Gustavo Dudamel: Ihm gehört die Zukunft

  • Zunächst wollte der 1981 in Venezuela geborene Gustavo Dudamel, Sohn eines Salsa-Musikers, Posaunist werden, aber seine Arme wuchsen nicht so schnell wie seine Leidenschaft für die Musik, und so verlegte sich der Siebenjährige aufs Studium des Geigenspiels und auf Kompositionslehre.


    Mit 13 stand er zum ersten Mal als Dirigent vor einem Orchester, einem Kammerensemble mit 30 Instrumentalisten. "Es war mein Traum! Ich war überhaupt nicht nervös. Einen Monat später bekam ich dann direkt ein Orchester mit 150 Leuten. Ich denke, ich muss gut gewesen sein.".


    Von Dudamels überragenden Qualitäten konnte sich vor gut 2 Jahren auch das Publikum beim Bonner Beethovenfest überzeugen, wo der Venezolaner kurzfristig für den erkrankten Frans Brüggen eingesprungen war.


    Das Konzert mit dem Philharmonia Orchestra London ist dem jungen Dirigenten in guter Erinnerung geblieben. Sein Geheimnis: "Ich habe das Dirigieren durch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelernt. So dirigiere ich nun alles. Auch professionelle Orchester." Mit andern Worten: Man muss die Musik so auffassen, als werde sie hier und jetzt zum ersten Mal gespielt.


    Keine Vision, sondern die Realität: So klingt die Zukunft. Nächstens in Rom, wo Dudamel zum 80.Geburtstag des Papstes Benedikt XVI ein Konzert mit dem RSO Stuttgart dirigieren wird.


    (Einige Daten wurden dem Bonner Generalanzeiger entnommen)

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Hallo Siegfried,


    vielen Dank für diesen neuen Thread über den jungen Venezolaner mit dem sonnigen Gemüt.
    Vor knapp einem Jahr, im Mai 2006, hatte ich das große Glück, mich von den außerordentlichen Qualitäten Dudamels überzeugen zu können - und zwar im Rahmen eines Konzertes der sehr verdienstvollen Reihe 'Debüt' des Hessischen Rundfunks im HR-Sendesaal.
    Der zwei Jahre ältere Pianist Kirill Gerstein spielte das selten aufgeführte 1. Klavierkonzert fis-moll von Rachmaninow, und nach der Pause gab das hr-Sinfonieorchester unter Dudamels Leitung die 'Pathétique' von Tschaikowsky.
    Es war einfach unbeschreiblich, mit welch unbändiger Energie, ungestümem Temperament Gustavo, das Orchester zu spektakulären Höchstleitungen antrieb und dabei - vor allem im 3. Satz - ein sprühendes Feuerwerk entfesselte, wie ich es in zwanzig Jahren eifrigen Besuchens von Konzerten selten erlebt habe. Wahnsinn! :D


    Und schon heute freue ich mich riesig auf einen hoffentlich baldigen, erneuten Auftritt des auf der Bühne so enorm präsenten jungen Bengels in Frankfurt. :]


    Schöne Grüße
    Johannes

  • Soweit ich weiß war er Produkt eines "Sozialprojekts"


    Schön und gut - sehr ehrbar.


    Aber warum gerade er die "Zukunft" sein soll, das erschliesst sich mir nicht.


    Gibt es nicht genügend Europäer aus erstklassigem Haus mit musikalischer Tradition, die Musik studiert haben ? Muss es unbedingt jemand aus den Slums, aus Fernost oder Russland sein ?


    ich glaube es geht einzig und allein darum, daß diese Leute billig zu haben sind, und teuer verkauft werden können.


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,
    prinzipiell gebe ich Dir recht: Es ist heute so, daß ein Künstler, um Fuß zu fassen und entsprechend vermarktet zu werden, einen Haken braucht, an dem man das aufhängen kann, was in der Branche "eine Geschichte" genannt wird. Ob das nun die singende Putzfrau ist (die niemals Putzfrau war) oder der blinde Startenor, kommt auf dasselbe hinaus. Ich warte also nur noch auf die gehörlose Sängerin ("es war bewundernswert, wie sie doch immer wieder einen Ton traf - manch Sopranistin sollte sich an solcher Intonation ein Beispiel nehmen") und den beidseitig armamputierten Dirigenten ("nur mit den Blicken dirigierte er die aufregendste Sechste Mahler, die ich je erlebt habe").


    Dudamel hingegen ist ein etwas anderer Fall. Er selbst kommt nicht aus den Slums, sondern wurde bei einem Orchester entdeckt, das ein derartiges Sozialprojekt ist.
    Ein Freund von mir, selbst Dirigent, erzählte mir von Dudamel, als sein Name noch nicht ansatzweise bekannt war. Mein Freund sagte: "Das ist einer, der instinktiv alles macht, was wir anderen hart erarbeiten mußten." Wenn ein Konkurrent so urteilt, spitze ich schon die Ohren.


    Gib Dudamel also eine Chance - die Chance nämlich, nicht nur aufgrund einer Geschichte bekannt zu werden, sondern aufgrund seines Könnens. Man wird ja sehen, was dran ist. Nur halte ich es für vorschnell zu sagen: "Wieder einer mit einer Geschichte - also wird nix dran sein".


    Vielleicht ist diesmal ja trotz der Geschichte etwas dran.


    :hello:

    ...

  • War es nicht in Venezuela (oder in welchem lateinamerikanischen Land?), wo in den letzten Jahrzehnten so viel für die musikalische Jugendbildung getan wurde, dass es eine sehr große Zahl an musizierenden jungen Leuten gibt und ein ca. 20jähriger aus diesem Land vor einiger Zeit als jüngstes Mitglied der Berliner Philharmoniker (Kontrabass) aufgenommen wurde. Klar sind hier die Auswahlkriterien sicher nicht mit denen im heiligen Wien zu vergleichen, aber dass es einen Slum-Bonus gibt halte ich doch für eher unwahrscheinlich.
    Natürlich ist es peinlich, wenn sich D (und wohl auch A) hier von Entwicklungsländern in der Bildung und Ausbildung blamieren lassen müssen, aber man sollte ja hoffen, dass das der Anlaß für Besserung sein könnte (auch wenn davon z Zt. in D nicht viel zu merken ist).


    Der letzte Dirigenten-Jungstar war übrigens Ende der 90er der inzwischen ca. 30jährige Daniel Harding, aus Großbritannien, ich weiß aber nicht, ob aus gutem Hause....jedenfalls kein Exotenbonus für den blonden und blassen Jüngling.
    Sehr junge (>30) Dirigenten sind selten genug (obwohl es ja vermutlich leichter wäre, hier jemanden zu "machen" als bei Instrumentalisten oder Sängern), daher scheint mir, dass hier die internen Qualitätskontrollen noch funktionieren und nicht völlig durch marketing ersetzt worden sind (das geschieht erst, wenn ein Pultstar etabliert ist :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: )


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Nun ja, das ist meiner Meinung nach völliger Blödsinn, was die DG da gemacht hat.
    Die Aufnahmen sind sehr gut, die VII mit den straffen Rhythmen ist sogar exzellent, die V spannend musiziert.
    Aber: Es ist nichts Außergewöhnliches.
    Das Problem: Der Beethoven-Markt ist übersättigt, es gibt für jeden Geschmack eine passende Einspielung. Einen Newcomer gerade mit diesen beiden Symphonien vorzustellen, zeugt von völliger Fehleinschätzung der Tatsachen. Es kann nur eines herauskommen: Ja, Dudamel ist gut, aber xy ist noch besser.


    Meiner Meinung nach wäre es taktisch klüger gewesen, mit etwas anzufangen, das nicht in x ehrfurchtgebietenden Vergleichseinspielungen vorliegt, sondern vielleicht nur in einer oder in zwei.


    :hello:

    ...

  • Dudamel war Gewinner des ersten Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerbs, der im Frühling 2004 hier in Bamberg stattfand. Die 299 Bewerber wurden zunächst nach ihren Unterlagen gesiebt, dann in mehreren (insgesamt - glaube ich - waren es vier) Runden, in denen sie jeweils mit den Bamberger Symphonikern probten. Vorsitzender der Jury war Chefdirigent Jonathan Nott, weitere Mitglieder (soweit ich mich erinnere) Marina Mahler und Herbert Blomstedt. Schließlich blieben zwei Bewerber übrig (Dudamel und der Bulgare Ivo Venkov), die jeweils drei Stunden lang drei Stücke probten: ein von ihnen auszuwählendes zeitgenössisches Werk, Mahlers Rückert-Lieder mit Stella Doufexis sowie Teile von Mahlers fünfter Symphonie. Diese Proben waren öffentlich und ich war zumindest zeitweise auch dabei: Dudamel glänzte durch Charme und Temperament und arbeitete sehr stark mit Körperbewegung und Gestik (weniger mit Worten - sein Englisch war ausgesprochen originell). Venkov war offenbar Anhänger einer "ganzheitlichen" Probenpraxis und ließ die Stücke gleich durchspielen, ohne viel Worte zu verlieren (bis es der Jury dann zu viel wurde)... Es gab dann noch ein Abschlusskonzert, bei dem Dudamel die Wettbewerbsstücke dirigierte: Mahlers Fünfte war keine große, aber doch eine fesselnde Interpretation.


    Seitdem hat Dudamel hier zweimal Konzerte mit den Bamberger Symphonikern geleitet: einmal mit einer recht knallig-lauten Vierten von Tschaikowsky, das anderemal vor wenigen Wochen mit Tschaikowskys b-moll-Klavierkonzert und Dvoraks Neunter. In das letzte Konzert bin ich allerdings nicht mehr gegangen - erstens war es schon lange vorher ausverkauft und zweitens reicht es mir jetzt erstmal mit dem Mainstream-Repertoire (vgl. auch die Beethoven-CD). Hoffentlich drigiert Dudamel demnächst mal was anderes als die Schlachtrösser (die ich zeitweise durchaus schätze).


    Vom 23.-28. April findet hier übrigens der zweite Mahler-Dirigentenwettbewerb statt - mit 14 Kandidaten aus 9 Ländern.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Im August kommt bei DG Mahlers 5. mit demselben Orchester wie der Beethoven.

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Und das ist meiner Meinung nach der nächste Fehler.


    Es scheint, als hätten die Labels aus Fehlern nichts gelernt. Dabei müßten sie nur etwa in der Biografie von Welser-Möst nachschlagen...


    :hello:

    ...

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  • Die DG hat doch eh nur 7 oder 8 Fünfte Mahler im Katalog, da kommt es auf eine Aufnahme mehr oder weniger nicht mehr an... :D



    Dabei bin ich durchaus der Ansicht, dass junge Künstler sich sehr wohl früh und intensiv an den "Schlachtrössern" versuchen, aber bei Plattenaufnahmen eher mit "interessantem" Repertoire beginnen sollten. Aber versteh' einer die Politik der Plattenfirmen...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Dabei bin ich durchaus der Ansicht, dass junge Künstler sich sehr wohl früh und intensiv an den "Schlachtrössern" versuchen, aber bei Plattenaufnahmen eher mit "interessantem" Repertoire beginnen sollten.


    Schon - aber ausgerechnet dort, wo die Konkurrenz dermaßen übermächtig ist? Ich hätte eher einen Ravel ("Daphnis"-Suite) vorgeschlagen oder einen Prokofjew oder meinetwegen den guten alten "Feuervogel".


    Abgesehen davon, daß ich ohnedies nicht gleich aufzunehmen begonnen, sondern dem Burschen einmal etwas Zeit gegeben hätte, sich zu entwickeln. Heute hochgespielt, morgen ein Star, übermorgen verschwunden - da müßte doch langsam Vorsicht einkehren.


    :hello:

    ...

  • Nicht nur die Konkurrenz ist übermächtig, er läuft auch Gefahr zum Mainstream-Dirigent zu werden und am Anfang der Karriere ist das sicher nicht förderlich. Aber ich glaube man will vor allem erreichen, dass man von Werken die jeder schon in und auswendig kennt, neue aufregende Versionen bekommt, die man zur Referenz stilisieren kann. Dabei verfeuert man Dirigenten, die gute Nischendirigenten hätten werden können, da das Hauptrepertoire mehr oder weniger floppt.

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)


  • Bist du jetzt ganz sicher, dass du mich da verstanden hast? Ich habe jedenfalls genau das gemeint und wäre in noch ausgefallenere Gefilde ausgewichen.


    Und ja, objektiv gesehen hätte er vielleicht noch ein paar Jahre zuwarten sollen, aber vermutlich hatte es die Plattenfirma eilig, noch ein Ei der gleichen Farbe zu legen....

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,
    und Du meinst, er soll im Konzert von Angfang an die Schlachtrösser gleich rauf und runter spielen?
    Aus der Praxis gesprochen: Gerade am Anfang suchst Du eher nach Stücken, wo die Orchestermusiker - denn um die geht es hinsichtlich der notwendigen Re-Engagements - keine gar so große Vergleichsbasis haben.
    Als absoluter Newcomer bei einem gestandenen europäischen oder amerikanischen Orchester mit "Till Eulenspiegel" und Beethoven III. zu debütieren, ist geradezu Selbstmord.


    Und: Ja, natürlich steckt die Plattenfirma dahinter, die wieder einmal einen shooting star braucht. Und Dudamel ist leider ehrgeizig genug, nicht abzuwinken.
    Irgendwann wird man vor lauter shooting stars die bedeutenden Interpreten nicht mehr erkennen.


    :hello:

    ...


  • Ja, soll er auch! Ich glaube, das muss jeder Lernende. Oder willst du einem Pianisten empfehlen, Beethoven erst ab Mitte Dreißig zu spielen? Da braucht er meiner Meinung nach dann gar nicht mehr anfangen.


    Die Frage ist, ob Dudamel nur mehr "gestandene" Orchester dirigiert, oder auch noch kleinere. Im letzteren Fall sollte er mit den kleineren mehr Hauptrepertoire und mit den "gestandenen" mehr Ausgefalleneres spielen. Im ersteren Fall könnte er zwar deinem Vorschlag folgen, aber wann soll er sich dann das Hauptrepertoire erarbeiten?

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,
    erinnerst Du Dich an den Fall, den Welser-Möst nach der Sache in London tat? Shooting-star-Effekt weg, für den "jungen Stardirigenten" nicht mehr jung genug, keine wirkliche Repertoire-Basis. Wäre nicht Pereira gekommen und hätte Welser-Möst ganz langsam wieder zurückgebracht, wäre Welser-Möst heute einer der vergessensten Stardirigenten der Gegenwart.


    Wenn man Dudamel ähnlich aufbaut (junger Shooting Star, dirigiert alle Konzertschlachtrösser noch etwas knalliger als alle Vorgänger), wird Dudamel spätestens dann fallen, wenn ein noch jüngerer kommt, der's noch ein wenig knalliger draufhat.


    Mit den Konzertschlachtrössern eine Karriere bestreiten, ist und bleibt ein Risiko. Kann funktionieren - aber eine breitere Basis wäre nicht übel. (Wobei ich übrigens glaube, daß ein wenig Operndienst in der "Provinz" auch eine recht gute Basis für das Handwerk abgeben kann. Aber wenn man mit 25 dort sein will, wo Bernstein mit 40 war, ist dafür natürlich keine Zeit.)


    :hello:

    ...

  • Wenn ich kurz etwas zu Dudamel sagen darf: ich habe 2004 zusammen mit ihm und den Berlinern Symphonikern in einem "Kinder musizieren für Kinder"-Konzert (nun ja, soooo Kind war ich da nicht mehr) in der Berliner Philharmonie Rheinberger g-moll (Orgelkonzert) aufgeführt. Im selben Konzert wurden u.a. noch die Zauberflöten-Ouvertüre, Mozart "Komm lieber Mai"-Konzert und Prokofiew-Klavierkonzert (das wars glaube ich) gegeben.
    Mir fiel bei den Proben (eine in der Villa Bosch, die andere dann in der Philharmonie) auf, dass er ziemlich stringent durchdirigiert hat (auch den Rheinberger); ihm war vor allem wichtig, die Einsätze halbwegs sauber zu bringen (wobei ich damit erstaunlicherweise etwas Probleme hatte - mag am elektrischen Spieltisch, der Distanz zum Instrument oder was auch immer liegen), zwei, drei Ritardandi zu besprechen, und das wars dann eigentlich. Viel mehr Mühe verwandte er auf die Ouvertüre (da wurde er auch für einen Werbefilm gefilmt) - auf einer Aufnahme dieser Probe bespricht er diesen Einsatz, lässt das Orchester dies herausheben, das machen etc etc... das alles fiel bei den Solisten meistenteils weg.
    Wie das Konzert dann schlussendlich (bei "Profi-Hörern") ankam, ist mir leider nicht bekannt. Spaß hats (trotzdem) allemal gemacht.
    Aber diesen "Neuentdeckungs"-Aufstand zu machen - ich weiß nicht...

    Bach ist Anfang und Ende aller Musik

  • Offenbar gehört Dudamel bereits schon die Gegenwart. Auf der Website des Musikkritikers des "New Yorker" Alex Ross ("www.therestisnoise.com") steht seit gestern zu lesen, dass Dudamel 2009 Esa-Pekka Salonen als Chef des LA Philharmonic Orchestra beerben wird. Der junge Venezuelaner scheint das große Los gezogen zu haben...


    :hello:


    GiselherHH


    P.S.: Die Sache ist offiziell, siehe "www.playbillarts.com/news/article/6286.html".

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Ich glaube, wir sollten uns anhand Dudamel einmal überlegen, ob ein solcher Karriereaufbau wirklich ideal ist.


    Sebastian hat bereits etwas berichtet, was mir interessant scheint: Ein Konzert für Kinder, das Dudamel offenbar auf die leichtere Schulter genommen hat. Ein großer, wirklich verantwortungsvoller Künstler macht das nicht. Und zwar nicht, weil ihm Kinder so ganz besonders am Herzen liegen müßten, sondern weil er den Anspruch hat, die Werke so gut als möglich aufzuführen - unabhängig vom Publikum.


    Überlegen wir einmal: Wie alt ist Dudamel? 26? 27?
    Und jetzt bekommt er LA - also ein US-Spitzenorchester.
    Sehr viel höher kann er nicht mehr steigen. Also: Welcher Antrieb bleibt ihm?


    Mir fällt Welser-Möst ein. Glänzend begabt, aber ebenso früh, allzu früh hochgespielt.
    Leistet sich einen Skandal mit den Wiener Symphonikern, baut in der Staatsoper so Mist, daß die Philharmoniker zum Direktor gehen und ihn bitten, sie von diesem Dirigenten zu erlösen.
    Gibt Interviews, die vor Selbstgefälligkeit strotzen und in denen er sich selbst als "den besten" bezeichnet.
    Chef des London Philharmonic - und prägt den Satz, daß jedes Orchester, wenn es unter ihm spielt, das beste der Welt sei.
    Er ist an der Spitze - nur die Aufführungen sind keineswegs spitze, sondern routiniert herunterdirigiert. Bei Bruckner merkt man, daß er mehr gibt, bei Britten und Mahler auch. Aber sonst setzt er auf glatten Effekt. Und ein derart arrogantes Auftreten, daß es fast sprichwörtlich wird.
    Dann der Krach mit den Londonern, ein privater Konflikt kommt dazu - und Welser-Möst ist plötzlich ganz unten.
    Der Absturz ist so total, daß ihm niemand mehr eine Chance gibt, sich wieder zu erfangen.
    Dann springt Alexander Pereira in Zürich ein, der Welser-Möst schon in Wien gefördert hatte und gibt ihm die Chance, sich schrittweise zu erfangen.
    Welser-Möst schafft es - und seine Aufführungen sind mit einem Mal anders: Emotional, aufpeitschend, engagiert. Er dirigiert, als ginge es um sein Leben. Und auch die Persönlichkeit hat sich gewandelt: Selbstsicherheit statt Arroganz, Freundlichkeit statt Kaltschnäuzigkeit, er wirkt ausgesprochen sympathisch.


    Was ich damit sagen will: Das Hochspielen eines so jungen Künstlers erfolgt oft zum Schaden für dessen künstlerische Entwicklung. Und nicht jeder hat einen Pereira hinter sich, der auch dann noch zu ihm hält, wenn es ganz schlecht ausschaut.


    Und damit zurück zu Dudamel: Begabt ist er, zweifellos. Das kann einer der ganz Großen werden.
    Aber so jung so an die Spitze kommen? - Da werde ich skeptisch. Kann er wirklich 40 bis 50 Jahre die in ihn gesteckten Erwartungen erfüllen?


    :hello:

    ...

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Und damit zurück zu Dudamel: Begabt ist er, zweifellos. Das kann einer der ganz Großen werden.
    Aber so jung so an die Spitze kommen? - Da werde ich skeptisch. Kann er wirklich 40 bis 50 Jahre die in ihn gesteckten Erwartungen erfüllen?
    :hello:


    In 40 bis 50 Jahren werden wir es wissen. :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von GiselherHH
    Offenbar gehört Dudamel bereits schon die Gegenwart. Auf der Website des Musikkritikers des "New Yorker" Alex Ross ("www.therestisnoise.com") steht seit gestern zu lesen, dass Dudamel 2009 Esa-Pekka Salonen als Chef des LA Philharmonic Orchestra beerben wird. Der junge Venezuelaner scheint das große Los gezogen zu haben...



    In einem Artikel der "Welt" bejubelt Manuel Brug diese Entscheidung ohne jeden Vorbehalt:


    "http://www.welt.de/welt_print/article803022/Mambo_mit_Dudamel.html"



    Dort ist auch nachzulesen (was mir total entfallen war), dass Salonen 2004 in der Jury des Bamberger Wettbewerbs saß, die Dudamel den ersten Preis zuerkannte.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Na.... wer hat das Dudamel-Konzert gesehen eben auf 3Sat?
    Ich hab nur den Schluß erwischt und gucks nachher noch mal auf ARD.


    Irgendwie mußte ich ja aber immer an dieses Kerlchen denken...


  • ...der Name erinnert mich dagegen immer an diesen hier


    :D


    Hab das Konzert heute gesehen, aber nur nebenbei, weswegen eine richtige Meinung eigentlich nicht gebildet werden kann.


    (Ist er nicht der Typ, der Beethoven wie die brasilianische Nationalhymne dirigiert :stumm::pfeif: )


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Das Konzert war phantastisch und dem Papst hats wohl auch gefallen. Spontan hat er allen Künstlern nach der Aufführung persönlich gedankt.
    Hilary Hahns Auftritt war eine Offenbarung. Ihre Solokadenzen in den ersten beiden Sätzen des Mozartschen G-Dur-Konzertes hätten dem Schöpfer des Werkes gewiss auch gefallen. Wieder einmal hat sie ihren besonderen Rang unter den heutigen Geigerinnen unter Beweis gestellt.
    Und "Aus der Neuen Welt" wurde selten so begeistert und begeisternd erzählt wie vom RSO des SWR unter ihrem Zauberer Dudamel.
    Das Brass-Ensemble verlieh diesem Ausnahmekonzert zu Beginn und Schluss einen würdigen Rahmen.
    :jubel: :jubel: :jubel:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von SiegfriedHilary Hahns Auftritt war eine Offenbarung. Ihre Solokadenzen in den ersten beiden Sätzen des Mozartschen G-Dur-Konzertes hätten dem Schöpfer des Werkes gewiss auch gefallen. Wieder einmal hat sie ihren besonderen Rang unter den heutigen Geigerinnen unter Beweis gestellt.


    Stimmt! Papa Ratzi weiß schon, welche Stücke und Interpreten er spielen lässt.
    An Fräulein Hahns Interpretation gefiel mir mal wieder die Schnörkellosigkeit, mit der sie das Konzert klar aber gerade dadurch emotional rüberbrachte. (Finde ich weitaus faszinierender als das exzessive Vibrato einer weltbekannten, deutschen "Mozart-Expertin".)
    Die Kadenzen haben mir auch sehr gut gefallen (ganz besonders die Zweite!), denn sie waren sehr zurückhaltend, durchdacht und ohne große Show-Effekte.
    Ich meine, mal gelesen zu haben, Mozart hätte extra Ein- und Ausleitungen für viele Kadenzen geschrieben. Grund: Das soll die Interpreten daran hindern, die Kadenzen als Bühne für ihre Virtuosität zu missbrauchen. Von daher hätte es Wolferl tatsächlich gefallen können.

  • Um auf Dudamel zurückzukommen: Augen zu - Ohren auf. Die Wiedergaben waren energiegeladen, sehr frisch und detailfreudig.
    Was mir weniger gefällt, ist Dudamels nachdrücklich schöner Bewegungsablauf - ich habe das Gefühl, daß er manche Gesten macht nicht, weil sie notwendig sind, sondern weil sie optisch gut wirken.
    Das kann sich aber noch abschleifen.
    :hello:

    ...

  • Ich habe leider nur noch den Schluss von Dvorak mitbekommen und den Gabrielli danach.


    Ich war nur etwas erstaunt über die etwas lange Generalpause, die Dudamel bei Dvorak kurz vor Ende der Symphonie einlegte, da schaue ich noch mal in der Partitur, denn so habe ich das noch nie gehört.


    Ansonsten hat mir das bisschen ganz gut gefallen (die letzten 5 Minuten Dvorak), vor allem die innigen Momente in den Holzbläsern hat Dudamel sehr schön ausgeleuchtet - in seinen Händen wirkten sie wirklich zerbrechlich. Die stürmische Passage am Ende hätte aber IMO noch ein wenig stürmischer bzw. dramatischer sein dürfenm nach all dem, was man so über Dudamel gelesen hat....aber ein Urteil ist vermessen, ob der kurzen Zeit, die ich nur mitbekommen habe.


    :hello:
    Wulf

  • Hallo Alfred


    Auch ich habe in letzter Zeit viel von Gustavo Dudamel gehört und gelesen. Vor zwei Wochen kam im Schweizer Radio eine Spezialsendung über ihn und seine Projekte.
    Schnurstracks kaufte ich die CD, welche vorgestellt wurde. Dieser Beethoven entzückt mich echt. -- Dudamel gehört die Zukunft, meine persönliche Meinung.
    Grüsse aus Zufikon


    (Vielen Dank noch für Deine Hilfe bei meinem Problem mit anmelden, und eben doch nicht)


    Lenski :hello: :hello: :hello:

  • flotan
    Kann irgendwer etwas dazu sagen?


    Diese CD bekam ich geschenkt, weil ich von nichts anderem mehr gesprochen haben.
    Absolut empfehlenswert.


    Grüsse, Lenski :jubel:

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