Die Bachkantate (055): BWV1: Wie schön leuchtet der Morgenstern

  • Ein Zufall will es, dass der heutige 25. März 2007 zugleich auch ein Sonntag ist (und zwar der Passionssonntag Judica) – die hier heute präsentierte Bachkantate ist aber nicht diesem Sonntag, sondern dem Datum „25. März“ gewidmet:
    Nach Mariae Reinigung am 2. Februar ist heute am 25. März das zweite Marienfest, das zu Bachs Zeiten noch ein wichtiger protestantischer Feiertag war:
    Mariae Verkündigung oder Verkündigung des Herrn.


    Während Bedeutung und Anlass von Mariae Reinigung ("Lichtmess") etwas längerer Erklärungen benötigte, ist es mit der Bedeutung dieses am heutigen Tage begangenen Marienfestes eigentlich ganz einfach:
    Die Geschichte des Besuchs des Erzengels Gabriel bei der Jungfrau Maria, wie sie im Evangelium des heutigen Festtages bei Lukas beschrieben wird, ist eigentlich bekannt – der berühmte „Englische Gruß“ Gabriels an Maria, das „Ave Maria“, ist ja ebenfalls allgemein geläufig.
    Gabriel verkündigt Maria, dass sie von Gott auserwählt ist, durch die Kraft des Heiligen Geistes schwanger werden und einen Sohn gebären wird, den sie Jesus nennen soll. Dieser "Sohn des Höchsten" wird einmal Herrscher über ein Reich werden, das kein Ende besitzen wird.



    Warum dieser Episode, die logischerweise in engem Bezug zu Weihnachten und der Adventszeit steht, ausgerechnet am 25. März, also einem Datum, das normalerweise mitten in der Passions- und Fastenzeit liegt, gedacht wird, liegt auf der Hand: Genau heute in 9 Monaten ist Weihnachten!
    Und wenn eine Schwangerschaft, die ja nun einmal mehr oder weniger genau 9 Monate dauert, regulär und ordnungsgemäß nach Lehrbuch verlaufen ist, dann ja wohl diese... :]
    So dachte man wohl damals in rührend-naiver Weise, als man den Gedenktag für diese auf den Tag genau 9 Monate vor der Geburt beginnende Schwangerschaft festlegte (das Fest wurde bereits im 7. Jahrhundert in Rom eingeführt).
    Ungeachtet der etwas unpassenden „Dramaturgie“, die den 25. März meist (wie auch in diesem Jahr) mitten in der Passionszeit liegen lässt, während der man eigentlich eher bußfertig gestimmt und nicht voll vorweihnachtlicher Freude ist, wird das Fasten und Büßen für diesen einen Tag unterbrochen und die Stimmung auf „Advent“ und „Weihnachten“ umgestellt... :D
    So geschah es auch im Leipzig zu Bachs Zeiten, wo es während der Passionszeit ja keine Figuralmusik in den Kirchen gab – am 25. März machte man jedoch alljährlich eine eintägige Ausnahme hiervon und deshalb besitzen wir eben auch aus Bachs Leipziger Zeit die folgende Kantate:





    BWV 1: Wie schön leuchtet der Morgenstern
    Kantate zum Fest Mariae Verkündigung (Leipzig, 25. März 1725)




    Lesungen:
    Epistel: Jes. 7,10-16 (Weissagung von der Geburt des Messias)
    Evangelium: Luk. 1,26-38 (Der Engel Gabriel verkündigt Maria die Geburt Jesu)



    Sechs Sätze, Aufführungsdauer: ca. 25 Minuten


    Textdichter: unbekannt; inspiriert aber vom titelgebendem Choral aus dem Jahr 1599
    Choral (Nr. 1 und 6): Philipp Nicolai ( 1556-1608 )



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe da caccia I + II, Horn I + II, 2 Solo-Violinen, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Choral SATB, Oboe da caccia I + II, Horn I + II, Solo-Violinen I + II, Streicher, Continuo
    Wie schön leuchtet der Morgenstern
    Voll Gnad’ und Wahrheit von dem Herrn,
    Die süße Wurzel Jesse!
    Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm,
    Mein König und mein Bräutigam,
    Hast mir mein Herz besessen,
    Lieblich, freundlich,
    Schön und herrlich, groß und ehrlich, reich von Gaben,
    Hoch und sehr prächtig erhaben.


    2. Recitativo Tenor, Continuo
    Du wahrer Gottes und Marien Sohn,
    Du König derer Auserwählten,
    Wie süß ist uns dies Lebenswort,
    Nach dem die ersten Väter schon
    So Jahr’ als Tage zählten,
    Das Gabriel mit Freuden dort
    In Bethlehem verheißen!
    O Süßigkeit, o Himmelsbrot!
    Das weder Grab, Gefahr, noch Tod
    Aus unser’n Herzen reißen.


    3. Aria Sopran, Oboe da caccia I, Continuo
    Erfüllet, ihr himmlischen göttlichen Flammen,
    Die nach euch verlangende gläubige Brust!
    Die Seelen empfinden die kräftigsten Triebe
    Der brünstigsten Liebe
    Und schmecken auf Erden die himmlische Lust.


    4. Recitativo Bass, Continuo
    Ein ird’scher Glanz, ein leiblich Licht
    Rührt meine Seele nicht;
    Ein Freudenschein ist mir von Gott entstanden,
    Denn ein vollkomm’nes Gut,
    Des Heilands Leib und Blut,
    Ist zur Erquickung da.
    So muss uns ja
    Der überreiche Segen,
    Der uns von Ewigkeit bestimmt
    Und unser Glaube zu sich nimmt,
    Zum Dank und Preis bewegen.


    5. Aria Tenor, Solo-Violinen I + II, Streicher, Continuo
    Unser Mund und Ton der Saiten
    Sollen dir
    Für und für
    Dank und Opfer zubereiten.
    Herz und Sinnen sind erhoben,
    Lebenslang
    Mit Gesang,
    Großer König, dich zu loben.


    6. Choral SATB, Oboe da caccia I + II, Horn I + II, Streicher, Continuo
    Wie bin doch so herzlich froh,
    Dass mein Schatz ist das A und O,
    Der Anfang und das Ende;
    Er wird mich doch zu seinem Preis
    Aufnehmen in das Paradeis,
    Des klopf ich in die Hände.
    Amen! amen!
    Komm, du schöne Freudenkrone, bleib nicht lange,
    Deiner wart’ ich mit Verlangen.





    Der adventlich-weihnachtlichen Tendenz dieses heutigen Marien-Festtages entsprechend hat diese Choralkantate ein Lied von Philipp Nicolai zur Grundlage, das eigentlich dem Dreikönigsfest (Epiphanias) zugeordnet ist, traditionell aber auch zu Mariae Verkündigung gesungen werden konnte. Trotzdem ist es irgendwie seltsam, zur aktuellen Jahreszeit, wo draußen endlich der Frühling Einzug hält und man sich musikalisch mit Passionsmusiken beschäftigt, einem Weihnachtslied zu begegnen (eben diesen Choral haben wir 2006 in einem Adventskonzert in einer Bearbeitung von Peter Cornelius zuletzt gesungen)...


    Entsprechend „vorweihnachtlich“-festlich ist Bachs Komposition ausgefallen: 2 Hörner, 2 Oboen und 2 Solo-Violinen konzertieren im prächtigen Eingangsschoral mit dem restlichen Instrumentalensemble und dem Chor um die Wette.
    Der Satz ist eine typische Choralbearbeitung von Bach: Der Sopran singt als Cantus firmus zeilenweise in langen Notenwerten die Choralmelodie, während die übrigen Stimmen (vokale wie instrumentale) diese Melodie umspielen, variieren, imitieren, usw. – herrlich!!


    Die feierliche Arie Nr. 3 kombiniert den Solosopran mit einer Oboe da caccia und die freudig-tänzerische Arie Nr. 5 den Solotenor mit dem Streichensemble, wobei hier ein wunderbarer Wechsel mit Echo-Effekten zwischen den beiden Solo-Violinen und dem restlichen Streicherapparat erzielt wird.
    Wie fast immer, wenn der gesungene Text Bezug auf musikalische Themen nimmt (hier „Unser Mund und Ton der Saiten...“), greift Bach diese Vorgabe dankbar auf und entfacht ein wahres Musizier-Feuerwerk!


    Im Schlusschoral darf sich dann noch eines der beiden Hörner mit einer „bevorzugten“ Stimmführung hervortun. Die drei letzten Textzeilen „Amen, amen!/ Komm, du schöne Freudenkrone, bleib nicht lange,/ Deiner wart’ ich mit Verlangen.“ hat Bach im Jahr 1714 bereits in seiner Kantate zum 1. Advent (BWV 61) als Schlusschoral verwendet – diese Stelle zeigt nochmals sehr schön, wie nah wir thematisch am heutigen Tage schon wieder dem Weihnachtsfestkreis stehen.... :wacky: :rolleyes:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Die zufällig mit der prominenten Nummer 1 im BWV bezeichnete Kantate gehört für mich zu den 10 schönsten Bachkantaten. Sie fühlt sich immer wie eine weihnachtliche Kantate an, obwohl Mariae Verkündigung im März liegt. Das liegt freilich daran, dass Maria hier ja die Geburt Jesu verkündet wird. Deshalb auch der Epiphanias-Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ und die feierliche Vertonung Bachs. Der Eingangssatz dieser Choralkantate ist ein Beispiel der häufigsten Form Bachscher Choralchöre: Melodisch unabhängige Begleitung (hier die Eingangssinfonie), in welche die Choralzeilen eingefügt sind. Der Satz zeichnet sich durch klangliche Pracht, ein unwiderstehliches Ritornell und weihnachtliche Freude aus.

    Auch die beiden Soloarien gefallen mir ausnehmend gut. Die Sopranarie „Erfüllet ihr himmlischen göttlichen Flammen“ besonders: Der ein wenig erdige Klang der Oboe da caccia verbindet sich hier auf ungewöhnliche aber glückliche Weise mit dem Solosopran. Die feierliche Melodie vertont den typisch barocken und bildreichen Text eines unbekannten Textdichters: „Erfüllet ihr himmlischen, göttlichen Flammen die nach euch verlangende gläubige Brust. Die Seelen empfinden die kräftigsten Triebe der brünnstigen Liebe und schmecken auf Erden die himmlische Lust.“ Einer der Barocktexte bei denen man unweigerlich ein wenig schmunzeln muss. Es fällt auf, dass die erotischen Metaphern hier weniger mystisch als in den meisten Werken Bachs sind. Im Fokus der Aussage steht hingegen eine irdische (Vor-)Freude der göttlichen Präsenz in der gläubigen Seele, einmal mehr durch den Sopran symbolisiert.

    Insgesamt gilt für BWV 1 schlicht und ergreifend: Wunderschöne Musik.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Wie immer freue ich mich auf diese Besprechungen. Für mich als Laien wären CD Tips wichtig. Wäre das eine gut Aufnahme ?

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  • Also Gardiner empfehle ich persönlich immer, ja!

    Gelegentlich sind seine Tempi selbst mir zu schnell, hier aber nicht. Insgesamt ist seine Box meine Lieblings-GA.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Ich besitze von dieser Kantate 2 Aufnahmen

    Beid sind in gewisser Hinsicht heute als "historisch zu bezeichen, trotz Stereoklang. Beide verdanken ihre Anwesenheit in meiner Sammlung dem Bachjahr 2000, wo man sie Werke Bachs geradezu verschleuderte. Der Markt war damals schon gesättigt. Dennoch waren die beiden miteinander konkurrierenden Aufnahme jeweils in einer bestimmten Gruppe Referenz

    Die Rilling Aufnahme - hier meine ich die gesamte Edition litt darunter, daß in jenen Tagen das Ende von Bach mit modernen Instrumenten besiegelt schien, jene von Harnouncourt indes opfert dem historischen Ansatz den Wohlklang. Man war zur Zeit der Einspielung noch nicht so vertraut mit den Eigenheiten historischer Instrumente.

    Eine letzte Bemerkung noch zu Rilling:Sie erschien übsprünglich noch auf Schallplatte (LP-Vinyl) DAs Besondere war, daß man sich noch eine alten Tradition beim Verkauf bediente: Die Platten - wenn ich mich erinnere waren es immetwa 3 gleichzeitig - waren in Subskription aufgelegt. Im Fono Forum erschien alle paar Monate ein Subskriptionsaufruf....Tempi Passati


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !