synbolen, Tonmalereien und Zahlenrätsel durchsetzt sein.
    Darüber schrieb schon Smend u.a.; manchmal wurde m.E. da zuviel hineininterpretiert oder wir verstehen diesde "Sprache" nicht mehr ?!
    Man darf diese Zahlenspiele nicht als Mathematik, sondern als Teil der musikalischen Synbolsprache verstehen.



    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Das bekannteste Beispiel aus der Matthäuspassion dürften dann wohl die 11 Jünger sein, die Fragen "Herr, bin ich's?" Nur einer weiß es bereits und fragt nicht.



    Gruß,
    Jonathan

  • Er antwortete und sprach: „Der mit der Hand mit mir in die Schüssel tauchet, der wird mich verraten. Des Menschen Sohn gehet zwar dahin, wie von ihm geschrieben stehet; doch wehe dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird. Es wäre ihm besser, daß derselbige Mensch noch nie geboren wäre.“ Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: „Bin ich’s, Rabbi?“ Er sprach zu ihm: „Du sagest’s.“

  • Zitat

    Er antwortete und sprach: „Der mit der Hand mit mir in die Schüssel tauchet, der wird mich verraten. Des Menschen Sohn gehet zwar dahin, wie von ihm geschrieben stehet; doch wehe dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird. Es wäre ihm besser, daß derselbige Mensch noch nie geboren wäre.“ Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: „Bin ich’s, Rabbi?“ Er sprach zu ihm: „Du sagest’s.“


    Hallo,
    ist das ein Rätsel?
    Ich kapier gerade gar nichts. :D


    Grüße aus München,
    Jonathan

  • Du schriebest "Nur einer weiß es bereits und fragt nicht.
    Der Verrater war Judas (m.E. meinst Du den Verräter und nicht Johannes). In Matthäus steht aber "Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: „Bin ich’s, Rabbi?


    Da irrst Du Dich.


    LG, Paul

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  • Stimmt, da hast du recht, er fragt auch nach. Allerdings eben nicht in dem Chor der "Unwissenden" sonder einzeln und im Wissen seiner Schuld. Und ja, ich meinte Judas :)


    Viele Grüße,
    Jonathan

  • Zitat

    Original von Masetto
    Diese Passionen scheinen voll solcher Gleichnisse zwischen Inhalt und musikalischer Form in Gestalt der Umsetzung der Inhalte durch Bach zu sein.
    :hello:



    Zahlensymbolik wie die von Jonathan erwähnte gibt es (nicht nur) bei Bach häufig und die finde ich auch spannend, weil man sie beim Hören nachvollziehen kann. :)Leider gibt es aber unter den Bach-Fans eine große Gemeinde von Zahlenmystikern und Taktezählern, die in jeder Gruppe von 14 Takten die Quersumme aus B-A-C-H ziehen müssen. :kotz: Mir hat das nie was gebracht, ich fand beide Stücke genauso langweilig und quälend wie zuvor. :faint: Ganz anders ist es mit der Bildsymbolik. Davon ist das Werk nämlich voll und wenn man die nachvollzieht, dann versteht man plötzlich auch, was Bach an dem Text fasziniert hat. Ein schönes Beispiel ist die Arie "Können Tränen meiner Wangen" aus der Matthäuspassion. Bekanntlich wünscht dort der Betrachter, dass sein Herz zur Opferschale werden möge, in das Christi Blut tropfen solle. Ein gewagtes Bild, dessen Elemente Bach und seinen Zeitgenossen aber aus tausenden von Illustrationen bekannt war: Blutende Herzen über Opfersteinen findet man zu Hauf. Natürlich hat Bach das Tropfen des Blutes und der Tränen mit Begeisterung und größter Deutlichkeit in der Begleitung nachgeahmt. Das war seine Art, die Welt und das Weltgeschehen zu deuten: als ein Bilderbuch Gottes, dessen Symbolik es mit Lust zu ergründen galt.


    Leider ist vielen Interpreten diese Deutung aber peinlich, weil sie den Text spätromantisch als individuelle Wunschphantasie eines etwas exaltierten Gläubigen missverstehen (oder aber gar nicht bemerken, dass im Bass etwas tropft ;) ). Für mich wird die Matthäuspassion aber überhaupt erst spannend, wenn ich sie als musikalisches Bilderbuch hören kann. Bachs Zeitgenossen ging es bestimmt auch so. Der langen Rede kurzer Sinn: Symbolik bei Bach ist nicht nur dort interessant, wo man sie nicht hören kann.


    :hello:


    Amateur

    Dem Amateur ist nichts zu schwör.

  • Zitat

    Original von Bernhard
    Die Matthäus-Passion soll, wie alle großen Werke Bachs, mit Synbolen, Tonmalereien und Zahlenrätsel durchsetzt sein.


    Symbole und Tonmalereien auf jeden Fall! Problematisch jedoch fand ich schon immer die Zahlensymbolik. Hier sollte unterschieden werden zwischen Zahlen und „Zahlen“: Beim angeführten Judas-Beispiel ist die 11-fache Frage eher als „Zahl“ in Anführungsstrichen zu sehen, die Anzahl der Choräle in der Johannespassion eher ohne. Die Grenzen sind fließend, keine Frage — aber die Entsprechung 11 Jünger / 11 Frager im Chorsatz ist als solche keine Mathematik, Mengen und Quersummen schon.


    Problematisch ist das Aufspüren und Interpretieren der Zahlen ohne Anführungstriche, da hier der eigenen Aussagereichweite keine natürlichen Grenzen gesetzt sind. Hochstrukturierte Artefakte wie Bachs Passionen, gotische Rosetten oder ägyptische Pyramiden haben zusätzlich zu absichtlich eingearbeiteten auch komplexe inhärente mathematische Qualitäten, die davongaloppierender Zahlenmystik die Stalltür öffnen.


    Der weiter oben verlinkte Artikel zur Zahlensymbolik der Johannespassion ist dafür ein schönes Beispiel. Je komplexer die Struktur, desto weiter kann gegangen werden — von der phantastischen Zahlenmystik der Kabbala über christliche Mystiker bis zu modernen Numerologen. Zwei Aspekte spielen hier eine Rolle: Interpretative Zahlenmystik ist nicht logisch widerlegbar innerhalb ihrer eigenen Perspektive und sie ist totalitär, da sie jeden denkbaren Einwand aus ihrer eigenen Logik her zu entkräften weiß. (Nicht nur, aber vor allem auch aufgrund dieser Attribute stehen Zahlenmystik und Verschwörungstheorien sich so unappetitlich nahe, und hier wie dort wartet der Paranoide Wahnzirkel gleich um die Ecke.)


    Versteht mich nicht falsch: Zahlensymbole und Zahlenrätsel sind mit Sicherheit vorhanden! Und wir sollten hier auch unser Beobachtungsvermögen und unsere Imaginationskraft spielen lassen, von den 11 Fragen/Chorälen bis zu Rillings „Liegendem Kreuz“. Aber wir sollten extrem vorsichtig sein und wenn irgendwie möglich im Spielerischen verbleiben, denn die genannten komplexen mathematischen Strukturen können ganz schnell zur Weltansicht mutieren. (Und zwar gerade bei intelligenten Leuten!)


    (Was nicht heißt, daß auch das nicht höllischen Spaß machen kann, wie Eco in „Der Name der Rose“ und „Das Foucaultsche Pendel“ beweist! :) )


    ^_^J.

  • Das bekannteste Beispiel aus der Matthäuspassion dürften dann wohl die 11 Jünger sein, die Fragen "Herr, bin ich's?" Nur einer weiß es bereits und fragt nicht.



    Gruß,
    Jonathan


    Als 12. Jünger = Judas kommt dann ja noch der Choral "Ich bin's, ich sollte büßen", gleichzeitig auch noch als Reaktion des Gläubigen, der am Passionsgeschehen Anteil nimmt und auf sich und seinen Glauben bezieht. Einfach schön!


    Hier ist die Zahlensymbolik naheliegend, bei einigen anderen habe ich doch größere Zweifel, ob es nicht einfach nur Zufall ist.


    Ich habe auch mal gelesen, dass sich die sich steigernde Wut der Menge in den "Kreuzige!"-Chören durch Modulation in Tonarten mit immer mehr Kreuz-Vorzeichen äußert.