François-André Danican Philidor [1726-1795]
Das bedeutendste Glied der Familie Philidor, wie der Artikel im MGG ihn beschreibt, soll natürlich auch einen eigenen Thread haben! Dieser Philidor soll diesem Artikel zufolge die endgültige Form der opéra comique entwickelt haben, in der sich dann Grétry, Dezéde u.a. auszeichneten. Das klingt ja schon mal recht interessant, zumal er auch noch alle seine Zeitgenossen an handwerklicher Tüchtigkeit überragt haben soll. Was also ist über François-André Philidor in Erfahrung zu bringen?
François-André wurde am 7. September 1726 als erster Sohn aus zweiter Ehe von André [l’aîne, 1647-1730] und Elisabeth Le Roy ganz in der Nähe von Versailles in Dreux geboren. Sein junges Leben war sogleich voll von Musik umgeben, denn er wurde in eine große Musikerfamilie hineingeboren: François-André’s Vater war ein vielbeschäftigter Musiker am Hofe Louis XIV., wo er u.a. Krummhorn, Trumscheit und Pauken in der Grande Ecurie spielte sowie Oboe und Fagott bei der königlichen Kammermusik. Dessen erster Sohn aus erster Ehe mit Marguérite Monginot darf sich als Gründer der Concerts spirituels feiern lassen, welche er 1725 – also im Jahr vor der Geburt seines Halbbruders - aus der Not heraus ins Leben rief. So ist es denn auch nicht weiter verwunderlich, dass François-André bereits als 6jähriger Knabe im Chor der Chapelle Royale beschäftigt wurde, wo er zudem seine erste musikalische und zudem hochwertige Ausbildung von André Campra [1660-1774] erhielt. Zum Kurzweil am Versailler Hofe gehörte bei den Musikern das Schachspiel, dass den jungen Choristen sogleich faszinierte. Offenbar war er darin so geschickt, dass sich der im Schachspiel aufs äußerste verstandene Sire de Légal, ein gewisser Monsieur de Kremur seiner annahm und dessen Fertigkeiten derart vertiefte, dass Kremur als Lehrer sehr bald von seinem Schüler im Spiel geschlagen wurde. Zu den Spielpartnern Philidors gehörten u. a. Persönlichkeiten wie Voltaire und Rosseau.
Philidor spielt mit verbundenen Augen
Club Parloe's [Londres] – 1793
Wie etwas zuvor Mozart „blind“ am Clavier spielte, so begeisterte Philidor sein Publikum mit dem „blinden“ Schachspiel und machte sich damit so bekannt, dass er davon leben konnte. Zu dieser Zeit war Philidor allerdings kein enfant terrible mehr, sondern ein erfahrener und führender Experte auf dem Gebiet des Schachspiels.
Bereits 1738 erklang in der Chapelle Royale die erste Motette des noch jungen Philidor, 1743 wurde eine weitere Komposition des Schachkönigs während der Concerts spirituels aufgeführt. Während er Rosseau im Schachspiel schlug, half er dem Geschlagenen sogar noch bei der Vollendung dessen opéra-ballet Les Muses galantes, das Ende 1745 uraufgeführt wurde. Es ist schon ein gelungenes Bild: Mal eben zwischen zwei Partien im Ballett eines Meisters herumzukritzeln. Danach reiste Philidor zusammen mit Francesco Geminiani und einem gewissen Lanza [wohl kaum Mario], um zu konzertieren. Zunächst ging es in die Niederlande: Lanza nannte eine Tochter sein eigen, die als Wunderkind auf dem Cembalo präsentiert werden sollte. Die machte jedoch nicht mit und verstarb noch bevor die Konzerte tatsächlich losgingen. Der geknickte Lanza ließ Philidor in Rotterdam zurück, um nach Paris zurückzukehren. Philidor schlug sich mit Schachspielen über die Runden. Im Haag lernte er eine Truppe englischer Offiziere kennen, die ihn nach England exportierten. In London traf Philidor auf den Schachmeister Sir Abraham Janssen sowie auf Philip Stamma, der in einem Wettkampf gegen Philidor nur zwei von zehn Partien gewinnen konnte. 1748 ging Philidor zurück ins kontinentale Europa und ließ sich zunächst in Aachen nieder, wo er zunächst eine erste Abhandlung über das Schachspiel veröffentlichte. Er lernte den Herzog von Cumberland kennen und ging auf dessen Veranlassung hin wiederum nach London, um hier 1749 seine Analyze des échecs zu veröffentlichen. Zwischenzeitlich folgte er 1751 einer Einladung Friedrichs des Großen nach Berlin – der König bewunderte den Schachspieler, wagte aber keine Partie mit ihm zu spielen. Philidors Berühmtheit wurde hier perfekt, als er an drei Brettern gleichzeitig blind spielte. 1754 wandte sich Philidor wieder nach Paris und wollte mit seiner Kantate Lauda Jerusalem den freigewordenen Posten des Kapellmeisters erhaschen. Philidor wurde wegen Stilbruchs abgeschmettert: Er klang zu italienisch. Der italienische Einfluß machte ihm auch weiterhin zu schaffen, obschon er sich für die Opéra-comique einsetzte. Erst 1758, nachdem Philidor einige Arien für die Wiederaufnahme der Pélerins de la Mecque komponierte, überzeugte er Musiker und Publikum von seinem Können. Seine Erfolgslaufbahn als Komponist war besiegelt. Ein Opernerfolg jagte den anderen, so zum Beispiel 1759 mit Blaise le savetier. Anfang der 1770er Jahre reiste Philidor erneut nach London: Hier bekam er vom neu gegründeten Chess Club eine jährliche Präsenz-Vergütung und legte sein Schachbuch neu auf. In London wurde auch seine Vertonung der Carmen seculare nach der horazischen Dichtung mit einem Bombenerfolg uraufgeführt. Anstossgebend war hier der Herausgeber eines englischen Wörterbuches namens Giuseppe Baretti Der allerdings wurde 1769 wegen Mordes angeklagt – und freigesprochen, da es sich wohl um eine Art Notwehr gehandelt haben muss. Jedenfalls hatte dieser Typ einige gute Bekannte, die ihm zum Freispruch verhalfen - dies nur als Randbemerkung zur Beschreibung des Kreises, in dem sich Philidor offenbar sehr lebendig bewegte. Jährlich pendelte Philidor in den Jahren 1775 bis 1792 zwischen Paris und London hin und her.
Eines der aufregendsten Musikerleben, das ich je kennen lernte, endete am 31. August 1795 in London, quasi Schach matt
Philidor hinterlässt schätzungsweise 20 bis 25 Opern, von denen die Überzahl dem Genre der Opéra-comique angehört. Auch seriöse Opern wie z.B. Thémistocle entsprangen seiner Feder, zudem komponierte er 6 Quartette [alternativ mit Flöte, Oboe oder Violine zu besetzen], mehrere Kantaten und geistliche Werke. Weiterhin bearbeitete er z.B. Charpentiers Ballett ‚Le retour de printemps’, sowie Werke von van Maldere, van Swieten und anderen.
Seine Musik ist spannend und abwechslungsreich wie sein Leben - göttlich: zwischen sinnlich und pompös, daher sehr vielseitig!
François-André Danican Philidor [1726-1795]
Carmen Sæculare
Veronica Cangemi, Nora Gubisch,
Donald Litaker, Antonio Abete
Svizzera Italiana
Jean-Claude Malgoire
Seine Chöre – für die er ebenfalls berühmt war – ähneln jenen von Johann Christian Bach, den er vielleicht in London getroffen haben könnte. Die gezeigte CD ist ganz frisch gepresst und erfreut mich durch ihre mit enthaltenen spritzigen, teilweise sogar romantischen, Ouvertüren zu Le Sorcier und Tom Jones. Diese werden vom Prager Kammerorchester und Christian Bendas Leitung gespielt.
Ebenfalls ganz frisch auf dem Markt ist seine Oper Tom Jones auf DVD erschienen:
…und bereits vorgemerkt!
Auch hier ist Jean-Claude Malgoire stabführend.
Beinahe hätte ich es vergessen: Leopold Mozart schreibt 1778 an W. A. Mozart nach Paris:
[...] Nun will ich dir noch einige Nähmen von anderen Personen unserer damaligen bekannten Personen hersetzen. [...] Mr: Hannauer Clavecin. Mr: Philidor Compositeur. etc: Ich darfs dir aber nicht sagen, du weist ohnehin, daß der Umgang mit diesen Leuten von keinem Nutzen, sondern eine vertraulichkeit mit dem mehrern Theil dieser Leute nur Schaden ist: nur etliche wenige ausgenommen. [...]
Mit diesen Ausnahmen meint er z.B. Herrn Gluck. Bereits 1766 trafen die Mozarts auf ihrer Parisreise in der Zeit von Mai bis Juli u. a. auf F. A. Philidor, Hanauer, Raupach und Canabich.
Warum ausgerechnet 2007 gleich zwei filidorische größere Werke auf den Markt geworfen werden, will mir nicht einleuchten. Ich hab aber auch nichts dagegen...
Viele Grüße
Ulli